Читать книгу Tarlot - Robin Geiss - Страница 14

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Er träumte von einem Park. Er sah zurechtgestutze Hecken. Er sah Bäume. Kaum Menschen. Er sah einen Jungen. Der Junge lag tot auf dem Gehweg. Erschossen. Sein für diese Übergabe zugewiesener „Partner“ drehte sich zu ihm herum.

„Hast du einen Knall?“, fragte er ihn.

„Hast du ein Problem damit?“, fragte sein Gegenüber und richtete die Pistole auf ihn.

Er erkannte ganz deutlich die Absicht dieses Psychopathen. Er wollte ihn ebenfalls über den Haufen schießen, sich die Beute schnappen und abhauen. Während er mit der Linken seine Waffe zog, rammte er seine Rechte gegen die Nase seines Gegenübers, um ihn kampfunfähig zu machen. Der Kerl ließ, überrumpelt von dem Angriff, seine Pistole fallen, beugte sich aber unmittelbar danach wieder, um die Waffe erneut auf ihn zu richten. Tom setzte noch einmal nach, und als er bemerkte, dass er mit Schlägen nicht mehr viel ausrichten konnte, schoss er ihm direkt in den Kopf. Der platzte fast schon von der Wucht des Geschosses. Er lief zu dem Jungen, der, getroffen von zwei Geschossen und noch immer aus den Einschusslöchern blutend, auf der Erde lag. Er flehte ihn an, er möge nicht sterben. Der Junge erwiderte ihm, dass er schon vor einem Jahr gestorben sei, und er sah, dass er sich über ein Mädchen mit einem schmutzigen Kleid gebeugt hatte. Er blickte auf und bemerkte, dass er sich auf dem Friedhof befand. Es war kalt. Es war sehr kalt auf seiner Stirn; und sie schmerzte.

Thomas Schwarz erwachte langsam. Er fühlte einen feuchten Lappen auf seiner Stirn und bemerkte, dass der Schmerz auf seiner Stirn von einer stattlichen Beule herrührte.

Er stöhnte. Tom schlug langsam die Augen auf. Er lag ausgestreckt auf seiner Couch. Neben ihm stand, über ihn gebeugt und mit einem Waschlappen bewaffnet, das Mädchen. Wie hieß sie noch gleich? Ach ja: Christine Parsto.

Sie tupfte ihm behutsam die Stirn ab. Sie trug noch immer seinen für sie zu großen Bademantel. Was aber hätte sie sonst anziehen sollen?! dachte er und erinnerte sich an das einzige Kleidungsstück, das sie offensichtlich noch besaß: den schmutzigen zerrissenen Lumpen, der einmal ihr Totenkleid gewesen war. Ihr Totenkleid …

„Oh, was ist passiert? Wie geht es dir?“

„Mir geht es den Umständen entsprechend …“, brachte sie hervor. „Und dir? Tut dein Kopf noch weh?“ Sie sah ihn an. Frisch gebadet, mit einem unschuldigen Blick ihrer braunen Augen, die unter ihren in die Stirn gefallenen ebenfalls braunen Locken hervorlugten und aus ihr ein sehr hübsches Mädchen machten.

„Ein wenig. Aber wer …?“

„Ich war das.“

Tom richtete sich auf. Erst jetzt, beim Abstützen auf der Couch, bemerkte er, dass seine rechte Hand viel stärker schmerzte als sein Kopf. Jetzt erinnerte er sich wieder, dass er niedergeschlagen wurde, als er seine Wohnung betreten wollte.

„Toll! Vielen Dank! Wieso schlägst Du mich zuerst nieder und betupfst mich dann mit einem Tuch? Erinnerst Du Dich, das hier ist meine Wohnung! Ich habe ein Recht darauf, hier ein- und auszugehen!“

„Ich weiß. Ich wusste ja nicht, dass Du das bist.“

„Was heißt hier DASS ICH DAS BIN?! Ich bin der Einzige, der einen Schlüssel zu dieser Wohnung hier hat.“ Tom hatte sich mittlerweile aufgesetzt. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor neun am Abend. „Übrigens, falls es Dich interessiert und falls Du noch immer bei Deiner Geschichte bleiben willst: Dein Name ist Christine Parsto.“

„Chrissie. Alle nennen mich Chris oder Chrissie.“

„Also kannst Du Dich inzwischen wieder an mehr erinnern als nur an die vergangen paar Stunden?“

„Ja. Kurz nachdem Du gegangen warst, ist mir alles wieder eingefallen. Und es dauerte ebenfalls nicht lange, bis es an der Tür läutete und zur gleichen Zeit das Telefon klingelte.“

Tom sah das Mädchen an. Sie war noch immer sehr blass, aber sie wirkte inzwischen gefasster. Noch immer etwas ängstlich, aber nicht mehr so unsicher.

„Hast Du geöffnet oder bist ans Telefon gegangen?“, fragte er sie.

„Nein, ich hatte zu viel Angst. Es kam alles auf einmal. Das Telefon, die Klingel und dazu noch ein Klopfen an der Tür. Ich hatte Angst. Und dann hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich meine: meinen vollständigen Namen. So wie Du ihn eben ausgesprochen hast, nur viel intensiver: Christine Parsto. Es kam von draußen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Stimme in meinem Kopf war. Und als ich zum Fenster ging, um nach draußen zu schauen, stand da ein vermummter Mann. So wie ein Bettler. Er schaute hier herauf und starrte mich an. Ich war sicher, dass er mich anstarrte, obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Und er rief mich. Er rief meinen Namen.“

Christine fing wieder an zu zittern. Diesmal wohl nicht vor Kälte, dachte Tom. Denn hier in seiner Wohnung war es angenehm warm, während draußen der Sturm toste. „Ein Bettler“, hatte sie gesagt. Etwas daran kam ihm bekannt vor. Er erinnerte sich ganz schwach an eine verlumpte Gestalt. Aber jedesmal, wenn er den Gedanken greifen wollte, schien er ihm nur umso mehr zu entschwinden.

„Und wieso hast Du mich dann niedergeschlagen?“

„Ich wusste ja nicht, dass Du das warst. Hab ich doch schonmal gesagt.“

„Hat der Fremde denn versucht, hier einzudringen?“

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

„Wo ist er jetzt?“, fragte Tom.

„Weg. Er verschwand, und das Klingeln und Klopfen hörte auf, als jemand die Haustür aufschloss.“

„Dieser Jemand kann nur ich gewesen sein. Da draußen war keiner außer mir.“

„Ich weiß ja nicht, ob er noch auf der Straße war, aber er hat mich andauernd noch zu sich gerufen. Ich hab ihn ja auch nicht die ganze Zeit beobachtet. Ich hab ihn nur ungefähr … hm, ich weiß nicht, wie lange ich ihn angesehen hab – aber nicht die ganze Zeit über, die Du weg warst.“

„Aber wenn er nicht versucht hat, hier einzudringen, dann hättest Du eigentlich wissen müssen, dass ich an der Tür bin, als Du einen Schlüssel gehört hast. Sonst hätte er Dich wohl nicht gerufen, sondern einfach geholt, meinst Du nicht?“

„Ja, das weiß ich jetzt auch. Aber da noch nicht. Da hatte ich Angst.“

„Und jetzt? Keine Angst mehr?“, fragte er sie in einem nicht ganz ernsten Tonfall.

„Nein, jetzt bist Du ja da.“

Verblüfft sah Tom das Mädchen an. Hatte er da etwa so etwas wie Zuneigung herausgehört? Das konnte er nicht so ganz glauben. Gewöhnten sich kleine Mädchen so schnell an Fremde? fragte er sich. Hoffentlich nicht! Er wollte dem Mädchen zwar helfen, sich aber keinesfalls einen Weg in ihr Herz bahnen. Er konnte es sich nicht leisten, dass sich jemand um ihn sorgte, oder dass er sich um jemanden sorgen musste. Er lebte sein Leben so, wie es ihm gefiel, und wollte daran so bald auch nichts ändern. Dennoch war er jetzt neugierig. Sie hatte ihm erzählt, dass sie sich wieder erinnerte.

„Okay, dann lass mal hören, warum Du letztes Jahr gestorben bist! Ich hol mir ein Bier. Willst Du auch eins? War ein Scherz. Ich hab noch Saft da. Willst Du welchen?“

Das Mädchen nickte. Tom erhob sich von der Couch. Sein Kopf schmerzte noch immer ein wenig. Während er in die Küche ging, betrachtete er seine Hand. Die Knöchel des Zeige- und Mittelfingers waren dick angeschwollen und verfärbten sich schon zu einem Lilablau. Er öffnete und schloss seine Faust und verzog dabei unter Schmerzen das Gesicht. Die Kleine hatte ganz schön zugelangt. Aber wie es schien, war nichts gebrochen. Er öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier und eine Flasche Multivitaminsaft heraus und stellte sie auf den Küchentisch. Als er zwei Gläser aus dem Schrank nehmen wollte, glitt sein Blick ungläubig hinüber zu der Bratpfanne auf der Küchenablage. Die Pfanne war tatsächlich ein wenig eingedellt. Das bedeutete zweierlei: Das Mädchen hatte mit einer Kraft zugelangt, über die ein normales zwölfjähriges Kind, ganz gleich, ob Junge oder Mächen, um der Emanzipation gerecht zu werden, wohl nicht verfügte. Und es hieß zweitens, dass Toms Knochen widerstandsfähiger waren, als er bisher angenommen hatte. Letzteres war durchwegs positiv; was das Erstere bedeuten mochte, darüber wollte er sich im Augenblick keine Gedanken machen.

Als er mit den beiden gefüllten Gläsern zurück ins Wohnzimmer kam, begann Christine zu erzählen.

Tarlot

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