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bb) Die Ultra-vires- und Identitäts-Kontrolle

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Zwei andere wichtige Mittel zur Wahrung der Verfassung sind zum einen die Ultra-vires- Kontrolle, die bei „ersichtlicher“ Grenzüberschreitung durch Unionsorgane eingesetzt wird, und zum anderen die Identitätskontrolle, die, ausgeübt durch das Bundesverfassungsgericht, gewährleisten soll, dass der Kern des Grundgesetzes gewahrt bleibt. Im Urteil zum Vertrag von Lissabon ging das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal auf die Identitätskontrolle ein:

Innerhalb der deutschen Jurisdiktion muss es zudem möglich sein, die Integrationsverant-wortung im Fall von ersichtlichen Grenzüberschreitungen bei Inanspruchnahme von Zustän-digkeiten durch die Europäische Union […] und zur Wahrung des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes im Rahmen einer Identitätskontrolle einfordern zu können. 161

Anschließend erklärt es das bereits zuvor genannte Konzept der Ultra-vires-Kontrolle: Wenn Rechtsschutz auf Unionsebene nicht zu erlangen ist, prüft das BVerfG, ob Rechtsakte der europäischen Organe und Einrichtungen sich unter Wahrung des gemeinschafts- und unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips in den Grenzen der ihnen im Wege der begrenzten Einzelermächtigung eingeräumten Hoheitsrechte halten.

Diese zwar voneinander zu unterscheidenden, aber miteinander eng verbundenen Kontroll-befugnisse, abgeleitet aus dem allgemeinen Verständnis der staatlichen Souveränität und seine Applikation auf die Bundesrepublik Deutschland, scheinen auf den ersten Blick eine bloße Fortführung der in den vorigen Jahrzehnten zu europäischen Änderungsverträgen er-gangenen Rechtsprechung zu sein. Jedoch wurde der mit dem Maastricht-Urteil geschaffene Begriff des Kooperationsverhältnisses 162 nicht erneut verwandt. Vielmehr wurden die beiden erwähnten Kontrollmechanismen in den Vordergrund gerückt. Die Ultra-vires-Kontrolle sei demnach ein Sicherungssystem, das der Identitätskontrolle vorgeschaltet sei: Zunächst wird mit ihrer Hilfe festgestellt, ob die Organe der EU im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt ha-ben und damit nicht auf nationale (souveräne) Kompetenzen zurückgegriffen haben. Die Identitätskontrolle komplementiere dann diese begonnene Kontrolle: Auch für den Ausnah-mefall, dass die EU innerhalb ihrer Kompetenzen gehandelt habe, aber dennoch kernspezifi-sche Bereiche des Grundgesetzes unzulässig verletzt habe, behält sich das Gericht einen Kon-trollvorbehalt vor. Das Gericht nimmt damit an, in Ausnahmefällen 163 die Reichweite des Art. 4 Abs. 2 EUV bestimmen zu müssen, in dem die Pflicht zur Achtung der nationalen Identität geregelt sei. Bemerkenswert ist, dass sich das Gericht eine Ultra-vires-Kontrolle schon bei „ersichtlichen“ Grenzüberschr eitungen 164 vorbehalten hat, und nicht, wie zu erwarten, bei „offenkundigen“ oder „evidenten“. 165 Man könnte die Ultra-vires-Kontrolle deswegen als eine Erweiterung der bisher vom Bundesverfassungsgericht beanspruchten Kontrollbefug-nisse verstehen, da aus dem Wort „ersichtlich“ abgeleitet werden könnte, dass die Anforde-rungen an das Eingreifen einer Ultra-Vires-Kontrolle abgesenkt wurden. Aus den oben zitierten Passagen lässt sich auch der Zusammenhang mit dem Prinzip der be-grenzten Einzelermächtigung herstellen. Das Bundesverfassungsgericht befürchtete, dass die Europäische Union trotz der begrenzten Zuteilung von Zuständigkeiten ihre Kompetenzen überschreiten oder die nationalen Identitäten verletzen könnte, und wollte durch die Dro-hung mit der eigenen Kontrolle einer etwaigen Überschreitung derselben einem solchen Vorgang vorbeugen. Dies bedingt aber gleichzeitig, dass der EuGH seiner Rolle als eigentliche Kontrollinstanz der Unionsorgane nicht vollständig gerecht würde, was das Bundesverfas-sungsgericht zumindest für möglich hielt. Bezugspunkt dieser vom Gericht aufgestellten Grundsätze bleibt die (Volks-)Souveränität der Bundesrepublik, was das Gericht missver-ständlich ausdrückt:

Es ist eine Konsequenz der fortbestehenden Souveränität der Mitgliedstaaten, dass jeden-falls dann, wenn es ersichtlich am konstitutiven Rechtsanwendungsbefehl mangelt, die Un-anwendbarkeit eines solchen Rechtsakts für Deutschland vom BVerfG festgestellt wird. 166

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