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DAS UNGESAGTE
ОглавлениеIm Inneren einer Figur kreist noch eine weitere Kugel, das Ungesagte. Von diesem inneren Raum aus schaut das Ich hinaus in die Welt. Wenn sich auf dieser Ebene Gedanken und Gefühle bilden, hält es sie bewusst zurück. Und doch, sobald die Figur (den Text) spricht, blicken Leser und Zuschauer instinktiv an den Worten vorbei, um intuitiv das Ungesagte zu erfassen, einen Blick auf das zu erhaschen, was die Figur tatsächlich denkt und fühlt, aber lieber nicht in Worten äußern will (den Subtext). Autoren müssen also so lange an ihrem Dialog feilen, bis das möglich wird, bis das Ungesagte implizit erspürt werden kann.18
Wenn Emily Charlton (Emily Blunt) zu Andy Sachs (Anne Hathaway) sagt: »Ich bin nur noch eine Magengrippe von meinem Wunschgewicht entfernt«, so wäre das, was sie nicht sagt, von dem wir aber wissen, dass sie es denkt, in etwa Folgendes: »Die Modewelt zwingt mich, das Leben einer Magersüchtigen zu führen, aber meine Karriere ist mir wichtiger als meine Gesundheit. Das ewige Hungern ist ein Preis, den ich gerne zahle. Und wenn dir deine Zukunft im Job etwas wert ist, machst du es genauso.«
In Romanen entfaltet sich die Ebene des Ungesagten. Im ersten Kapitel von Ian McEwans Buch Liebeswahn kommt ein Mann bei einem schweren Ballonunglück ums Leben. Im nächsten Kapitel vertraut sich Joe Rose, der zwischen den Überlebenden steht und das Chaos betrachtet, dem Leser an:
»Clarissa hatte mich eingeholt, schlang die Arme um meine Taille und drückte ihr Gesicht gegen meinen Rücken. Mich überraschte, dass sie bereits weinte (ich spürte die Nässe an meinem Hemd), während für mich Leid noch längst nicht angesagt war.
Wie ein Ich in einem Traum war ich erste und dritte Person zugleich. Ich handelte, und ich sah mich handeln. Ich hatte meine Gedanken, und ich sah sie über einen Bildschirm flimmern. Wie in einem Traum waren meine emotionalen Reaktionen entweder nicht vorhanden oder unzureichend. Clarissas Tränen waren nichts weiter als ein Tatbestand, aber ich war froh darüber, mit gespreizten Beinen fest auf dem Boden zu stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. Ich sah über die Felder, und über meinen Bildschirm lief der Gedanke: Der Mann ist tot. Ich spürte, wie sich eine Wärme in mir ausbreitete, eine Art Selbstliebe, und meine verschränkten Arme umklammerten mich fest. Die logische Folgerung schien zu sein: Und ich lebe noch. Es war Zufall, wer in jedem beliebigen Augenblick am Leben war und wer tot. Zufällig war ich am Leben.«19