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Städte

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Als Bar­ba­ros­sa Her­zog Hein­rich von Sach­sen be­kämpf­te, zog er vor Lü­beck und for­der­te es auf, sich ihm zu un­ter­wer­fen. Da die Stadt zu Was­ser und zu Lan­de ein­ge­schlos­sen und Ent­satz nicht zu hof­fen war, ba­ten die Bür­ger den Kai­ser, er möge ih­nen ge­stat­ten, den Her­zog, ih­ren Herrn, zu fra­gen, was sie tun soll­ten. Vi­el­leicht in Rück­sicht auf das An­se­hen ih­res Bi­schofs Hein­rich, der ihre Bit­te vor­trug, viel­leicht auch in Rück­sicht auf die Be­deu­tung der Stadt selbst, nahm der Kai­ser das treu­her­zi­ge An­sin­nen gnä­dig auf, wenn er auch nicht un­ter­ließ, es als An­ma­ßung zu be­zeich­nen. Der Her­zog stand dem Kai­ser an Bil­lig­keit nicht nach; er er­teil­te Lü­beck die Er­laub­nis, zum Kai­ser über­zu­ge­hen. Ju­belnd be­grüß­ten die Bür­ger den Kai­ser, als er ein­zog, und das war nicht Wan­kel­mut des Pö­bels, der jede Fah­ne be­klatscht; denn der Kai­ser war ja der Herr al­ler, ins­be­son­de­re der Herr der Märk­te, war der Herr, des­sen Herr­schaft Frei­heit be­deu­te­te. Der Kö­nig konn­te und woll­te nicht alle Städ­te selbst ver­wal­ten, es ge­nüg­te ihm, wenn sie ihm, dem stets Geld­be­dürf­ti­gen, die re­gel­mä­ßi­gen Zah­lun­gen leis­te­ten. Selbst­ver­wal­tung und ei­ge­ne Ge­richts­bar­keit, das war es, was alle Städ­te er­streb­ten; hat­ten sie es da­hin ge­bracht, die hohe Ge­richts­bar­keit, den so­ge­nann­ten Blut­bann, an sich zu brin­gen, so war die Reich­sun­mit­tel­bar­keit vollen­det, die Stadt war ein sich selbst re­gie­ren­der Staat im Staa­te ge­wor­den. Lag die Stadt nicht von vorn­her­ein auf kö­nig­li­chem Grund und Bo­den, so konn­te das Ziel nur all­mäh­lich er­reicht wer­den, bald in Kämp­fen, bald mit Schmie­gen und Beu­gen. Lü­beck ließ sich, als Hein­rich der Löwe wäh­rend der Ab­we­sen­heit Bar­ba­ros­sas zu­rück­b­lieb, sei­ne Herr­schaft wie­der ge­fal­len und be­quem­te sich auch un­ter die Herr­schaft Kö­nig Wal­de­mars II. von Dä­ne­mark. Fried­rich II. war so sehr in ers­ter Li­nie Kö­nig von Ita­li­en, dass er der Aus­brei­tung der dä­ni­schen Macht im Nor­den des Rei­ches nicht nur nicht ent­ge­gen­trat, son­dern sich da­mit ein­ver­stan­den er­klär­te. Er trat dem dä­ni­schen Kö­nig das al­ler­dings von dem­sel­ben be­reits er­ober­te Nor­dal­bin­gi­en, die Lan­de jen­seits der Elbe und We­ser, ab, aus­drück­lich be­to­nend, kei­ner sei­ner Nach­fol­ger oder der Fürs­ten des Rö­mi­schen Rei­ches dür­fe we­gen die­ser Ge­bie­te, weil sie frü­her ein­mal dem Rö­mi­schen Rei­che un­ter­tä­nig ge­we­sen wä­ren, den »viel­lie­ben Herrn Kö­nig Wal­de­mar« be­un­ru­hi­gen. Die Wie­der­ge­win­nung die­ses so wich­ti­gen Küs­ten­lan­des ge­sch­ah ohne Fried­richs Zu­tun durch den Gra­fen Hein­rich von Schwe­rin, dem ein köst­li­cher Fang glück­te: er nahm den Dä­nen­kö­nig in sei­nem ei­ge­nen Land und Zelt ge­fan­gen. Die Schick­sals­gunst nütz­te Fried­rich aus, in­dem er als Be­din­gung von Wal­de­mars Be­frei­ung Rück­ga­be Nor­dal­bin­giens, ein un­ge­heu­e­res Lö­se­geld und den Va­sal­le­neid ver­lang­te; aber erst dem Gra­fen von Schwe­rin, dem be­herz­ten klei­nen Da­vid, ge­lang es, in den Schlach­ten bei Mölln und Born­hö­ve­de 1225 und 1227 den mäch­ti­gen Geg­ner zu be­sie­gen und das Land wirk­lich zu­rück­zu­er­obern, vom Her­zog von Sach­sen und Gra­fen von Schaum­burg un­ter­stützt. Lü­beck, das in der Schlacht bei Born­hö­ve­de, der Über­lie­fe­rung nach un­ter sei­nem Bür­ger­meis­ter Alex­an­der von Solt­we­del, tap­fer mit­kämpf­te, hat­te schon vor­her, so­wie es von den Dä­nen be­freit war, Ge­sand­te nach Ita­li­en an den Kai­ser ge­schickt, um sich die von Bar­ba­ros­sa ver­lie­he­nen Pri­vi­le­gi­en be­stä­ti­gen zu las­sen. Ver­mut­lich be­ra­ten von sei­nem Freun­de Her­mann von Salza, der die mäch­tig er­blü­hen­de Stadt am Bal­ti­schen Meer in sei­ne Ost­see­plä­ne ein­be­zog, un­ter­zeich­ne­te Fried­rich im Jah­re 1226 die kost­ba­re Ur­kun­de, die die Grund­la­ge von Lü­becks Reichs­frei­heit wur­de: Con­ce­di­mus fir­mi­ter sta­tu­en­tes ut pre­dik­ta ci­vi­tas Lu­bi­cien­sis li­be­ra sem­per sit – Wir ge­wäh­ren der Stadt Lü­beck, dass sie im­mer frei sei.

Grund­sätz­lich be­güns­tigt hat kei­ner der Ho­hen­stau­fen die Städ­te, und das lag auch nicht in ih­rem In­ter­es­se. Ab­ge­se­hen da­von, dass die Städ­te da­mals erst auf­stre­ben­de Mäch­te wa­ren, muss­te der Kai­ser auf die Fürs­ten Rück­sicht neh­men, die sei­ne Wäh­ler wa­ren und die ihm die Mann­schaft für sei­ne Feld­zü­ge nach Ita­li­en lie­fer­ten. Er konn­te nicht wohl die Städ­te in ih­ren häu­fi­gen Kämp­fen ge­gen die Bi­schö­fe, wo sie meist dem Buch­sta­ben nach Re­bel­len wa­ren, un­ter­stüt­zen. Dazu kam, dass die Kai­ser selbst aus dem Fürs­ten­stan­de stamm­ten und in den Fürs­ten die Eben­bür­ti­gen sa­hen. Wenn sie auch ein­zel­ne hart be­kämpf­ten, so muss­ten sie doch ei­ner zu­stim­men­den Mehr­zahl ge­wiss sein, und auch der Be­kämpf­te und Ge­äch­te­te wur­de, so­wie er sich un­ter­warf, wie­der in Gna­den auf­ge­nom­men als ein Glei­cher. Wäh­rend Hein­rich VI. auf dem Wege war, das Kai­ser­tum erb­lich zu ma­chen, hat Fried­rich II. die Un­ab­hän­gig­keit der Fürs­ten ge­setz­lich ver­stärkt, die der Städ­te ge­min­dert. In den bi­schöf­li­chen Städ­ten ver­bot er den Bür­gern, einen Rat zu bil­den, und den Hand­wer­kern, sich in Ei­nun­gen zu­sam­men­zu­schlie­ßen, wor­auf die städ­ti­sche Selbst­stän­dig­keit zum größ­ten Teil be­ruh­te. Die des­po­tisch-zen­tra­lis­ti­sche Rich­tung, die der Kai­ser in Ita­li­en ver­folg­te, ließ er in Deutsch­land, so­weit es da mög­lich war, gleich­sam durch die Fürs­ten ver­tre­ten, was sich denn zwar auch ge­gen ihn selbst rich­ten muss­te; doch war er ein zu gu­ter Staats­mann, um nicht ge­le­gent­lich, wenn es nütz­lich schi­en, auch die Städ­te zu för­dern. Wöl­f­lin, sein großer Land­vogt im El­saß, hat dort ge­wiss nicht ohne sei­ne Bil­li­gung vie­le Städ­te, dar­un­ter Kol­mar und Schlett­stadt, ge­grün­det.

Bis in die Zeit der Ho­hen­stau­fen war die Ge­schich­te der Deut­schen we­sent­lich eine Ge­schich­te des Adels. Der Kö­nig und sei­ne Um­ge­bung, die Fürs­ten, Gra­fen und Rit­ter, die Bi­schö­fe, Äbte, Mön­che und Non­nen ge­hör­ten dem Adel an. Von den Söh­nen und Töch­tern des Adels wur­de im­mer ein Teil ir­gend­ei­nem Be­ne­dik­ti­ner­klos­ter ge­lobt, und das Stan­des­be­wusst­sein hät­te nicht ge­lit­ten, dass sie in eine an­de­re als eben­bür­ti­ge Ge­sell­schaft ein­ge­tre­ten wä­ren. In man­chen Klös­tern, wie zum Bei­spiel in Sankt Em­meran, Ober­müns­ter und Nie­der­müns­ter zu Re­gens­burg, ge­hör­ten die Äbte und Äb­tis­sin­nen dem Reichs­fürs­ten­stan­de an.

Die Päps­te ha­ben wohl ver­schie­dent­lich ge­gen die­se Aus­schließ­lich­keit ge­ei­fert, und ei­ni­ge Or­den, na­ment­lich die Cis­ter­zi­en­ser und Fran­zis­ka­ner, nicht deut­schen Ur­sprungs, ha­ben sie durch­bro­chen und ein de­mo­kra­ti­sches Ele­ment in die Kir­che ein­ge­führt. Aber sie führ­ten es nur in die Kir­che ein; in­ner­halb der Welt­lich­keit wa­ren es die Städ­te, durch die in die glanz­vol­le, schwert­klir­ren­de, er­ha­be­ne Ge­schich­te des deut­schen Adels eine neue Kraft ein­drang, die Frei­heit. Die Ad­li­gen wa­ren die Frei­en, Adel und Frei­heit fie­len zu­sam­men, sie brauch­ten die Frei­heit nicht zu be­to­nen, so ähn­lich, wie Ad­li­ge un­ter­ein­an­der den Adels­ti­tel weg­las­sen. Das be­wuss­te Er­le­ben der Frei­heit, die Frei­heit als Be­frei­ung, als Lo­sung, als Ide­al brach­te die Stadt. Nicht als ob nicht die Men­schen in der Stadt auch Deut­sche mit leb­haf­tem Stan­des­ge­fühl ge­we­sen wä­ren. Nie­mand dach­te an Gleich­heit. Die das städ­ti­sche Le­ben be­herr­schen­den Fa­mi­li­en wa­ren frei, rit­ter­bür­tig, ver­misch­ten sich nicht mit den Hand­wer­kern, die an der Re­gie­rung und Ver­wal­tung der Stadt kei­nen An­teil hat­ten. Die städ­ti­schen Han­dels­her­ren und Guts­be­sit­zer nah­men an den Tur­nie­ren der Rit­ter teil und gin­gen mit dem Lan­dadel ehe­li­che Ver­bin­dun­gen ein, wa­ren eben­so hoch­mü­tig wie je­ner, wenn auch, be­son­ders in spä­te­rer Zeit, zu­wei­len der Lan­dadel dem Stadt­a­del die Eben­bür­tig­keit ab­sprach. Trotz­dem bil­de­te sich in den Städ­ten all­mäh­lich ein neu­er Stand, eine neue Kul­tur, die von der ari­sto­kra­ti­schen und kle­ri­ka­len ver­schie­den wa­ren, der Stand und die Kul­tur des Bür­gers. In­so­fern Guts­be­sit­zer, Kauf­leu­te, Hand­wer­ker, Acker­bau­er eine Stadt be­wohn­ten, bil­de­ten sie eine Ge­mein­schaft, die eine ge­mein­sa­me Auf­ga­be hat­te, ihre Ar­beit, ein ge­mein­sa­mes In­ter­es­se, die Er­hal­tung von Frie­den und Recht, die ihre Ar­beit er­mög­lich­te, einen ge­mein­sa­men Ge­gen­satz ge­gen die Fürs­ten und den Adel, die Frie­den und Recht so häu­fig stör­ten. Wie auch der in den Städ­ten herr­schen­de Stand, den man spä­ter Pa­tri­zi­er nann­te, die Hand­wer­ker ver­ach­ten moch­te, Hand­werk und Han­del er­zeug­ten den Wohl­stand der Stadt durch Ar­beit. Das Selbst­ge­fühl des Bür­gers be­ruh­te nicht so sehr oder nicht al­lein auf dem Stan­des­be­wusst­sein und auf dem Schwert, son­dern auf der ei­ge­nen Kraft in der Ar­beit, im Werk. Dass Stadt­luft frei ma­che, konn­te man nicht nur sa­gen, weil der Hö­ri­ge, der in die Stadt zog, wenn er nach Ver­lauf ei­nes Jah­res von sei­nem Herrn nicht zu­rück­ge­for­dert war, frei wur­de, son­dern auch weil der Ge­dan­ke hier einen freie­ren Flug nahm. Im We­sen des Gel­des liegt es, frei zu ma­chen; un­mit­tel­bar, weil mit Geld den Bi­schö­fen und Fürs­ten, die Geld ge­brauch­ten und nicht hat­ten, ihre Rech­te ab­ge­kauft wer­den konn­ten, mit­tel­bar, weil auf der Grund­la­ge des Be­sit­zes Bil­dung er­wor­ben und Vor­ur­tei­le über­wun­den wer­den kön­nen, und an­de­rer­seits, weil durch die Be­weg­lich­keit des Gel­des ein ra­scher Wech­sel von Reich­tum und Ar­mut mög­lich wird und da­durch der Un­wert von Geld und äu­ße­rem An­se­hen und der Wert der Per­sön­lich­keit vor Au­gen ge­führt wird. Die wohl­tä­ti­ge Macht des Gel­des, die ei­gen­tüm­li­chen Vor­zü­ge der Stadt ent­fal­te­ten sich am reichs­ten in den Jahr­hun­der­ten, wo die Städ­te zwar durch Mau­ern, aber nicht durch ih­ren Cha­rak­ter ent­schie­den vom Lan­de ge­trennt wa­ren. Noch im 13. und 14., ja noch im 15. Jahr­hun­dert gli­chen die Städ­te sehr dem Dorf. Es war nicht so, dass stei­ner­ne Häu­ser und stei­ner­nes Pflas­ter die Erde ver­deck­ten: mit­ten in der Stadt rausch­ten die Ei­chen und duf­te­ten die Lin­den, die Kühe trab­ten in ihre Stäl­le und die Schwei­ne grunz­ten über die schmut­zi­gen Stra­ßen. Ne­ben we­ni­gen Häu­sern aus Stein stan­den stroh­ge­deck­te Hüt­ten aus Lehm und Holz. Nicht sel­ten kam es vor, dass Dör­fer in die Städ­te ein­be­zo­gen wur­den, die noch lan­ge dor­f­ähn­lich blie­ben. Drau­ßen vor den Mau­ern er­streck­ten sich Gär­ten und Äcker, de­ren Be­sit­zer Bür­ger wa­ren, die sie be­bau­ten. Eben­so wie der Bür­ger bäu­er­li­che Art be­hielt, so be­hielt er auch rit­ter­li­che. Die Ge­schlech­ter wa­ren be­rit­ten, die Hand­wer­ker kämpf­ten zu Fuß, je­der hat­te Wehr und Waf­fen und war dar­in ge­übt. Die Hand­wer­ker bil­de­ten den Kern des städ­ti­schen Hee­res, das der Bür­ger­meis­ter an­führ­te; sie wa­ren krie­ge­risch, un­ge­stüm, ja grau­sam im Kampf, wie ir­gend­ein Rit­ter. Der Un­ter­schied war der, dass die Bür­ger, die im All­ge­mei­nen fried­lie­bend wa­ren, nur zur Ver­tei­di­gung ih­rer städ­ti­schen Frei­heit Krieg führ­ten. Die den Fürs­ten un­ter­wor­fe­nen Land­städ­te be­dan­gen sich, wenn sie un­ab­hän­gig ge­nug wa­ren, aus, nur so weit Kriegs­fol­ge leis­ten zu müs­sen, dass sie abends wie­der hin­ter ih­ren Mau­ern sein konn­ten. Der Bür­ger wur­de zu ei­nem runde­ren, viel­sei­ti­ge­ren Men­schen, als die an­de­ren wa­ren; in ihm mün­de­ten die ver­ein­zel­ten Kul­tur­strö­mun­gen, bis schließ­lich das Ide­al des vollen­de­ten, des hu­ma­nen Men­schen ent­stand, der frei aus den Schran­ken des Stan­des, der Na­ti­on, der Kon­fes­si­on her­vor­tritt, aber doch ge­bun­den bleibt durch das Ge­fühl und Be­wusst­sein der Men­sch­lich­keit.

Noch im­mer gab es Klös­ter im Rei­che, die die Wis­sen­schaft pfleg­ten, und sol­che, die die Wild­nis kul­tur­fä­hig mach­ten, Klös­ter, in de­nen die un­ver­hei­ra­te­ten Töch­ter des Adels sich in die Ge­heim­nis­se Got­tes ver­senk­ten, kunst­vol­le Sti­cke­rei­en aus­führ­ten, from­me Be­trach­tun­gen nie­der­schrie­ben. An­de­re Klös­ter er­reg­ten durch Aus­ge­las­sen­heit oder Faul­heit Är­ger­nis, und auch die bes­ten wa­ren nicht mehr die ein­zi­gen Ster­ne, von de­nen Licht und Wär­me aus­gin­gen. Der Wan­de­rer, der im 12. und 13. Jahr­hun­dert durch das Reich pil­ger­te, fand Schutz und Her­ber­ge in den Städ­ten. Zu den al­ten Rö­mer­städ­ten am Rhein und an der Do­nau, zu den von den Ot­to­nen ge­grün­de­ten Städ­ten am Ran­de des Har­zes wa­ren vie­le neue ge­kom­men. Nach­dem die großen Städ­te­grün­der, die Zäh­rin­ger und Hein­rich der Löwe, das Bei­spiel ge­ge­ben hat­ten, als die Fürs­ten ge­se­hen hat­ten, wel­che Vor­tei­le sich aus ver­kehrs­rei­chen Plät­zen zie­hen lie­ßen, be­ei­fer­ten sich alle, in ih­rem Ge­biet schon be­ste­hen­de An­sie­de­lun­gen zu Städ­ten zu er­he­ben oder neue an­zu­le­gen. Die Städ­te wa­ren sehr klein, man­che nicht viel grö­ßer als ein ein­zel­nes großes Klos­ter. Sie hat­ten etwa 3000 bis 4000 Ein­woh­ner, die größ­ten nicht mehr als 15 000 oder 20 000. Man­che be­stan­den aus ei­nem al­ten Dorf, mit dem ein Markt ver­bun­den wur­de, man­che aus meh­re­ren Sie­de­lun­gen, die all­mäh­lich durch Mau­ern zu ei­nem Gan­zen ver­bun­den wur­den. Die Stadt Braun­schweig zum Bei­spiel be­stand aus fünf Städ­ten: der ur­sprüng­lich dörf­li­chen Al­ten Wiek, der Alt­stadt, dem von Hein­rich dem Lö­wen ge­grün­de­ten Ha­gen, der Neu­stadt und dem Sack. Jede von ih­nen hat­te ih­ren Bür­ger­meis­ter, ihr Rat­haus, ihre Kir­chen. Den Mit­tel­punkt al­ler Städ­te, wenn auch nicht im­mer den to­po­gra­fi­schen, bil­de­te der Markt, ihr Herz, wo die Ver­kehrs­adern aus­gin­gen und mün­de­ten. Dort wur­den Le­bens­mit­tel und an­de­re Wa­ren zum Ver­kauf aus­ge­legt. Er war um­rahmt vom Rat­haus, von den vor­nehms­ten Gil­de­häu­sern und den Häu­sern der rei­chen Kauf­leu­te; zu­wei­len glie­der­te auch das Rat­haus, mehr oder we­ni­ger in der Mit­te lie­gend, den Platz. Der Rechts­schutz, der vom Kö­nig den Kauf­leu­ten, die den Markt be­su­chen woll­ten, ver­lie­hen wur­de, stell­te den Markt un­ter Kö­nigs­frie­den, mach­te ihn zu ei­ner Stät­te, wo ohne Ver­zug Recht ge­sucht und ge­fun­den wer­den konn­te. Der recht­li­che Cha­rak­ter des Mark­tes wur­de durch ein Kreuz be­zeich­net, wie sich ein sol­ches noch auf dem Markt in Tri­er be­fin­det; es ist von ei­ner Gra­nit­säu­le ge­tra­gen und zeigt in der Mit­te das Got­tes­lamm. Spä­ter sym­bo­li­sier­ten den Rechts­ge­dan­ken im Nor­den des Reichs die selt­sa­men Ro­lands­fi­gu­ren, die, soll­ten sie auch mit an­de­rer Be­deu­tung ent­stan­den sein, im hö­he­ren Mit­tel­al­ter als Sinn­bild der Rechts­ho­heit der Stadt an­ge­se­hen wur­den. Wenn ein Fürst sich eine freie Stadt un­ter­warf, pfleg­te er wohl den Ro­land zu zer­schla­gen, zum Zei­chen, dass nur er, nicht mehr die Stadt, Ge­richts­herr sei. Die stei­ner­nen Rie­sen in Zerbst, Hal­ber­stadt, Bre­men, Rit­ter mit ed­lem lo­cki­gem Haupt, die das Schwert ge­ra­de auf­ge­rich­tet in der Hand hal­ten, stam­men aus dem 15. Jahr­hun­dert und sind Nach­bil­dun­gen äl­te­rer Fi­gu­ren aus Holz, die bei ei­nem Brand oder sonst zu­grun­de ge­gan­gen wa­ren. Zu­wei­len fan­den Hin­rich­tun­gen vor dem Ro­lands­bil­de statt. Die Ge­richts­sit­zun­gen wur­den an­fangs un­ter frei­em Him­mel ab­ge­hal­ten, spä­ter, als es Ra­täu­ser gab, un­ter den of­fe­nen Lau­ben der­sel­ben und noch spä­ter in ei­nem Saal im In­nern des Hau­ses. Das äl­tes­te er­hal­te­ne Rat­haus soll das der Un­ter­stadt von Geln­hau­sen sein; es ist ein schlich­ter ro­ma­ni­scher Bau, von dem man an­nimmt, dass er im Jah­re 1170 ent­stan­den ist. Wäh­rend die Markt­plät­ze der al­ten ge­wach­se­nen Städ­te sehr ver­schie­den­ar­tig, ma­le­risch ge­glie­dert sind, hat die Re­gel­mä­ßig­keit der öst­li­chen Ko­lo­ni­al­städ­te, die alle nach dem glei­chen Mus­ter an­ge­legt sind, zu­wei­len et­was Ödes. Wie schön auch die­se sein kön­nen, be­wei­sen die Märk­te von Bres­lau, im­po­nie­ren­de saalar­ti­ge Plät­ze, de­ren ei­ner durch die fa­bel­haf­te Pracht des Rat­hau­ses be­lebt wird. Eine un­er­schöpf­li­che Er­fin­dung hat im Nor­den, Sü­den, Os­ten und Wes­ten des Reichs Ra­täu­ser von ver­schie­den­ar­ti­gem Reiz auf­ge­rich­tet. Wie ein wohl­lau­ten­der Reim der Pfarr­kir­che Sankt Mar­tin ge­gen­über um­ran­det das Braun­schwei­ger Alt­stadt-Rat­haus die Ecke des Plat­zes, zier­lich und schnur­rig ist das von Os­te­ro­de am Harz, das von Mi­chel­stadt im Oden­wal­de, fan­tas­tisch präch­tig sind die nor­di­schen Zie­gel­bau­ten von Stral­sund, von Tan­ger­mün­de, bäu­er­lich be­hä­big die schwä­bi­schen und frän­ki­schen Fach­werk­häu­ser. Im In­ne­ren füh­ren schön­ge­schwun­ge­ne Holz­trep­pen zu den Sä­len, wo die Rats­män­ner ta­gen, wo bald die Tä­fe­lung der Wän­de wohn­li­che Stim­mung, bald Ma­le­rei das Ge­fühl er­ha­be­ner Fei­er­lich­keit ver­brei­tet. Die Ra­täu­ser, de­ren Schön­heit wir jetzt be­wun­dern, sind eben­so wie fast alle die Wohn­häu­ser, die er­hal­ten sind, erst um die Wen­de des 15. Jahr­hun­derts oder spä­ter er­rich­tet. Im he­ro­i­schen Zeit­al­ter der Städ­te wa­ren die meis­ten Häu­ser nied­rig, eng, mit Stroh ge­deckt, nur ei­ni­ge Rei­che und Mäch­ti­ge bau­ten sich stei­ner­ne, tur­mar­ti­ge Häu­ser, in de­nen sie das recht hat­ten, sich mit den Waf­fen zu ver­tei­di­gen, so­dass das Wort galt: mein Haus ist mei­ne Burg. Kunst und kost­ba­re Aus­stat­tung wur­den ver­schwen­de­risch auf die Kir­che ver­wen­det, das Haus Got­tes und das Haus al­ler Bür­ger. Die Pfarr­kir­che lag ge­wöhn­lich et­was ab­seits vom Mark­te, aber so, dass die Tür­me den Platz be­herr­schen; der Lärm des Ver­kehrs soll die An­dacht nicht ver­wir­ren. Schau­er­li­ches Schwei­gen, küh­le Däm­me­rung, in die es glü­hend tropft aus den bun­ten Fens­tern, um­fängt den Be­ter. Von den Pfei­lern bli­cken die großen Hei­li­gen, die kämpf­ten und lit­ten und nun in ewi­ger Glo­rie woh­nen, rings­her­um lie­gen die To­ten, Söh­ne der Stadt, ru­hend von ih­rer Ar­beit. Hier be­ginnt das Drü­ben, wo alle Rät­sel ge­löst, alle Sün­den ge­tilgt, alle Trä­nen ge­trock­net wer­den. Vom Turm läu­tet die Glo­cke, die der städ­ti­sche Meis­ter ge­gos­sen hat; je­der Bür­ger kennt ihre Stim­me wie die Stim­me ei­ner Mut­ter. Wei­ter ent­le­gen vom Markt steht in den grö­ße­ren Städ­ten der Dom, die Kir­che des Bi­schofs, und ste­hen in fast al­len die Kir­chen der Fran­zis­ka­ner und Do­mi­ni­ka­ner.

Wenn der Kai­ser sei­ne Reichs­stadt be­sucht, wird er zu­erst in die Kir­che ge­führt, abends viel­leicht in ein Gil­de­haus oder in das Hoch­zeits­haus, wo er mit den schö­nen Bür­gers­frau­en tanzt und mit den Rats­män­nern trinkt. Bei ei­nem be­son­ders an­ge­se­he­nen und wohl­ha­ben­den Bür­ger stieg er ab; Lud­wig der Bayer wohn­te in Nürn­berg bei Hein­rich Wei­gel auf dem Milch­markt oder bei Al­brecht Eb­ner auf dem Salz­markt.

Ei­nen großen Raum be­deck­te das Spi­tal mit den da­zu­ge­hö­ri­gen Ge­bäu­lich­kei­ten. Es war fast im­mer dem Hei­li­gen Geist ge­weiht; die Lei­tung stand ent­we­der bei der Geist­lich­keit und der Stadt zu­sam­men oder bei der Stadt al­lein. Es nahm Kran­ke, Arme, Wöch­ne­rin­nen, alte Leu­te, Pil­ger, Wan­de­rer auf und be­her­berg­te sie je nach den Um­stän­den für ei­ni­ge Näch­te oder für Le­bens­zeit. Ge­wöhn­lich war das Spi­tal sehr reich; es be­saß Dör­fer, die re­gel­mä­ßi­ge Ab­ga­ben leis­te­ten, aber auch ein­zel­ne Höfe und Ge­recht­sa­me, und es ver­füg­te über Stif­tun­gen, in­fol­ge wel­cher die In­sas­sen an ge­wis­sen Ta­gen wei­ßes Brot oder Wein und Bier oder Bä­der er­hiel­ten. Ei­ni­ge Her­ren aus dem Rat hat­ten die Ver­wal­tung des Spi­tals zu über­wa­chen. Das Le­pro­sen­haus, das dem hei­li­gen Ge­org ge­weiht war, pfleg­te der An­ste­ckung we­gen vor den To­ren zu lie­gen; mit ihm war wie mit dem Spi­tal eine be­son­de­re Kir­che oder Ka­pel­le ver­bun­den.

Nicht nur die Kran­ken­pfle­ge nahm die Stadt der Kir­che ab, son­dern auch die Ar­men­pfle­ge, wenn auch die der Kir­che we­der ganz aus­ge­schal­tet noch ent­behrt wer­den konn­te. Ob­wohl die Zünf­te ihre Mit­glie­der nicht ver­elen­den lie­ßen, so gab es doch in den Städ­ten sehr viel Arme; denn nicht alle Hand­wer­ker wa­ren in Zünf­te zu­sam­men­ge­fasst, und au­ßer­dem gab es Ta­ge­löh­ner und eine Men­ge an­de­rer Leu­te ohne be­stimm­ten Be­ruf und re­gel­mä­ßi­ge Ein­nah­me. Man­che wur­den in den Spi­tä­lern ver­sorgt, man­chen ka­men Stif­tun­gen zu­gu­te, die die wohl­ha­ben­den Bür­ger reich­lich zu Leb­zei­ten oder im Te­sta­ment an­ord­ne­ten. Die re­gie­ren­den Fa­mi­li­en fühl­ten sich so­wohl für die Ord­nung wie für die Ver­wirk­li­chung der sitt­li­chen For­de­run­gen in ih­rer Stadt ver­ant­wort­lich. Die Kir­chen­vä­ter hat­ten einst die groß­ar­ti­ge Auf­fas­sung ver­tre­ten, man sol­le nicht sa­gen, es sei­en nur die wür­di­gen Ar­men zu un­ter­stüt­zen; denn die Ar­mut sei es eben, die wür­dig ma­che. Dies gött­li­che Al­ler­bar­men konn­te wohl von der Kir­che und von ein­zel­nen, nicht von ei­ner Stadt­ver­wal­tung ge­übt wer­den. Ihr kam es haupt­säch­lich auf Ord­nung an, der zu­lie­be mit den sie Stö­ren­den nicht viel Fe­der­le­sens ge­macht wur­de. Mit den ein­hei­mi­schen Ar­men wur­de man ei­ni­ger­ma­ßen fer­tig, läs­ti­ger war das von aus­wärts zu­strö­men­de Ge­sin­del, das sich be­denk­lich ver­mehr­te, als das Ost­land auf­hör­te, Ko­lo­nis­ten an sich zu zie­hen. Um die Hei­mat­lo­sen we­nigs­tens christ­lich zu be­stat­ten, wenn sie star­ben, bil­de­ten sich in den Städ­ten Elen­den-Bru­der­schaf­ten. Im Jah­re 1313 stif­te­te Bi­schof Al­bert von Hal­ber­stadt ein Grund­stück für einen Fried­hof, auf wel­chem, wie es in der Ur­kun­de heißt, alle die Schwa­chen, Ar­men, Hei­mat­lo­sen, die von Krank­hei­ten heim­ge­sucht und ver­las­sen auf der Stra­ße la­gen, mensch­li­chen Tros­tes be­raubt, ru­hen soll­ten. In Frank­furt am Main wur­de im Jah­re 1315 die ers­te Her­ber­ge für Land­strei­cher ge­grün­det. Das frag­wür­di­ge Volk, das nicht an­säs­sig war, wur­de von Zeit zu Zeit aus der Stadt ver­jagt. Die Jus­tiz war schnell und hart, ein ge­rin­ger Dieb­stahl wur­de oft mit dem Tode be­straft. Vi­el­leicht aber war ein schnel­ler Tod am Gal­gen oder durch das Schwert dem Ver­fau­len im Turm vor­zu­zie­hen. Dort ließ man wohl Un­ver­bes­ser­li­che aus den re­gie­ren­den Fa­mi­li­en ver­schwin­den. Im All­ge­mei­nen wur­den die an­ge­se­he­nen Per­so­nen, wenn sie sich schwer ver­gan­gen hat­ten, im ei­ge­nen Hau­se in Haft ge­hal­ten. Ein ei­gent­li­ches Ge­fäng­nis­we­sen gab es nicht.

Um­schlos­sen war die Stadt von der Mau­er, die, wenn sie auch nicht von An­fang an zum We­sen der Stadt ge­hör­te, doch ihr We­sen be­sie­gel­te. Sie run­de­te die Tei­le der Stadt zu ei­ner Ein­heit ab, leg­te einen Gür­tel um die Nach­barn, schirm­te sie vor den Fein­den drau­ßen, ver­bürg­te ih­nen die Si­cher­heit, ohne die der fried­li­che und freie Cha­rak­ter der Stadt sich nicht hät­te ent­fal­ten kön­nen. Sie ver­lieh der Bür­ger­schaft das Ge­fühl der Un­ver­letz­lich­keit, das dem ein­zel­nen Rit­ter sein Har­nisch gab. Ehe die Städ­te frei wa­ren, er­streb­ten die Bür­ger das Recht, die Mau­ern zu ver­tei­di­gen, und wenn sie das be­sa­ßen, hat­ten sie schon die Hand auf die Frei­heit ge­legt. Ih­rer Auf­ga­be, die Stadt vor Über­fall oder Erobe­rung zu schüt­zen, ha­ben die Mau­ern in er­staun­lich ho­hem Gra­de ge­nügt. Un­zäh­li­ge Male ha­ben sich Hee­re von Kö­ni­gen und Fürs­ten vor ei­ner Stadt ver­blu­tet, fast im­mer muss­ten sie nach schwe­ren Ver­lus­ten die Be­la­ge­rung auf­ge­ben. Wie stolz die Bür­ger auf ihre Mau­er wa­ren, zeig­te sich nicht nur in der Sorg­falt, mit der ihr Zu­stand über­wacht wur­de, son­dern auch in der das Auge er­freu­en­den Aus­ge­stal­tung. Die Tür­me, die die Mau­er in ge­wis­sen Ab­stän­den durch­bra­chen, dienten dem Zweck der Ver­tei­di­gung, und dass sie einen mar­sch­ähn­li­chen, he­ro­i­schen Rhyth­mus er­zeug­ten, ist nur ein zu­fäl­li­ges Er­geb­nis; aber der Bau­meis­ter be­müh­te sich, auch in die Ge­stal­tung der Tür­me Ab­wechs­lung zu brin­gen, und schmück­te sie mit Wap­pen, Ad­lern, Kai­ser­bil­dern, Sprü­chen. Mit be­son­de­rem Schwung ge­stal­te­te und schmück­te man die Tore. Sie ver­kün­de­ten dem Bür­ger, der sei­ne Kühe aus- und ein­trieb, dem Kauf­mann, der sei­ne Wa­ren ein­führ­te, dem Feind, der die Stadt er­stür­men woll­te, dem Fürs­ten, der sie be­such­te, dass hier eine mäch­ti­ge Herr­schaft be­gin­ne, die zu schüt­zen, zu stra­fen und sich zu weh­ren wis­se. Drau­ßen dicht an der Mau­er wa­ren die Müh­len, ein wert­vol­ler Be­sitz der Stadt, dann ka­men Gär­ten, Äcker und Wei­den, die wie­der­um durch eine Ver­schan­zung ge­schützt wa­ren. Die Dör­fer in der Run­de bil­de­ten das nächs­te, si­che­re Ab­satz­ge­biet für die Wa­ren der Stadt und muss­ten ihre Pro­duk­te auf die Märk­te der Stadt brin­gen.

Das teu­ers­te, best­ge­hü­te­te Be­sitz­tum der Stadt wa­ren ihre Pri­vi­le­gi­en von den Lan­des­her­ren, ganz be­son­ders die der Kai­ser, auf de­nen die Reichs­frei­heit be­ruh­te. Es ka­men Zei­ten, wo die Leis­tun­gen der Reichs­städ­te fast die ein­zi­ge si­che­re Ein­nah­me des Kai­sers aus­mach­ten; auf ihre An­häng­lich­keit konn­te er im­mer rech­nen. Im Ge­gen­satz zu Fürs­ten und Rit­tern nann­ten sie sich wohl kurz­weg das Reich. Ih­nen ge­hör­te der Kai­ser in ei­ner be­son­de­ren Wei­se, das präg­ten sie in Sym­bo­len, Wap­pen, Fah­nen al­len Au­gen sicht­bar aus. An ei­nem Kron­leuch­ter im Rat­haus zu Gos­lar war der Vers an­ge­bracht: »O Gos­lar, du bist zu­ge­tan – Dem hei­li­gen Rö­mi­schen Rei­che – Son­der Mit­tel und Wahn – Du kannst da­von nicht wei­chen.« Über dem Os­ten­tor in Dort­mund stand: »Dus stat ist vry – Dem Ri­che holt – Ver­ko­ept das nicht umb al­les Golt.« Ein Edel­knecht des Burg­gra­fen von Nürn­berg, der mut­wil­lig ein Ad­ler­bild am Tore der Stadt Ro­then­burg be­schä­digt hat­te, wur­de hin­ge­rich­tet; so hei­lig hielt man das kai­ser­li­che Zei­chen. Bei den häu­fi­gen Kämp­fen zwi­schen Papst und Kai­ser brach­te die in­ni­ge Be­zie­hung der Städ­te zum Kai­ser einen Ge­gen­satz zur Kir­che mit sich. In den Bi­schofs­städ­ten be­stand die­ser Ge­gen­satz oh­ne­hin durch das Be­stre­ben, sich von der Herr­schaft des Bi­schofs frei zu ma­chen, der noch dazu häu­fig zum Papst an­statt zum Kai­ser hielt. Dem Kai­ser zu­lie­be trotz­ten die Städ­te so­gar dem In­ter­dikt. Es war den Stadt­be­woh­nern nicht gleich­gül­tig, wenn die ma­gi­sche Hül­le von Glo­cken­klang und Ge­bet, die sie um­schirm­te, zer­fiel, und ihre Gie­bel nüch­tern und stumm in die Ta­ges­hel­le starr­ten; sie woll­ten den Got­tes­dienst nicht miss­en, ga­ben aber des­halb nicht nach, son­dern be­fah­len ih­ren Geist­li­chen, ent­we­der ihn zu ver­se­hen oder die Stadt zu ver­las­sen. Wie fest das Band zwi­schen dem Kai­ser und den Städ­ten war, zeig­te sich zur­zeit Lud­wigs des Bay­ern, wo die ihm an­han­gen­den dem Kir­chen­bann ver­fie­len. Da­mals wur­de der Erz­bi­schof von Mag­de­burg im Ker­ker mit ei­ser­nen Stä­ben tot­ge­schla­gen, in Ber­lin wur­de ein Propst vor der Ma­ri­en­kir­che, in Ba­sel ein päpst­li­cher Ge­sand­ter ge­tö­tet. Kein Wun­der, dass die Kai­ser sich in den Städ­ten wohl­fühl­ten und gern dort ver­weil­ten. Die städ­ti­schen Chro­ni­ken ver­zeich­ne­ten die Ge­sprä­che, Scher­ze und Ne­cke­rei­en, die im Ton hu­mor­vol­ler Ver­trau­lich­keit zwi­schen dem Kai­ser und der Bür­ger­schaft ge­wech­selt wur­den. Ru­dolf von Habs­burg ver­stand es be­son­ders gut, die­sen Ton an­zu­schla­gen, der ihm die Ge­mü­ter ge­wann; es ist merk­wür­dig, wie sich die­se Gabe vie­le Jahr­hun­der­te hin­durch in sei­ner Fa­mi­lie er­hal­ten hat. Ein­mal kam der Kö­nig, so wird er­zählt, in Ba­sel mit ei­nem Ger­ber ins Ge­spräch, der, schlecht ge­klei­det, über sei­ner schmut­zi­gen Ar­beit war. Im Ver­lau­fe der Un­ter­hal­tung lud der Mann den Kö­nig auf den nächs­ten Tag zum Mit­ta­ges­sen ein, und Ru­dolf sag­te zu, in der Mei­nung, ei­ner ar­men Hüt­te kö­nig­li­che Gna­de zu er­wei­sen. Je­doch emp­fing ihn in ei­nem statt­li­chen, ge­schmack­voll ein­ge­rich­te­ten Hau­se ein fein­ge­klei­de­ter Mann mit ei­ner schö­nen Frau, die ihn zu ei­ner reich be­stell­ten, mit kost­ba­rem Ge­schirr ge­schmück­ten Ta­fel führ­ten. Der über­rasch­te Kö­nig frag­te den Ger­ber, warum er denn, da er au­gen­schein­lich ein wohl­ha­ben­der Mann sei, ein so schmut­zi­ges, übel­rie­chen­des Ge­wer­be trei­be, wor­auf der Mann zur Ant­wort gab, eben die­sem Ge­wer­be ver­dan­ke er sei­nen Wohl­stand, und des­halb blei­be er da­bei.

Nach­dem die Ar­beit des hö­rig ge­wor­de­nen Bau­ern der Ver­ach­tung an­heim­ge­fal­len war, bil­de­te sich in der Stadt eine neue Wert­schät­zung der Ar­beit und des frei­en Ar­bei­ters. Der Hand­wer­ker, einst ein Ab­hän­gi­ger, Wehr­lo­ser, wur­de Haus­be­sit­zer, hat­te sein ei­ge­nes Recht, wur­de Mitherr an der Stadt, ver­tei­dig­te sei­ne Stadt mit ei­ge­nen Waf­fen. Wie groß auch im­mer die Kluft zwi­schen Ar­men und Rei­chen, zwi­schen dem Re­gi­ments­fä­hi­gen und dem Un­ter­tan war, die Stadt­luft war doch ein Ele­ment der Frei­heit für alle, für das neu ent­ste­hen­de Volk der Wohl­ha­ben­den und Ge­bil­de­ten. Wenn die Frem­den da­mals und künf­tig die Herr­lich­keit des Rei­ches prie­sen, so dach­ten sie da­bei haupt­säch­lich an die Städ­te, von de­nen jede ihr be­son­de­res Ant­litz, ihre be­son­de­re Schön­heit, ihre be­son­de­re An­zie­hungs­kraft hat­te. Nicht nur die Kai­ser, auch die Fürs­ten, welt­li­che wie geist­li­che, hiel­ten sich gern in den großen Städ­ten auf, be­sa­ßen dort wo­mög­lich ein Ab­stei­ge­quar­tier. Dort ent­wi­ckel­te sich eine neue Art von Fröm­mig­keit, die von der Kirch­lich­keit un­ab­hän­gig war, sich so­gar mit Feind­se­lig­keit ge­gen die Kir­che ver­trug. Sie war nicht mehr nur Ma­gie, son­dern sie wur­de Le­bens­deu­tung, Durch­drin­gung des Le­bens mit sitt­li­chen Ge­dan­ken. Der Gold­grund des Drü­ben lös­te sich lang­sam auf, wur­de dün­ner und dün­ner und ließ die blen­den­de Wirk­lich­keit hin­durch­strah­len; auf die greif­ba­ren Zie­le des tä­ti­gen Men­schen rich­te­te sich der Blick.

Deutsche Geschichte

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