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2.3.4 Urbanisierung
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Im Gegensatz zum quantifizierenden Begriff der Verstädterung wird der Terminus Urbanisierung in aller Regel qualitativ verwendet. Man versteht darunter die Ausbreitung städtischer (urbaner) Lebensformen und Verhaltensweisen der Bevölkerung und der dadurch geprägten räumlichen Strukturen und Prozesse von den städtischen in die umgebenden ländlichen Räume. Im Verlauf dieses Diffusionsprozesses werden die Berufs- und Erwerbs- bzw. im umfassenden Sinn die Sozialstrukturen der Bevölkerung, ihre raumrelevanten Verhaltensweisen, aber auch die Physiognomie der Kulturlandschaft ländlicher Räume im Sinne einer Angleichung an die entsprechenden städtischen Strukturen verändert. Ähnlich definiert z. B. STEWIG (1983, S. 114), der vor allem auf die Unterschiede zwischen dem Verstädterungs- und dem Urbanisierungsprozess sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern hinweist.
Begriffliche Einheit im Englischen
Einige Autoren gebrauchen die Begriffe Verstädterung und Urbanisierung weitgehend unterschiedslos, so etwa HEINEBERG (2001, S. 46). Dieser bezeichnet Urbanisierung als „soziale Verstädterung“ und definiert sie als „Adaption und räumliche Ausbreitung städtischer Sozial-, Wohn-, Lebensund/oder Wirtschaftsformen“. Eine solche Gleichsetzung der Begriffe wird zweifellos dadurch beeinflusst und gefördert, dass im Englischen und in anderen europäischen Sprachen nur ein gemeinsamer Begriff für die beiden angesprochenen Sachverhalte existiert (z. B. englisch: urbanization, französisch: urbanisation), hier also nicht die Möglichkeit einer begrifflichen Differenzierung zwischen Verstädterung und Urbanisierung besteht. FASSMANN (2004, S. 49) schreibt von der Schwierigkeit, „für Verstädterung ein passendes englisches Wort zu finden“ und sieht „wie bei anderen Sachtermini ein Dilemma, wenn man zwischen dem deutschen und dem englischen Sprachraum wechselt“. In der englischsprachigen Fachliteratur wird aber durchaus die mehrfache Bedeutung des Begriffs „urbanization“ gesehen. So unterschied bereits SMAILES (1975, S. 1f.) ausdrücklich zwischen „urbanization“ im Sinne von wachsender Bevölkerungszahl und Fläche der Städte (= Verstädterung) und „urbanization“ als Veränderung des „way of life“ der Bevölkerung ländlicher Gebiete, d. h. als Transformation der Lebens- und Wirtschaftsweise der Einwohner ländlicher Räume in Richtung auf „urban life styles“ (= Urbanisierung).
Begriffliche Trennung im Deutschen
Da die deutsche Sprache die Möglichkeit gibt, diese beiden Aspekte des Urbanisierungs- bzw. Verstädterungsbegriffs auch durch zwei verschiedene Termini auszudrücken, bürgerte es sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend ein, um der Klarheit und Eindeutigkeit der Aussage willen begriffliche Unterscheidungen zu treffen. Eine derartige begriffliche Trennung findet sich bereits bei SCHÖLLER (1967) angedeutet. In seiner Arbeit über die deutschen Städte erklärt er Verstädterung als „steigenden Anteil der Stadtbevölkerung“ an der Gesamtbevölkerung, Urbanisierung als sozio-ökonomische Umwandlung von Gemeinden im Umkreis der großen Städte, wodurch eine „breite halbstädtische Übergangszone“ entsteht (SCHÖLLER 1967, S. 10, 96). In den 1970er Jahren wurde das Begriffspaar vor allem durch die „Münchner Schule“ der Sozialgeographie in den Kontext der quantitativen und qualitativen Stadt-Land-Beziehungen gestellt und im obigen Sinn definiert (z. B. RUPPERT/SCHAFFER 1973; PAESLER 1976; MAIER/PAESLER et al. 1977). Inzwischen haben sich die meisten Autoren auf ähnliche Definitionen der beiden Begriffe festgelegt. So schließt nach GAEBE (1987, S. 22) der Begriff „Verstädterung“ nur demographische Merkmale ein (z. B. Anteil der Stadtbevölkerung, Bevölkerungszunahme der Städte), nicht dagegen sozio-ökonomische Diffusionsprozesse, die im Terminus Urbanisierung enthalten seien. HOFMEISTER (1999, S. 58) stellt fest, es sei „zu einem weitgehenden Konsens gekommen, die … leichter quantifizierbaren Faktoren wie Stadtbevölkerung, Anzahl und Flächenwachstum der Städte unter Verstädterung, die eher qualitativen Faktoren städtischer Lebensform und deren Ausbreitung als Urbanisierung zu bezeichnen“. Schließlich versteht FASSMANN (2004, S. 51 f.) unter Urbanisierung „einen Ausbreitungsprozess von,Stadt im nichtmateriellen Bereich“ im Sinne einer „Übernahme städtischer Verhaltens- und Lebensweisen durch die Bevölkerung ländlicher Räume“.
Indikatoren
Hinweise auf fortschreitende Urbanisierungsprozesse können zahlreiche Indikatoren aus dem demographischen, sozio-ökonomischen und soziokulturellen Bereich geben, durch die Überformungen ländlicher Gemeinden und ihrer Bevölkerung durch städtische Einflüsse deutlich werden. Hierzu gehören etwa Veränderungen der Erwerbsstruktur hin zum sekundären und insbesondere zum tertiären Sektor mit zunehmendem Bedeutungsverlust des primären (agrarischen) Sektors der Wirtschaft, Verbreiterung und Ausdifferenzierung des beruflichen Spektrums der Bevölkerung sowie zunehmender Berufspendelverkehr in Richtung städtischer Zentren. Weitere Indikatoren sind interregionale bis internationale Wanderungsbewegungen mit der Folge eines abnehmenden Anteils autochthoner Bevölkerung und einer zunehmenden Heterogenität der Einwohner nach sozialen und ethnischen Kriterien, Entwicklung und Übernahme stadttypischer Lebensstile, Normen und Wertesysteme, Lebens- und Wohnweisen, Familien- und Haushaltsstrukturen (messbar z. B. am Anteil von Einpersonenhaushalten – „singles“ –, an niedrigen Geburtenzahlen, spätem Heiratsalter, hohen Scheidungsraten, hohem Anteil nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften usw.).
Beispiele für derartige Indikatoren des Urbanisierungsprozesses bringen u. a. LINDAUER 1970, PAESLER 1976, ŁOBODA/PAESLER 1993, FASSMANN 2004. Aus den genannten Indikatoren wird deutlich, dass die Urbanisierung aufgrund zweier sich gegenseitig beeinflussender Faktoren voranschreitet: einerseits durch Stadtrand- und Stadt-Land-Wanderung städtischer Bevölkerung (vgl. 2.4.1), die ihre Verhaltensweisen in die ursprünglich ländlichen Zuzugsgemeinden überträgt, andererseits durch die Übernahme städtischer Verhaltensweisen durch die ländliche Bevölkerung infolge von Akkulturationsprozessen. FASSMANN (2004, S. 52) verweist zu Recht darauf, dass dieser Prozess nicht direkt quantifizierbar ist, sondern sich nur anhand von Indikatoren indirekt nachweisen lässt.