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Der Rheinische Bund

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Man hat die Zeit, die dem Un­ter­gang der Ho­hen­stau­fen folg­te, wäh­rend der aus­län­di­sche Fürs­ten zu Kö­ni­gen ge­wählt wur­den, die Deutsch­land teils gar nicht, teils nur flüch­tig be­tra­ten, das In­ter­reg­num, das Zwi­schen­reich, ge­nannt und pflegt sie als eine Zeit des Nie­der­gangs, des all­ge­mei­nen Ver­der­bens zu be­trach­ten. Wie rich­tig das auch ist, so ist doch kein Nie­der­gang so durch­grei­fend, dass sich nicht Kei­me reg­ten, in de­nen ein herr­li­cher Flor für die Zu­kunft sich vor­be­rei­tet; denn die Ket­te des Le­bens reißt nie­mals ganz ab. Schwä­chun­gen der Zen­tral­ge­walt ha­ben nicht sel­ten den großen Vor­teil, dass das Ein­zel­ne sich kräf­ti­ger rüh­ren kann, dass aus der Tie­fe des Vol­kes schöp­fe­risch em­por­treibt, was der An­re­gung durch die Not be­durf­te, dem die man­geln­de Auf­sicht Raum gibt. Das ist ge­ra­de bei den Deut­schen mit ih­rer Nei­gung zu in­di­vi­du­el­len Bil­dun­gen der Fall, de­ren Reich­tum wohl zu­wei­len das Gan­ze zu über­wu­chern droht, aber doch der Kul­tur zu­gu­te kommt. Zwi­schen der Ver­tre­tung des Gan­zen – der Zen­tral­ge­walt – und dem Ein­zel­nen muss stets ein Kampf und ein Aus­gleich statt­fin­den; dar­in, dass je­des Ein­zel­ne strebt, ein Gan­zes zu wer­den, und dass das Gan­ze je­des Ein­zel­ne ein­schrän­ken muss, ohne es zu ver­ge­wal­ti­gen, dar­in be­ste­hen die schwie­ri­gen Ver­wick­lun­gen des Le­bens, dar­in be­steht aber auch das Le­ben.

Schon wäh­rend der Re­gie­rungs­zeit Fried­richs II., der sel­ten im Lan­de war und eine schwa­che Ver­tre­tung hat­te, ver­fie­len die Städ­te auf das Mit­tel der Ei­nung, um sich der durch den Kö­nig ge­stärk­ten Fürs­ten zu er­weh­ren. Nach­dem die­se ge­setz­lich die vol­le Lan­des­ho­heit er­hal­ten hat­ten, die kö­nig­li­che Ober­ho­heit für ihr Ge­biet so gut wie ganz aus­ge­schal­tet war, trach­te­ten sie da­nach, ihre zer­streu­ten Gü­ter und Rech­te zu ei­ner zu­sam­men­hän­gen­den Lan­des­herr­schaft aus­zu­ge­stal­ten, in­ner­halb wel­cher die un­ab­hän­gi­gen Städ­te sie stör­ten, de­ren Reich­tum oh­ne­hin zur Erobe­rung reiz­te. Von An­fang an stütz­ten die Städ­te ihre Frei­heit auf die Kö­nigs­ge­walt, de­ren Stär­ke ihr In­ter­es­se war. Bei dem fast gänz­li­chen Er­lö­schen der­sel­ben grif­fen sie zur Selbst­hil­fe, um nicht der um sich grei­fen­den Fürs­ten­macht zur Beu­te zu fal­len. Lei­se und un­schein­bar war der Be­ginn ei­ner Ein­rich­tung, die sich be­deu­tend aus­wir­ken soll­te: im Jah­re 1220 ver­bün­de­ten sich die be­nach­bar­ten Städ­te Mainz und Worms, in­dem sie ih­ren Bür­gern ge­gen­sei­tig Rechts­gleich­heit zu­ge­stan­den. Ei­ni­ge Jah­re spä­ter er­klär­te Hein­rich, der Sohn Fried­richs II., den er zum Re­gen­ten Deutsch­lands be­stimmt hat­te, alle Ver­brü­de­run­gen oder Eide, wo­durch sich Mainz, Bin­gen, Worms, Spei­er, Frank­furt, Geln­hau­sen und Fried­berg ver­bun­den hät­ten, für auf­ge­löst und nich­tig. Be­reits also er­reg­te die be­schei­de­ne Kraftent­fal­tung ei­ni­ger Städ­te Är­ger­nis. Im Jah­re 1231 leg­te Hein­rich den ver­sam­mel­ten Fürs­ten die Fra­ge vor, ob Städ­te un­ter­ein­an­der Bünd­nis­se ab­schlie­ßen dürf­ten und er­hielt, wie zu er­war­ten war, eine ver­nei­nen­de Ant­wort. Selbst­ver­ständ­lich wi­der­spra­chen Ver­bin­dun­gen zwi­schen gleich­ar­ti­gen Reichs­glie­dern dem Reichs­recht, denn sie lös­ten eine Grup­pe aus dem Ge­samt­ver­ban­de und ver­la­ger­ten das Gleich­ge­wicht; auch wenn sie nicht aus­drück­lich ge­gen an­de­re ge­rich­tet wa­ren, so be­deu­te­ten sie doch eine Her­aus­for­de­rung oder Ge­fahr. An­de­rer­seits schlos­sen die Fürs­ten nach Be­lie­ben Bünd­nis­se un­ter­ein­an­der und war ihre Über­macht ge­gen­über ein­zel­nen Städ­ten so ent­schie­den, dass die­se auf Ver­brü­de­rung an­ge­wie­sen wa­ren, und Städ­te­bün­de wie durch Na­tur­ge­walt sich im­mer wie­der bil­de­ten. Zwei Jah­re nach dem Tode Kai­ser Fried­richs ver­ban­den sich Köln und Boppard, ein Jahr spä­ter Müns­ter, Dort­mund, Soest und Lipp­stadt. Im To­des­jahr Kon­rads IV., 1254, er­neu­er­ten Mainz und Worms ihr al­tes Schutz- und Trutz­bünd­nis. Der Ge­dan­ke, mög­lichst vie­le Städ­te im Reich zu ei­nem großen Bun­de zu­sam­men­zu­schlie­ßen, ging von Mainz aus, des­sen Blü­te da­mals fast die Kölns über­traf, und die lei­ten­de Per­sön­lich­keit scheint Ar­nold aus dem Ge­schlecht der Wal­po­de ge­we­sen zu sein. Der Name kommt vom Amte des Ge­walt­bo­ten, das die Fa­mi­lie seit dem An­fang des zwölf­ten Jahr­hun­derts be­klei­de­te. Ar­nolds Name ist in den Ur­kun­den, die sich auf den so­ge­nann­ten Rhei­ni­schen Bund be­zie­hen, fast im­mer an ers­ter Stel­le ge­nannt, so­dass man Ur­sa­che hat, in ihm den ei­gent­li­chen Be­grün­der zu se­hen. Sonst weiß man nichts von ihm, als dass er die Do­mi­ni­ka­ner­kir­che grün­de­te, die, nach­dem sie im 15. Jahr­hun­dert zer­stört und wie­der auf­ge­baut war, beim Bom­bar­de­ment von Mainz im Jah­re 1793 ab­brann­te. Aus dem Dun­kel der Ver­gan­gen­heit scheint sein Name wie ein fer­ner Stern, ein Quell des Lichts, zu dem man ver­eh­rend und dank­bar auf­schaut, ohne sein We­sen zu er­ken­nen.

Als Zweck des Bun­des nann­ten die Städ­te die Ab­stel­lung un­ge­rech­ter Zöl­le. Dies war, moch­te auch Stär­kung der städ­ti­schen Macht ge­gen­über der fürst­li­chen haupt­säch­li­cher An­trieb sein, kein Vor­wand. Die Zöl­le wa­ren ein Re­gal, und als recht­mä­ßig gal­ten nur die vom Kö­nig oder mit kö­nig­li­cher Be­wil­li­gung er­rich­te­ten Zoll­stät­ten. Seit ge­rau­mer Zeit er­laub­ten sich Fürs­ten und Her­ren will­kür­li­che Zoll­for­de­run­gen, die ei­ner Art von We­ge­la­ge­rei gleich­ka­men und den Ver­kehr un­er­träg­lich er­schwer­ten. Wäh­rend es am Rhei­ne im 12. Jahr­hun­dert 19 Zoll­stät­ten gab, wa­ren es in der Mit­te des 13. Jahr­hun­derts etwa 35. Auf der Burg Kai­sers­wert, die Bar­ba­ros­sa im Jah­re 1189 als Zoll­stät­te er­bau­te, stand die In­schrift: Hoc de­cus im­pe­rii cae­sar Fri­de­ri­cus adau­xit jus­ti­ti­am sta­bi­lie­re vo­lens et ut ubi­que pax sit. Die Bur­gen, von de­nen aus neu­er­dings die Kauf­leu­te auf Grund will­kür­li­cher Zoll­for­de­run­gen er­ho­ben wur­den, wa­ren kei­ne Zier­de, son­dern eine Schan­de des Rei­ches, dienten nicht der Ord­nung und dem Frie­den, son­dern dem Raub und der Ge­walt. Da die Ge­walt­tat von Fürs­ten und Her­ren aus­ging und sich ge­gen die Städ­te rich­te­te, muss­te es von vorn­her­ein be­denk­lich er­schei­nen, dass Fürs­ten und Her­ren zum Ein­tritt in den Bund ein­ge­la­den wur­den; die Städ­te glaub­ten wohl, ohne die­se Aus­deh­nung auf alle Reichs­glie­der die kai­ser­li­che Be­wil­li­gung nicht zu er­lan­gen. So um­fass­te denn der Bund bald einen großen Teil des Rei­ches, al­ler­dings in der Haupt­sa­che nur den süd­west­li­chen. Von nord­deut­schen Städ­ten tra­ten Müns­ter, Os­na­brück und Bre­men bei, von öst­li­chen Re­gens­burg; die Zu­sa­ge die­ser mäch­ti­gen Do­naustadt wur­de als ein großer Ge­winn be­trach­tet. Die rhei­ni­schen Erz­bi­schö­fe und Bi­schö­fe wur­den alle Mit­glie­der, eben­so die Her­zö­ge und der Pfalz­graf von Bay­ern, die Gra­fen von Kat­ze­neln­bo­gen, Lei­nin­gen, Zie­gen­hayn, die Her­ren von Ho­hen­fels und Fal­ken­stein. Als der neu­ge­wähl­te jun­ge Kö­nig Wil­helm von Hol­land in Mainz und Worms die Hul­di­gung an­nahm, er­klär­te er sich mit dem Bun­de und sei­nen Zie­len ein­ver­stan­den, auf dem Reichs­ta­ge zu Worms im Jah­re 1255 wur­de er an­er­kannt. Es war das ers­te Mal, dass Städ­te auf ei­nem Reichs­ta­ge ver­tre­ten wa­ren.

Trotz sei­ner großen Mit­glie­der­zahl hat der Bund nicht viel, fast gar nichts aus­ge­rich­tet. Dem mit­tel­al­ter­li­chen Un­ab­hän­gig­keits­sinn ent­spre­chend war er nur lose or­ga­ni­siert. Eine Art Zwang zum Bei­tritt konn­te al­ler­dings durch Han­delss­per­re aus­ge­übt wer­den, üb­ri­gens aber fehl­ten Ein­rich­tun­gen, die ein schnel­les und ener­gi­sches Han­deln er­mög­licht hät­ten, es gab we­der eine Bun­des­kas­se noch eine Bun­de­s­ar­mee. Der zeit­ge­nös­si­sche Chro­nist Al­bert von Sta­de sag­te, der Bund habe den Fürs­ten, Rit­tern und Räu­bern nicht ge­fal­len, sie hät­ten ge­sagt, es sei schänd­lich, dass Kauf­leu­te über ad­li­ge Män­ner herrsch­ten. Über den Zweck des Bun­des gin­gen die In­ter­es­sen der ad­li­gen und der städ­ti­schen Mit­glie­der ganz aus­ein­an­der, wenn auch die bei­tre­ten­den Fürs­ten ver­spra­chen, alle un­ge­rech­ten Zöl­le ab­zu­schaf­fen. Dass ei­nem Herrn von Bo­lan­den und ei­nem Herrn von Strah­len­burg bei Schries­heim ihre Bur­gen we­gen un­recht­mä­ßi­ger Zöl­le ge­bro­chen wur­den, recht­fer­tig­te den Auf­wand des Bun­des nicht. Über der Dop­pel­wahl nach dem frü­hen Tode Kö­nig Wil­helms lös­te er sich auf, nach­dem er kaum zwei Jah­re be­stan­den hat­te.

Trotz sei­ner kur­z­en Dau­er und sei­ner ge­rin­gen Leis­tun­gen war der Rhei­ni­sche Bund ein be­deu­tungs­vol­les Er­eig­nis. Mit ei­nem großen Wurf, rich­tung­ge­bend, tra­ten die Städ­te in das kämp­fen­de Ge­wo­ge der Ge­schich­te ein, schein­bar nur ihre wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen ver­tre­tend, tat­säch­lich als eine po­li­ti­sche Macht, die den Fürs­ten eine Schran­ke setz­te. Wäh­rend die Fürs­ten sich auf Kos­ten des Rei­ches ver­grö­ßer­ten, ver­foch­ten die Städ­te den Reichs­ge­dan­ken; um die­se Zeit konn­ten sie mit Recht sa­gen, sie sei­en das Reich. Das mag auch am Kö­nigs­ho­fe emp­fun­den wor­den sein: mi­ra­cu­lo­se et po­ten­ter, wun­der­bar und mäch­tig, so heißt es in ei­ner Ur­kun­de Wil­helms in Be­zug auf den Rhei­ni­schen Bund, sei durch die Nied­ri­gen für Frie­den und Recht ge­sorgt wor­den. Denkt man dar­an, dass im Krei­se die­ser Nied­ri­gen um die­se Zeit die Dome von Frei­burg, Straß­burg und Köln be­gon­nen wur­den, Rie­sen­spu­ren ei­nes Ge­schlech­tes, das sei­ne Kräf­te Un­ter­neh­mun­gen zum Diens­te des Über­ir­di­schen wid­me­te, wird ei­nem klar, wie reich, wie viel­sei­tig das Le­ben des deut­schen Vol­kes in den Städ­ten ström­te. Wie weit der Blick der Grün­der des Bun­des reich­te, be­weist die Tat­sa­che, dass die städ­ti­schen Mit­glie­der eine Ar­men­steu­er zu ent­rich­ten hat­ten, und die fast noch merk­wür­di­ge­re, dass sie auch das In­ter­es­se der Al­ler­nied­rigs­ten, der Bau­ern, in ihre Plä­ne ein­be­zo­gen. Sie for­der­ten, dass die Her­ren von ih­ren Hö­ri­gen nicht mehr als das seit drei­ßig Jah­ren Her­kömm­li­che ver­lang­ten, ja es scheint, dass sie an die Mög­lich­keit des An­schlus­ses von Bau­ern­schaf­ten an den Bund dach­ten. Wäre die­ser Ge­dan­ke ernst­lich ins Auge ge­fasst und wei­ter ver­folgt wor­den, wie an­ders und wie viel har­mo­ni­scher, wenn auch nicht kampf­lo­ser, hät­te sich die Ge­schich­te Deutsch­lands ent­wi­ckeln kön­nen.

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