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Stedinger, Friesen, Dithmarschen

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Da wo das Meer und die ho­hen Ber­ge sind, hat­ten sich freie Bau­ern er­hal­ten. Es ist, als ob im Kamp­fe mit den Ele­men­ten, mit Flut und Sturm, mit Fels­za­cken und Eis­wüs­ten et­was von der Un­bän­dig­keit und Ur­ge­walt der Ele­men­te auf die kämp­fen­den Men­schen über­gin­ge. Auch bil­den Ge­bir­ge so­wie Meer und Sümp­fe eine na­tür­li­che Schutz­wehr, wäh­rend die of­fe­ne Ebe­ne der Ver­knech­tung güns­tig ist. Die stol­ze Art der meeran­woh­nen­den Sach­sen und Frie­sen fiel früh auf; be­son­ders die Frie­sen wur­den in der Zeit, wo die Hö­rig­keit des Bau­ern als das Selbst­ver­ständ­li­che galt, vom Adel als ge­bo­re­ne Re­bel­len be­trach­tet. Dass sie die Kunst der Ent­wäs­se­rung und der Be­dei­chung ver­stan­den, wo­durch das fet­te, vom Meer an­ge­schwemm­te Land erst be­wohn­bar wur­de, gab ih­nen an­de­rer­seits einen ho­hen Wert, der von den Be­sit­zern von Sumpf­land wohl be­grif­fen wur­de. Als Graf Adolf von Schau­en­burg Wa­grien ko­lo­ni­sier­te, wei­ger­ten sich sei­ne Hol­s­ten, den Zehn­ten zu zah­len und sag­ten, lie­ber woll­ten sie mit ei­ge­ner Hand ihre Häu­ser an­zün­den und ihr Land ver­las­sen, als ei­ner sol­chen Skla­ve­rei sich un­ter­wer­fen; und da­bei blieb es. Um die Mit­te des zwölf­ten Jahr­hun­derts be­gan­nen auch die Erz­bi­schö­fe von Bre­men das noch un­be­bau­te Sumpf­land an der Un­ter­we­ser mit Be­woh­nern des west­li­chen Küs­ten­lan­des zu be­sie­deln, die da­mals in ei­ner all­ge­mei­nen Be­we­gung nach dem Os­ten zu wa­ren. Sie teil­ten das Land nach hol­län­di­schem Recht, so­ge­nann­tem Hol­ler­recht aus, wo­nach die Sied­ler so gut wie frei wa­ren, au­ßer dass sie einen Grund­zins, den Hol­ler­zehn­ten, zahl­ten. An­de­re An­sied­ler, wie z. B. die des Klos­ters Ras­te­de und an­de­rer Klös­ter, ge­nos­sen ge­rin­ge­re Vor­tei­le; aber im All­ge­mei­nen be­trach­te­ten die von Na­tur streit­ba­ren Leu­te das Land, das sie selbst in müh­se­li­ger Ar­beit aus Sumpf und Moor ge­schaf­fen hat­ten, als ihr ei­gen, ach­te­ten Rech­te von Grund- und Lan­des­her­ren nicht und such­ten sich ih­rer zu er­weh­ren, wenn sie un­be­que­me An­sprü­che er­ho­ben. Im Jah­re 1190 er­scheint der Name Ste­din­ga zum ers­ten Male ur­kund­lich; er um­fass­te ein Ge­biet an der Un­ter­we­ser zwi­schen der Mün­dung von Öhre und Hun­te; es ge­hört jetzt zum Teil zu Han­no­ver, zum Teil zu Ol­den­burg. Je blü­hen­der und wohl­ha­ben­der sich das Ge­biet ent­wi­ckel­te, de­sto mehr reiz­te es die Nach­barn, be­rech­tig­te und un­be­rech­tig­te An­sprü­che zu er­he­ben. Ge­fähr­lich wur­den sie für die Ste­din­ger, als in der Per­son Ger­hards II. ein Erz­bi­schof auf den Bre­mer Stuhl kam, der sich vor­ge­setzt hat­te, sein ver­wahr­los­tes Stift neu zu be­fes­ti­gen. Ger­hard war ein Sohn des be­rühm­ten Gra­fen Bern­hard zur Lip­pe und glich sei­nem Va­ter, wenn nicht im Um­fas­sen­den der Per­sön­lich­keit, doch in der Tat­kraft. Da es ihm zu­nächst dar­auf an­kam, sei­nen Staat fi­nan­zi­ell zu he­ben, such­te er sich leis­tungs­fä­hi­ge Un­ter­ta­nen und fand sie in der Stadt Bre­men und in den Ste­din­gern.

Bis da­hin hat­ten sich die Ste­din­ger in ih­rem durch Sümp­fe ge­schütz­ten Ge­biet und durch ihre un­wi­der­steh­li­che Tap­fer­keit un­ab­hän­gig zu hal­ten ge­wusst. Ihre nach­bar­li­chen Feh­den, die sich zu­nächst ge­gen die Ol­den­bur­ger Gra­fen rich­te­ten, de­ren Vög­te sich al­ler­lei Über­grif­fe er­laub­ten, ver­lie­fen zu ih­ren Guns­ten. In den Kämp­fen zwi­schen den Stau­fern und Wel­fen nah­men sie bald auf die­ser, bald auf je­ner Sei­te teil, ohne je eine an­de­re Po­li­tik zu ver­fol­gen als die Be­wah­rung ih­rer Selbst­stän­dig­keit. Vi­el­leicht hät­te das Ge­schick der Land­schaft sich an­ders ge­stal­tet, wenn die be­reits mäch­tig auf­blü­hen­de Stadt Bre­men sich mit den Ste­din­ger Bau­ern ver­bün­det hät­te; aber dar­an wur­de auf bei­den Sei­ten nicht ge­dacht. Nur auf sich selbst ge­stellt wa­ren die Ste­din­ger, als Ger­hard II. es un­ter­nahm, die Frei­en zu un­ter­wer­fen, ein­zig ei­ni­ge Mi­nis­te­ria­le, de­ren Bur­gen an der Gren­ze der Marsch la­gen, wie die von Hör­spe und die von Bar­den­fleth, auch ei­ni­ge, die auf der ho­hen Geest wohn­ten, schlos­sen sich ih­nen an. Am Weih­nachts­abend 1229 fand die große Schlacht statt, in der der Füh­rer des erz­bi­schöf­li­chen Hee­res, Ger­hards ei­ge­ner Bru­der, er­schla­gen wur­de. Kurz vor­her war sein an­de­rer Bru­der, Bi­schof Otto von Müns­ter, auf dem Moo­re von Coe­vor­den von Frie­sen be­siegt und ge­tö­tet, ein Bru­der Diet­rich, Propst von De­ven­ter, ge­fan­gen­ge­nom­men; so war der Erz­bi­schof auch durch die Blut­ra­che zum Füh­rer im Kamp­fe des Adels ge­gen die Bau­ern be­ru­fen. Nach­dem die Kraft der frei­heits­s­tol­zen Ste­din­ger sich so ver­häng­nis­voll of­fen­bart hat­te, griff der Erz­bi­schof zu ei­nem un­ed­len Mit­tel, des­sen Wirk­sam­keit sich aus dem Tau­mel er­klärt, in den die Men­schen durch ge­schickt ver­wen­de­te Schlag­wör­ter ver­setzt wer­den kön­nen. Wer einen Feind hat­te, be­müh­te sich, seit die Aus­rot­tung der Hä­re­sie als eine drin­gen­de Auf­ga­be von Staat und Kir­che er­klärt wor­den war, den Feind zu ver­ket­zern; dann ge­lang es, ihn zu ver­ein­sa­men, nicht nur nach­bar­li­che, son­dern auch staat­li­che und kirch­li­che Hil­fe zu sei­ner Ver­nich­tung auf­zu­bie­ten. Be­reits wur­de im Bis­tum Müns­ter das Kreuz ge­gen frie­si­sche Bau­ern ge­pre­digt; nun ließ Ger­hard II. auf ei­ner Di­öze­san-Synode in Bre­men die Ste­din­ger für Ket­zer er­klä­ren, was er da­mit be­grün­de­te, dass sie die Sa­kra­men­te ver­ach­te­ten, die Leh­re der Kir­che für Tand er­klär­ten, dass sie Kir­chen und Klös­ter durch Raub und Brand ver­wüs­te­ten, dass sie mit des Her­ren Leib ab­scheu­li­cher ver­füh­ren, als der Mund aus­spre­chen dür­fe, dass sie von bö­sen Geis­tern Aus­kunft be­gehr­ten, wäch­ser­ne Bil­der be­rei­te­ten und sich von wahr­sa­gen­den Frau­en Rat hol­ten. Es wa­ren zum Teil die glei­chen An­schul­di­gun­gen, die schon zu Bo­ni­fa­zi­us’ Zeit er­ho­ben wa­ren und noch er­ho­ben wer­den könn­ten. Dass al­ler­lei Aber­glau­be bei den Ste­din­gern wie über­all auf dem Lan­de im Schwan­ge war, ließ sich so we­nig leug­nen, wie dass sie im Kamp­fe um die Un­ab­hän­gig­keit Klös­ter zer­stört hat­ten. Kir­chen gab es in die­sen, vor der An­sied­lung der Sach­sen und Frie­sen kaum be­bau­ten Ge­gen­den al­ler­dings we­ni­ge, und es ist mög­lich, dass die Ste­din­ger an die­sen we­ni­gen ge­nug hat­ten. Ent­wei­hung der Hos­tie war ein Vor­wurf, der ge­gen alle Ket­zer wie auch ge­gen Ju­den gern er­ho­ben wur­de und den man zu be­wei­sen sich nicht ver­pflich­tet fühl­te, wie denn über­haupt die Be­schul­di­gun­gen ohne Un­ter­su­chung als er­wie­sen gal­ten. Worauf es ei­gent­lich an­kam, sieht man aus dem Satz, den der Erz­bi­schof mit Be­zie­hung auf eine Stel­le aus dem Buch Sa­mu­el auf­stell­te: Nol­le obe­die­re sce­lus est ido­la­triae – Un­ge­hor­sam ist gleich Göt­zen­dienst. Ein ab­ge­feim­ter Satz, der je­den Ver­such des Frei­en, sei­ne Frei­heit zu er­hal­ten, des Un­ter­drück­ten, sich zu weh­ren, für das ruch­lo­ses­te Ver­bre­chen er­klär­te, das die Zeit kann­te. Papst Gre­gor sah wohl, wie man­gel­haft be­grün­det die An­kla­gen des Erz­bi­schofs ge­gen die Ste­din­ger wa­ren und be­eil­te sich nicht, das Ur­teil der Synode zu be­stä­ti­gen; aber im fol­gen­den Jah­re er­ließ er doch die ge­wünsch­te Ver­flu­chungs­bul­le, und auf dem Reichs­ta­ge zu Ra­ven­na im Jah­re 1232 wur­den von Papst und Kai­ser zu­sam­men die neu­en, schar­fen und grau­sa­men Ket­zer­ge­set­ze aus­ge­ge­ben, die so viel Un­ru­he in Deutsch­land ver­an­lass­ten. Kai­ser Fried­rich be­auf­trag­te einen Do­mi­ni­ka­ner in Bre­men, der Ket­ze­rei nach­zu­spü­ren, ver­häng­te über die Ste­din­ger die Acht, nach­dem er sie zu­sam­men mit den Frie­sen erst fünf Jah­re vor­her we­gen ih­rer Ta­ten im Hei­li­gen Lan­de be­lobt hat­te, und mahn­te die Stadt Bre­men, bei der Ver­fol­gung mit­zu­wir­ken. Als der Erz­bi­schof sei­ner Stadt den drit­ten Teil von dem zu er­obern­den Hab und Gut der Ste­din­ger als Be­loh­nung ver­sprach, ge­lang es ihm, sie auf sei­ne Sei­te zu brin­gen. Am 19. Ok­to­ber 1232 for­der­te der Papst durch die Bul­le In­ten­ta fal­la­ci­is sa­tha­nae zum Kreuz­zu­ge ge­gen die Ste­din­ger auf.

Die Ste­din­ger wa­ren ent­schlos­sen, alle Kraft und das Le­ben an die Ver­tei­di­gung ih­rer Frei­heit zu set­zen und ta­ten es ruhm­voll. Zwei Kreuz­hee­re be­sieg­ten sie, den Gra­fen von Ol­den­burg, der eins an­führ­te, er­schlu­gen sie. Die Geg­ner ver­mehr­ten ihre An­stren­gun­gen, der Papst ver­sprach in ei­ner neu­en Bul­le de­nen, die das Kreuz neh­men wür­den, vol­len Ablass. Weit und breit wur­de ge­wor­ben und ge­hetzt, als wäre das Reich, als wäre die Chris­ten­heit in Ge­fahr. Ver­geb­lich mach­te sich der un­glück­li­che jun­ge Kö­nig Hein­rich, Kai­ser Fried­richs Sohn, zum An­walt der Ver­ket­zer­ten, er be­schleu­nig­te da­durch nur sei­nen ei­ge­nen Sturz. Dem drit­ten Kreuz­heer, das ins Feld zog, glück­te die Voll­stre­ckung des Ur­teils; es wa­ren dar­an be­tei­ligt Graf Hein­rich von Ol­den­burg, Graf Lud­wig von Ra­vens­berg, Graf Flo­ren­tin von Hol­land, Graf Otto von Gel­dern, Her­zog Hein­rich der Jün­ge­re von Bra­bant, Wil­helm von Jü­lich und Diet­rich von Cle­ve. Der Adel muss­te viel auf­wen­den, um des klei­nen Bau­ern­vol­kes Herr zu wer­den. Von de­nen, die die un­glück­li­che Schlacht bei Al­te­nesch über­leb­ten, ver­lie­ßen vie­le das Land; Fa­mi­li­en mit dem Na­men Ste­din­ger er­schie­nen in ver­schie­de­nen Städ­ten, auch in Lü­beck und Ham­burg. Die Gü­ter der Ste­din­ger wur­den ver­teilt, ihre Frei­hei­ten ver­nich­tet. So un­über­wind­lich war der Un­ab­hän­gig­keits­sinn des Stam­mes, dass sie sich im­mer wie­der, wenn auch ohne Aus­sicht und ohne Glück, er­ho­ben; im­mer­hin ge­lang es den Nie­der-Ste­din­gern ge­gen­über den Gra­fen von Ol­den­burg eine ge­wis­se Selbst­stän­dig­keit zu be­wah­ren.

Län­ger, näm­lich bis ins sech­zehn­te Jahr­hun­dert, er­hiel­ten sich die Frie­sen und die Dith­mar­scher frei.

Die vo­kal­rei­che, wohl­klin­gen­de Spra­che der Frie­sen, die, wie es scheint, mehr Ähn­lich­keit mit dem Eng­li­schen als mit deut­schen Dia­lek­ten hat­te, ver­schwand schon im sech­zehn­ten Jahr­hun­dert. Eala frya Fre­se­na – Heil, frei­er Frie­se, mit die­sen Wor­ten sol­len die Frie­sen sich be­grüßt ha­ben. Die Frei­heit ge­hör­te zu ih­nen, wie das Meer und die Mar­schen zu ih­nen ge­hör­ten, sie hat­ten in ihr ein Ele­ment mehr als an­de­re Men­schen. Recht­lich führ­ten sie ihre Frei­hei­ten auf Karl den Gro­ßen zu­rück, und die Kai­ser ha­ben ihre Reich­sun­mit­tel­bar­keit an­er­kannt. Es gibt eine Über­lie­fe­rung, wo­nach Frie­sen, die Bar­ba­ros­sa nach Ita­li­en be­glei­te­ten, ihm bei ei­ner Ver­schwö­rung in Rom das Le­ben ge­ret­tet hät­ten. Als er sie zum Dank alle zu Rit­tern schla­gen woll­te, hät­ten sie das ab­ge­lehnt, in­dem sie sag­ten: »Wir hal­ten uns hö­her als dei­ne Rit­ter an Rang und Ruhm, denn wir ha­ben un­ser Land dem Mee­re ab­ge­run­gen und be­sa­ßen es zu ei­gen, ehe an­de­ren das ihre zu Le­hen ge­ge­ben wur­de.« Der Kai­ser habe er­wi­dert: »So mögt ihr denn des Rei­ches Ad­ler in eu­rem Wap­pen füh­ren zum Ge­dächt­nis, dass ihr wa­cker mit­ge­kämpft habt zu des Rei­ches Ehre!« Ge­wis­se Ge­schlech­ter führ­ten näm­lich den hal­b­en Ad­ler im Wap­pen. Wie die Ste­din­ger und die Dith­mar­scher lit­ten sie un­ter sich kei­nen Adel und kei­ne Hö­ri­ge, was nicht hin­der­te, dass be­gü­ter­te oder sonst aus­ge­zeich­ne­te Fa­mi­li­en be­son­ders an­ge­se­hen wa­ren. Ihre De­mo­kra­tie war sehr ari­sto­kra­tisch.

Die Dith­mar­scher, die das Land nörd­lich der Elb­mün­dung be­wohn­ten, wa­ren über­wie­gend Nie­der­sach­sen, sehr hoch­ge­wach­sen, mit schma­len Ge­sich­tern, wäh­rend die Frie­sen auch groß, aber mehr plump und breit­ge­sich­tig sind. Doch sind Frie­sen und Sach­sen an der Nord­see so in­ein­an­der über­ge­gan­gen, dass eine ge­naue Schei­dung nicht mög­lich ist. Noch jetzt gibt es in Dith­mar­schen, über­haupt an der Elb­mün­dung jun­ge Men­schen von leuch­ten­der Schön­heit, alte Men­schen voll Tief­sinn und Wür­de, mit fes­ten, mar­kan­ten Zü­gen, so wie man sich ger­ma­ni­schen Adel vor­stellt. Bei ih­nen er­hiel­ten sich alt­ger­ma­ni­sche Sit­ten und Zu­stän­de zum Teil so, wie sie Ta­ci­tus ge­schil­dert hat. Sie ge­hör­ten ur­sprüng­lich zur Graf­schaft Sta­de und mit ihr spä­ter zum Erz­bis­tum Bre­men. Als sie 1227 in der Schlacht von Born­hö­ve­de, durch wel­che die Herr­schaft der Dä­nen in Nie­der­sach­sen ge­bro­chen wur­de, den Aus­schlag zum Sie­ge ga­ben, be­dan­gen sie sich vom Erz­bi­schof aus, dass er ihre Lan­des­frei­heit un­an­ge­tas­tet las­se, so­dass sie sa­gen konn­ten, sie sei­en dem Erz­stift ver­wandt und zu­ge­tan, nicht ihm un­ter­wor­fen. Es war der­sel­be Erz­bi­schof Ger­hard II., der die Ste­din­ger ver­nich­te­te. Die Dith­mar­scher be­hiel­ten ihre Selbst­ver­wal­tung. Die fünf Vög­te, durch die der Erz­bi­schof sei­ne In­ter­es­sen im Lan­de wahr­neh­men ließ, wur­den aus den be­gü­ter­ten Land­be­sit­zern Dith­mar­schens ge­wählt, und die ent­schei­den­de Stim­me hat­te die u­ni­ver­si­tas ter­rae Dith­mar­siae, die Lan­des­ge­mein­de, die sich in Mel­dorf, der ein­zi­gen Stadt, ver­sam­mel­te. Spä­ter kam Lun­den, als zwei­te Stadt, dazu. Ihre Pfar­rer be­stell­ten die Dith­mar­scher selbst; es galt das ger­ma­ni­sche Ei­gen­kir­chen­recht, nicht in dem Sin­ne, dass die Kir­che ih­rem Stif­ter ge­hör­te, son­dern so, dass die Ge­mein­de die kirch­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten selbst ver­wal­te­te. Das gan­ze Land war in Kirch­spie­le ein­ge­teilt, zu­gleich po­li­ti­sche und kirch­li­che Be­zir­ke; dar­un­ter wa­ren Mel­dorf, Bü­sum, Wes­sel­bu­ren.

Es ist im­mer auf­ge­fal­len, dass im frie­sisch-säch­si­schen Recht, in frie­sisch-säch­si­scher Ei­gen­art, im All­ge­mei­nen in der Frei­heits­lie­be und de­mo­kra­tisch-ari­sto­kra­ti­schen Ge­sin­nung Ähn­lich­keit mit den Schwei­zern be­steht, was sich auch dar­aus er­klä­ren lie­ße, dass, wie be­haup­tet wird, so­wohl Frie­sen und Sach­sen wie Ale­man­nen von den Sue­ven ab­stam­men. In­des­sen die Ver­schie­den­heit ist eben­so groß wie die Ähn­lich­keit, wie denn auch das Er­geb­nis der Frei­heits­kämp­fe am Meer und in den Al­pen ein ver­schie­de­nes war. Die Frei­heits­kämp­fe der Meer­frie­sen und Meer­sach­sen ha­ben et­was von der Wild­heit ei­nes Lö­wen, der sich in sei­nem Reich ge­wal­tig ver­tei­digt; wagt sich ei­ner hin­ein, so zer­malmt ihn die kö­nig­li­che Tat­ze, und die Sei­nen müs­sen froh sein, wenn sie den blu­ti­gen Leich­nam heim­tra­gen dür­fen. Da fie­len Kö­nig Wil­helm von Hol­land und vie­le an­de­re hol­län­di­sche Gra­fen, da fie­len Gra­fen von Ol­den­burg, da fiel Her­zog Ger­hard VI. von Schles­wig-Hol­stein und man­cher an­de­re. Sie foch­ten kaum an­de­re als Ver­tei­di­gungs­schlach­ten und die­se mit nai­ver Groß­ar­tig­keit. Sie hat­ten kei­ne ein­zi­ge be­fes­tig­te Stadt; ihre Wäl­le wa­ren die Sümp­fe und Moo­re, die ihr Ge­biet um­ge­ben, die sie etwa durch Ver­schan­zun­gen noch un­durch­dring­li­cher mach­ten. Sie schütz­ten sich auch per­sön­lich nicht durch Har­ni­sche; die Na­tur ih­res Lan­des und ihre furcht­lo­se Tap­fer­keit, ihr Glau­ben an das Recht ih­rer Frei­heit wa­ren die Mit­tel ih­rer Sie­ge. Die von der Na­tur ge­ge­be­ne Grund­la­ge ih­rer Frei­heit aus­zu­bau­en, sich mit Glei­ches er­stre­ben­den Nach­barn zu ver­stän­di­gen, dazu fehl­te es ih­nen an staats­män­ni­scher Ge­sin­nung. Es war ih­nen wich­ti­ger, un­be­hel­ligt zu blei­ben, als sich in ihre Um­welt ein­zu­glie­dern. Sie wa­ren noch im­mer am liebs­ten al­lein auf ih­rem Hof mit dem wie eine Ad­ler­schwin­ge schir­men­den Dach un­ter al­ten Eschen und Er­len. Vi­el­leicht war es ge­ra­de die Ge­schlech­ter­ver­fas­sung, die den ein­zel­nen fest an sein Ge­schlecht band, einen ein­zel­nen ohne Ge­schlecht über­haupt nicht kann­te, die den Ge­mein­sinn, der zur Staa­ten­bil­dung führt, we­ni­ger auf­kom­men ließ. Nie­mals schlos­sen sie Bünd­nis­se mit den großen Han­dels­städ­ten, die an ih­ren Gren­zen la­gen, Ham­burg, Bre­men, ob­wohl sie ge­mein­sa­me In­ter­es­sen im Kamp­fe ge­gen die­sel­ben Fürs­ten nicht sel­ten ge­habt hät­ten. Die Bre­mer sa­hen in den Frie­sen, nicht durch­aus mit Un­recht, See­räu­ber, die Frie­sen ga­ben ih­nen die Ge­ring­schät­zung zu­rück. Zwei frie­si­sche Brü­der, Did­de und Ge­rolt, soll­ten in Bre­men hin­ge­rich­tet wer­den, weil sie eine Burg hat­ten zer­stö­ren wol­len, mit der die Bre­mer frie­si­sche Nach­barn zu be­herr­schen ge­dach­ten. Nach­dem Did­des Haupt ge­fal­len war, er­griff es Ge­rolt und küss­te den to­ten Mund. Als von die­ser Ge­bär­de ge­rührt die Rats­her­ren ihm das Le­ben schen­ken woll­ten, wenn er ein Mäd­chen aus der Stadt hei­ra­te­te, sag­te Ge­rolt: »Ich bin ein ed­ler frei­er Frie­se und will lie­ber ster­ben, als ei­nes Pel­zers oder Schuh­ma­chers Toch­ter zur Frau neh­men«, und ließ sich den Kopf ab­schla­gen. So er­zählt die Über­lie­fe­rung. Die Dith­mar­scher tra­ten zwar vor­über­ge­hend mit Ham­burg, Bre­men und Lü­ne­burg in Ver­bin­dung, än­der­ten auch mit ih­rem Bei­stand im An­fang des 15. Jahr­hun­derts ihre Ver­fas­sung im Sin­ne ei­ner Stär­kung der Zen­tral­ge­walt, aber eine Ei­nung von Dau­er kam nicht zu­stan­de. Der Stadt Ham­burg nah­men es die Dith­mar­scher, de­ren haupt­säch­li­cher Feind ihr Nach­bar, der Graf von Hol­stein war, sehr übel, dass sie es mit Hol­stein ge­gen Dä­ne­mark hielt. Sie zo­gen die Ver­bin­dung mit Dä­ne­mark im­mer ei­ner sol­chen mit dem ge­hass­ten Hol­stein vor, ha­ben ja auch spä­ter zu Dä­ne­mark ge­hört.

Die Frie­sen hat­ten einen Mit­tel­punkt in der Lan­des­ver­samm­lung am Up­stals­boom in der Nähe von Au­rich, wo die Ab­ge­ord­ne­ten von West- und Ost­fries­land zu­sam­men­ka­men; aber schon im drei­zehn­ten Jahr­hun­dert hör­te das auf. We­gen des feh­len­den Sin­nes für Staa­ten­bil­dung und wohl aus geo­gra­fi­schen Grün­den ist im Mit­tel­al­ter eine nor­di­sche Schweiz nicht ent­stan­den. Un­ver­gäng­lich ist den­noch der Ruhm der großen Frei­heits­schlach­ten, wenn sie auch wie Ko­me­ten, au­ßer­halb der Him­mels­ord­nung, mäch­tig leuch­tend vor­über­gin­gen, der Schlacht bei Ol­den­wöhr­den, der Schlacht an der Ham­me, bei Hem­mings­tedt und man­cher an­de­ren, in de­nen bar­fü­ßi­ge Bau­ern ge­har­nisch­te Rit­ter de­mü­tig­ten.

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