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Die Juden und der Wucher

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Im zwei­ten Buch Mo­sis heißt es: »Wenn du Geld leihst mei­nem Vol­ke, das arm ist bei dir, sollst du ihm nicht zu Scha­den brin­gen und kei­nen Wu­cher auf ihm trei­ben.« Und im drit­ten Bu­che: »Wenn dein Bru­der ver­armt und ne­ben dir ab­nimmt, so sollst du ihn auf­neh­men als einen Fremd­ling oder Gast, dass er lebe ne­ben dir. Und sollst nicht Wu­cher von ihm neh­men noch Über­satz, son­dern sollst dich vor dei­nem Gott fürch­ten, auf dass dein Bru­der ne­ben dir le­ben kön­ne. Denn du sollst ihm dein Geld nicht auf Wu­cher tun noch dei­ne Spei­se auf Über­satz.« Schließ­lich im fünf­ten Bu­che Mo­sis: »Du sollst an dei­nem Bru­der nicht wu­chern, we­der mit Geld noch mit Spei­se noch mit al­lem, da­mit man wu­chern kann.« Mehr aber noch als auf die Stel­len im mo­sa­i­schen Ge­setz be­rie­fen sich die Päps­te beim Zins­ver­bot auf den 15. Psalm, der auf die Fra­ge: »Herr, wer wird woh­nen in dei­ner Hüt­te, und wer wird blei­ben auf dei­nem hei­li­gen Ber­ge?« im letz­ten Ver­se ant­wor­tet: »Wer sein Geld nicht auf Wu­cher gibt und nimmt nicht Ge­schen­ke über dem Un­schul­di­gen.«

Man weiß, dass alle Völ­ker auf frü­her Stu­fe, wel­che sich noch als eine ein­zi­ge Fa­mi­lie be­trach­ten, de­ren Glie­der eins für das an­de­re auf Tod und Le­ben ein­ste­hen müs­sen, den Zins ver­bie­ten. Was die Wu­cher­ver­bo­te der Bi­bel aus­zeich­net ge­gen­über de­nen an­de­rer Stäm­me und Völ­ker ist die ste­te Be­zie­hung auf die Er­ha­ben­heit Got­tes, der sei­nem Vol­ke die Lie­be des Bru­ders als vor­nehms­tes Ge­bot emp­fiehlt. Wie alle Leh­ren und Vor­schrif­ten des Bu­ches der Bü­cher sind auch die­se nicht aus der Er­fah­rung oder der Be­trach­tung des Nut­zens, son­dern aus ei­ner über­mensch­li­chen Quel­le ab­ge­lei­tet, die alle in den Zu­sam­men­hang ei­ner über­mensch­li­chen Idee bringt und ih­nen das Ge­prä­ge der Ewig­keit und All­gül­tig­keit ver­leiht. Es war nur na­tür­lich, dass die ers­ten Chris­ten­ge­mein­den das Wu­cher­ver­bot des Al­ten Te­sta­men­tes über­nah­men und dass sie es in ih­rem klei­nen Krei­se und ih­ren ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen durch­füh­ren konn­ten. Man sah in dem Ent­leh­ner einen Be­dürf­ti­gen, des­sen Not­la­ge der bes­ser­ge­stell­te Lei­her in un­sitt­li­cher­wei­se aus­genützt hät­te, wenn er sich et­was über die ge­lie­he­ne Sum­me oder die ge­lie­he­nen Le­bens­mit­tel hin­aus hät­te zu­rück­ge­ben las­sen. Von der­sel­ben Voraus­set­zung gin­gen die Kir­chen­vä­ter aus; wie die Kir­che über­haupt den Schutz der Ar­men und Schwa­chen als ih­ren haupt­säch­li­chen Be­ruf auf­fass­te, so woll­ten sie sie auch in die­ser Be­zie­hung vor Aus­beu­tung be­wah­ren. Als wis­sen­schaft­li­chen Un­ter­bau des bib­li­schen Ge­bo­tes nah­men sie den Grund­satz an, den Ari­sto­te­les ver­tre­ten hat­te, dass das Geld un­frucht­bar sei. Als Karl der Gro­ße das Zins­ver­bot aus den Ge­set­zes­samm­lun­gen der Päps­te in sei­ne Ge­set­ze hin­über­nahm, wa­ren die Ver­hält­nis­se im Reich noch ein­fach; doch wur­den be­reits Geld­ge­schäf­te ge­macht, und zwar ge­ra­de von Sei­ten der Geist­li­chen, ge­gen die das Zins­ver­bot sich haupt­säch­lich rich­te­te; erst spä­ter wur­de es auch auf die Lai­en be­zo­gen.

Den stren­gen, von der Kir­che fest­ge­setz­ten Stand­punkt durch­zu­füh­ren war mög­lich, so­lan­ge die Chris­ten eine klei­ne, ab­seits im Dun­kel le­ben­de Sek­te wa­ren; es wur­de schwie­ri­ger im Maße, als das Chris­ten­tum die herr­schen­de Re­li­gi­on ge­wor­den war, als in den Städ­ten Han­del und Ge­wer­be zu blü­hen an­fin­gen und sich nicht nur mehr Rei­che und Arme im pri­va­ten Ver­hält­nis ge­gen­über­stan­den, son­dern Men­schen ver­schie­dens­ter Le­bens­be­din­gun­gen, die um ihre Nah­rung kämpf­ten. Trotz­dem blieb die Kir­che da­bei, al­les als Wu­cher zu be­zeich­nen, was der Gläu­bi­ger au­ßer der ge­lie­he­nen Sa­che oder dem ge­lie­he­nen Ka­pi­tal vom Schuld­ner emp­fan­ge. Papst Ur­ban III. er­klär­te so­gar Kauf­han­del und Wu­cher für gleich­be­deu­tend, weil der Kauf­mann teu­rer ver­kauft, als er ein­ge­kauft hat, über­haupt auf Ge­winn hofft. Die Stren­ge der Wu­cher­ge­set­ze wur­de nur durch ei­ni­ge Aus­nah­men ein we­nig ge­mil­dert: der Kauf­mann soll­te die Trans­port­kos­ten in An­wen­dung brin­gen dür­fen, und der Gläu­bi­ger konn­te durch eine Ver­gü­tung ent­schä­digt wer­den, wenn der Ter­min der Rück­ga­be des ge­lie­he­nen Gel­des ver­säumt wur­de. Man un­ter­schied das dammum emer­gens, den ent­ste­hen­den Scha­den, und das lu­krum cess­ans, den ent­gan­ge­nen Ge­winn, als Be­din­gun­gen ei­ner Ent­schä­di­gung. Bei vor­her­ge­hen­der Ver­stän­di­gung zwi­schen Gläu­bi­ger und Schuld­ner ließ sich auf die­se Wei­se das Ge­setz bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de um­ge­hen. Üb­ri­gens aber be­stand das Zins­ver­bot, von Fried­rich I. und Fried­rich II. über­nom­men, in al­ler Stren­ge fort. Lai­en wur­den we­gen Wu­chers ex­kom­mu­ni­ziert, eben­so Fürs­ten, die Wu­che­rer in ih­rem Ge­biet dul­de­ten, Kle­ri­ker, die Wu­che­rer be­stat­te­ten, streng be­straft. Da am Ende des 13. Jahr­hun­derts die päpst­li­chen De­kre­ta­len in Deutsch­land Ein­gang fan­den, und da auf den Uni­ver­si­tä­ten zu­erst mehr das ka­no­ni­sche als das rö­mi­sche Recht stu­diert wur­de, ver­brei­te­te sich die kirch­li­che Auf­fas­sung eher mehr als we­ni­ger. Der Sach­sen­spie­gel al­ler­dings, nach dem sich das nörd­li­che Deutsch­land rich­te­te, kann­te das Zins­ver­bot nicht. Nach alt­ger­ma­ni­schem Recht muss­te der Schuld­ner dem Gläu­bi­ger sei­ne Schuld ab­die­nen; er ver­fiel ent­we­der auf Zeit oder le­bens­läng­lich in Schuld­knecht­schaft. Al­lein die säch­si­sche Rechts­mei­nung wur­de in den spä­ter dem Sach­sen­spie­gel bei­ge­füg­ten Glos­sen zu­guns­ten der kirch­li­chen zu­rück­ge­stellt; auch drang der Schwa­ben­spie­gel, der von vorn­her­ein das ka­no­ni­sche Recht ver­trat, all­mäh­lich nach dem Nor­den vor.

Dem kirch­li­chen Ge­setz stan­den die Ge­set­ze des wirt­schaft­li­chen Ver­kehrs mit sol­cher Ge­walt­sam­keit ent­ge­gen, den Kle­rus selbst in den Strom hin­ein­rei­ßend, dass, wenn nicht eine Lö­sung des Wi­der­spruchs, doch ein Aus­weg ge­fun­den wer­den muss­te; er fand sich dar­in, dass die Hand­ha­bung der Geld­ge­schäf­te den Ju­den über­tra­gen wur­de, die dem christ­li­chen Ge­setz nicht un­ter­stan­den. Eine ge­wis­se Nei­gung und Be­ga­bung der Ju­den für das Geld­ge­schäft kam die­ser Re­ge­lung ent­ge­gen, die aber, wenn nicht her­vor­ge­bracht, doch da­durch un­ter­stützt wur­de, dass sie auf das Woh­nen in den Städ­ten und Er­werb durch Han­del an­ge­wie­sen wa­ren. Im ver­mehr­ten Sach­sen­spie­gel heißt es, von Got­tes Recht sol­le kein Jude Wu­cher neh­men, doch sei ihre Ord­nung an­ders als bei den Chris­ten, weil sie hier­zu­lan­de nichts Ei­ge­nes ha­ben könn­ten, dar­um sei­en sie von Kai­sern und Kö­ni­gen be­gna­det, dass sie son­der­li­ches Recht hät­ten. Sie müss­ten wu­chern, weil sie erb­lich Land und Bo­den nicht ha­ben dürf­ten und weil die Hand­wer­ker sie nicht in ihre Zünf­te ein­lie­ßen. Man sag­te auch ge­ra­de­zu, Ju­den müss­ten wu­chern, weil die Chris­ten es nicht dürf­ten.

Die Über­nah­me der Geld­ge­schäf­te durch die Ju­den hat­te für Ju­den und Chris­ten ver­häng­nis­vol­le Fol­gen. In­dem die Ju­den zu Gläu­bi­gern, die Chris­ten zu Schuld­nern wur­den, ent­stand ein ge­spann­tes Ver­hält­nis mit der Nei­gung zu ge­walt­sa­men Ent­la­dun­gen. Wäh­rend der Glau­bens­hass ei­gent­lich nur von der Kir­che aus­ging, be­traf der Schuld­ner­hass fast alle Krei­se des Vol­kes, und der letz­te­re war viel grim­mi­ger, weil er auf der Not des Aus­ge­press­ten zu sei­nem Drän­ger be­ruh­te. Die Kla­ge der Chris­ten, dass die Ju­den hohe Wu­cher­zin­sen for­der­ten und sie da­durch er­drück­ten, war nicht un­be­rech­tigt. Es war üb­lich, Geld auf kur­ze Frist und zu er­staun­lich ho­hen Zin­sen aus­zu­lei­hen. Die Höhe des Zins­fu­ßes be­trug im Jah­re sech­zig und sieb­zig Pro­zent; in Ös­ter­reich stieg der Zins in­fol­ge be­son­de­rer Ver­hält­nis­se auf 174, so­gar auf 304 Pro­zent im Jahr. Wenn nun aber die Ju­den ge­le­gent­lich auch über den ge­setz­lich er­laub­ten Zins hin­aus ihre Schuld­ner aus­press­ten, so wa­ren sie dazu fast ge­zwun­gen durch die For­de­run­gen, die an sie selbst ge­stellt wur­den. Je spär­li­cher die re­gel­mä­ßi­gen Ein­künf­te der Kai­ser wur­den, de­sto mehr nütz­ten sie die Quel­len aus, die ih­nen zur Ver­fü­gung stan­den, und das wa­ren au­ßer den Ab­ga­ben der Reichs­städ­te die der Ju­den, die für die Ge­wäh­rung des kai­ser­li­chen Schut­zes ge­wis­se Zah­lun­gen zu leis­ten hat­ten. Zu den re­gel­mä­ßi­gen Leis­tun­gen ka­men au­ßer­ge­wöhn­li­che, wenn sich eine Ge­le­gen­heit bot. Wa­ren die Ju­de­ner­träg­nis­se vom Kai­ser den Fürs­ten oder Städ­ten über­tra­gen, die An­sprü­che an sie hat­ten, so wur­den sie von die­sen aus­ge­so­gen. Je mehr die Ju­den zu zah­len hat­ten, je mehr sie selbst aus­ge­beu­tet wur­den, de­sto mehr muss­ten sie ihre Schuld­ner aus­beu­ten: es war ein häss­li­cher, un­heil­vol­ler Kreis­lauf. Bei dem un­ge­heu­ren Geld­be­dürf­nis und Geld­man­gel des Mit­tel­al­ters, her­vor­ge­ru­fen durch die stei­gen­den An­sprü­che auf der einen und den noch un­ent­wi­ckel­ten Ver­kehr auf der an­de­ren Sei­te, wa­ren alle Stän­de den Ju­den ver­schul­det: die Kai­ser, die Päps­te, der hohe und nie­de­re Adel, die Hand­wer­ker. Wenn die Ver­schul­dung einen be­stimm­ten Grad er­reicht hat­te, so such­ten die Schuld­ner sich aus der Sch­lin­ge, die sie er­würg­te, ge­walt­sam zu be­frei­en.

Es leuch­tet ein, dass Hoch­ge­stell­te eher die Mög­lich­keit hat­ten, sich Ein­nah­me­quel­len zu ver­schaf­fen oder den An­sprü­chen der Gläu­bi­ger sich zu ent­zie­hen, als das nie­de­re Volk. Daraus er­klärt es sich, dass dies die ge­rech­te Hand­ha­bung des Ju­den­schut­zes durch Kai­ser, Fürs­ten und Stadt­rä­te so be­ur­teil­te, als wä­ren sie von den Ju­den be­sto­chen. Sie wa­ren es, in­so­fern sie auf die ho­hen Ge­büh­ren, die sie von den Ju­den er­ziel­ten, nicht ver­zich­ten woll­ten; trotz­dem ge­sch­ah es auch aus Bil­dung, Ein­sicht und Pf­licht­ge­fühl, dass sie bei Ju­den­ver­fol­gun­gen durch den Pö­bel hin­dernd und stra­fend ein­schrit­ten. In die­ser er­hitz­ten Stim­mung ver­schärf­te sich teils der Glau­bens­hass, teils wur­de er Vor­wand. Oh­ne­hin nahm im 13. Jahr­hun­dert der Fa­na­tis­mus der Ku­rie zu, so­wohl in Be­zug auf die Ket­zer als auf die Ju­den. In­no­cenz III. er­ließ ein Ge­setz, das den Ju­den eine be­stimm­te Tracht vor­schrieb, die sie kennt­lich und zu­gleich lä­cher­lich mach­te. Die spit­zen gel­ben Hüte ga­ben sie dem Hohn der Gas­se preis.

Die Ju­den­ver­fol­gun­gen des 14. Jahr­hun­derts wühl­ten auf, was an bes­tia­li­schen Trie­ben in den Un­tie­fen des deut­schen Vol­kes sich ver­barg, und of­fen­bar­ten den He­ro­is­mus, des­sen die Ju­den fä­hig wa­ren. So pflegt die ewi­ge Ge­rech­tig­keit Ge­winn und Ver­lust zwi­schen Ver­fol­gern und Ver­folg­ten zu ver­tei­len. Die Ein­sicht, dass die Deut­schen in Be­zug auf das Geld­ge­schäft oft schlech­ter als die Ju­den han­del­ten, ohne die­sel­ben Ent­schul­di­gun­gen zu ha­ben, mach­te nie­man­den in sei­ner Wut wan­kend. Der Mönch von Win­ter­thur, der um die Mit­te des 14. Jahr­hun­derts die Ge­schich­te sei­ner Zeit nie­der­schrieb, er­zählt ein­mal, in Lin­dau sei bei den meis­ten Men­schen Got­tes­furcht und Nächs­ten­lie­be so ver­schwun­den, dass sie ge­gen das aus­drück­li­che ka­no­ni­sche Ge­bot, ver­wor­fe­ner als die Ju­den, ho­hen Zins ver­lang­ten. Sie wä­ren in der Ge­wis­sen­lo­sig­keit so ver­här­tet, dass sie den Mi­no­ri­ten Schuld gä­ben, weil sie, wie sie be­haup­te­ten, ih­nen bei der Beich­te kei­ne Sün­de dar­aus mach­ten. Da sei ein wohl­ha­ben­der Jude ge­kom­men, habe um Auf­nah­me ge­be­ten und ver­spro­chen, ge­gen ge­rin­gen Zins wö­chent­lich Geld aus­zu­lei­hen. Die Bür­ger hät­ten sich ge­freut, und der Rat habe be­schlos­sen, dass Chris­ten künf­tig­hin kei­nen Wu­cher trei­ben dürf­ten. Der­sel­be Mönch er­zählt, dass in Über­lin­gen Un­wil­le ge­gen die Ju­den ent­stan­den sei, weil sie einen Kna­ben er­mor­det hät­ten. Das Volk von Über­lin­gen wünsch­te nun die Ju­den zu ver­nich­ten, ohne dass Kai­ser Lud­wig, von dem man wuss­te, dass er die Ju­den schütz­te, die Stadt be­straf­te; man glaub­te das zu er­rei­chen, in­dem man die Ju­den über­re­de­te, zu ih­rem Schutz in ein ho­hes stei­ner­nes Haus zu flüch­ten. Nach­dem sie das ge­tan hat­ten und alle dar­in ein­ge­schlos­sen wa­ren, zün­de­te man das Haus un­ten an. Da sie nicht her­aus­konn­ten, flo­hen die Be­tro­ge­nen im­mer hö­her hin­auf, bis sie zu­letzt auf dem Dach er­schie­nen. In ih­rem Zorn und ih­rer Verzweif­lung war­fen sie Stei­ne und Bal­ken auf die Volks­men­ge, die sich gaf­fend un­ten an­ge­sam­melt hat­te. Dann ver­san­ken sie un­ter Ge­sän­gen in das in eine Flam­men­py­ra­mi­de ver­wan­del­te Haus.

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