Читать книгу Die Vereinigten Staaten von Europa - Rembert Graf Kerssenbrock - Страница 11
IV. Unterschiedliche Formen der Bundesstaatenstruktur Bisher wurde untersucht, wie sich die Staatsform des Bundesstaates vom Staatenbund und von einer supranationalen Staatenverbindung grundsätzlich unterscheidet. Aber auch unter den bisher existierenden Bundesstaaten haben sich zwei verschiedene Ausrichtungen her-ausgebildet: zum einen der unitarische Bundesstaat, für den die Bundesrepublik Deutschland ein instruktives Beispiel bietet, zum anderen der duale Bundesstaat, den unter anderen die USA repräsentieren. 88
Оглавление1. Der unitarische Bundesstaat
Charakteristisch für den unitarischen Bundesstaat ist das Streben nach einer möglichst gro-ßen Einheitlichkeit. 89 Dies wird in der Bundesrepublik Deutschland an unterschiedlichen Stel-len deutlich:
Zum Beispiel wurden in den Gesetzgebungskatalog des Bundes in Art. 72 Abs. 2 GG Kompe-tenzen eingefügt, die dieser wahrnehmen darf, wenn dies zur „Wahrung der einheitlichen Lebensverhältni sse“ erforderlich sei. 90 Schon im Bereich der Legislative macht die deutsche Verfassung deutlich, dass sie eine einheitliche Form des Föderalismus anstrebt. Zwar sind gem. Art. 30 GG die Erfüllung staatlicher Aufgaben und die Wahrnehmung staatlicher Befug-nisse Sache der Länder, jedoch nur so weit, wie diese nicht dem Bund zugeteilt wurden. Diese Einschränkung macht es möglich, dass die meisten Gesetzgebungskompetenzen beim Bund liegen und damit ein besonders hoher Unitarisierungsgrad möglich wird. 91
Es könnte dann auch erforderlich sein, dass neben den allgemeinen Strukturprinzipien wie Demokratie, Sozial- und Rechtsstaat die daraus abgeleiteten Grundsätze wie das freie Man-dat aus Art. 38 GG von den anderen Mitgliedstaaten übernommen werden müssten. Auf der anderen Seite könnte aber auch von der Bundesrepublik verlangt werden, dass sie sich im Staatsrecht an die anderen Unionsmitglieder angleicht, was Änderungen des Grundgesetzes zur Folge haben würde und womöglich mit dem Art. 79 Abs. 3 GG in Konflikt geraten könnte. So würden schnell historisch bedingte Unterschiede in den Verfassungsstrukturen zu un-überbrückbaren Konflikten führen. Beispielsweise wäre die konstitutionelle Monarchie Groß-britanniens mit der Stellung des Bundespräsidenten oder eine Parteiendemokratie Italiens, die ohne Fünf-Prozent-Hürde auskommt, nicht ohne Weiteres mit dem Grundgesetz in Ein-klang zu bringen. Das Bundesverfassungsgericht spricht zunächst von zentralen Demokratie-anforderungen, die auf unterschiedliche Weise verwirklicht werden könnten. 94 Damit eng verbunden formuliert es aber auch einen anderen Aspekt, der letztlich in seinen unter-schiedlichen Formen Ausdruck der deutschen Volkssouveränität ist: Dass [d]ie europäische Vereinigung auf der Grundlage einer Vertragsunion souveräner Staaten […] allerdings nicht so verwirklicht werden [darf], dass in den Mitgliedstaaten kein ausreichen-der Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens-verhältnisse mehr bleibt. Dies gilt insbesondere für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenver-antwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politische Entscheidungen, die in besonderer Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorver-ständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisier-ten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. 95 96 , sich sehr von denen an-derer Mitgliedstaaten unterscheiden. Charakteristisch für den unitarischen Bundesstaat ist, dass dem Bund die unitarische Gesetzgebung und den Gliedstaaten die Verwaltung zu-kommt. 97 Wenn aber schon die Verwaltungsstrukturen der (Bundes-)Länder sich stark unter-scheiden, erscheint eine grundlegende Konformisierung als schwierig. Gerade die Neustruk-turierung von zum Teil Jahrhunderte alten Strukturen würde nicht über die Entwicklung ei-ner einheitlichen Verfassung der Mitgliedstaaten geschaffen werden können, sondern müs-ste sich vielmehr entwickeln. Wenn die Bundesrepublik – trotz eines kooperativen Föderalis-mus 98 – als Beispiel für einen unitarischen Bundesstaat zu betrachten ist 99 , gibt es bei allen Gemeinsamkeiten – auf die noch weiter eingegangen wird – Unterschiede in den mitglied-staatlichen Strukturen, die bei der Umsetzung eines unitarischen Bundesstaates ein Hinder-nis darstellen könnten. Der unitarische Bundesstaat stellt somit wegen seiner stärkeren Ver-einheitlichungstendenz und den daraus erwachsenden hohen rechtlichen Anforderungen an die Gemeinschaft eine nur schwer umsetzbare Form des Bundesstaates dar. Es gibt aber eine Alternative, welche die „rechtlichen Vorbedingungen“, abgesehen von Demokratie und Sou-veränität, unangetastet lässt, und trotzdem einen Gesamtbundesstaat darstellt.