Читать книгу Ausstand - Reiner Kotulla - Страница 6

Drei

Оглавление

Mit dem Brief in der Hand lief er zurück, setzte sich an seinen Tisch, zog das Blatt aus dem Umschlag und las:

Hallo Jonas,

lange konnte ich nicht einschlafen, machte mir Vorwürfe, Sie mit meinem Vorschlag überfahren zu haben. Warum habe ich ihn überhaupt gemacht, fragte ich mich. Vielleicht weil wir beide in einer ähnlichen Situation sind, und ich gebe es zu, Sie mir sympathisch und vertrauenswürdig sind.

Und doch möchte ich mich für den Überfall entschuldigen, denn ein solcher muss es für Sie gewesen sein, das sah ich Ihnen an. Um uns beiden Peinlichkeiten zu ersparen, bin ich abgereist. Ich werde in Livorno die nächste Fähre nehmen.

Schreiben Sie mir, wenn Sie möchten: vera-galina@net.de

Danke für Ihr Verständnis.

Vera Galina

Es stimmte, zuerst hatte er sich überfahren gefühlt, nur peinlich musste es ihr nicht sein. Er würde ihr umgehend schreiben. Da sie aber kaum vor dem Check-in ins Netz gehen würde, ließ er sich Zeit, verspürte plötzlich großen Appetit, was er sich so erklärte, dass noch nichts entschieden sei. Er hatte also Zeit, die Angelegenheit noch einmal gründlich zu durchdenken, war er doch zu nichts verpflichtet. Später saß er in der Lobby, zurückgelehnt in einen Sessel, auf einen Widerspruch wartend. Es wollte sich keiner einstellen. So klappte er sein Netbook auf, stellte die Verbindung her und schrieb: „Hallo Vera“, und kaum, dass er ihren Namen schrieb, war sie wieder da, die Erinnerung an die Andere:

Ein Spaziergang, das unvermeidliche Gespräch, Vera blieb stehen. Da zog ich den Brief aus der Tasche. Vor uns, am Straßenrand der Briefkasten.

„Es ist Zeit, dass ich ihn endlich einwerfe."

„Du weißt ja, was das bedeutet.“

Und ich warf ihn ein und machte die Drohung wahr und leitete damit das Ende ein.

Sie ist eine Andere, die nur so heißt wie sie, rief er sich in die Wirklichkeit zurück. Also schrieb er:

Hallo Vera,

in einem stimme ich Ihnen nicht zu, peinlich muss es Ihnen nicht sein. Unschlüssig war ich, konnte nach unserem Gespräch lange nicht einschlafen. Dann hatte ich mich entschieden, schlief gut. Als ich es Ihnen sagen wollte, am Morgen, beim Frühstück, waren Sie nicht mehr da – schade.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start und hoffe, dass wir in Verbindung bleiben.

Herzliche Grüße

Jonas Bogner

Er setzte seine Studien fort: Jürgen Kuczynsky: "Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus".

Heute störte ihn niemand. Er hatte ausgiebig gefrühstückt – im Hotel bot man außer dem italienischen auch ein deutsches Frühstück an – da würde er erst in den Abendstunden wieder Appetit bekommen. Was das Arbeiten betraf, hatte er sich angewöhnt, abschnittsweise vorzugehen: Lesen, durchdenken, schriftlich zusammenfassen. Und er kam gut voran. Vielleicht auch deshalb, weil er sich Hoffnungen machte, von Vera Galina erneut eine Einladung zu bekommen. Doch nichts dergleichen geschah. Abends sah er in der Tagesschau die Wetterkarte. Er war endlich eingekehrt, der Frühling in Deutschland, Ende April. Auf seinem Nachttisch lag Zolas Germinal, und er begann zu verstehen.

Dann, an einem Freitag, er wusste es deshalb so genau, weil er am Montag nach Wetzlar zurückzukehren gedachte, las er:

von vera galina

an jonas bogner

Hallo Jonas,

entschuldigen Sie bitte, dass ich solange nichts von mir habe hören lassen. Ich kam bisher hier nicht zur Ruhe, soviel habe ich dazuzulernen. Ein Campingplatz ist schon etwas anderes als ein Reisebüro. Hier bin ich die Neue unter Alten, die in mir eher eine Konkurrentin denn eine Kollegin sehen.

Kurz gesagt, ich glaube, Ihre Anwesenheit hier täte mir gut, sodass ich hoffe, meine Zeilen erreichen Sie noch in Arezzo.

Herzliche Grüße

Vera Galina.

Da war sie, die Einladung. Er musste nicht lange überlegen, sein Entschluss stand fest.

Ausstand

Подняться наверх