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Sechs

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Da sah ich sie wieder vor mir, die andere Vera. An einem Tag Anfang Juli, vor sechs Jahren, lernte ich sie kennen. Das Lokal am Wetzlarer Schillerplatz war damals ein Szenetreff gewesen. Hier trafen sich Maler, Schriftsteller und solche, die es gerne wären.

Die Kneipe war bekannt für ihre außergewöhnliche Einrichtung und eine gemütliche Atmosphäre. Im Sommer saß man dort gerne draußen auf dem Platz, der den Namen des mit Goethe bekannten Dichters trug.

Mir war wieder einmal die Decke auf den Kopf gefallen, und weil ich in der Nähe wohnte, war ich auf ein Bier hingegangen. Dieser Entschluss sollte mein Leben verändern, und zwar so gründlich, dass ich beinahe daran zugrunde gegangen wäre. Dabei fing alles so harmlos an.

Vor mir das Bier, stand ich an der Theke und blickte in den Spiegel an der Wand hinter dem Gläserregal. Links neben mir stand ein Mann, der sich intensiv mit der Frau an seiner Seite unterhielt. Der Platz an meiner rechten Seite war frei. Es war ein Mittwoch, ein Tag, an dem in Wetzlar allgemein nicht viel los ist. Von dieser Stadt hieß es: morgens ein Nebelmeer und abends nach zehn Uhr gar nichts mehr.

Hin und wieder wanderte mein Blick durch das Lokal, in der Hoffnung, jemand Bekanntes zu entdecken – Fehlanzeige. Na gut, nahm ich mir vor, ich gehe zur Toilette, trinke danach mein Bier aus und mache mich wieder von hinnen.

Als ich vom Klo zurück kam, stand sie da, ein Glas vor sich. Ich schätzte sie auf etwa dreißig Jahre. Blond, mittellanges Haar, trug sie ein schwarzes T-Shirt, eine rote Leinenhose und schwarze Ballerinas.

Vergessen die Absicht zu gehen, starrte ich in den Spiegel, solange, bis sich dort unsere Blicke trafen. Als sie endlich lächelte, wanderte mein Blick nach rechts. Sie folgte meinem Beispiel, das Lächeln immer noch auf ihren Lippen.

Ich überlegte krampfhaft, was ich sagen könnte, doch es fiel mir nichts ein. Hätte nicht sie das Wort ergriffen, wer weiß, wie es ausgegangen wäre.

„Entschuldigung, Sie machen ein Gesicht, als sei Ihnen heute alles daneben gegangen. Und irgendwie wirken Sie dabei auch noch komisch.“

Was sollte ich darauf erwidern? Sag, wie es ist, Jonas, was kann dir schon passieren?

„Sie haben recht, ein guter Tag war´s nicht, zumal mir eben nicht einfallen wollte, wie ich mit Ihnen in´s Gespräch kommen könnte.“

Jonas Bogner zuckte regelrecht zusammen, als sie ihm auf die Schulter tippte.

„Weit weg mit Ihren Gedanken?“

„Nein, eigentlich nicht“, log er.

„Ich ziehe mir nur schnell etwas Bequemeres an, bin gleich wieder da.“

Vera Galina verschwand hinter der Tür mit der Nummer neun. Er beeilte sich, Wein und Gläser aus seinem Apartment zu holen, ohne zu wissen, ob sie den Roten mochte.

Und schon kam sie wieder, hatte das stewardessendunkelblaue Kostüm gegen einen lockeren Sportanzug und die hochhackigen Pumps gegen leichte Stoffschuhe ausgetauscht.

„Gerne“, meinte sie, als er auf die Weinflasche wies. Dann saßen sie, beide entspannt und erzählten sich, wie ihr Tag verlaufen war. Vera Galina hatte ununterbrochen an der Rezeption gestanden, neu Angekommene versorgt, Fragen beantwortet, Beschwerden entgegengenommen und das alles auf sich allein gestellt. Man schien sie nicht besonders zu mögen, meinte sie, die Neue, die einer Alten, ohne davon zu wissen, den Arbeitsplatz genommen hatte.

Jonas Bogner erzählte von seinem Rundgang und den Erlebnissen mit den Campern in der kleinen Bucht. Als er seine Beobachtungen und Vermutungen wiedergab, entspannte sich Vera Galina sichtlich, lächelte und meinte: „Zum Glück habe ich in dieser Beziehung gerade mal keine Probleme. Da geht´s mir richtig gut. Und das nicht ohne Ihre Schuld – falsch, von Schuld kann da überhaupt keine Rede sein. Nicht ohne Ihr Zutun, ist es wohl besser ausgedrückt.“

Ausstand

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