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c) Konsequenzen für einen europäischen Bundesstaat Fraglich ist, welche Rückschlüsse für einen Bundesstaat das Bundesverfassungsgericht selbst aus seinen bisherigen Feststellungen zieht. Hierzu machte es mehrere, zum Teil widersprüch-lich erscheinende Aussagen:

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Aus der fortbestehenden, mitgliedstaatlich verankerten Volkssouveränität und aus dem Um-stand, dass die Staaten die Herren der Verträge bleiben, folgt – jedenfalls bis zur förmlichen Gründung eines europäischen Bundesstaats und dem damit ausdrücklich zu vollziehenden Wechsels des demokratischen Legitimationssubjekts, dass den Mitgliedstaaten das Recht zur Prüfung der Einhaltung des Integrationsprogramms nicht entzogen sein kann. 183

Mit diesen Aussagen zur Unionsbürgerschaft wollte das Bundesverfassungsgericht Staat-stheoretikern, die einen europäischen Bundesstaat grundsätzlich für möglich halten, eine Absage erteilen, indem es indirekt feststellte, dass es ein europäisches Volk, geeignet als Le-gitimationsobjekt für einen demokratischen Gesamtbundesstaat, nicht gebe. Dabei hob es hier die Souveränität in seiner volksbezogenen Ausgestaltung, die Volkssouveränität, als die maßgebliche Komponente hervor: als die Grundlage des Staates, an der es nach wie vor fehle. Gleichzeitig stellte das Gericht aber auch Bedingungen für die hypothetische Möglich-keit auf, dass sich tatsächlich über die Union ein Bundesstaat formieren könnte. Wenn dagegen die Schwelle zum Bundesstaat und zum nationalen Souveränitätsverzicht überschritten wäre, was in Deutschland eine freie Entscheidung des Volkes jenseits der ge-genwärtigen Geltungskraft des Grundgesetztes voraussetzt, müssten demokratische Anfor-derungen auf einem Niveau eingehalten werden, das den Anforderungen an die demokrati-sche Legitimation eines staatlich organisierten Herrschaftsverbandes vollständig entspräche. Dieses Legitimationsniveau könnte dann nicht mehr von nationalen Verfassungsordnungen vorgeschrieben sein. 186

Die Bedingung des „staatsanalogen Aufbaues“ wurde hier zum ersten Mal vom Gericht aus-drücklich formuliert. Wie staatsanalog und nach welchem staatlichen Vorbild dies erfolgen soll, ließ das Gericht offen. Im Gegenteil weichte es dieses eher strikte Kriterium auf, wenn es anmerkte, dass eine „strukturelle Kongruenz“ bei den staatlichen Institutionen auch vom Gericht selbst nicht erwartet würde. 187 Auch sagte es, dass das vom Grundgesetz vorgege-bene Integrationsziel nichts über den endgültigen Charakter der politischen Verfasstheit Eu-ropas aussage. 188 Dies scheint einander zu widersprechen: Auf der einen Seite diskutierte das Gericht die abstrakte Möglichkeit eines sich selbst konstituierenden europäischen Bun-desstaates und hielt jede Verfasstheit von Europa im Einklang mit Präambel und Art. 23 GG für möglich. Auf der anderen Seite verstand es die staatliche Souveränität als Garant für ein hohes Maß an Selbstbestimmung, als Ausdruck von Volkssouveränität bzw. Demokratie, als absolut und unveräußerlich. Dieser scheinbare Widerspruch zeigte aber, dass das Gericht von einem tatsächlich viel kleineren Spielraum für die weitere Entwicklung der Union aus-ging, als es dies direkt ansprach. Es dürfe sich demnach nicht ohne ein eigenes Legitimations-subjekt und ohne konstitutiven Akt ein Bundesstaat bilden. Selbst wenn diese Vorbedingun-gen erfüllt wären, würde nur zu Teilen dem grundgesetzlichen Demokratiegebot entspro-chen. Was das Gericht nicht ausdrücklich sagte, aber andeutete 189 , ist, dass dann immer noch das grundgesetzliche Postulat von der Volkssouveränität in Zusammenhang mit der staatlichen Souveränität einem europäischen Bundesstaat entgegenstehen würde und die-ser Konflikt nur mit einem neuen Grundgesetz aufgelöst werden könnte, das keine so hohen Ansprüche an die eigene Staatlichkeit fordere.

Das Bundesverfassungsgericht formulierte damit Anforderungen an den weiteren Einigungs-prozess Europas, vorausgesetzt man betrachte den europäischen Bundesstaat als Endziel der europäischen Einigung, die in dieser Form nicht selbstverständlich aus dem Grundgesetz ab-geleitet werden können. Dementsprechend sind Ausführungen wie die folgende zu lesen: Die Vorstellung eines allmählichen Zurücktretens der Rechtssubjektivität der Mitgliedstaaten in den auswärtigen Beziehungen zu Gunsten einer immer deutlicher staatsanalog auftreten-den Europäischen Union entspricht auch keineswegs einem voraussehbaren und durch den Vertrag von Lissabon unumkehrbar gemachten Trend im Sinne einer jedenfalls faktisch not-wendigen Bundesstaatsbildung. Die bislang vollzogene Entwicklung einer kooperativ ge-mischten und parallel wahrgenommenen Mitgliedschaft könnte im Gegenteil sogar ein Mo-dell für andere internationale Organisationen und für andere Staatenverbindungen sein. Sofern jedoch auf der Grundlage des insofern entwicklungsoffenen Vertrags von Lissabon die staatsanaloge Entwicklung der Europäischen Union fortgesetzt würde, geriete dies in Wider-spruch zu verfassungsrechtlichen Grundlagen. 190

Dieser vom Gericht festgestellte, bisher noch rein hypothetische Widerspruch macht deut-lich: Trotz eines sich möglicherweise nach Jahrzehnten formierenden europäischen Staats-volkes und einer damit möglichen konstituierenden Staatsgründung, würde nach Einschät-zung des Gerichtes ein Widerspruch zu Art. 79 Abs. 3 GG mit seiner Verbürgung der deut-schen Souveränität entstehen. Ein europäischer Gesamtbundesstaat mit deutscher Beteili-gung unter Fortgeltung eines unveränderten Grundgesetzes sei so nicht möglich. Dabei be-rücksichtigte das Gericht aber nicht, wie sehr die schon bestehende Mitgliedschaft in der EU bereits der in einem Bundesstaat gleicht. Indiziert wird dies besonders über die Maßnah-men, die im Rahmen der europäischen Wirtschaftskrise ergangen sind: Die Bundesrepublik hatte sich zusammen mit anderen EU-Mitgliedern bereit erklärt, sich an diversen Stabilisierungsmaßnahmen zu beteiligen, um so der drohenden Finanzkrise entge-genwirken zu können. In diesem Rahmen hatte sich auch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 7. September 2011 zu der Frage geäußert, ob das Euro-Stabilisierungsmechanis-mus-Gesetz unrechtmäßig in die Haushaltsautonomie und das Budgetrecht des Bundestages eingreife. 191 Dies wurde letztendlich mit der Argumentation verneint, dass die bisher ge-währten Garantien gerade nicht ein völkervertraglich etablierter Mechanismus seien, son-dern noch von der konstitutiven Zustimmung des Bundestages im Einzelnen getragen wür-den, womit die Rechte des Bundestages gewahrt blieben. 192

Jedoch könnte man auch der Ansicht sein, dass die zur Verfügung gestellten Finanzmittel ei-nen zu großen Umfang im Bundeshaushalt ausmachen. Über den Beschluss des Euro-Stabili-sierungsmechanismus-Gesetzes könnte sich der Bundestag letztendlich eines so großen Tei-les seines eigenen Haushaltes entledigt haben, dass folglich eine Haushaltsautonomie nicht mehr angenommen werden könnte. Damit könnte weiter geschlussfolgert werden, dass ein weiterer elementarer Bestandteil der Souveränität 193 abgegeben wurde. Ungeachtet einer abschließenden Bewertung dieses Urteils kann aber festgehalten werden, dass das Bundes-verfassungsgericht es gebilligt hat, dass die einzelnen EU-Staaten mit erheblichem finanziel-len Aufwand für die Schulden anderer Staaten – in diesem Fall Griechenland – zumindest faktisch einstehen und sich dazu sogar selbst verpflichtet haben. 194 Die sich daraus erge-bende faktische Haftung für Fremdverbindlichkeiten ist aber dem Völkerrecht fremd und weist Ähnlichkeiten mit dem Solidaritätszuschlag auf, der nach der Wiedervereinigung in Deutschland zum Wiederaufbau der neuen Bundesländer eingeführt wurde und verfassungs-rechtlich verankert ist. Im Ergebnis blieb das Bundesverfassungsgericht auch mit diesem Ur-teil der Argumentation aus dem Urteil zum Vertrag von Lissabon treu. Andererseits könnte man auch vertreten, dass man das Recht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten als zwei komplementäre Ebenen eines einheitlichen Rechtssystems und die nationalen Verfassungen als Teile eines postnationalen Verfassungsbundes ver-steht 195 , also als eine Art Vorstufe zum Bundesstaat. So müsste man nicht, wie das Bundes-verfassungsgericht es getan hat, der Ansicht folgen, dass zwischen Kompetenz-Kompetenz und „einfachen Kompetenzen“ , deren Abgabe nicht die Staatlichkeit an sich gefährden, zu unterscheiden sei. Man könnte stattdessen eine längst stattgefundene Aushöhlung der deut-schen Staatlichkeit bzw. staatlichen Souveränität annehmen. Die Übertragung der einzelnen Kompetenzen von den Mitgliedstaaten an die EU könnte man im Gegensatz zur Lehre von der Kompetenz-Kompetenz nicht als Leihgabe, sondern vielmehr als Schenkung betrachten, die lediglich unter einem Widerrufsvorbehalt für den Fall des Austritts aus der Union steht. Es wurde mit der Kompetenz-Kompetenz-Lehre ein Zustand angenommen, der erst über die Austrittsmöglichkeit eine Rechtsgrundlage erhalten hat und damit die Frage aufwirft, ob die einstige Qualifizierung der „Leihgabe“ früher ebenso fehlerhaft war wie heute. Wenn dies e aber nur noch im formalen Sinne existiert, kann sie nach erfolgtem konstitutiven Entschluss des deutschen Volkes und einer Grundgesetzänderung nicht mehr der entscheidende Vorbe-halt gegenüber einem europäischen Gesamtbundesstaat sein. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind im Ergebnis zwar größtenteils in sich schlüssig, aber keineswegs zwingend. Vielmehr baut es seine Schlussfolgerungen auf einem an vielen Stellen umstrittenen Staatsverständnis 196 , dessen Ausgangspunkt der Staat ist, der wiederum zugleich die Grundlage und das Ergebnis der Demokratie und Volkssouveränität ist. Wie noch zu zeigen sein wird, geht aber das Grundgesetz allein von der Volkssouveräni-tät basierend auf der Menschenwürde als der konstitutiven Entscheidungsgewalt aus. 197

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