Читать книгу Die Vereinigten Staaten von Europa - Rembert Graf Kerssenbrock - Страница 12
2. Der duale Bundesstaat
ОглавлениеWomöglich bietet der duale Bundesstaat, den zum Beispiel die USA verkörpern, ein prakti-kableres Modell für die EU. 100 Die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich 1789 unter den „Articles of Confederation“ gründeten 101 , mussten zunächst einen langen Konflikt um die Verteilung der Kompetenzen zwischen Union und Gliedstaaten (Art. I Abschnitt 8 U.S. Consti-tution) austragen. 102 Ausgangspunkt war die Verfassung von 1787, nach der es eine Zentral-regierung gab, die zum einen aus dem „House of Representatives“ und zum anderen aus ei-ner Länderkammer, dem Senat, bestand. 103 Die Stellung und Autonomie der Gliedstaaten waren insoweit geschützt, als die Befugnisse der Zentralgewalt in der Unionsverfassung ein-zeln aufgezählt waren und noch heute sind. 104 Auch die Gleichberechtigung der Kammern hat besondere Auswirkungen: Damit werden alle Bundesgesetze zu Zustimmungsgesetzen, anders als zum Beispiel in Deutschland, wo, jedenfalls in der ursprünglichen Konzeption des Grundgesetzes, das Einspruchsgesetz die Regel und das Zustimmungsgesetz die Ausnahme darstellt. Dies ergibt sich aus Art. 77 Abs. 2a und 3 GG, wonach der Fall, in dem die Zustim-mung des Bundesrates erforderlich ist, gesondert geregelt ist. Hinzu kommt eine sehr viel striktere Trennung zwischen Bundes- und Landeskompetenzen: Das Militärwesen, die Erhebung von Steuern oder das Münzwesen sind zum Beispiel gem. Art. I Abscnitt 8 der U.S. Constitution dem Bund zugeteilt. 105 Außerdem legt das 10th Amendment 106 fest, dass alle in der Verfassung nicht dem Bund zugeteilten Kompetenzen Landeskompetenzen sind.
The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people. 107
Zwar wirkt dies wie ein Äquivalent zu Art. 30 GG; anders aber als in den USA ist im deutschen Grundgesetz eine Zugriffsmöglichkeit von ganz anderem Ausmaße zugunsten des Bundes an-gelegt, und damit liegt das „Schwergewicht“ in der Gesetzgebu ng beim Bund. Nach Art. 70 iVm. Art. 72 Abs. 1 GG steht dem Bund sowohl die ausschließliche als auch die konkurrie-rende Gesetzgebung zu, die beide in der Summe den Regelfall darstellen. 109 Man kann also sagen, dass Art. 30 GG iVm. Art. 72 GG nicht mit dem 10th Amendment vergleichbar ist. Jedoch konnte der Wortlaut des Art. I Abschnitt 8 der U.S. Consitution als Grundlage für eine Unitarisierungswelle auch in den USA benutzt werden: Der damalige Chief Justice Marshall ging davon aus, dass durch das Fehlen des Wortes „ausdrücklich“ 110 und den Vorrang der Bundesverfassung 111 ähnlich wie der Bund in Deutschland dieser auch in Amerika durch die Verfassung befähigt sei, alles, was „angebracht und notwendig“ sei, zu regeln 112 . Mit Bezug auf diese Auslegung entwickelte der Chief Justice Marshall die Lehre von den „implied -pow-ers“. Diese besagt, dass alle in der Verfassung dem Bund zugeteilten Kompetenzen diesen gleichzeitig dazu befähigen, die geeigneten Mittel zur Erreichung des Zieles und des dauer-haften Funktionierens anzuwenden. 113 Mit dieser Grundentscheidung wurde die Unitarisie-rungsentwicklung in Gang gesetzt. Dennoch sorgte das historisch gewachsene Selbstver-ständnis 114 der Einzelstaaten sowie das 10th Amendment, dessen Berücksichtigung durch den Supreme Court überwacht wurde 115 , dafür, dass die Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten nach wie vor größer ist als die der deutschen Länder, und dass das System der USA repräsentativ für die Idee des dualen Bundesstaates ist. Dies zeigen auch heute noch auftre-tende Konflikte zwischen der Bundesregierung und den Einzelstaaten. 116