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Die Kolonisation

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Ein­zel­ne, die der Glau­bensei­fer in die sla­wi­schen Län­der trieb, wur­den meist er­schla­gen und ihr Mär­ty­rer­tum blieb wir­kungs­los, nur mit mi­li­tä­ri­scher Un­ter­stüt­zung ließ sich et­was aus­rich­ten. Drei Na­tio­nen wa­ren es, die durch Erobe­rung der sla­wi­schen Küs­ten­län­der die Ost­see er­rei­chen, wo­mög­lich be­herr­schen woll­ten: au­ßer den Dä­nen und den Deut­schen die Po­len. Durch ihre An­re­gung wur­de ei­ner der edels­ten Kir­chen­män­ner sei­ner Zeit, Bi­schof Otto von Bam­berg, zum Apos­tel der Sla­wen. Er war von Adel, aber arm, von sei­nen El­tern für den geist­li­chen Stand be­stimmt; um sei­nem Bru­der nicht zur Last zu fal­len, ging er nach Po­len, wo er we­gen Man­gels an Ge­lehr­ten bald eine Stel­lung als Leh­rer fand und sehr ge­schätzt wur­de. Doch war er, wenn er auch gern die Wer­ke der an­ti­ken Dich­ter und Phi­lo­so­phen las, nicht ei­gent­lich ein Mann der Wis­sen­schaft, aber ge­wandt in der Rede und ein gu­ter Pre­di­ger, der die sel­te­ne Kunst ver­stand, dem ein­fa­chen Vol­ke die Heils­wahr­hei­ten zu ver­mit­teln. Das An­zie­hen­de, Vor­neh­me und Wür­di­ge sei­ner Er­schei­nung wirk­te mit dazu, dass er Ge­sandt­schaf­ten bei­ge­ord­net und da­durch mit dem Kö­nig von Po­len, Wla­dis­law Her­mann, be­kannt wur­de. Sein An­teil am Zu­stan­de­kom­men der Hei­rat des­sel­ben mit Hein­richs IV. Schwes­ter Ju­dith, der Wit­we des Kö­nigs von Un­garn, mach­te sei­ne Be­zie­hun­gen zur kö­nig­li­chen Fa­mi­lie zu freund­schaft­li­chen, und sie dau­er­ten fort, nach­dem er auf den Wunsch Hein­richs IV. nach Deutsch­land zu­rück­ge­kehrt war. Hein­rich mach­te ihn erst zu sei­nem Kanz­ler, dann zum Bi­schof von Bam­berg. Ge­mäß sei­ner Gabe, viel zu ver­ste­hen und je­dem ge­recht wer­den zu kön­nen, hielt er es in dem großen Kamp­fe zwi­schen Papst und Kai­ser mit bei­den, und wenn er da­durch auch zu­wei­len bei bei­den An­stoß er­reg­te, be­grif­fen sie doch, dass es nicht aus fei­ger Be­rech­nung ge­sch­ah, und hiel­ten ihn trotz­dem wert. Er wirk­te mit beim Worm­ser Kon­kor­dat, das die Rech­te von Papst und Kai­ser in Be­zug auf die Bi­schofs­wah­len re­gel­te. Ein Jahr nach dem Tode Hein­richs V., 1124, rich­te­te der Kö­nig von Po­len, Bo­les­law III., der sei­nem in­zwi­schen ver­stor­be­nen Va­ter ge­folgt war, die Fra­ge an ihn, ob er ge­neigt sei, die Be­keh­rung der heid­nischen Pom­mern zu über­neh­men.

Die Sach­sen wa­ren durch ihre Kämp­fe ge­gen Hein­rich IV. und Hein­rich V. von den Be­mü­hun­gen, die Ost­see­küs­te zu er­obern, ab­ge­lenkt; umso eher war es Bo­les­law ge­lun­gen, die Pom­mern zu un­ter­wer­fen. Pom­mern, das sich zu bei­den Sei­ten der Oder er­streck­te, galt als ein we­gen sei­ner Na­tur­pro­duk­te be­geh­rens­wer­tes Land; es war reich an Milch, But­ter und Ho­nig, Ge­mü­se und Ge­trei­de, Wild und Fi­schen, und von dem Ge­tränk, das man dort aus Ho­nig be­rei­te­te, wur­de ge­rühmt, es sei bes­ser als Fa­ler­ner Wein. Die­se Schät­ze reiz­ten je­doch den Kö­nig nicht so wie das Meer; schon sein Va­ter hat­te ein­ge­se­hen, dass es eine Le­bens­fra­ge für sein Reich sei, das Meer zu er­rei­chen, dass nur da­durch Po­len in Wett­be­werb mit den an­de­ren Völ­kern tre­ten kön­ne. Es galt nun, nach­dem das Land ge­walt­sam der pol­ni­schen Ober­ho­heit un­ter­wor­fen war, die Be­völ­ke­rung zu chris­tia­ni­sie­ren und da­durch ein wirk­sa­me­res Band zu knüp­fen als es das ei­ser­ne der Waf­fen war. Otto sag­te ja zu der Auf­for­de­rung des Kö­nigs, wenn es ihm auch schwer wur­de, das schö­ne Land, das ihm Hei­mat ge­wor­den war, zu ver­las­sen; ein rüs­ti­ger Mensch weicht dem Wink des Schick­sals nicht aus, am we­nigs­ten ei­ner Auf­ga­be, bei der er sei­ne Kräf­te wie nie zu­vor ent­fal­ten kann. Be­mer­kens­wert klug und vor­sich­tig wie ein er­fah­re­ner Mann von Welt ging er bei den Vor­be­rei­tun­gen der Rei­se zu Wer­ke. Es war ihm be­kannt, dass die Pom­mern halb­ver­hun­ger­te As­ke­ten, die in ihr Land ka­men, ver­ach­te­ten und vor­aus­setz­ten, sie hät­ten es we­ni­ger auf ihr See­len­heil als auf den Über­fluss ih­res Lan­des ab­ge­se­hen; um das zu ver­mei­den, sorg­te er für ein an­sehn­li­ches Auf­tre­ten sei­ner Ex­pe­di­ti­on und ver­sah sich mit Stof­fen und an­de­ren Ge­gen­stän­den, die er als Ge­schen­ke aus­tei­len konn­te. So er­schi­en er in je­der Hin­sicht als der Ge­ben­de, Be­glücken­de. Die Rei­se ging durch den Böh­mer­wald nach Prag, von da über Bres­lau nach Gne­sen, wo ihn Bo­les­law emp­fing. Der Kö­nig gab ihm ei­ni­ge sei­ner Gro­ßen als Beglei­ter mit, da­mit die Sla­wen ge­warnt wür­den, sich nicht an dem un­ter pol­ni­schem Schutz ste­hen­den Mis­sio­nar zu ver­grei­fen.

Der sla­wi­sche Her­zog von Pom­mern war dem Chris­ten­tum ge­neigt und wur­de durch Otto noch mehr da­für ge­won­nen. Of­fe­nen Wi­der­stand fand er in Wol­lin, da, wo die Trüm­mer der Joms­burg stan­den, die der Sitz dä­nisch-wen­di­scher See­räu­ber ge­we­sen war; aber auch die von Wol­lin er­klär­ten sich nach­träg­lich be­reit, das Chris­ten­tum an­zu­neh­men, wenn die Haupt­stadt, Stet­tin, es täte. Wohl tru­gen die Dro­hun­gen und Ver­spre­chun­gen des pol­ni­schen Kö­nigs zum Er­fol­ge bei, mehr aber tat die Per­sön­lich­keit und das Wort des gü­ti­gen Bi­schofs. Es wird be­rich­tet, wie er zwei vor­neh­me Kna­ben, de­ren Lieb­lich­keit sich in sein Herz stahl, an sich zu zie­hen wuss­te, wie er ih­nen von der Uns­terb­lich­keit der See­le und vom Ewi­gen Le­ben sprach und sie für das Chris­ten­tum ge­wann, wie die Mut­ter, die heim­lich schon Chris­tin war, von Glück über­strömt, die Ge­tauf­ten in ihre Arme schloss, wie der Va­ter, zu Tode be­trübt, aus Lie­be zu den Söh­nen, doch auch das Chris­ten­tum an­nahm. So moch­ten ein­zel­ne eine in­ne­re Wand­lung er­fah­ren, sei es, dass der frem­de Bi­schof ih­nen ein hö­he­res Men­schen­tum dar­stell­te, sei es, dass sein Wort ih­ren Ho­ri­zont auf­riss und einen Aus­blick in tiefe­re Him­mel öff­ne­te; die Mehr­zahl je­doch merk­te sich die Tat­sa­che, dass der Chris­ten­gott mäch­ti­ger war und bes­ser schütz­te als ihre Göt­ter, ohne den ent­thron­ten nach­zu­trau­ern oder dem neu­en sich zu er­ge­ben. Otto ver­fuhr im­mer scho­nend. Von den Schät­zen des be­rühm­ten, schön­ge­schnitz­ten Tem­pels zu Stet­tin eig­ne­te er sich nichts an, nur das Bild des drei­köp­fi­gen Tri­glav nahm er für sich, um es nach Rom zu schi­cken. Als eine hei­li­ge Ei­che ge­fällt wer­den soll­te und die Be­völ­ke­rung um ihre Er­hal­tung bat, in­dem sie ver­sprach, sie künf­tig nicht an­zu­be­ten, nur als schö­nen Baum zu ver­eh­ren, ge­währ­te er den Wunsch, viel­leicht selbst ge­rührt von der Pracht des al­ten Wald­haup­tes. Am meis­ten zeig­te Otto die Über­le­gen­heit sei­nes Geis­tes, als der Her­zog von Pom­mern be­nach­bar­te heid­nische Sla­wen un­ter­wor­fen hat­te und die Ge­fan­ge­nen als Skla­ven ver­kauft wur­den; be­frei­en konn­te er sie nicht, aber er sorg­te da­für, dass we­nigs­tens die Schwä­che­ren ent­las­sen und dass die Fa­mi­li­en nicht ge­trennt wur­den.

Wie­der emp­fin­gen die Chris­ten vom Cha­rak­ter der heid­nischen Pom­mern einen güns­ti­gen Ein­druck: Dieb­stahl und Be­trug kann­ten sie nicht, die Gast­lich­keit trie­ben sie so weit, dass der Tisch bei ih­nen im­mer ge­deckt war, man brauch­te nur zu­zu­grei­fen. Man­che wei­ger­ten sich Chris­ten zu wer­den, mit der Be­grün­dung, dass bei den Chris­ten den Räu­bern die Au­gen aus­ge­sto­chen und die Füße ab­ge­hau­en wür­den; man wol­le die Re­li­gi­on ei­nes Lan­des nicht, wo es sol­che Ver­bre­chen und sol­che Stra­fen gebe.

Otto ging bis Kol­berg und kehr­te dann, nach­dem er sei­ne neu­ge­won­ne­nen Ge­mein­den noch ein­mal be­sucht hat­te, nach Bam­berg zu­rück. Als er ei­ni­ge Jah­re spä­ter Pom­mern zum zwei­ten Mal be­such­te, reis­te er mit Ver­mei­dung der Po­len über Hal­le, dazu be­wo­gen wahr­schein­lich durch Lo­thar, der in­zwi­schen Kai­ser ge­wor­den war. Lo­thar er­reich­te auch, dass Bo­les­law sein Kö­nig­reich von ihm zu Le­hen neh­men muss­te, wo­durch Pom­mern we­nigs­tens mit­tel­bar mit Deutsch­land ver­knüpft wur­de. Die wich­ti­ge Fra­ge aber, wel­chem Erz­bis­tum die neue pom­mer­sche Kir­che un­ter­stellt wer­den soll­te, wur­de nicht zu­guns­ten Deutsch­lands ent­schie­den. Ein Jahr nach Ot­tos Tode, der 1139 starb, be­grün­de­te der Papst ein pom­mer­sches Bis­tum Wol­lin und un­ter­warf es un­mit­tel­bar dem päpst­li­chen Stuhl, da­mit die An­sprü­che so­wohl des Erz­bis­tums Gne­sen wie des Erz­bis­tums Mag­de­burg aus­schal­tend, das die Be­stim­mun­gen Ot­tos I. für sich an­füh­ren konn­te, wie ei­nes et­wai­gen Erz­bis­tums Bam­berg, das Aus­gangs­punkt der Be­keh­rung ge­we­sen war.

Nach dem Tode Bo­les­laws III. sank die pol­ni­sche Macht, so­dass nun nur Sach­sen und Dä­ne­mark um die bal­ti­sche Küs­te kämpf­ten. Es han­del­te sich zu­nächst um die Be­frie­dung von Nor­dal­bin­gi­en, dem Lan­de nörd­lich der Elbe, dem heu­ti­gen Hol­stein, das na­ment­lich an der Küs­te von sla­wi­schen Stäm­men be­wohnt war. Als Nach­barn be­trof­fen wa­ren der Kö­nig von Dä­ne­mark, der Her­zog von Sach­sen, der Graf von Hol­stein und der Erz­bi­schof von Bre­men. Als Mis­sio­nar bot sich dem Her­zog Lo­thar der tüch­ti­ge und op­fer­wil­li­ge Pries­ter Wi­ze­lin an. Wi­ze­lin war nied­ri­ger Ge­burt und stamm­te aus Ha­meln. Als jun­ger Mann leb­te er ver­schwen­de­risch in den Tag hin­ein, bis er sein Ver­mö­gen ver­zehrt hat­te, dann fand er Un­ter­kom­men bei ei­ner mild­tä­ti­gen Grä­fin von Eber­stein, die wohl sei­ne Be­ga­bung her­aus­fühl­te. Dass ihre Haus­ge­nos­sen ihn we­gen sei­nes Man­gels an Bil­dung hän­sel­ten, reiz­te sei­nen Stolz, er ver­ließ das Haus der gu­ten Frau, hol­te in Pa­der­born das ver­säum­te Stu­di­um nach und wur­de ein ge­lehr­ter und stren­ger Schul­meis­ter. Nach­dem er noch den Ein­fluss des fa­na­ti­schen, spä­ter hei­lig­ge­spro­che­nen Nor­bert er­fah­ren hat­te, trug er dem Her­zog Lo­thar sei­nen Wunsch vor, den Sla­wen das Chris­ten­tum zu brin­gen, wor­auf die Burg Se­ge­berg und da­ne­ben eine Kir­che ge­grün­det wur­den. Wi­ze­lin hat in Hol­stein teils aus Gra­nit, teils aus Back­stein die klei­nen wet­ter­fes­ten Kir­chen ge­baut, von de­nen vie­le, wenn auch nicht un­ver­än­dert, noch ste­hen und sei­nen Na­men tra­gen. Uner­müd­lich wan­der­te er durch das Land und pre­dig­te, im­mer wie­der zer­stör­ten die Hei­den, was eben auf­ge­baut war. Un­wirt­lich, öde, arm­se­lig war die Ge­gend, der Wind pfiff über kah­le Fel­der und Sümp­fe. Wenn die Glo­cke läu­te­te, folg­ten nur we­nig Gläu­bi­ge ih­rem Ruf, we­ni­ge brach­ten dem al­ten Bi­schof eine Gabe. Die welt­li­chen Ge­wal­ten er­schwer­ten durch Här­te und Hab­gier sei­ne Auf­ga­be mehr, als dass sie ihm nütz­ten. Sein Nach­fol­ger, Bi­schof Ge­rold, ein Schwa­be, klein von Kör­per, aber großen Geis­tes, woll­te einst, es war im Jah­re 1156, in Al­den­burg die Weih­nacht fei­ern. Er fand einen ver­öde­ten Ort, ohne Mau­ern, ohne Ein­woh­ner, ohne Kir­che, nur eine klei­ne von Wi­ze­lin er­rich­te­te Ka­pel­le gab es; das war sein Bi­schofs­sitz. Schau­dernd vor Käl­te und im Ge­fühl ei­si­ger Ein­sam­keit ze­le­brier­te er zwi­schen Hau­fen von Schnee das hei­li­ge Amt, wo­bei nie­mand au­ßer Pri­bis­law, dem Fürs­ten der Sla­wen, und des­sen Beglei­ter sei­ne Ge­mein­de wa­ren. Er muss­te dank­bar sein, dass Pri­bis­law ihn nach dem Got­tes­dienst in ein ent­fern­tes Dorf führ­te und zu ei­nem reich­li­chen Mahl ein­lud. Als Ge­rold den Sla­wen­fürs­ten auf­for­der­te, sich tau­fen zu las­sen, setz­te ihm die­ser die trau­ri­ge Lage sei­nes Vol­kes aus­ein­an­der. Sie wür­den von den christ­li­chen Fürs­ten so mit Ab­ga­ben über­for­dert, so aufs äu­ßers­te aus­ge­presst, dass für sie der Tod bes­ser als das Le­ben wäre. Das Land ver­las­sen und sich an­ders­wo an­sie­deln könn­ten sie nicht, denn über­all dro­he das glei­che Elend, sie wä­ren also ge­zwun­gen, auf das Meer zu ge­hen und Seeraub zu trei­ben. Ge­rold glaub­te die An­kla­ge ab­wei­sen zu müs­sen; sie soll­ten Chris­ten wer­den, sag­te er, wie die Sach­sen und alle üb­ri­gen Völ­ker, dann wür­de man sie nicht mehr quä­len. Pri­bis­law ent­geg­ne­te, wenn der Her­zog woll­te, dass sie den Glau­ben der Sach­sen teil­ten, sol­le er ih­nen auch die glei­chen Gü­ter ge­ben und die glei­chen Zehn­ten von ih­nen for­dern.

Das Wort von der Lie­be Got­tes ver­hall­te in den mör­de­ri­schen Kämp­fen wie ein mensch­li­cher Hil­fe­ruf im To­sen von Meer und Sturm. Der­je­ni­ge, der ih­nen schließ­lich ein Ende mach­te, Hein­rich der Löwe, ließ Gott und Chris­ten­tum so ganz bei­sei­te, dass die Geist­li­chen sei­nen Weg nicht ohne Miss­bil­li­gung ver­folg­ten. Hein­rich der Löwe, 1129 wahr­schein­lich in Ra­vens­berg ge­bo­ren, er­leb­te als Kind die Ech­tung sei­nes Va­ters, den Sturz sei­nes Hau­ses und wur­de durch sol­che Ein­drücke be­son­ders früh zur Teil­nah­me an den all­ge­mei­nen An­ge­le­gen­hei­ten ge­führt. Mit zehn Jah­ren ver­lor er den Va­ter, mit zwölf Jah­ren die stol­ze, hoch­an­ge­se­he­ne Groß­mut­ter, die alte Kai­se­rin Ri­chen­za, die ihn zum Ver­tre­ter der säch­si­schen An­sprü­che und im Hass ge­gen die Stau­fer er­zo­gen hat­te. Mit acht­zehn Jah­ren trat er mit sei­ner For­de­rung, in die bay­ri­sche Her­zogs­wür­de wie­der ein­ge­setzt zu wer­den, her­vor, die sein Vet­ter, Fried­rich I., so­wie er konn­te, be­frie­dig­te. Ob­wohl dun­kel von Haar und Au­gen, war er mehr Sach­se als Schwa­be und mehr als das von dä­mo­ni­schem Ge­schlecht; un­ter sei­nem Griff und Schritt knis­ter­te die Erde. Der Name des Lö­wen, den er sich gab, stand ihm wohl an: sein Wil­le war ihm statt Recht, was er er­obern konn­te, ge­hör­te ihm. Der Jüng­ling er­griff die Re­gie­rung so­fort wie ein Mann; so­weit ihm sei­ne Ver­pflich­tun­gen ge­gen den Kai­ser Zeit lie­ßen, be­schäf­tig­te er sich mit der Stär­kung sei­ner her­zog­li­chen Macht und mit der Un­ter­wer­fung der Sla­wen. Vor­ur­tei­le in Be­zug auf Ras­se oder Glau­ben hat­te er nicht; wie er sich mit dem Kö­nig von Dä­ne­mark ver­bün­de­te, um die Sla­wen zu be­sie­gen, such­te er die Freund­schaft des Sla­wen­fürs­ten Pri­bis­law und spä­ter von des­sen Soh­ne Ni­klot, ohne sich an­de­rer­seits da­durch ge­bun­den zu füh­len, wenn es ihm nicht mehr nütz­lich schi­en. Dä­ne­mark die Hälf­te der ge­mach­ten Erobe­run­gen zu über­las­sen, wie ab­ge­macht wur­de, war wohl von An­fang an nicht sei­ne Ab­sicht. Auch ei­nem treu­en Freund und Mit­strei­ter ge­gen­über, wie Adolf von Schau­en­burg war, mä­ßig­te er sei­ne Herrsch­sucht nicht.

Den Schau­en­bur­gern, ei­nem rei­chen und tap­fe­ren Ge­schlecht, von de­ren Stamm­burg in der Ge­gend von Min­den noch Rui­nen vor­han­den sind, ver­lieh Kon­rad II. die Gra­fen­wür­de. Lo­thar be­lehn­te als Her­zog von Sach­sen den Gra­fen Adolf I. mit der Graf­schaft Hol­stein, die von den Hol­s­ten, Stor­marn und Dith­mar­schen be­wohnt war und an das sla­wi­sche Nor­dal­bin­gi­en grenz­te. Ihm folg­te sein Sohn Adolf II., der ur­sprüng­lich zum Geist­li­chen be­stimmt ge­we­sen war und in­fol­ge sei­ner Er­zie­hung nicht nur eine gründ­li­che­re Bil­dung, son­dern auch eine tiefe­re Auf­fas­sung sei­ner Pf­lich­ten hat­te, als bei den welt­li­chen Fürs­ten üb­lich war. Er sprach ge­läu­fig la­tei­nisch und ver­stand auch das Sla­wi­sche. Er be­müh­te sich, die un­ter­wor­fe­nen Sla­wen für das Chris­ten­tum zu ge­win­nen und kul­ti­vier­te das neu­ge­won­ne­ne Land in groß­ar­ti­ger Wei­se durch An­sied­lung von Frie­sen, Hol­län­dern und West­fa­len, de­nen er es un­ter vor­teil­haf­ten Be­din­gun­gen über­ließ. Auf ei­ner In­sel zwi­schen den Flüs­sen Wa­cke­nitz und Tra­ve, wo die Sla­wen in ei­nem hei­li­gen Hain die Göt­ter ver­ehrt hat­ten, grün­de­te er die Stadt Lü­beck, die die güns­ti­ge Lage an der Ost­see schnell er­blü­hen ließ. Da Hein­rich durch sie sei­ne bin­nen­län­di­sche Stadt Bar­de­wiek be­nach­tei­ligt fand, ver­lang­te er, dass Adolf ihm Lü­beck ab­tre­te, als sich Adolf wei­ger­te, ver­nich­te­te er Lü­becks Han­del; das Ende war, dass Adolf um der Stadt und um des Frie­dens wil­len nach­gab und sie dem Her­zog schenk­te. Graf Adolf, den der Chro­nist so­wohl we­gen sei­ner Her­zens­gü­te wie we­gen sei­ner Klug­heit rühmt, fiel im Jah­re 1164 in der großen Sla­wen­schlacht bei Dem­min, die über sei­nem Leich­nam in ei­nem voll­stän­di­gen Sie­ge en­de­te. Wenn Hein­rich der Löwe ihm, sei­nem vä­ter­li­chen Freun­de, an ver­stän­di­ger und mensch­li­cher Ge­sin­nung nach­stand, so über­rag­te er ihn an Wil­lens­ge­walt und Macht der Per­sön­lich­keit. Da er sich als Kö­nig ge­bo­ren fühl­te, be­han­del­te er alle, die sich wei­ger­ten, ihm un­ter­tan zu sein, als Re­bel­len. Un­ter­war­fen sie sich, sorg­te er für sie als Kö­nig. Bei sei­nen Städ­te­grün­dun­gen, Lü­beck und Schwe­rin, ver­fuhr er mit au­ßer­or­dent­li­cher Weit­her­zig­keit; denn er be­hielt sich nur die hohe Ge­richts­bar­keit vor, üb­ri­gens ge­stand er den Bür­gern vol­le Selbst­ver­wal­tung zu, in der Mei­nung, so am si­chers­ten das Ge­mein­we­sen zur Blü­te zu brin­gen. Ent­spre­chend dem ger­ma­ni­schen Be­griff der Ei­gen­kir­che er­hiel­ten die Bür­ger das Recht der Pfar­rerwahl für die Pfarr­kir­che. Es ist nicht un­mög­lich, dass Hein­rich in sei­ner Städ­te­po­li­tik durch sei­nen Schwie­ger­va­ter Kon­rad von Zäh­rin­gen be­ein­flusst war, der schon vor Jahr­zehn­ten mit großer Li­be­ra­li­tät die Stadt Frei­burg ge­grün­det hat­te; aber vor al­lem lei­te­te ihn der si­che­re po­li­ti­sche Blick, sein na­tür­li­ches Erbe. Den küh­nen Geist der säch­si­schen Kauf­leu­te, die mit ih­ren Han­dels­rei­sen ein wirt­schaft­li­ches Netz über das Meer nach Eng­land und Skan­di­na­vi­en und im Os­ten bis Russ­land spann­ten, er­kann­te er als dem sei­ni­gen ver­wandt, er ver­band sich mit ihm und mach­te ihn sich zu­nut­ze. Auch in der Be­zie­hung zu den Sla­wen zeig­te er großen Sinn. Kam es ihm mehr auf ihre Ab­ga­ben an als auf ihr See­len­heil, so woll­te er sie auch nicht als Hei­den ver­nich­ten, und an dem Kreuz­zu­ge, der ge­gen sie un­ter­nom­men wur­de, be­tei­lig­te er sich nur un­gern. Na­tio­na­le Ab­nei­gung lag ihm fern, er über­ließ dem Sla­wen­fürs­ten Pri­bis­law, der ihm treu blieb, einen Teil Meck­len­burgs als Fürs­ten­tum. Pri­bis­law ist der Ahn­herr der Dy­nas­tie, die bis 1918 in Meck­len­burg re­giert hat. Zwar wenn man liest, dass Graf Gun­ze­lin von Schwe­rin, des Her­zogs treu­er Die­ner, je­den Sla­wen, der an­ders­wo als auf der rich­ti­gen Stra­ße an­ge­trof­fen wur­de, ohne sich aus­wei­sen zu kön­nen, auf­hän­gen ließ, so sieht man, dass der un­will­kür­lich ver­drän­gen­de Druck, den die ar­beits- und ord­nungs­ge­wöhn­te­ren Deut­schen auf die Sla­wen aus­üb­ten, durch ge­walt­tä­ti­ge Maß­re­geln ver­stärkt wur­de. »Al­lent­hal­ben sind die Sla­wen auf­ge­rie­ben und ver­trie­ben wor­den; vom Ozean ist star­kes und un­zäh­li­ges Volk ge­kom­men, das der Sla­wen Land ge­wann.« So, mit we­ni­gen Sät­zen be­schließt der Pfar­rer Hel­mold zu Bösau am Plö­ner See, der Chro­nist die­ser Kämp­fe, die Ge­schich­te vom Un­ter­gang der Sla­wen in Deutsch­land. »Die kläg­li­chen Über­res­te der Sla­wen sa­hen sich in­fol­ge des Ge­trei­de­man­gels und der Ver­hee­rung ih­rer Fel­der ge­zwun­gen, sip­pen­wei­se zu den Pom­mern oder Dä­nen zu flie­hen, die sie er­bar­mungs­los an die Po­len, Sor­ben und Böh­men ver­kauf­ten.« Sie wa­ren die Be­sieg­ten, die Schwä­che­ren. Kei­nes­wegs fehl­te es ih­nen an Tap­fer­keit und krie­ge­ri­scher Kraft; denn jahr­hun­der­te­lang hiel­ten sie sich nicht nur ge­gen die Deut­schen, son­dern war­fen sie zu­rück und wü­te­ten un­ter ih­nen mit der­sel­ben Grau­sam­keit, die sie er­lit­ten hat­ten. Wei­chen muss­ten sie schließ­lich der grö­ße­ren Leis­tungs­fä­hig­keit der ar­beit­sa­men Deut­schen und der hö­he­ren Ent­wick­lung ih­rer Land­wirt­schaft. Ihren krum­men Pflug ohne Ei­sen wür­den sie wohl nicht so lan­ge be­hal­ten ha­ben, wenn sie we­ni­ger un­ru­hig, we­ni­ger trä­ge, mehr ge­neigt zu an­dau­ern­der, re­gel­mä­ßi­ger Ar­beit ge­we­sen wä­ren. Die Deut­schen emp­fan­den, so­lan­ge sie ei­ni­ger­ma­ßen frei und des Er­tra­ges ih­rer Ar­beit si­cher wa­ren, die Ar­beit nicht als Fluch, son­dern als we­sent­li­chen In­halt ih­res Le­bens und Aus­druck ih­rer Per­sön­lich­keit. Wie die Tüch­tig­keit der Deut­schen an­er­kannt wur­de, geht dar­aus her­vor, dass auch sla­wi­sche und an­de­re frem­de Fürs­ten sie zur Be­sied­lung ins Land rie­fen.

Ne­ben Hein­rich dem Lö­wen und Adolf von Hol­stein wa­ren Erz­bi­schof Wich­mann von Mag­de­burg und Al­brecht der Bär große Ko­lo­ni­sa­to­ren. Bei­de stamm­ten aus der Ge­gend des Har­zes. Erz­bi­schof Wich­mann hat das Land Jü­ter­bog be­sie­delt und die Stadt Jü­ter­bog ge­grün­det und mit dem Mag­de­bur­ger Recht be­schenkt. Der schö­ne, le­bens­lus­ti­ge Mann, ein treu­er An­hän­ger des Kai­sers, ge­hör­te zu den Geg­nern Hein­richs des Lö­wen, such­te aber doch im­mer eine per­sön­li­che Ver­stän­di­gung zu er­mög­li­chen. Er hielt sei­ne Stadt Mag­de­burg in fes­ter Hand; aber von ihm stammt eine Ur­kun­de, in der er bei Be­grün­dung ei­ner Schus­te­rin­nung fest­setzt, die­sel­be sol­le kei­ne an­de­re als selbst­ge­wähl­te Be­hör­den über sich ha­ben, weil Ehre und Nut­zen ohne Frei­heit als ge­mei­ne Knecht­schaft an­zu­se­hen sei. Mit der­sel­ben Li­be­ra­li­tät ver­fuhr er bei An­set­zung der Sied­ler; sie brauch­ten we­der Haus- noch Bo­den­zins zu zah­len, bis sie einen ge­nü­gen­den Er­trag ih­res An­baus er­zielt hat­ten. Al­brecht der Bär hat die Alt­mark und die Mark Bran­den­burg an das Reich ge­bracht und mit Deut­schen be­sie­delt. Er hat­te mit dem sla­wi­schen Fürs­ten von Bran­den­burg einen Erb­ver­trag ge­schlos­sen, und es ist über­lie­fert, als der­sel­be ge­stor­ben sei, habe sei­ne Frau sei­nen Tod ver­heim­licht, bis der von ihr be­nach­rich­tig­te Al­brecht un­be­merkt an­ge­kom­men sei, um die Re­gie­rung zu über­neh­men. Auch die Lau­sit­zen, die jahr­hun­der­te­lang ein zwi­schen Po­len, Böh­men und Deut­schen schwan­ken­der Be­sitz wa­ren, wur­den um die­se Zeit end­gül­tig ger­ma­ni­siert. Schon der be­rühm­te Wi­precht von Groitzsch, der zur­zeit der letz­ten sa­li­schen Kai­ser auf den Gra­nit­fel­sen bei der spä­te­ren Stadt Baut­zen als Mark­graf mäch­tig wal­te­te, hat­te Fran­ken, Hol­s­ten, Bay­ern und Tü­rin­ger ins Land ge­ru­fen, die in den Na­men noch blü­hen­der Fa­mi­li­en eine Spur ge­las­sen ha­ben. Für die Chris­tia­ni­sie­rung und Ger­ma­ni­sie­rung der Ge­gend der süd­li­chen Elbe und ih­rer Ne­ben­flüs­se wa­ren von je­her die Bi­schö­fe von Mei­ßen tä­tig.

Was die Bau­ern von West­fa­len, Hol­land, Fries­land, Flan­dern ver­an­lass­te, ihre Hei­mat auf­zu­ge­ben und aus­zu­wan­dern bis in die Wäl­der ei­nes un­ga­ri­schen Grenz­lan­des, wo Wolf und Luchs und Elen­tier hei­misch wa­ren, dar­über kann man nur Ver­mu­tun­gen an­stel­len. Aus zeit­ge­nös­si­schen An­deu­tun­gen muss man schlie­ßen, dass es zum Teil Küs­ten­be­woh­ner wa­ren, de­nen Sturm­flu­ten das noch nicht ein­ge­deich­te Land ent­ris­sen hat­ten, zum Teil die­je­ni­gen Bau­ernsöh­ne, die, wäh­rend der Jüngs­te nach hol­län­di­schem und flä­mi­schem Recht den Hof erb­te, ihr Glück in der Frem­de zu su­chen pfleg­ten. Aber ab­ge­se­hen von den be­son­de­ren Um­stän­den ist es na­tür­lich, dass aus dem über­reich be­sie­del­ten Wes­ten stets ein Teil der Be­völ­ke­rung ab­zu­strö­men be­reit war. Man sieht, wie groß die Zahl der frei­en Bau­ern im nord­west­li­chen Deutsch­land noch ge­we­sen sein muss, denn die Hö­ri­gen wür­den ihre Her­ren nicht in so großer Zahl ent­las­sen ha­ben. Dass die be­nach­bar­ten Grund­her­ren sie be­drück­ten und ab­hän­gig zu ma­chen such­ten, wird sie mit be­wo­gen ha­ben, den wei­ten Weg nach dem Os­ten zu wa­gen.

Deutsch­land konn­te noch ver­schwen­den mit Land und mit Men­schen. Zahl­lo­se wur­den auf­ge­rie­ben, zahl­lo­se wa­ren so­fort wie­der da, eben­so kampf­lus­tig, ar­beits­tüch­tig und tod­be­reit, und un­ab­seh­bar harr­ten ih­rer rau­en Hän­de die leh­mi­ge Schol­le, der Sumpf, die un­end­li­chen Ei­chen- und Bu­chen­wäl­der. Dass ein so wei­tes, nur dünn be­wohn­tes Ge­biet zwi­schen Elbe und Oder und zwi­schen Oder und Weich­sel dem wach­sen­den Vol­ke als Ko­lo­ni­alland zur Ver­fü­gung stand, war ein un­er­mess­li­ches Glück. Es be­deu­te­te nicht nur einen Macht­zu­wachs, son­dern es gab dem gan­zen Vol­ke Ge­le­gen­heit zur Be­tä­ti­gung, den Ar­men Brot und ver­hin­der­te, dass Mas­sen­ar­mut ent­stand. Wa­ren die Städ­te des Wes­tens über­füllt, so konn­te hier, auf dem Lan­de und in neu­ge­grün­de­ten Städ­ten, die Frei­heit eine Zuf­lucht fin­den.

Deutsche Geschichte

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