Читать книгу Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt - Reiner Tetzner - Страница 44
Phaëthon begegnet seinem Vater Helios
ОглавлениеEpaphos wuchs zusammen mit Phaëthon auf, und beide glichen sich an Gesinnung wie Gestalt. Doch was hieß das schon? Prahlte Epaphos mit seinem Vater, dem Kroniden, wusste Phaëthon von seinem nichts zu berichten. Nächtelang flehte er seine Mutter Rhode an, das Geheimnis preiszugeben.49
Rhode brach es das Herz, ihren Sohn so bedrückt zu sehen, und eröffnete ihm:
»Dein Vater ist kein Verworfener; er lebt ewig in seinem Glanze.«
»Oh Gott! Ist er etwa ein Gott?«, Phaëthon verschlug es die Sprache, aber als er erfuhr, dass kein geringerer als Helios sein Vater sei, stürmte er zu seinem Freund Epaphos. Schon Unglauben hätte Phaëthon gequält, doch Epaphos’ Gelächter ertrug er nicht.
»Dir werde ich es zeigen. Ich eile zu meinem Vater, dann wirst du schon sehen, welch himmlischer Abkunft ich bin.« Mit diesen Worten machte sich der Jüngling gen Osten auf und erreichte Helios’ glänzenden Palast. Allein der Prunk blendete Phaëthon, doch Helios’ gleißendem Anblick hielten seine Augen nicht stand. Mit abgewandtem Blick stand er befangen vor dem Thron, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen. Lange musste der Sonnengott dem Jüngling zureden, bis dieser zaghaft den Mund öffnete:
»Großer Helios, Vater, wenn du mir diese Anrede gestattest, befreie mich von meinem Zweifel und gib mir ein Pfand, das mich unleugbar als deinen Sohn ausweist!«
»Fasse nur Zutrauen«, entgegnete der Herrscher, »du bist mein Kind. Endlich bist du hier, nach all den Jahren, die ich dich nur von ferne zu sehen vermochte. Mein Sohn, äußere einen beliebigen Wunsch, was es auch sei, bei den Wassern, die mein Auge nie gesehen, schwöre ich dir, ihn zu erfüllen!«
»Dann will ich deinen Sonnenwagen fahren«, platzte Phaëthon heraus, »alle sollen sehen, ich bin dein Sohn.«
»Du weißt nicht, was du begehrst«, erschrak Helios, »erbitte etwas anderes, irgendeine Kostbarkeit des Himmels, des Meeres oder der Erde, und fürchte nicht, dass ich es verweigere.«
»Ich will aber den Sonnenwagen fahren!«, beharrte der Halsstarrige.
»Phaëthon, mein Sohn, du erbittest dein Verderben von mir, von deinem eigenen Vater! Niemals lasse ich das zu. Du, ein Sterblicher, wünschst, woran Himmlische scheitern. Selbst Zeus verstünde den Himmelswagen nicht zu lenken!«
»Aber du hast es geschworen!«
»Oh, wie unheilvoll!«, klang Helios bedrückt, »es war töricht von mir, bei der Styx zu schwören. Doch noch törichter ist es, auf diesem übereilten Schwur zu bestehen. Zweifle nicht, du erlangst alles, was du willst. Wünsche verständiger, du bist alt genug!« Dreimal, viermal noch schüttelte der Gott sein loderndes Haupt und versuchte eindringlich, den Jungen zur Vernunft zu bringen. Doch dieser beharrte, schmollend wie ein Kleinkind, auf seinem Willen.
So führte Helios zögernd seinen Sprössling zu dem goldenen Wagen, hieß den Horen die Rosse anzuspannen und gab letzte Ratschläge:
»Steil führt am Anfang der Weg in schwindelerregende Höhen. Schau nicht hinab, denn auch ich zittere in banger Besorgnis! Halt die Zügel straff und spar den Stachel! Wähle die Mitte der Bahn, zwischen dem grollenden Bären und der zischenden Schlange, verbrenne weder die himmlischen Paläste noch die Erde!«