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Kapitel 16
Оглавление„Pfarrer Brahm ist auf der Polizeistation!“, schrie die junge Frau beinahe hysterisch.
„Beruhigen Sie sich bitte“, versuchte Markus ein paar Worte hineinzubringen, aber Maria ignorierte ihn vollkommen. Sie hielt ihr Handy noch immer in der Hand und das Display zeigte, dass der Anruf noch nicht unterbrochen worden war.
„Was soll ich jetzt tun?“
Markus legte ihre eine Hand auf die Schulter und nahm mit der anderen ihr Handy an sich.
„Hallo?“, klang es aus dem Gerät und Markus hob es an sein Ohr.
„Ja, wir sind noch dran“, antwortete er.
„Sind Sie das, Markus?“, erklang die ihm bekannte Stimme. Die Rezeptionsdame der Polizeistation war am anderen Ende der Leitung. Pfarrer Brahm musste ihn gerade verpasst haben. Er fluchte innerlich, bevor er antwortete:
„Janine! Es sieht so aus als ob ich den guten Herrn Pfarrer gerade verpasst hätte. Ich bin gerade bei seiner Haushälterin, mache mich aber sofort auf den Weg zu Ihnen.“
Die Dame antwortet mit einer zuckersüßen Stimme: „Frau Suttner kann sich wirklich glücklich schätzen, dass sie so einen Beistand erhält.“
Er schielte mit einem Auge auf die immer noch schockierte junge Frau.
„Ich tue, was ich kann. Bis gleich.“, damit beendete er das Telefonat.
„Maria. Setzen Sie ich hin, ich fahre währenddessen zur Polizeistation. Die Leute dort kennen mich, vielleicht kann ich mehr über die Umstände herausfinden. Wenn ich etwas in Erfahrung bringen kann, werde ich mich direkt wieder bei Ihnen melden.“
Die Haushälterin nickte ihm nur zu. In ihrem aktuellen Zustand wäre sie sowieso nicht dazu in der Lage gewesen, ein Auto zu bedienen.
„Ach ja, das Auto!“, entfuhr es ihr.
„Der Pfarrer hat seinen Privatwagen bei der Kirche seines Freundes stehen lassen und ist dann mit meinem Auto heute losgefahren. Wenn es irgendwie geht, bringen Sie mir das Auto bitte wieder zurück. Ich muss morgen einkaufen und …“, ihre Gedanken schweiften ab und sie verstummte. Markus führte sie ins Wohnzimmer und setzte sie auf den Lederstuhl, in dem er zuvor gesessen war.
Die junge Frau war vollends in den Schockzustand übergegangen, was ihm aber entgegenkam. Alleine auf der Polizeistation konnte er mehr herausfinden, als wenn sie ihm die ganze Zeit über die Schulter schauen würde.
Er kniete sich vor sie hin und sprach in einem ruhigen Tonfall:
„Hören sie mich?“, die Augen der jungen Frau rasten weiterhin ruhelos durch das Zimmer.
„Maria? Ich muss jetzt los. Bleiben Sie ruhig sitzen, ich bin bald wieder bei Ihnen.“
Doch als er aufstand, fand er, dass ihre Hand sich an seinem Ärmel festgeklammert hatte.
„Die Dame am Hörer hat mir gesagt, was er getan hat. Bitte, sagen Sie mir, dass das nicht stimmt …“, flüsterte die junge Frau.
„Ich werde schauen, was ich herausfinden kann, mehr kann ich Ihnen leider nicht versprechen.“
Mit diesen Worten löste er sich aus ihrem Griff und ging davon, mit seinem Handy bereits ein Taxi rufend.
Maria hatte keine Zeit ihm noch zu sagen, dass sie jetzt auf der Couch die Form eines Kindes sehen konnte.
Markus stürmte in die Polizeistation und rannte beinahe den Sommersprossigen Jungen um, den er heute mittags schon einmal hier gesehen hatte. Er hatte viele Fragen an den Pfarrer und womöglich nur noch wenig Zeit.
„Herr Markus! Jetzt waren Sie aber schnell!“, tönte es von Janine, die noch immer die Eingangshalle hütete.
„Grüß Gott, Janine“, antwortete er schnell und fügte gleich hinzu: „Ist der Herr Pfarrer noch hier?“
„Natürlich. Er ist in einer der kleinen Zellen, zumindest bis wir alles abgeklärt haben. Morgen werden wir ihm dem Haftrichter vorführen, dann wissen wir Genaueres.
Ich habe die Fotos gesehen, sagen Sie mir, wie kann jemand solche Grausamkeiten vollbringen?“
„Das müssen sie Gott fragen. Ich bin hier um mit dem Herrn Pfarrer zu reden. Es gibt ein paar Sachen, die ich Ihn unbedingt fragen muss.“
Die Frau blinzelte ein wenig erschrocken und antwortete:
„Es tut mir sehr leid, aber ich glaube nicht, dass wir das zulassen können. Der Herr Pfarrer steckt so schon in genug Schwierigkeiten, da wäre es nicht gut, wenn Sie der Polizei in die Arbeit pfuschen.“
Damit hatte Markus nun wirklich nicht gerechnet. Er versuchte es nochmals:
„Kommen Sie schon, Janine. Sie haben meinen Brief heute Mittag schon gelesen. Ich bin im offiziellen Auftrag hier, und der besteht auch darin, mit dem Pfarrer zu reden. Leider darf ich Ihnen keine Details nennen, aber Sebastian Brahm ist ein überaus wichtiges Puzzleteil.
Ich will hier niemandem die Arbeit erschweren, sondern muss dem Herrn Pfarrer ein paar einfache Fragen stellen. Bitte.“
Die Dame stieg von einem Bein auf das Andere, anscheinend hin- und hergerissen.
„Na gut“, sagte sie dann, „aber nur für ein paar Minuten, und nur durch die Türe.“
„Sie wissen gar nicht, wie sehr Sie mir gerade geholfen haben. Ich werde meinen Vorgesetzten davon erzählen, vielleicht finden wir einen Weg, wie wir uns erkenntlich zeigen können.“
Sie errötete und trat hinter dem Tresen hervor.
„Kommen Sie mit, und machen Sie es schnell.“
Die große Uhr am Empfang zeigte nun schon beinahe 17 Uhr, was auch die sehr schwache Polizeipräsenz im Gebäude erklärte. Auf dem Weg zu den Zellen fanden die Beiden nur einen Polizisten vor, der auf die Zellen aufpasste.
Janine wechselte ein paar kurze Worte mit ihm und er widmete sich wieder seiner Zeitung.
„Die letzte Zelle, linke Seite“, sprach sie und machte eine Geste, dass er alleine weitergehen solle.
Der Trakt, wenn man ihn so nennen konnte, war ganz in Weiß gehalten und beinhaltete nur 8 kleine Zellen. Die häufigsten Besucher waren wohl Betrunkene, die ausnüchtern mussten.
Die Türen hier drinnen verströmten auch keinen allzu großen Charme. Sie alle bestanden aus dickem Metall, mit einem Sichtschlitz in Augenhöhe, der von einer Klappe abgedeckt war und einer Klappe, durch die man dem Gefangenen Essen reichen konnte.
Er öffnete den Sichtschutz und schaute in das Innere der Zelle.
Sie schien ungefähr 12 m² groß zu sein, mit einem grauen Linoleum-Boden und sonst weiß gestrichenen Wänden. Eine Pritsche, ein Waschbecken und ein Klo standen dem Gefangenen hier zur Verfügung und der Pfarrer kniete direkt in der Mitte des kleinen Raumes.
Er war mit gefalteten Händen tief in ein Gebet versunken und nur seine Lippen schienen sich unablässig zu bewegen. Im Licht der Leuchtstoffröhre wirkte die Figur alt und gebrechlich, geradezu Mitleiderregend.
„Herr Brahm?“, fragte Markus, aber der Gefangene unterbrach sein Gebet nicht.
Der Assistent versuchte es erneut und wieder bekam er weder Antwort noch ein Zeichen, gehört worden zu sein.
„Ich bin wegen Maria hier“, log er schließlich und endlich wendete die Figur ihm seinen Kopf zu.
„Wer sind Sie? Sie schauen aus, wie ein Anwalt … Verschwinden Sie von hier, ich brauche keine weltliche Unterstützung.“
„Da liegen Sie bei mir aber falsch“, antwortete Markus, „ich bin kein Anwalt, ich bin hier im offiziellen Auftrag des Vatikans, Pfarrer Brahm.“
Die Augen des Mannes weiteten sich. Er war mit einem Satz auf den Beinen und direkt bei der Türe.
„Hat Gott meine Gebete erhört?“, fragte der Mann.
„Wenn Sie von Gott sprechen, dann kann ich ihnen keine Antwort geben. Ich bin auf jeden Fall nicht hierhergekommen, um sie aus Ihrer Zelle zu holen.“
Der Mann sank sichtlich in sich zusammen.
„Erzählen Sie mir, was genau mit Ihnen passiert ist“, forderte Markus den alten Mann auf, „Sie sind nicht der einzige, der in Gefahr schwebt.“
„Also gibt es doch mehrere? Pfarrer Stolz hat mir auch sowas gesagt …
ich war heute Morgen in der Kirche meines alten Freundes, Pfarrer Steiner. Er hat die Nachbargemeinde geleitet. Die Polizei war bereits dort. Als ich dann aus dem Gang ins Kirchenschiff gegangen bin, habe ich auch zum ersten Mal diesen Geist, Dämon oder was auch immer er ist, in einem Spiegel gesehen. Dann haben die Stimmen angefangen, mit mir zu reden. Sie haben mir gesagt, dass ich der Nächste bin und heute Abend sterben werde. Ich dachte zuerst, dass ich mir das Alles nur einbilde, weil nur ich die Stimmen hören konnte, aber es wirkte zu real.
Danach bin ich zu einer Hellseherin gefahren …“
„Hellseherin?“, unterbracht ihn Markus, ungläubig.
„Ja, Hellseherin. Was soll ich dazu sagen? Ich dachte, sie kann mir vielleicht weiterhelfen. Sie hat sich dann aber als Scharlatan herausgestellt, hat mir gesagt, sie hätte alle Geister beruhigt und ich müsste mir keine Sorgen mehr machen. Auf meinem Weg hinaus ist dann einer der Geister in ihr Kind gefahren. Er hat mir prophezeit, dass ich nicht mehr lange leben werde.
Die Mutter ist natürlich ausgeflippt und ich bin davongelaufen. Mir ist dann auch klar geworden, dass Hellseher und Geisterbeschwörer mir nicht helfen können, und so habe ich mich auf die Suche nach einem Pfarrer begeben, bei dem ich die Beichte ablegen kann.“
„Wie hieß der Pfarrer?“, fragte der Mann vor der Zelle.
„Pfarrer Stolz. Er hat mir die Beichte auch abgenommen und mir auferlegt, mich der Polizei zu stellen. Seitdem bin ich hier am Beten, und die Stimmen lassen mich in Ruhe“, bei diesen letzten Worten erschien ein gequältes Lächeln auf dem Gesicht des Pfarrers.
Markus vollendete seine Notizen aber steckte das kleine Buch noch nicht wieder in die Jackentasche.
„Können Sie sich sonst noch an irgendetwas erinnern? Wie schauen die Geister aus? Was genau haben sie gesagt?“
Der Pfarrer legte seine Stirn in Falten und schien sich zu konzentrieren.
„Wirklich gesehen habe ich nur den ersten, in der Kirche. Ansonsten schauen sie aus wie Schatten und Rauch. Als ob man ein Bild zu lange belichtet hätte. Sie wohnen in der Dunkelheit.“
„Wie können sie sicher sein, dass es mehr als einen Geist gibt?“
Wieder überlegte der Mann in der Zelle.
„In der Kirche haben viele auf mich eingeredet …
Schänder, schuldig, Mörder! Das haben sie immer wieder zu mir gesagt … und der Geist, der mich bei der Hellseherin bedroht hat kannte mich von früher.“
Markus stutzte.
„Wie meinen Sie das?“, fragte er.
„Er hat mir etwas gesagt, was nur ich und jene Kinder mit denen ich Umgang hatte, wissen konnten. Vielleicht ist das die Strafe Gottes, für Leute wie mich.“
Durch das dicke Glas konnte Markus sehen, wie sich Tränen in den Augen des Priesters sammelten.
„Glauben Sie, dass Sie die Nacht hier drinnen überleben?“
Markus lief ein kalter Schauer den Rücken herunter, als er die Worte aussprach und das Gesicht des Pfarrers sackte zusammen.
„Wenn Gott mir vergeben kann“, kam die resignierte Antwort.
„Ich war heute schon bei ihrem Haus. Sie sind Maria wohl schon sehr ans Herz gewachsen. Gibt es irgendwas, was ich ihr ausrichten soll?“
Der alte Mann schüttelte den Kopf, sprach dann aber:
„Sie soll den Umschlag nicht vergessen. Und richten sie ihr aus, dass es mir Leid tut.“
Mit diesen Worten drehte sich der alte Mann um und nahm seinen angestammten Platz am Boden ein, um weiter zu beten.
Markus ging den Gang zurück zu Janine und dankte ihr nochmals. Als sie wieder in der Eingangshalle waren, überreichte sie im einen kleinen Stapel Dokumente und bat ihm, diese mitzunehmen und die Haushälterin zu fragen, wer der Anwalt des Pfarrers war.
Das alles interessierte Markus nicht im Geringsten. Wenn der alte Mann tatsächlich die Nacht überstehen sollte, was er aber für unwahrscheinlich hielt, würde er Kirby fragen, ein paar Nachforschungen über den Pfarrer anzustellen. Die Dokumente konnte er währenddessen der Haushälterin aushändigen.
Die Worte „Schuldig“, „Schänder“ und „Mörder“ schienen in seinem Gehirn ihre Kreise zu ziehen. Er konnte sich dunkel daran erinnern, sie in letzter Zeit gehört zu haben.
Als seine Hand schon auf der Türklinke lag, erinnerte er sich noch einmal an die letzten Worte Marias.
„Janine! Der Pfarrer ist heute mit einem Auto hierhergekommen. Gibt es irgendeine Möglichkeit, dass ich es wieder mitnehmen kann?“
„Leider nicht, Herr Markus. Die Schlüssel sind in Gewahrsam und das Auto wird wohl noch untersucht werden.“
„Ja, sowas dachte ich mir auch schon“, gab er ruhig zurück und ging aus dem Gebäude.
Es war nun schon beinahe 6 Uhr. Pfarrer Brahm hatte, wenn es schlecht lief, nur noch ein bis zwei Stunden Zeit.
Markus zog sein Handy und wollte schon Davids Nummer wählen, bevor ihm wieder einfiel, dass sein Freund in einem Koma lag.
Kirby hatte wohl schon lange sein Büro verlassen, was bedeutete, dass er erst am nächsten Morgen wieder erreichbar sein würde.
Er fluchte innerlich, nicht sicher, was er als Nächstes tun sollte und, als ob ihn jemand erhört hätte, läutete sein Handy in seiner Hand. Davids Nummer erschien am Display.
Markus nahm den Anruf an.