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DIALOG IM BUCH
ОглавлениеStorys, die auf Bühne, Leinwand oder Bildschirm dargestellt werden, bewegen sich in den physischen Medien Luft und Licht und gelangen über die Sinne – Hören und Sehen – schließlich in den Geist. Storys, die in Prosa dargestellt werden, bewegen sich im mentalen Medium der Sprache, um in der Fantasie ihrer Leser zum Leben zu erwachen. Und da die Fantasie sehr viel komplexer, facettenreicher und vielschichtiger ist als die Sinne, hat die Literatur auch vielfältigere und flexiblere Dialogtechniken zu bieten als Theater, Fernsehen oder Kino.
Storys in Prosa können entweder von einer Figur aus der Handlung heraus erzählt werden oder aber von einer Erzählinstanz, die außerhalb der Story steht. Diese schlichte Unterteilung wird allerdings durch die drei POVs (Point of View) verkompliziert, die in der Literatur zur Auswahl stehen: Ich-Erzählung, Du-Erzählung, Erzählung in der 3. Person.
Ich-Erzählung: In einer Ich-Erzählung berichtet eine Figur, die selbst Gegenstand der Geschichte ist, dem Leser in der »Ich«-Form von Ereignissen, an die sie sich erinnert. Sie kann diese Ereignisse beschreiben oder sie dramatisch als Abfolge von Szenen präsentieren, in denen sie direkte Gespräche mit anderen Figuren führt. Sie kann sich aber auch nach innen wenden und mit sich selbst reden. Ist das der Fall, so folgen ihr die Leser dorthin und belauschen sozusagen ihr Selbstgespräch.
Ich-Erzähler sind immer auch als Figuren an der Story beteiligt und daher unzuverlässige Zeugen des Lebens, das um sie herum stattfindet, sie können das Geschehen nicht in seiner Gesamtheit überblicken und sind häufig alles andere als objektiv, weil sie ihre unausgesprochenen oder unbewussten Wünsche verfolgen. Aus diesem Grund kann die Glaubwürdigkeit von Ich-Erzählern ein breites Spektrum von ehrlich bis trügerisch abdecken.
Zudem sind Ich-Erzähler häufig sehr viel mehr auf sich selbst konzentriert als auf andere, so dass ihre inneren Aktionen, ihre Selbstbeobachtungen und Grübeleien die Buchseiten dominieren. Auf das Innenleben anderer Figuren lässt sich folglich nur aus den Vermutungen des Ich-Erzählers schließen oder aus Andeutungen, die sich den Lesern zwischen den Zeilen offenbaren.
Ein allwissender Ich-Erzähler mit übermenschlicher Einsicht in die Gedanken und Gefühle anderer Figuren kommt nur höchst selten zum Einsatz. So viel Dünkel erfordert eine außergewöhnliche Begründung. So ist in Alice Sebolds Roman In meinem Himmel die Ich-Erzählerin der Geist eines ermordeten Mädchens, das aus seiner jenseitigen Perspektive auf die Welt hinuntersieht und in die Herzen seiner Angehörigen blicken kann, die mit dem Verlust zu kämpfen haben.
Ich-Erzähler können selbst die Protagonisten der Story sein (wie Tony Webster in Julian Barnes’ Vom Ende einer Geschichte), sie können Vertraute der Protagonisten sein (wie Dr. Watson für Sherlock Holmes), sie können jedoch auch eine Gruppe sein, die in der ersten Person Plural spricht (Die Selbstmord-Schwestern von Jeffrey Eugenides), oder aber distanzierte Beobachter (so wie der namenlose Erzähler in Joseph Conrads Herz der Finsternis).
Erzählung in der 3. Person: Bei einer Erzählung in der 3. Person führt eine Erzählinstanz die Leser durch die Ereignisse. Oft verfügt diese Instanz über einen tiefen Einblick in die Gedanken und Gefühle sämtlicher Figuren. Obwohl das erzählende Bewusstsein selbst keine Figur ist, kann es doch mit starken moralischen oder anderweitigen Ansichten über die fiktive Welt und deren Gesellschaft aufwarten. Trotzdem wahrt es traditionell den Abstand, indem es von den Figuren als »er«, »sie« und »sie« im Plural spricht.
Da es sich bei dieser Erzählinstanz in der 3. Person nicht um eine Figur handelt, ist ihr Bericht kein Dialog. Es handelt sich aber auch nicht um die niedergeschriebene Stimme der Autorin oder des Autors. Niemand, nicht einmal der wortgewandteste Talkshow-Gast, geht mit der Stimme einer Erzählinstanz in der 3. Person durchs Leben.
Eine solche Nicht-Figur kann mitfühlender oder weniger mitfühlend sein als ihr Verfasser, politischer oder unpolitischer, aufmerksamer oder weniger aufmerksam, moralischer oder unmoralischer. In jedem Fall erfinden Prosaautoren auch für ihre Erzählinstanz eine linguistische Form, so, wie sie jeder ihrer Figuren eine Stimme geben, denn sie wissen, dass die Leser diese Erzählinstanz als wesens- und dialogfreie erzählerische Konvention akzeptieren, so wie sich auch das Publikum in Film und Fernsehen bzw. im Theater bereitwillig den Erzählerfiguren am Bühnenrand oder aus dem Off überlässt.
Die Sprache, die eine solche Instanz verwendet, kann zutiefst ausdrucksvoll sein, und es ist durchaus möglich, dass die Leser ihr im Geiste lauschen, als wäre sie eine konkrete Stimme. Das ist sie aber nicht. Nur Figuren haben echte Stimmen. Was wir als »Stimme« dieser Erzählinstanz bezeichnen, ist schlicht und einfach der literarische Stil eines Autors oder einer Autorin. Deswegen empfinden Leser auch weder Empathie für diese Stimme noch Neugier auf das Schicksal des dahinterstehenden Bewusstseins.
Durch Konventionen, die noch älter sind als Homer, wissen die Leser, dass ein Autor oder eine Autorin diese Nicht-Figur einzig zu dem Zweck erschaffen hat, die Handlung in eine Sprache zu kleiden, der die Leserschaft folgen kann. Würde die Instanz hingegen plötzlich als »Ich« von sich sprechen, dann würde aus der Nicht-Figur eine echte Figur und aus der Handlung eine Ich-Erzählung.
Das Wissensspektrum einer Erzählinstanz reicht von allwissend bis hin zu eingeschränkt, ihr Urteilsvermögen von moralisch neutral bis hin zu kritisch; sie kann im Geist ihrer Leser ganz offensichtlich oder versteckter präsent sein, ihre Glaubwürdigkeit bewegt sich zwischen ehrlich und trügerisch (Letzteres allerdings nur sehr selten). Im Spiel mit diesen Dimensionen können Prosaautoren ihre Erzählinstanz mit verschiedenen Abstufungen der Objektivität bzw. Subjektivität ausstatten, von ironisch-distanziert bis zu tiefgreifend beteiligt.
Die objektive Erzählinstanz (die wir auch als verborgene oder neutrale Erzählinstanz bezeichnen könnten) zeigt mehr als sie sagt. Sie beobachtet, analysiert aber nicht. Wie ein Zuschauer im Theater des Lebens lehnt dieses erzählende Bewusstsein sich gemütlich zurück, dringt nie in die inneren Bereiche vor, beschreibt weder die Gedanken noch die Gefühle der Figuren. Berühmte Beispiele dafür sind Ernest Hemingways Kurzgeschichten, unter anderem Hügel wie weiße Elefanten und Schnee auf dem Kilimandscharo. Mitte des 20. Jahrhunderts führte der französische Nouveau Roman die Technik in Werken wie Die Jalousie von Alain Robbe-Grillet bis an ihre äußersten Grenzen.
Die subjektive Erzählinstanz dringt bis ins Innenleben vor und kann auch zwischen den Gedanken und Gefühlen mehrerer Figuren hin und her wechseln. Häufig beschränken sich Autoren allerdings auf das Innenleben des Protagonisten oder der Protagonistin der jeweiligen Erzählung. Mitunter weist diese Instanz gewisse Ähnlichkeiten mit der Ich-Erzählung auf, wahrt aber den Abstand durch Verwendung der Personalpronomen »er« und »sie« statt »ich«.
In George R. R. Martins Lied von Eis und Feuer-Reihe nimmt beispielsweise jedes Kapitel einen anderen Handlungsstrang auf und beschränkt sich dabei auf den POV des jeweiligen Protagonisten.
Im 20. Jahrhundert wurde die Technik des subjektiven Erzählens, sowohl in der begrenzten (personalen) als auch in der allwissenden (auktorialen) Variante, zur beliebtesten Erzählperspektive in der Prosa. Eine subjektive Erzählinstanz kann durchaus eine gewisse Persönlichkeit und Meinungen aufweisen, die sie offen vertritt (vgl. den unten zitierten Abschnitt aus Die Korrekturen), aber wie spielerisch oder sarkastisch, wie vertraut oder persönlich sie auch erscheinen mag, die Stimme ist immer die Schöpfung einer Autorin oder eines Autors, eine bestimmte Dimension ihrer selbst, die sie sich ausgedacht haben, um die Story von einem Standort jenseits der Ereignisse zu vermitteln.
Unter Umständen kann ein Autor sich auch entscheiden, seine Erzählinstanz den Vertrauenspakt brechen zu lassen, den viele Jahrhunderte Lyrik und Prosa zwischen Autoren und ihren Lesern geknüpft haben. In seltenen Fällen haben Autoren diese Stimme mit figurenartigen Zügen wie Verwirrtheit und Hinterhältigkeit ausgestattet. Doch auch hier gilt: So manipulativ, unzuverlässig oder unsicher eine auktoriale oder personale Erzählinstanz geraten mag, ihre Sprache ist kein Dialog. Es ist der Autor, der hinter einer Maske spricht. Erzählungen in der 3. Person erfordern ganz eigene Strategien und Techniken, die den Rahmen dieses Buches sprengen würden.
Du-Erzählung: Hinter der Du-Erzählung verbirgt sich entweder ein Ich-Erzähler oder eine auktoriale oder personale Erzählinstanz. Bei dieser Erzählperspektive beseitigt die erzählende Stimme sowohl das Pronomen »ich« als auch die Pronomen »er/sie/sie (Plural)« und spricht stattdessen jemanden mit »du« an. Es kann sich bei diesem »Du« auch um den Protagonisten oder die Protagonistin selbst handeln. Wenn sich beispielsweise jemand in Gedanken mit »Du Idiot!« beschimpft, kritisiert ein Teil seines Ichs einen anderen. Die Stimme einer Du-Erzählung kann also analytisch, ermutigend oder nostalgisch sich selbst gegenüber sein (Paris-Rom oder Die Modifikation von Michel Butor). Manchmal ist das »Du« aber auch eine schweigende, namenlose andere Figur, die die Erzählung in einen einseitigen dramatischen Dialog verwandelt (A Song of Stone von Iain Banks). Oder – die dritte Möglichkeit – das »Du« ist der Leser, die Leserin. In Jay McInerneys Roman Ein starker Abgang führt ein schwer fassbares Bewusstsein den Leser im Präsens durch die Handlung, bis er das Gefühl hat, die Ereignisse selbst zu durchleben:
Du weißt nicht genau, wo du hinläufst. Du hast das Gefühl, dir fehlt die Kraft, um nach Hause zu gehen. Du gehst schneller. Wenn das Sonnenlicht dich noch auf der Straße zu fassen kriegt, wird eine schreckliche chemische Reaktion in dir ablaufen.
Nach ein paar Minuten bemerkst du das Blut an deinen Fingern. Du hältst dir die Hand vors Gesicht. Auch auf deinem Hemd ist Blut. Du findest ein Papiertaschentuch in der Jackentasche und hältst es dir unter die Nase. Mit in den Nacken gelegtem Kopf gehst du weiter.7
Würde man diesen Absatz im Präteritum neu schreiben und das »Du« durch »ich« ersetzen, hätte man eine ganz konventionelle Ich-Erzählung; ersetzte man das »Du« durch »er«, käme ein konventioneller, auktorial oder personal erzählter Roman dabei heraus. Die Gegenwartsform in der 2. Person macht die Erzählung zu einem Zwitterwesen aus beidem und schafft eine filmartige Atmosphäre, die an subjektive Kameraführung erinnert.
Um diesen komplexen Sachverhalt noch etwas klarer zu machen, wollen wir die Prosakonventionen mit ihren Entsprechungen auf Bühne, Leinwand und Bildschirm vergleichen.