Читать книгу Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt - Reiner Tetzner - Страница 45
Phaëthon fährt den Sonnenwagen
ОглавлениеPhaëthon war nicht stark genug, um die kraftstrotzenden Hengste zu bändigen. Sie sprangen an den ungewohnt lockeren Zügeln hoch hinauf in den Äther. Was für ein schrecklicher Abgrund riss vor Phaëthon auf, als er zur kaum noch sichtbaren Erde blickte! Und als er sich in panischer Angst nach oben wandte, krachten neben ihm die Scheren des Skorpions so ohrenbetäubend zusammen, dass das Gespann weggeschleudert wurde und dem Ohnmächtigen die Zügel entglitten.
Als die feuerschnaubenden Rosse diese nie gekannte Freiheit spürten, gingen sie durch und rasten kreuz und quer durch die Luft. Bald verdampften die Wolken, bald jagten die Hengste auf so abschüssigen Pfaden, dass die Erde in Flammen aufging. Der Nil wich erschrocken ans Ende der Welt zurück und barg das Haupt in seinen sieben Mündungen, selbst die schneebedeckten Gipfel des Olymps und der Alpen fingen Feuer. Sprühende Funken und Ascheflocken schwärzten Afrikas einst hellhäutige Völker; und wo früher Quellen sprudelten und Wälder grünten, dörrt heute Saharas trockener Sand. Da die ganze Welt in einem lodernden Flammenmeer unterzugehen drohte, blieb Zeus nichts anderes übrig, als den Unbesonnenen mit einem Blitz zu erschlagen; Phaëthon stürzte darauf kopfüber in den Eridanos.
Phaëthons Schwestern Prote und Klymene (II) fanden den verbrannten Leichnam und brachen in endlose Klage aus, bis sie sich in Pappeln verwandelten, denen noch heute Tränen entrinnen, die wir unter dem Namen Bernstein kennen.
Nachdem Helios die Pferde eingefangen und einen ganzen Tag der Welt sein Licht versagt hatte, kehrte er auf Drängen der Götter zu seinem angestammten Platz zurück.