Читать книгу Tarlot - Robin Geiss - Страница 10

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Etwa 80 km westlich von Sonnenbach und etwa 10 km südlich eines Hauses, in dem einst die Eheleute Bernhardt in der Nähe des Friedhofs gelebt hatten, verließ Hans Rubach die einzige Kneipe des kleinen Dörfchens, in dem er aufgewachsen war.

Hans schlenderte nicht direkt nach Hause, wo ihn seine Mutter eh nur mit den immergleichen Fragen bombardierte: Warum er nicht endlich mal eine nette Frau kennenlerne, warum er keine Familie wolle, warum keine Kinder, blabla, die ganze alte Leier.

Diese alte Frau wusste nichts über ihn. Wie konnte sie sich anmaßen, Fragen bezüglich seiner Privatsphäre zu stellen!

Er war glücklich, so wie er lebte. Er hatte eine gar nicht so schlecht bezahlte Arbeit in einem Bauunternehmen. Er musste nicht jeden Tag weit fahren, um in irgendeinem stinkenden Büro zu sitzen. Er konnte zu Fuß hingehen und dann mit den Kollegen zur Baustelle fahren. Abends ein paar leckere Bierchen mit ihnen in der Kneipe, und die Welt war in Ordnung. Es störte ihn nichts. Rein gar nichts. Er war zufrieden. Es war gut so, wie er lebte. Er arbeitete, half seiner Mutter, die schon seit Jahren allein nicht mehr zurechtkam, und trank halt ab und zu ein paar Gläschen. Und sie nervte ihn mit dieser ständigen Fragerei, wann er denn endlich heiraten wolle. Er brauchte keine Frau. Er brauchte keine Kinder. Er brauchte keine Familie, um glücklich zu sein.

Gestern Abend war es besonders schlimm gewesen. Sie hatte ihn regelrecht attackiert mit ihren scheiß beschissenen Fragen über Ehe, feste Bindung und all dem Quatsch.

Und dann heute diese Frau in der Mittagspause. Seine Mutter hatte ja keine Ahnung, wie schwer sowas war! Sie hatte ja nicht den leisesten Schimmer, wie herablassend Frauen ihn behandelten. Wie erniedrigend es jedesmal war, eine Abfuhr zu bekommen. Heute Mittag hatte er sich wieder einmal darauf eingelassen und hatte den Versuch gestartet, eine Frau anzusprechen. Und das Ergebnis war wie nicht anders zu erwarten. Vielen Dank, Mutter!

Sollte sie doch jetzt da sitzen und warten, bis ihr Sohn nach Hause kam. Sollte sie doch nach ihm rufen. Er würde sich jetzt mit seinem Freund Jacky gemütlich irgendwo in den Wald setzen und die Nacht genießen. Es war zwar sehr kalt, aber als Bauarbeiter wird man irgendwann immun gegen die Kälte. Und falls ihm am Anfang doch kalt werden sollte, würde ihn Jacky schon von innen wärmen. Während er die letzten paar Häuser hinter sich ließ und die Straße zum Wald hinaufstieg, hörte er den Gefechtslärm von dem ganz in der Nähe gelegenen Truppenübungsplatz der Bundeswehr.

Blödmänner! dachte sich Hans. Die nerven nur rum. Als er noch bei der Bundeswehr war, ja, da war das noch eine richtige Armee. Da ging es noch zur Sache. Heute bildeten die Waschlappen nur neue Waschlappen aus. Pah!

Als er oben auf dem Berg den Waldrand erreichte, ließ er sich auf die Bank nieder, blickte auf das Dörfchen hinunter im Tal, öffnete die Flasche Jack Daniels, die er sich aus der Kneipe mitgebracht hatte und genehmigte sich einen kräftigen Schluck.

Jaaah, das war gut! Er verschloss die Flasche wieder und zündete sich einen Dannemann Moots Zigarillo an. So, das war sein Leben. Er brauchte niemanden. Er hatte doch alles, was ihm Spaß …

Er hörte ein Geräusch hinter sich. Hans nahm den Arm, in dessen Hand er die Flasche hielt, zur Unterstützung mit auf die oberste Sprosse der Banklehne und drehte sich um.

Dunkelheit. Ein paar vereinzelte Bäume am Saum des Waldes waren auszumachen, aber die Sicht betrug nur ungefähr zehn Meter, dann wurde der Baumbestand zu dicht; und die Nacht gab ebenfalls nicht mehr genug Helligkeit her, um etwas auszumachen.

Er zuckte mit den Schultern und wollte sich gerade wieder umdrehen, als er das Geräusch noch einmal hörte. Ein Knacken oder sowas, gefolgt von einem Rascheln.

„Is da jemand?“, rief er in den leeren Wald hinein. „Ey, wer is da?“

Keine Antwort. Ein Lüftchen umspielte seine etwas zu langen braunen Haare. Dann war wieder Stille.

„Kanst e Schluck abhann, wenn de willst“, fügte er noch leise hinzu, während er sich bereits wieder umdrehte. Mit der Hand, zwischen deren Fingern der Zigarillo steckte, wollte er die Flasche gerade wieder aufdrehen, als er hinter sich erneut ein Geräusch hörte.

Wieder ein Rascheln. Diesmal etwas lauter. Ein Knacken?

Hans drehte sich abermals um. Dieses Mal stützte er sich nicht mehr nur halbherzig auf seinen Arm, sondern sprang schon fast von der Bank und drehte sich während des Springens um.

Er blickte in die Finsternis und lauschte.

Noch einmal ein Knacken. Und diesmal? War da nicht ein Schnüffeln zu hören? Er glaubte, schon. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass da irgendwo im Dickicht ein Wildschwein lauerte. Wildschweine wurden nur gefährlich und angriffslustig, wenn jemand in die Nähe ihrer Jungen kam, und dazu war es im November eindeutig nicht die Zeit. Oder doch? So sicher war er sich da auf einmal nicht mehr, als er wieder dieses Schnüffeln und Rascheln hörte, diesmal allerdings schon erheblich näher. Und bewegte sich nicht auch etwas dort im Wald? Also, dass dort etwas war, davon konnte er mittlerweile ausgehen. Diese leichte Brise, die ihn umspielte, machte wohl kaum solche Geräusche.

Ein lauter Schrei zeriss die Luft. Es war wohl eher eine Mischung aus einem Schrei, einem Kreischen und einem Geheule. Hans hatte etwas Derartiges noch nie zuvor in seinem Leben gehört. Ihm blieb fast das Herz stehen.

Er ging zwei Schritte rückwärts, immer noch den Wald im Auge behaltend. Was war das bloß? Ein Mensch konnte so ein Geräusch wohl kaum zustandebringen. Langsam bekam er richtig große Angst.

Er packte die Flasche Jack Daniels am Hals, um sie zur Not als Waffe zu gebrauchen.

Einmal hatte er sich auf diese Weise bei der alljährlichen Kirmes einen wildgewordenen Fremden vom Hals geschafft. Er war mitten bei einem Bierchen in eine Schlägerei geraten, und da zwei seiner Arbeitskollegen darin verwickelt waren, griff er natürlich ein. Der komische Kauz hätte ihn bestimmt fertiggemacht, wenn er ihm nicht rechtzeitig die Flasche über den Schädel gezogen hätte. Der Kerl ging mit verdrehten Augen senkrecht zu Boden. Die anderen dankten ihm für seinen tatkräftigen Einsatz und kauften ihm eine neue Flasche. Der Kerl wurde nur noch von zwei anderen aus dem Zelt geschleudert. Hans bekam ihn nie wieder zu Gesicht.

Also Jacky konnte man schon auf zwei Arten benutzen, um einen ausgewachsenen Kerl umzuhauen. Die gängige Methode hatte Hans oft an sich selber ausprobiert; die zweite bisher nur einmal.

Aber er war zuversichtlich, dass er es auch ein zweites Mal schaffen würde, falls ihm der hier (oder das hier) auf die Pelle rücken würde. Und außerdem hatte er auch keine andere Waffe zur Hand.

Hans starrte noch immer in das Dunkel. Langsam begann er sich zu fragen, ob er wirklich etwas gehört oder ob er einfach nur schon zu viel intus hatte. Er begann im Geiste die Biere und die Schnäpse aus der Kneipe zusammenzuzählen, als er erneut das Rascheln hörte.

Diesmal war er sich sicher, dass es nicht weiter als fünfzehn Meter von ihm entfernt sein konnte. Und er hörte noch etwas: Ein Knurren. Ein leises, aber stetig anhaltendes Knurren.

Ein Wolf? Nein, Wölfe gab es hier schon lange nicht mehr. Ein Hund?

Hans dachte gerade darüber nach, welcher Verrückte seinen Köter mal wieder nicht ordentlich eingesperrt haben mochte, als etwas Weißes aus dem Wald kam. Nicht gerannt, sondern gesprungen! Es machte mit einem Satz fast sieben Meter, hatte also mit einem einzigen Sprung schon die Hälfte des Weges zwischen sich und Hans zurückgelegt. Sofern es direkt am Waldrand gelauert hatte. Wenn es nicht noch ein Stück weiter entfernt gewesen wäre.

Hans starrte dem Ding nur für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen; dieser Augenblick aber hätte sich sicher für immer in sein Gedächtnis eingebrannt, hätte er noch länger als nur die nächste Minute zu leben gehabt.

Instinktiv schleuderte Hans seine Flasche diesem Ding entgegen, dessen Schädel aussah wie der eines zu breit geratenen Wolfes. Sein Fell war strahlend weiß, die Zähne bestimmt noch etwas größer als die eines Wolfes. Seine Augen leuchteten rot. Und sie funkelten ihn an. Die Schultern dieses Dings waren extrem breit. Seine Wirbelsäule war in der Mitte leicht nach unten gekrümmt, während das schwanzlose Hinterteil wieder aufwärts wies. Seine vier Beine waren viel stärker angewinkelt als bei einem Hund oder Wolf. So, als liege es ständig auf der Lauer.

Hans traf dieses Biest genau an der Schnauze. Noch während die Flasche an diesem Ding zerschellte, drehte er sich um und rannte wie der Teufel hinunter in Richtung Dorf.

Solch ein Ding hatte er noch nie gesehen. Zuerst dachte er an einen der zahlreichen Werwolf-Filme, die er sich als Kind so gerne reingezogen hatte, doch dieses Ding war furchterregender als jeder Special-Effekt in einem Horrorstreifen. Und noch dazu war es die Wirklichkeit!

Gerade als Hans im Laufen noch einmal einen Blick zurück werfen wollte, um zu sehen, ob er schon einen Abstand zwischen sich und dem Ding gebracht hatte, spürte er einen stichartigen Schmerz im Rücken und wurde auch schon von den Beinen geworfen.

Er rutschte, mit dem Gesicht im Gras, noch etwa drei Meter weit und bemerkte, bevor er zum Liegen kam, dass dieses Ding auf seinem Rücken saß.

Ihm blieb noch nicht einmal Zeit, seinen ersten Schrei auszustoßen, als es ein großes Stück aus seinen Rückenmuskeln herausriss. Erst jetzt brachte Hans einen lauten Schrei hervor: Der Schrei war allerdings so schrill, dass er eher zu einem Kind als zu einem solchen Mann gepasst hätte.

Dieser Schrei brach abrupt ab, als das Ding ein weiteres Mal in ihn hineinbiss. Diesesmal biss es tiefer und riss dabei auch noch vier Rückenwirbel mit heraus.

Als Hans schon tot war, biss das Ding ein drittes Mal zu. Diesesmal zerfetzte es ihm komplett den Hals, so dass der Kopf nur noch von wenigen Sehnen und Fleischfetzen am Körper gehalten wurde.

Die Schreie von Hans wurden von keinem Menschen gehört. Nur zwei Autos waren in dieser Nacht noch zum Dorf unterwegs, in denen noch dazu die Radios aufgedreht waren. Durch die schallisolierten Wände der Häuser drang kein Laut nach drinnen. Der erste Fußgänger in dem Dorf nach seinem Tod war sein Arbeitskollege Harry, der zwanzig Minuten nach dem Ereignis im Wald die Kneipe verließ.

Die Leiche von Hans blieb verschwunden. Man fand am nächsten Abend, als man sich aufmachte, ihn zu suchen, nur eine zerbrochene Flasche Jack Daniel’s hinter der Bank am Waldrand. Hätten die Ermittler ein wenig gewissenhafter die Wiese neben der Straße abgesucht, hätten sie noch ein Stück seines linken Ohres und seinen rechten Daumen gefunden.

Tarlot

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