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Zeigen vs. Sagen

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Der Grundsatz »Zeigen, nicht sagen« (»Show, don’t tell«) warnt vor Dialogen, die dynamische Darstellung durch passive Erklärungen ersetzen wollen. Zeigen heißt, eine Szene in einem authentischen Setting zu präsentieren, sie mit glaubhaften Figuren auszustatten, die nach der Erfüllung ihres jeweiligen Wunsches streben, aus dem Moment heraus wahrhaftige Aktionen durchführen und dabei glaubwürdige Dialoge sprechen. Sagen bedeutet, die Figuren dazu zu zwingen, ihr Vorhaben zu unterbrechen und stattdessen ausführlich über ihre Lebensgeschichte, ihre Gedanken und Gefühle oder ihre aktuellen und früheren Vorlieben und Abneigungen zu berichten, obwohl es keinerlei szenen- oder figurenimmanenten Grund dafür gibt. Storys sind Metaphern für das Leben und keine Abhandlungen über Psychologie, Umweltkrisen, soziale Ungerechtigkeit oder andere Themen, die mit dem Leben der Figuren nichts zu tun haben.

Viel zu oft befriedigen derartige Vorträge nur das äußerliche Bedürfnis von Autoren, den gebannten Lesern/Zuschauern ihre Meinung einzuflüstern, und nicht das der Figur immanente Bedürfnis nach Aktion. Schlimmer noch: Sagen beseitigt jeden Subtext. Während die Figur ihre Wünsche verfolgt und dabei mit Gegenwind zu kämpfen hat, laden ihre verbalen Reaktionen und Taktiken Leser und Zuschauer dazu ein, ihre unausgesprochenen Gedanken und Gefühle zu ergründen. Wenn Autoren ihren Figuren allerdings zwanghaft unmotivierte Expositionen in den Mund legen, verstellen diese undurchdringlichen Sätze dem Story-Rezipienten jeden Zugang zum Innenleben des oder der Sprechenden. Und je mehr die Figur zum Sprachrohr der Ideen ihres Autors verflacht, desto mehr schwindet das Interesse.

Schließlich bringt Zeigen auch die innere Beteiligung und das Tempo voran, während Sagen die Neugier dämpft und das Tempo verlangsamt. Zeigen behandelt Leser und Zuschauer wie Erwachsene, es bittet sie in die Story hinein, ermuntert sie, ihre Gefühlswelt der Vision des Autors oder der Autorin zu öffnen, ins Herz der Dinge zu blicken und dann weiter auf künftige Ereignisse. Sagen behandelt sie wie Kinder, die von einem Elternteil auf den Schoß genommen werden und das Offensichtliche erklärt bekommen.

Die folgende Äußerung beispielsweise ist reines Sagen. Während Harry und Charlie die Tür zu ihrer gemeinsamen Reinigung aufschließen, sagt Charlie:

Ach, Harry, wie lange kennen wir uns jetzt schon? Zwanzig Jahre bestimmt, vielleicht sogar noch länger, seit wir zusammen zur Schule gegangen sind. Eine ganz schön lange Zeit, was, mein alter Freund? Und wie geht es dir heute, an diesem schönen Morgen?

Dieser Dialogbeitrag hat keinen anderen Zweck, als den Lesern/Zuschauern zu vermitteln, dass Charlie und Harry seit über zwanzig Jahren befreundet und zusammen zur Schule gegangen sind, und dass der Tag gerade angefangen hat.

Die folgende Äußerung dagegen zeigt:

Charlie schließt die Tür zur Reinigung auf, Harry lehnt unrasiert und im T-Shirt am Türstock, zieht an einem Joint und kichert haltlos. Charlie mustert ihn kopfschüttelnd.

CHARLIE: Verdammt, Harry, wann wirst du endlich erwachsen?

Schau dich doch nur mal an, mit deinen bescheuerten Batik-T-Shirts. Du bist immer noch derselbe unreife Quatschkopf wie vor zwanzig Jahren in der Schule und hast dich kein bisschen verändert. Reiß dich endlich am Riemen, Harry. Riechst du die Scheiße nicht, in der du steckst?

Die Fantasie der Leser bzw. die Blicke der Zuschauer wandern zu Harry, um seine Reaktion auf diese Beleidigung nicht zu verpassen, und dabei haben sie praktisch unbemerkt die Worte »zwanzig Jahre« und »Schule« mitgenommen.

Alle unerlässlichen fiktiven Fakten müssen irgendwann ihren Weg in die Story finden, getimt auf den wirkungsvollsten Moment und so aufgeladen, dass sie eine entscheidende Einsicht vermitteln. Aber diese Details und die von ihnen hervorgerufenen Wahrnehmungen müssen ins Bewusstsein der Leser/Zuschauer gelangen, ohne sie vom Fluss der Ereignisse abzulenken. Ein Autor muss die Aufmerksamkeit seiner Leser/ Zuschauer also in die eine Richtung lenken und dabei aus einer ganz anderen Richtung Fakten einschmuggeln.

Dieser Taschenspielertrick erfordert eine der beiden folgenden Techniken, vielleicht auch beide: Narrativer Drive und Exposition als Munition. Ersterer Kunstgriff setzt bei der intellektuellen Neugier an, letzterer bei der emotionalen Empathie.

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