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Die Juden

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Es ist kein Blatt in der Ge­schich­te der Mensch­heit so tra­gisch und ge­heim­nis­voll wie die Ge­schich­te der Ju­den. Ein­zig ihre Stel­lung un­ter den Völ­kern als das aus­er­wähl­te, aus wel­chem der her­vor­ging, der für das Abend­land den Mit­tel­punkt und die Grenz­schei­de der Völ­ker bil­det, des­sen Name und Wort das Höchs­te, das Ver­eh­rungs­wür­digs­te be­zeich­net; ein­zig zu­gleich als das ver­fluch­te, das ihn ans Kreuz schlug. Wa­ren sie aus­er­wählt, weil in kei­nem an­de­ren Vol­ke eine so lei­den­schaft­li­che Span­nung zwi­schen dem Gu­ten und dem Bö­sen be­stand? Und warum konn­ten sie, nach­dem der Gott­mensch in ih­rer Mit­te Fleisch ge­wor­den war, nach­dem sie auf­ge­löst und in alle Tei­le der Erde zer­streut wa­ren, nicht un­ter­ge­hen? Soll­te ih­nen die ir­di­sche Uns­terb­lich­keit zu­teil wer­den, weil sie an die jen­sei­ti­ge nicht glau­ben woll­ten? Soll­te das Göt­ter- und Sün­der­blut er­hal­ten blei­ben als ein Trop­fen bald heil­sa­men, bald töd­li­chen Gif­tes für sei­ne Nach­barn?

Eine sa­gen­haf­te Über­lie­fe­rung er­zählt, der Fran­ken­kö­nig Karl habe den Kö­nig von Ba­bel ge­be­ten, ihm einen wei­sen Ju­den zu schi­cken, wor­auf der Rab­bi Ma­chir, ein Mann voll un­ge­wöhn­li­cher Weis­heit, nach dem Wes­ten ge­kom­men sei. Aus Lie­be zu ihm habe Karl ihm den drit­ten Teil der da­mals er­ober­ten Stadt Nar­bonne und den Adel ver­lie­hen, dazu Pri­vi­le­gi­en für die dort woh­nen­den Ju­den. Ge­wiss ist, dass die Ju­den im ka­ro­lin­gi­schen Rei­che un­be­läs­tigt, nicht sel­ten so­gar be­güns­tigt leb­ten, so­dass die Chris­ten über ihre un­ge­rech­te Be­vor­zu­gung klag­ten. Die stol­ze Wel­fin Ju­dith, Lud­wigs des From­men Frau, soll eine ent­schie­de­ne Vor­lie­be für sie ge­habt ha­ben. Wahr­schein­lich ha­ben Ju­den fort­dau­ernd wäh­rend der un­ru­hig be­weg­ten Jahr­hun­der­te der Völ­ker­wan­de­rung in den halb zer­stör­ten, ver­fal­le­nen Städ­ten des Rö­mi­schen Rei­ches ge­wohnt. In Worms wur­de zur Er­klä­rung da­für, dass die Ju­den dort be­son­ders gut ge­stellt wa­ren, an­ge­führt, sie sei­en schon vor Chris­ti Ge­burt hin­ge­kom­men, trü­gen also kei­ne Schuld am Tode Chris­ti. Ein Vor­fahr der Käm­me­rer von Worms, de­ren Name und Gü­ter spä­ter auf die Dal­berg über­gin­gen, soll­te zur­zeit des Au­gus­tus rö­mi­scher Haupt­mann in Pa­läs­ti­na ge­we­sen und spä­ter nach der Pro­vinz Ger­ma­ni­en ver­setzt sein, wo­hin er Ju­den mit­ge­nom­men habe. Die­se Fa­mi­lie rühm­te sich der Ver­wandt­schaft mit der Mut­ter des Er­lö­sers. Zwar war den Ju­den er­laubt, Land zu be­sit­zen, aber da sie kei­ne christ­li­chen Skla­ven hal­ten durf­ten, konn­ten sie grö­ße­re Gü­ter nicht be­wirt­schaf­ten. Dem Hand­werk ha­ben sich Ju­den in ver­schie­de­nen Län­dern mit Glück ge­wid­met, aber im Rö­mi­schen Rei­che be­schäf­tig­ten sie sich haupt­säch­lich mit Fern­han­del, und das war es wohl auch, wes­we­gen sie im All­ge­mei­nen gern ge­se­hen und von den Kö­ni­gen oft ge­braucht wur­den. Uner­müd­lich durch­wan­der­ten sie die al­ten Han­dels­s­tra­ßen nach dem Os­ten und wie­der nach dem Wes­ten, er­war­ben in By­zanz kost­ba­re Stof­fe und Ge­wür­ze, auch die Pel­ze, die von Russ­land dem großen Sta­pel­platz am Schwar­zen Meer zu­ge­führt und am Hofe der frän­ki­schen Kö­ni­ge sehr be­gehrt wur­den, kauf­ten Skla­ven in Böh­men und brach­ten sie nach Spa­ni­en. Da sie über die gan­ze Erde zer­streut wa­ren, hat­ten sie über­all gute Be­zie­hun­gen, auch be­herrsch­ten sie ver­schie­de­ne Spra­chen und be­sa­ßen die Wa­ren­kennt­nis, die für Han­del­trei­ben­de nö­tig ist. Ihre Ver­traut­heit mit frem­den Län­dern war die Ur­sa­che, dass die Kö­ni­ge sie bei Ge­sandt­schaf­ten ver­wen­de­ten. Karl der Gro­ße gab zwei Ge­sand­ten, die dem Ka­li­fen Ha­run al Ra­schid Ge­schen­ke über­brin­gen und viel­leicht auch Han­dels­be­zie­hun­gen an­knüp­fen soll­ten, den Ju­den Isaak mit, der, da die bei­den Fran­ken un­ter­wegs star­ben, als Haupt der Am­bassa­de die Ge­gen­ge­schen­ke Haruns zu­rück­führ­te. Es war ein Ele­fant dar­un­ter, der in Ita­li­en über­win­tern muss­te, weil man ihm nicht zu­mu­ten konn­te, die ver­schnei­ten Al­pen zu über­stei­gen. Von ei­nem an­de­ren Ju­den wird er­zählt, dass er auf den Wunsch des Kai­sers ei­nem Bi­schof, dem er einen Scha­ber­nack spie­len woll­te, eine mit Wohl­ge­rü­chen und Es­sen­zen her­ge­rich­te­te Maus als ein sel­te­nes, in Ju­däa auf­ge­fun­de­nes Tier an­bot und den Leicht­gläu­bi­gen da­hin brach­te, einen Schef­fel Sil­ber da­für zu zah­len. Die jü­di­schen Kauf­leu­te hat­ten Schutz­brie­fe mit Gel­tung für das gan­ze Reich und wa­ren vom Heer­bann und von an­de­ren per­sön­li­chen Dienst­leis­tun­gen be­freit. Die ers­ten Pri­vi­le­gi­en, die die säch­si­schen Kö­ni­ge den ein­hei­mi­schen Kauf­leu­ten für den Be­such ih­rer Märk­te er­teil­ten, wa­ren im­mer zu­gleich mit an die Ju­den ge­rich­tet, oft so, dass die Ju­den den Kauf­leu­ten vor­an­ge­stellt wur­den. Im Üb­ri­gen gal­ten für die Ju­den die ka­no­ni­schen Be­stim­mun­gen, die Gre­gor der Gro­ße fest­ge­setzt hat­te. Die­ser her­vor­ra­gen­de Papst hat Richt­li­ni­en für die Art, wie die Ju­den be­han­delt wer­den soll­ten, ge­ge­ben, die jahr­hun­der­te­lang von sei­nen Nach­fol­gern be­ob­ach­tet wur­den. Al­ler­dings hielt er sich da­bei an die Ge­set­ze, die vor ihm, im fünf­ten Jahr­hun­dert, von den Kai­sern in Be­zug auf die Ju­den er­las­sen wa­ren: sie wur­den da­durch von al­len Äm­tern und Wür­den im Staa­te aus­ge­schlos­sen, da­mit sie in die hö­he­ren Ge­sell­schafts­klas­sen nicht auf­stei­gen könn­ten, Mische­hen mit Chris­ten ein­zu­ge­hen wur­de ih­nen ver­bo­ten, und To­dess­tra­fe wur­de je­dem an­ge­droht, der Chris­ten zum Über­tritt ver­lei­te­te. Gre­gor als Ver­tre­ter der christ­li­chen Ide­en hat­te wohl man­chen An­reiz, die Ju­den als Glau­bens­ge­nos­sen­schaft an­zu­grei­fen, ih­ren Got­tes­dienst eben­so wie den heid­nischen zu ver­bie­ten, al­lein er be­währ­te sich als Nach­fol­ger der Kai­ser ohne Fa­na­tis­mus. Wie der Go­ten­kö­nig Theo­de­rich es ab­ge­lehnt hat­te, den Ju­den das christ­li­che Be­kennt­nis auf­zu­zwin­gen, weil nie­mand wi­der sei­nen Wil­len zum Glau­ben ge­lan­ge, so er­laub­te ih­nen auch Gre­gor die un­ge­stör­te Aus­übung ih­rer Re­li­gi­on. Neue Sy­n­ago­gen zu er­bau­en ver­wehr­te er ih­nen al­ler­dings, wie die Kai­ser ge­tan hat­ten, nicht aber, die al­ten, bau­fäl­li­gen zu er­neu­ern. An Hand die­ser Be­stim­mun­gen fan­den die Ju­den bei den Päps­ten Schutz, wenn sie ih­res Glau­bens we­gen an­ge­grif­fen wur­den, eben­so im frän­ki­schen Rei­che bei Karl dem Gro­ßen und sei­nen Nach­fol­gern. Sie ge­nos­sen ein ho­hes Wer­geld und brauch­ten sich dem Got­tes­ur­teil nicht zu un­ter­wer­fen, es kam so­gar vor, dass sie christ­li­che Skla­ven hiel­ten. Karl der Kah­le hat­te einen jü­di­schen Leib­arzt; die schö­ne Be­ga­bung der Ju­den für die Heil­kunst, die so­wohl mit ih­rem Scharf­blick und ih­rer Gabe der Ein­füh­lung wie mit ih­rer warm­her­zi­gen Nei­gung zu hel­fen zu­sam­men­hän­gen mag, be­wirk­te je­der­zeit, dass ein­zel­nen Be­vor­zug­ten Ver­trau­ens­stel­lun­gen ein­ge­räumt wur­den. Der be­rühm­te Abt von Ful­da, Hra­ba­nus Mau­rus, un­ter des­sen schrof­fer Recht­gläu­big­keit der un­glück­li­che Mönch Gott­schalk so bit­ter zu lei­den hat­te, ver­schmäh­te es nicht, sich von ei­nem im Ge­setz er­fah­re­nen Ju­den über die Aus­le­gung bib­li­scher Bü­cher nach der mo­sa­i­schen Tra­di­ti­on un­ter­rich­ten zu las­sen. Die Be­stim­mung ei­ner Synode, wo­nach je­der, der aus Hass oder Hab­gier einen Hei­den er­schla­ge, als Mör­der be­trach­tet wer­den und Kir­chen­bu­ße leis­ten sol­le, wur­de von dem Abt Re­gi­no von Prüm auf die Ju­den aus­ge­dehnt. Eben­so nahm Bi­schof Burk­hard von Worms Be­stim­mun­gen zum Schut­ze der Ju­den in sei­ne be­rühm­te Ge­set­zes­samm­lung auf. Man be­trach­te­te die Ju­den nicht nur als das Volk, das Chris­tus ge­kreu­zigt hat­te, son­dern eben­so­wohl als das, des­sen Ge­schich­te im Al­ten Te­sta­ment auch für die Chris­ten die Hei­li­ge Ge­schich­te war und dem man, in Hin­blick auf sei­ne großen Pro­phe­ten und Leh­rer, eine be­son­de­re Weis­heit zu­schrieb. Die­sel­be un­be­fan­ge­ne Duld­sam­keit wie das ka­ro­lin­gi­sche Zeit­al­ter cha­rak­te­ri­siert das der Ot­to­nen. Der Freund, der Kai­ser Otto II. nach der un­glück­li­chen Schlacht bei Co­tro­ne in Sü­dita­li­en sein ei­ge­nes Pferd zur Flucht gab, der voll Sor­ge dem Flie­hen­den nach­blick­te und den, da die Schif­fer sich wei­ger­ten, den flüch­ti­gen Kai­ser auf­zu­neh­men, der Zu­rück­blei­ben­de trau­rig frag­te, was nun aus ihm wer­den sol­le, war ein Jude, na­mens Ca­lony­mus, der in Mainz zu Hau­se war und als ein wei­ser Rab­bi hoch in Ehren stand. Eine an­de­re Über­lie­fe­rung er­zählt, der Jude habe dem Kai­ser, des­sen Pferd stör­risch ge­we­sen sei, sein ei­ge­nes an­ge­bo­ten mit den Wor­ten: »Wenn sie mich tö­ten, den­ke an mei­ne Kin­der.« Tat­säch­lich gab es so­wohl in Mainz wie in Luc­ca eine jü­di­sche Fa­mi­lie na­mens Ca­lony­mus.

Ab­ge­se­hen von ei­ner ein­ma­li­gen Ver­trei­bung aus Mainz durch Hein­rich II., ha­ben die Ju­den un­ter den säch­si­schen und sa­li­schen Kai­sern un­be­läs­tigt im Rei­che le­ben kön­nen. Kon­rad II. hat­te einen jü­di­schen Leib­arzt. Die ers­te große Ver­fol­gung brach­ten die Kreuz­zü­ge mit sich, durch die fa­na­ti­sier­te Mas­sen in Be­we­gung ge­setzt wur­den. Ein ge­le­gent­li­cher Auss­pruch, man sol­le doch die Fein­de Chris­ti im Lan­de be­kämp­fen, an­statt nach Pa­läs­ti­na zu rei­sen, wur­de wie­der­holt und fand Bei­fall in den un­te­ren Schich­ten des Vol­kes, vollends das Wort ei­nes an­ge­se­he­nen Füh­rers, des Her­zogs von Nie­der­loth­rin­gen, Gott­fried von Bouil­lon: er wol­le das Blut des Er­lö­sers am Blu­te Is­raels rä­chen und nichts üb­riglas­sen von al­len, die den Na­men der Ju­den trü­gen. Von den Ju­den­ge­mein­den in Frank­reich tra­fen War­nun­gen ein vor den auf­ge­reg­ten Scha­ren fran­zö­si­scher, eng­li­scher und loth­rin­gi­scher Kreuz­fah­rer, die von dort nach Deutsch­land vor­dran­gen, so­dass sich Ca­lony­mus, der Vor­ste­her der Ju­den­ge­mein­de in Mainz, mit der Bit­te um Schutz an Hein­rich IV. wen­de­te, der da­mals in Ita­li­en war. Dem Ge­such will­fah­rend, be­fahl der Kai­ser al­len Bi­schö­fen, Fürs­ten und Gra­fen des Reichs, auch Gott­fried von Bouil­lon, die Ju­den zu be­schüt­zen, ih­nen bei­zu­ste­hen und Zuf­lucht zu ge­wäh­ren, da­mit kei­ner sie an­rüh­re, ih­nen Bö­ses zu tun. Alle ge­horch­ten, ohne doch das na­hen­de Un­heil auf­hal­ten zu kön­nen. Die Ju­den fühl­ten sich of­fen­bar im Schut­ze des Kai­sers und in der durch­aus nicht un­freund­li­chen Ge­sin­nung der Bür­ger so si­cher, dass sie von der Wut des Über­falls wehr­los über­rascht wur­den. Es kam vor, dass Ju­den er­schla­gen wur­den, die fried­lich in ih­rem Wein­berg ar­bei­te­ten. In Spey­er al­ler­dings, wo die Kreuz­fah­rer zu­erst ein­bra­chen, ver­hin­der­te der Bi­schof Jo­han­nes, ein treu­er An­hän­ger des Kai­sers, durch stren­ges Ein­grei­fen großes Un­glück: den Bür­gern, die sich an den Ge­walt­ta­ten der Frem­den be­tei­ligt hat­ten, ließ er die Hän­de ab­hau­en. Nur elf Ju­den wur­den in Spey­er ge­tö­tet. In Worms da­ge­gen, wo der Bi­schof un­tä­tig blieb, sol­len an 800 nie­der­ge­macht sein, noch mehr in Mainz, wo Erz­bi­schof Ruthard eine nicht ganz auf­ge­klär­te, zwei­deu­ti­ge Rol­le spiel­te. Er ver­sprach de­nen, die dem Blut­ba­de ent­ron­nen wa­ren, dem Vor­ste­her Ca­lony­mus und 53 Ge­fähr­ten, Schutz in sei­ner Pfalz, woll­te aber nach­träg­lich sein ge­ge­be­nes Wort nur gel­ten las­sen, wenn sie sich tau­fen lie­ßen. Die Ju­den, ed­ler ge­sinnt als der Bi­schof, zo­gen vor zu ster­ben. In Köln ver­bar­gen sich die Ju­den in den Häu­sern ih­rer christ­li­chen Freun­de, ein Be­weis für das gute Ein­ver­neh­men zwi­schen Ju­den und Bür­gern, und er­hiel­ten da­durch ihr Le­ben, wäh­rend ihre Häu­ser ge­plün­dert wur­den. Um sie noch bes­ser schüt­zen zu kön­nen, brach­te sie dann der Erz­bi­schof in Bur­gen auf dem Lan­de un­ter; aber die­se au­gen­schein­lich in gu­ter Mei­nung voll­zo­ge­ne Maß­nah­me er­wies sich als un­glück­lich, denn ein Teil wur­de dort von den Ver­fol­gern auf­ge­spürt und ge­tö­tet. Dass die­ser An­griff auf die Ju­den nicht etwa durch Ab­nei­gung ge­gen die Ras­se, son­dern durch er­hitz­ten Glau­bensei­fer ver­ur­sacht war, geht dar­aus her­vor, dass den­je­ni­gen Ju­den, die sich tau­fen lie­ßen, nichts zu­lei­de ge­tan wur­de. Zum Glau­bens­hass kam die Rau­blust der ar­men und be­reits ver­wil­der­ten Ban­den; Rau­blust war ver­mut­lich auch die Trieb­fe­der der Stadt­be­woh­ner, die mit je­nen ge­mein­sa­me Sa­che mach­ten. Das wa­ren aber nur ein­zel­ne, im All­ge­mei­nen stan­den die Bür­ger wie die Fürs­ten auf sei­ten der An­ge­grif­fe­nen. Der Kai­ser ging so weit, den Ju­den zu ge­stat­ten, dass die Zwang­stau­fe, die an ver­schie­de­nen voll­zo­gen war, nicht gel­ten sol­le, son­dern dass sie wie­der nach dem Ge­setz le­ben dürf­ten, ein Zu­ge­ständ­nis, das den Papst er­zürn­te. Als Hein­rich ge­gen das Ende sei­nes Le­bens in Mainz einen Land­frie­den be­schwö­ren ließ, zähl­te er die Ju­den un­ter de­nen auf, die be­son­de­ren Schutz ge­nie­ßen soll­ten. Beim nächs­ten Kreuz­zug, den Bern­hard von Clair­vaux an­reg­te, ging die Ge­fahr für die Ju­den wie­der­um von den un­te­ren Schich­ten aus. Ein Mönch, na­mens Ra­dull, hetz­te zum Ju­den­mord auf und hät­te mit Hil­fe räu­be­ri­schen Pö­bels ein großes Blut­ver­gie­ßen an­ge­rich­tet, wenn ihm nicht Bern­hard ent­ge­gen­ge­tre­ten wäre. Er hielt auf­klä­ren­de Pre­dig­ten und er­ließ ein Rund­schrei­ben, in dem er aus­ein­an­der­setz­te, wie sich Chris­ten ge­gen Ju­den zu ver­hal­ten hät­ten. Man dür­fe, sag­te er, die Ju­den we­der tö­ten noch ver­trei­ben; denn, dies setz­te er aus ei­ge­ner Auf­fas­sung hin­zu, sie wür­den sich beim Her­an­na­hen des Jüngs­ten Ge­rich­tes be­keh­ren. Den Wu­cher der Ju­den er­wähn­te er nicht ohne hin­zu­zu­set­zen, dass die Chris­ten da, wo es kei­ne Ju­den gäbe, den Wu­cher noch är­ger trie­ben. In­fol­ge der hoch­her­zi­gen Be­mü­hun­gen un­ter­blie­ben die Ver­fol­gun­gen, so­dass die Vor­keh­run­gen der je­wei­li­gen Stadt­her­ren zum Schut­ze der Be­droh­ten sich als über­flüs­sig er­wie­sen.

Da­mals, zur­zeit des zwei­ten Kreuz­zu­ges, in der Mit­te des zwölf­ten Jahr­hun­derts, hat­ten die Ju­den sich be­reits vor­zugs­wei­se dem Ge­schäft der Geld­lei­he zu­ge­wen­det, und die Tat­sa­che, dass es vie­le Men­schen gab, die den Ju­den ver­schul­det wa­ren, konn­te den An­trieb bil­den, Gläu­bi­ger un­ter dem Vor­wan­de, sie sei­en Fein­de Chris­ti, zu er­mor­den, wo­mit man sei­ne Ver­hält­nis­se ge­ord­net und sich zu­gleich ein Ver­dienst bei Gott und den Men­schen er­wor­ben hät­te. Dies Mo­tiv trat aber in je­ner Zeit noch nicht sehr her­vor, teil­wei­se des­halb nicht, weil die­je­ni­gen Krei­se, die den Kre­dit der Ju­den be­nütz­ten, sie eher zu schüt­zen such­ten als mor­de­ten, haupt­säch­lich aber, weil die Hal­tung ei­nes Vol­kes im­mer von den­je­ni­gen be­stimmt wird, die an der Spit­ze ste­hen. Ob es sich um eine Schu­le, eine Stadt­ge­mein­de, eine Kir­chen­ge­mein­de oder ein Land han­delt, die Groß­mut oder Nied­rig­keit, die Über­le­gen­heit oder Be­schränkt­heit des Füh­rers wird den Cha­rak­ter der Grup­pe, des Lan­des be­stim­men. Die Päps­te des zwölf­ten Jahr­hun­derts hiel­ten im­mer noch, trotz ih­rer ver­än­der­ten Stel­lung zum Kai­ser­tum, an den Be­stim­mun­gen Gre­gors I. über das Ver­hal­ten ge­gen die Ju­den fest, ja sie über­tra­fen ih­ren großen Vor­gän­ger zu­wei­len noch an Mil­de. Sie blie­ben da­bei, dass die Ju­den nicht zwangs­wei­se ge­tauft, nicht ver­wun­det oder be­raubt wer­den, kei­ne Ver­än­de­rung ih­rer gu­ten Ge­wohn­hei­ten er­lei­den soll­ten. Man sol­le sie, ver­ord­ne­ten sie, bei ih­ren Fes­ten nicht stö­ren, ihre Be­gräb­nisplät­ze nicht be­schä­di­gen. Es ver­steht sich, dass die Päps­te von den Ju­den stets mit schar­fer Ab­nei­gung als von den Fein­den des christ­li­chen Glau­bens spra­chen, aber das hin­der­te sie nicht, bei Ver­fol­gun­gen sich nach­drück­lich für sie ein­zu­set­zen, wie sie es auch nicht, so­we­nig wie alle an­de­ren Kir­chen­fürs­ten, hin­der­te, sich in Geld­ge­schäf­te mit ih­nen ein­zu­las­sen. Von Gre­gor VII., dem großen Geg­ner Hein­richs IV., ist be­haup­tet wor­den, ohne dass es im Ge­rings­ten be­wie­sen wer­den könn­te, er stam­me von Ju­den ab; je­den­falls hat er sich von der jü­di­schen Fa­mi­lie Pier­leo­ne in Geldan­ge­le­gen­hei­ten bei­ste­hen las­sen, der­sel­ben Fa­mi­lie, aus wel­cher der Papst Ana­klet her­vor­ging. Der Ge­tauf­te durf­te Papst sein, ohne dass je­mand dar­an An­stoß ge­nom­men hät­te; nicht das Blut, nur der Glau­be wur­de be­kämpft. Eben­so wie die Päps­te und noch ein­deu­ti­ger ga­ben die Ho­hen­stau­fen­kai­ser das Bei­spiel der Dul­dung. Fried­rich I. er­neu­er­te das Pri­vi­leg Hein­richs IV. für die Ju­den in Worms, wo­durch sie reichs­un­mit­tel­bar wur­den, und Fried­rich II. dehn­te es auf alle Ju­den im Reich aus; doch ist an­zu­neh­men, dass schon sein Groß­va­ter es in die­sem Sin­ne auf­fass­te. Als der alte Kai­ser den Kreuz­zug be­schloss, fürch­te­ten die Ju­den, in Erin­ne­rung an die frü­he­ren Kreuz­zü­ge, An­grif­fe auf Frei­heit und Le­ben; al­lein auf dem großen Reichs­ta­ge zu Mainz, wo die Ju­den­fra­ge be­spro­chen wur­de, tra­fen Fried­rich I. und sein Sohn Hein­rich, der spä­te­re Kai­ser, An­ord­nun­gen zu ih­rem Schut­ze. Mit stren­gen Stra­fen wur­den alle be­droht, die sich an ei­nem Ju­den ver­grei­fen soll­ten; wer einen ver­wun­de, dem soll­te die Hand ab­ge­hau­en wer­den, wer einen um­brin­ge, soll­te um­ge­bracht wer­den. In ei­nem Pri­vi­leg Fried­richs für die Re­gens­bur­ger Ju­den ste­hen die schö­nen Wor­te: »Es ist die Pf­licht der kai­ser­li­chen Ma­je­stät, vom Recht wird es ge­bil­ligt und von der Ver­nunft ge­for­dert, dass sie je­dem un­se­rer Ge­treu­en, nicht nur den Ver­tre­tern der christ­li­chen Re­li­gi­on, son­dern auch de­nen, die, von un­se­rem Glau­ben ab­wei­chend, nach den von ih­ren Vä­tern über­lie­fer­ten Ge­bräu­chen le­ben, das, was ih­nen zu­kommt, nach Maß­ga­be der Bil­lig­keit er­hal­ten, ih­ren Ge­wohn­hei­ten Dau­er, ih­ren Per­so­nen und Gü­tern Frie­den ge­wäh­ren.« Dem Vor­wurf, der in die­ser Zeit zu­wei­len ge­gen die Ju­den er­ho­ben wur­de, als tö­te­ten sie christ­li­che Kin­der, um sich ih­res Blu­tes bei ge­wis­sen re­li­gi­ösen Ri­ten zu be­die­nen, stan­den so­wohl Päps­te wie Kai­ser miss­trau­isch ge­gen­über. Sie durch­schau­ten den Vor­wand blut­gie­ri­gen oder leicht­gläu­bi­gen Pö­bels, und es ist be­mer­kens­wert, dass der Papst sich nicht be­we­gen ließ, den klei­nen Wer­ner von Ba­cha­rach, der in die­ser Wei­se ums Le­ben ge­kom­men sein soll­te, und des­sen Ge­dächt­nis eine in ih­ren Res­ten noch im­mer den Be­schau­er ent­zücken­de Kir­che ge­wid­met wur­de, hei­lig­zu­spre­chen. Fried­rich II. ließ es sich nicht neh­men, einen Ri­tual­mord, der in Ful­da vor­ge­kom­men sein soll­te, gründ­lich zu un­ter­su­chen. Der Leich­nam des an­geb­lich von Ju­den ge­tö­te­ten Kin­des wur­de nach Ha­genau ge­bracht, wo der Kai­ser sich eben auf­hielt. Um die Fra­ge grund­sätz­lich zu lö­sen, bat er die Kö­ni­ge West­eu­ro­pas, ihm ge­tauf­te Ju­den zu schi­cken, die des Ge­set­zes kun­dig wä­ren, von de­nen er an­nahm, dass sie ihn ohne Vor­ur­teil un­ter­rich­ten wür­den. Sie wie­sen auf die Vor­schrif­ten des Tal­mud hin, wo­nach den Ju­den so­gar die Be­fle­ckung mit Tier­blut ver­bo­ten sei, und lehn­ten da­mit die Be­schul­di­gung ab. Da­rauf­hin spra­chen die Reichs­fürs­ten auf ei­nem Reichs­ta­ge zu Augs­burg im Jah­re 1236 die Ju­den von Ful­da und an­de­re Ju­den völ­lig frei; die Ur­kun­de über das Ur­teil wur­de den Ju­den zu­ge­stellt. Ein Jahr­zehnt spä­ter er­klär­te Papst In­no­cenz IV. in ei­nem Send­schrei­ben die Be­schul­di­gung des Ri­tual­mor­des für ver­leum­de­risch, für einen Vor­wand zu Gel­der­pres­sun­gen, und wies die deut­schen Bi­schö­fe an, un­ge­rech­te Be­hand­lung der Ju­den nicht zu dul­den. Der kla­re Äther, der das Ho­hen­st­auf­en­tum um­flamm­te, zehr­te die Düns­te, die sich im Schlam­me nied­ri­ger, ver­wil­der­ter Be­gier­den bil­de­ten, auf, so­dass sie sich nicht ver­der­bend aus­brei­ten konn­ten. Mit sei­nem Un­ter­gang er­losch auch die­se Klar­heit.

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