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Die Kalydonische Jagd

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Epaphos’ Tochter Libye, Namensgeberin des bekannten Landes, gebar dem Poseidon zwei Söhne: Belos, der in Ägypten herrschte und aus dessen Stamm Perseus hervorgehen sollte, und Agenor, der nach Phönikien auswanderte und Stammvater der Königsgeschlechter von Kalydon, Kreta und Theben wurde.

Agenor, Epaphos’ Enkel, hatte fünf Kinder: Phoinix, nach dem der phönizische Herrschaftsbereich benannt ist; Demonike, die durch die Liebschaft mit Ares Großmutter von Leda und Althaia wurde; die von Zeus entführte Europa; Kadmos, der auf der Suche nach seiner Schwester Theben gründete; und Portheus, König von Kalydon.

Portheus’ Sohn Oineus erwies sich als überaus freigebiger Herrscher. Als eines Tages Dionysos nach Kalydon kam und ein Auge auf dessen Frau Althaia warf, zog sich der rechtmäßige Ehemann zurück, und Althaia empfing dann Deïaneira, die spätere Heraklesgattin. Dionysos erwies sich als dankbar und lehrte seinen verständnisvollen Gastgeber die Kunst des Weinanbaus.

Zwar ist nicht überliefert, dass Ares jemals den Palast des gastfreundlichen Oineus besuchte, doch hält sich das Gerücht, Meleagros sei nicht Oineus’ Sohn, sondern Althaia habe ihn vom Kriegsgott empfangen. Selbst die Moiren erschienen bei Meleagros’ Geburt. Klotho prophezeite, er werde ein edelmütiger Mensch, Lachesis besang seine Stärke, Kühnheit und Aufrichtigkeit, die Todesmoira Atropos aber starrte ins Feuer und murmelte, Meleagros werde so lange leben, bis dieser Stock, der bereits angekohlt in den Flammen lag, verbrannt sei. Augenblicklich sprang Althaia vom Wochenbett auf, achtete weder Schmerzen noch verbrannte Hände, riss den züngelnden Scheit aus den Flammen, löschte und verbarg ihn.

So wuchs Meleagros zu einem großen Helden heran – unbesiegbar durch die Fürsorge seiner Mutter, die niemandem verriet, wo der schicksalhafte Stock ruhte. Doch Meleagros’ Untergang kam von keinem Feind, sondern von seinen eigenen Eltern. Der gottesfürchtige Oineus vergaß, Artemis zu opfern; und die gekränkte Göttin sandte einen Eber, der Kalydons blühende Landschaften verwüstete. Das Untier wütete derart, dass nicht einmal der tapfere Meleagros es erlegen konnte. Deshalb rief er alle Helden auf, den Eber zu töten.

Um ihren Ruhm zu mehren, kamen zur Kalydonischen Jagd außer Herakles, der seinen Arbeiten nachgehen musste, alle Helden Griechenlands: die Dioskuren Kastor und Polydeukes, ihre messenischen Vettern Idas und Lynkeus, Theseus erschien, mit ihm Iason, Admet und Peleus; weder Telamon noch Amphiaraos fehlten – Männer, von denen noch viel zu erzählen sein wird. Aber auch Atalante, die schöne Jägerin, nahm teil.50

Neun Tage lang bewirtete Oineus die Helden, die sich weigerten, gemeinsam mit einer Frau zu jagen, bis es Meleagros, der sich in Atalante verliebt hatte, endlich gelang, die Jäger zum Aufbruch zu bewegen. Lange stellten sie dem Untier nach, viele Männer verloren ihr Leben, wie Eurytion, der versehentlich von seinem Schwiegersohn Peleus getötet wurde. Taten, würdig der großen Helden, wurden vollbracht, doch erst Atalante gelang es, mit einem Pfeil den Eber zu verwunden; und Meleagros, der sich stets in ihrer Nähe aufhielt, gab dem Tier den Todesstoß. Die Beute wurde zerlegt, das Fell und die Hauer Meleagros überreicht, doch der wandte sich an Atalante:

»Oh, Ebenbild der Artemis, nimm du, was nach Jagdrecht mein ist, und teile mit mir den Ruhm, den ich heute gewann.«

Es war nicht das erste Mal, dass Meleagros die schöne Jägerin entzückte. Schon vorher war sie seinem Liebreiz erlegen; und ihrer Vereinigung entsprang später Parthenopaios, ein Held im Kampf jener »Sieben gegen Theben«.

Unter den Helden machte sich Unmut breit. Vor allem Meleagros’ Onkel wollten nicht dulden, dass eine Frau die Ehrenstücke bekäme, und pochten auf das Recht der Familie, wenn ihr Neffe darauf verzichtete, diese zu erhalten. Streit entbrannte, Waffen wüteten, und bald stand Meleagros im Blut seiner Verwandten. Als Althaia erfuhr, dass der Sohn ihre Brüder tötete und das fremde Mädchen die Trophäen besaß, holte sie das lang verborgene Scheit aus der Truhe und warf es ins Feuer.

Erst spürte Meleagros nur ein kleines Stechen, dann plagten ihn Hitzewellen und Magenkrämpfe. Standhaft versuchte er, den Schmerz zu unterdrücken, doch die Qualen wuchsen. Er verließ unauffällig die Jagdgesellschaft, schleppte sich, der Ohnmacht nahe, durch den Wald bis zum Fluss. Die Hitze verzehrte seinen Körper, die Kehle war ausgetrocknet. Begierig schlürfte er das kühle Wasser. Er trank, trank, trank. Sein Bauch schwoll an, doch die Kehle schien kaum benetzt; und ihm war, als verbrenne er bei lebendigem Leibe. Der Schmerz steigerte sich ins Unermessliche, und mit einem markerschütternden Schrei ging er in den Hades ein.

Daraufhin nahm sich Althaia das Leben, und Oineus heiratete nach angemessener Frist Periboia. Nach außen hin gilt sein Sohn Tydeus als Spross seiner zweiten Gattin, doch Eingeweihte berichten, Oineus habe ihn mit seiner eigenen Tochter Gorge gezeugt. Tydeus erwies sich als nicht weniger tapfer als Meleagros. Doch Oineus musste ihn, als Tydeus einen Mord beging, aus Kalydon verbannen. Hier übten bereits die überlebenden Brüder von Althaia ihren Einfluss aus. Nachdem der alte König schutzlos zurückgeblieben war, ergriffen sie selbst die Macht. Tydeus, der im Zug der »Sieben gegen Theben« fiel, vermochte seinen Vater nicht zu rächen; die Thronräuber abzusetzen gelang erst seinem Sohn Diomedes.

Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt

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