Читать книгу Sünder - Robert Klotz - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеUm knapp nach zehn Uhr erreichte er endlich seinen Endbahnhof und verließ schweigend und betrübt den Zug. Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, David sofort anzurufen, hatte sich aber dann dazu entschieden zumindest bis zur Mittagspause zu warten.
Wenn das Ganze nur ein weiterer seiner paranoiden Albträume war, wollte er nicht seinen Freund auch noch damit in Schwierigkeiten bringen.
Markus schnappte sich ein Taxi und wies die Fahrerin an, direkt zur Kirche des Dorfes zu fahren, die Konversationsversuche der jungen Frau ließ er dabei jedoch eiskalt abblitzen.
Der Traum ließ ihn immer noch nicht los und er war sich klar, dass das auch eine Zeit lang so bleiben würde. Etwas in ihm drängte ihn immer noch dazu, das Handy in die Hand zu nehmen, um Davids Stimme nochmals zu hören, aber er kämpfte weiter dagegen an.
Wenn er jetzt anrief und nur die Mobilbox erreichte, würde er sofort kehrt machen und zurückfahren, der Auftrag wäre ihm dann vollkommen egal.
Noch während er sich weiter in Gedanken selbst als Feigling titulierte, weil er es anscheinend nicht einmal ein paar Stunden lang aushielt, ohne die Stimme seines Freundes zu hören hielt das Taxi vor der Kirche. Ein paar fremde Autos standen noch auf dem Parkplatz, sonst schien aber noch alles beim Alten zu sein.
Er zahlte die Fahrtkosten und überquerte die letzten Meter langsam schlendernd, um die spät morgendliche Sonne so lange wie möglich zu genießen.
Erst einmal in seinem Leben hatte er eine echte Leiche gesehen, und das war bei einer Beerdigung, die mit einem offenen Sarg stattgefunden hatte. Was auch immer ihn dort drinnen erwartete, es würde mit Sicherheit keinen so klinischen Anblick abgeben.
Gelbes Absperrband war über die Pforte gespannt worden und ein gelangweilt aussehender Polizist schob Wache. Markus marschierte schnurstracks auf ihn zu.
„Morgen!“, grüßte er möglichst fröhlich und der Polizist machte einen Schritt auf ihn zu.
„Journalisten haben hier keinen Zutritt“, erwiderte sein Gegenüber nur knapp.
„Das trifft sich ausgezeichnet, guter Mann, ich bin nämlich in offizieller Mission vom Vatikan hier. Wie sie sicher wissen ist der Zutritt laut dem Konkordat von 1933“, weiter kam er nicht, da ihm der Uniformierte ins Wort fiel:
„Ja, ja. Ist schon in Ordnung. Sie sind jetzt der zweite Pfaffe der hier ungefragt rein will. Den letzten musste man fast heraustragen, so schlimm hat es ihm zugesetzt. Gehen Sie schon rein, aber erwarten sie nicht, dass ich dabei helfe, Sie zu beruhigen!“
Markus spielte mit dem Gedanken, ihn bezüglich des Ausdrucks „Pfaffe“ zu korrigieren, entschloss sich dann aber dagegen. Stattdessen verstaute er das Schriftstück mit offiziellem Stempel wieder in seiner alten Aktentasche und ging hastig an dem sichtlich gereizten Polizisten vorbei in die Kirche. Die Nachricht über einen anderen Geistlichen, der hier herum geschnuppert hatte interessierte ihn sehr. Eigentlich sollte er der erste sein, der außerhalb der Polizei von diesem Unglück erfuhr.
Im Eingangsbereich gab es zahllose, schmutzige Fußabdrücke aber keine Menschenseele war mehr im großen Saal ersichtlich. Das einzige Anzeichen, dass er nicht alleine hier drinnen war, waren gedrückte Stimmen, die aus dem hinteren Teil der Kirche zu kommen schienen.
Der weite Raum ließ die leisen Stimmen irgendwie gespenstisch wirken und das schwache Licht trug den Rest zu dieser unheimlichen Atmosphäre bei. Markus strich über das alte Holz der Kirchenbänke und bekreuzigte sich, als er sich dem Altar näherte bevor er sich der kleinen Türe im hinteren Teil des Kirchenschiffs näherte. Einen Moment lang blieb er stehen und lauschte am vergleichsweise neuen Holz, bevor er höflich anklopfte und eintrat.
Drei Augenpaare waren sofort auf ihn gerichtet, zwei Männer und eine Frau standen in dem Gang und starrten ihn an. Alle drei waren in weiß gekleidet und waren vorher in eine hitzige Diskussion verwickelt gewesen. Die Frau im speziellen schien ihn äußerst kritisch zu begutachten.
Der rothaarige Neuankömmling setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und sagte:
„Ich bin in offizieller Funktion vom Vatikan hierher geschickt worden. Wenn sie meine Papiere sehen wollen, kann ich sie ihnen gerne zeigen.“
Die zwei Männer drehten sich um und beschäftigten sich wieder mit einem roten Fleck an der Wand, während die Frau auf ihn zukam. Sie baute sich mit überkreuzten Armen zu ihren vollen 1.65 Metern vor ihm auf und sagte, mit einem leicht nördlichen Akzent:
„Einer von Ihren Männern war heute Früh schon hier und hätte uns fast den Tatort zerstört.“
„Das tut mir aufrichtig Leid, wenn sie mir seinen Namen nennen, werde ich persönlich dafür Sorge tragen, dass er angemessen diszipliniert wird. Mein Name ist übrigens Markus, wer sind Sie?“
„Die arme Sau, die seit viertel vor acht Uhr hier ist um alle Spuren zu sichern.“
„Können Sie mir irgendetwas erzählen?“
„Nein.“
„Schauen Sie, ich wäre nicht hier, wenn die Angelegenheit nicht so dringlich wäre“, versuchte er es auf die beschwichtigende Art.
„Wenn Sie vom Vatikan hierher beordert wurden, wie kann es dann sein, dass sie nach nicht einmal drei Stunden schon in der Kirche stehen?“, kam die Frage, die Markus gerade wirklich nicht hören wollte.
Er musste einen kurzen Moment überlegen, entschied sich dann aber doch für die Wahrheit:
„In Deutschland alleine war dies der 38. solche Fall, der in den letzten Tagen vorgekommen ist.“
Zum ersten Mal zeigte die junge Frau eine Reaktion. Ihre Augen weiteten sich bevor sie sich einen Schritt zurückzog.
„Ist das ihr Ernst? Warum gibt’s dann noch keinen offiziellen Aufschrei in den Nachrichten?“
„Die Kirche hat Mittel und Wege, solche Nachrichten von den Zeitungen fernzuhalten … Lassen sie mich raten: der Priester wurde brutal zu Tode geprügelt und irgendwelche Teile von ihm fehlen.“
„Ja, damit liegen Sie schon richtig. Ich bin zwar nicht für die Obduktion zuständig, konnte den Leichnam aber ansehen. Wer auch immer das war, muss einen riesen Hass auf euch Geistliche haben. Ein Auge hat gefehlt, die Zunge hat man ihm herausgerissen und es schaut so aus, als ob der alte Mann wie eine Puppe durch die Gegend geschleudert wurde.“
„Habe Sie irgendwelche Fotos, die Sie mir schicken könnten?“, fragte er nach, aber diesmal schüttelte sie, zu seiner Erleichterung, den Kopf.
„Das würde nun wirklich zu weit gehen.“
„Ist schon in Ordnung. Glauben Sie mir, ich bin nicht gerade darauf erpicht, sowas zu sehen. Jetzt habe ich nur noch eine kurze Frage bezüglich des Priesters, der vor mir schon hier war: Was genau hat sich da zugetragen? Hat er Ihnen seinen Namen gegeben?“
„Nein. Der alte Kauz ist wie aus heiterem Himmel hier aufgetaucht und hat versucht der Leiche die Augenlieder zu schließen, als ich ihn sah. Zwei Polizisten haben ihn dann hinausgetragen, mehr weiß ich leider auch nicht. Den Namen habe ich nie erfahren, nur, dass er ein Freund des Verstorbenen war.
Wenn sie mich fragen, sitzt er wahrscheinlich bereits in einer Anstalt, aber sie können gerne den verantwortlichen Polizisten fragen, sein Name ist Mike … ähm … Michael Dorn.“
Markus notierte sich den Namen sorgfältig auf einem frischen Blockzettel und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als die Frau ihn zurückhielt.
„Ich habe Ihnen bereits viel mehr gesagt als ich es eigentlich tun sollte, also will ich ihr Ehrenwort, dass sie sich um das Kümmern werden, was ich Ihnen als Nächstes zeige:
Der Mann den Sie suchen hat ein Foto von einer alten Polaroid Kamera verloren, als er zurücktaumelte. Ich hab es eingesteckt ohne genauer hinzuschauen und wollte es eigentlich der Polizei weitergeben, aber ich hoffe, dass es bei Ihnen besser aufgehoben ist“, dabei steckte sie ihre Hand in ihre Tasche und hob ein Bild hoch.
Zwei Männer standen vor einer Pritsche und grinsten in die Kamera. Der linke hatte eine grüne, große Flasche in der Hand, die zweifelsfrei als Whiskey zu identifizieren war. Der Andere rauchte eine Zigarette und schien die beste Zeit seines Lebens zu haben. Im ersten Moment konnte Markus nichts Verwerfliches daran erkennen, Alkohol und Zigaretten waren in der katholischen Kirche keine Sünde. Dann aber fiel sein Blick auf den Teil des Fotos, der zwischen den beiden grinsenden Männern lag. Auf der Pritsche lag ein Kind, ein Mädchen, vom Aussehen her nicht älter als 8 oder 9 Jahre alt. Sie war vollkommen nackt und starrte ins Leere.
Markus zog seine Hand zurück und sprach in einem leisen Tonfall:
„Ich bin zur Verschwiegenheit in solchen Fällen verpflichtet, also müsste ich es an meinen Vorgesetzten weitergeben, wenn ich es bekomme. Stecken Sie es wieder ein und geben Sie das Foto einem Polizisten.“
Mit geballten Fäusten drehte er sich um und ging aus der Kirche hinaus.
„Vielleicht“, dachte er sich, „gab es wirklich Menschen, die diese Art von Tod verdienten.“
Was auch immer der Fall war, sein nächster Weg würde ihn direkt zur Polizeistation im Dorf führen. Hoffentlich konnte ihm dieser Michael Dorn mehr erzählen.