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AKTION VS. AKTIVITÄT
ОглавлениеDer Grundsatz »Nichts ist, was es scheint« bringt die ursprüngliche Dualität des Lebens zum Ausdruck: Der Schein ist die Oberfläche, die Aktivitäten, die wir sehen und hören, die äußeren Verhaltensweisen einer Figur, das, was sie sagt und wie sie sich gibt. Das Sein ist die Substanz des Lebens, die Aktionen, die eine Figur jenseits der aktiven Oberfläche vollzieht.
Äußere Vorgänge wie Karten spielen, Sport machen, Wein trinken und, allem voran, Sprechen sind schlichte Aktivitäten. Diese auf den Text bezogenen Verhaltensweisen verhüllen die Wahrheit dessen, was eine Figur tatsächlich tut. Denn obwohl eine Aktivität wie die, an einer Bushaltestelle mit einem Unbekannten zu plaudern, völlig zweckfrei erscheinen mag, ist sie das doch nie. Entsprechend ist keine Dialogzeile jemals fertig, bevor Sie sich nicht folgende Frage beantwortet haben: Welche Aktion führt meine Figur im Subtext ihrer verbalen Aktivität tatsächlich aus?
Denken wir einmal ans Eisessen. Ein Eis essen wir nie nur deswegen, weil wir hungrig sind. Wie bei allen Verhaltensweisen liegt dieser Aktivität eine bewusste oder unbewusste Aktion zugrunde. Was macht der Eisesser tatsächlich? Vielleicht will er ja sein Leid durch die Süßigkeit lindern, oder er lehnt sich gegen eine ärztliche Anordnung auf, oder aber er belohnt sich, weil er seine Diät so gut durchgehalten hat. All diese Aktionen – lindert sein Leid, lehnt sich auf oder belohnt sich – finden ihren Ausdruck in der Aktivität des Eisessens.
Mit dem Sprechen ist es genauso. Was tun Figur A und Figur B, während sie miteinander sprechen? Will Figur A Figur B mit ihren Worten trösten oder verspotten? Und wenn B reagiert, suggeriert ihr Dialogbeitrag dann, dass sie sich A unterordnet oder ihrerseits dominiert? Heuchelt A nur Interesse oder verliebt sie sich gerade? Betrügt B A oder legt sie ein Geständnis ab? So geht es weiter mit den Fragen. Welche Subtext-Aktionen liegen tatsächlich hinter den Text-Aktivitäten der Figuren und treiben die Szene voran?
Eine Aktivität ist also nur die oberflächliche Manifestation einer Aktion, eine Art und Weise, auf die eine Figur ihre Aktion ausführt. Aktionen sind die Grundlage des Erzählens, und in jeder Aktivität ist eine Aktion enthalten.
»Drama« (dráma) ist das altgriechische Wort für »Aktion, Handlung«, abgeleitet von dem Verb dráM, das »tun«, »handeln« oder »agieren« heißt. Im klassischen Griechenland wusste das Publikum, dass alle äußerlichen Aktivitäten von einer inneren Aktion angetrieben werden, egal, was an der Oberfläche des Stücks geschieht. Wenn wir dieses Prinzip auf das Schreiben einer Szene ausdehnen, stellen wir fest, dass selbst dem Schweigen noch eine Aktion zugrunde liegt. Es ist eine Aktion, in einer Situation, die eine Äußerung erfordert, nichts zu sagen, vielleicht sogar eine grausame Aktion, die sich gegen einen anderen Menschen richtet. Spricht eine Figur, dann tut sie damit etwas: Sie hilft oder hindert, bettelt oder besticht, überredet oder rät ab, erklärt oder führt in die Irre, geht zum Angriff oder zur Verteidigung über, verteilt Komplimente oder Beleidigungen, beklagt sich oder dankt, und so geht es weiter mit der endlosen Liste der Aktionen. Selbst Pausen spielen in den Beat aus Aktion und Reaktion hinein: Hält eine Figur inne, dann reagiert sie damit entweder auf die vorangegangene Aktion der Szene oder bereitet ihren nächsten Schachzug vor.
Oft wird der Begriff »Dialog« mit dem des »Monologs« kontrastiert, als wäre ein Dialog immer ein zweigleisiger Vorgang. Aber das ist irreführend. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, ist der Begriff »Dialog« eine Kombination aus zwei griechischen Wörtern (diá und légein), die »durch« und »Sprechen« bedeuten. »Dialog« meint also Aktionen, die durch das Sprechen erfolgen. Wenn eine Figur mit sich selbst spricht, führt sie in sich Aktionen durch. Der Begriff »Monolog« meint, dass jemand mit nichts und niemandem spricht, was aber in der Realität gar nicht möglich ist. Bei jedem Wort, das jemals geäußert wurde, bei jedem Gedanken, ist immer jemand, etwas oder ein Aspekt des eigenen Ichs der Empfänger.