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3.5. DER LIQUOR CEREBROSPINALIS – EIN MECHANISMUS

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Überarbeitete Fassung eines Vortrages, gehalten 1986 während eines Grundkurses der Sutherland Cranial Teaching Foundation in Philadelphia, Pennsylvania.

Wir als Individuen leben ein Leben voller willkürlicher und unwillkürlicher Mechanismen. Es gibt Millionen von verschiedenen Mechanismen innerhalb der gesamten Körperphysiologie des Patienten. Unser willkürlicher Mechanismus erlaubt uns, alles zu tun – vom Joggen bis hin zum ruhigen Schlafen. Dieser Aktionsmechanismus ist in jedem Individuum unterschiedlich, abhängig von seiner gesamten Lebensqualität.

Auf der anderen Seite gibt es den ruhigen Primären Atemmechanismus – eine vollkommen unwillkürliche Einheit von Funktion, Physiologie, Aktivität und Lebendigkeit, die uns einen aktiven, lebendigen, willkürlichen Mechanismus sein lässt. Wir verschwenden keinen Gedanken an die Veränderungen, die in der Funktion innerhalb der Fluktuation des Liquor cerebrospinalis und des Primären Atemmechanismus geschehen – es gibt sie einfach. Wir akzeptieren das Leben so, wie es ist. Wir nehmen die Tatsache an, dass unser Mechanismus arbeitet – wir denken darüber nicht nach. Wenn wir uns treffen und darüber sprechen, wird es zum Gesprächsthema – aber normalerweise verschwenden wir keinen Gedanken daran, dass wir ein Primärer Atemmechanismus sind. Der unwillkürliche Mechanismus ist die Sache, die uns lebendig erhält und als eine Manifestation des Lebens funktioniert.

Die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis ist ein Teil des Primären Atemmechanismus, zu dem auch die Motilität des Zentralen Nerven-systems und die Mobilität der reziproken Spannungsmembran, der Schädelknochen und des Os sacrum gehören. Wir können keinen von ihnen abtrennen – sie alle bilden eine Einheit. Jedes Trauma oder jede Krankheit, die irgendeinen Teil des Körpers betrifft, wird einen Effekt auf den Primären Atemmechanismus haben; und jede Wiederherstellung in Richtung Gesundheit, jede Korrektur einer Dysfunktion innerhalb des willkürlichen Mechanismus im Körper, muss eine Verbesserung der Funktion des Primären Atemmechanismus mit einschließen – es ist eine Funktionseinheit. Und ebenso ist es ein Mechanismus. Der Fluid Drive ist ein Mechanismus. Das Wasser im zuführenden Rohr einer Turbine ist ein Mechanismus, die Tide im Ozean ist ein Mechanismus, die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis ist ein Mechanismus, und sogar die Potency innerhalb dieses Liquor ist ein Mechanismus. Sowohl willkürliche als auch unwillkürliche Mechanismen sind eine Angelegenheit von Leben und Funktion. Auch wenn wir die rhythmisch wiegende Fluktuation des Liquor cerebrospinalis prüfen, sehen wir einen Mechanismus. Wir studieren diese Mechanismen und lernen, wie sie im gesunden Zustand funktionieren, und wie wir unsere Patienten zurück zur Gesundheit führen können. In aller Stille sind wir in Kontakt mit dem Primären Atemmechanismus, der uns bei unserer Korrektur hilft und die Sache zurück in die Normalität bringt.

Innerhalb der Körperphysiologie und innerhalb des Liquor cerebrospinalis gibt es verschiedene Tiden. Am leichtesten findet man die longitudinale, 8–12 Zyklen pro Minute durchlaufende Tide des Liquor cerebrospinalis. Es ist wie in einem Ozean. Allerdings bewegt sich dort die Tide nur zwei Mal am Tag herein und wieder hinaus, während es in unseren körpereigenen Mechanismen einen grundlegenden Rhythmus von 8–12 Zyklen pro Minute gibt. Den Begriff ‚Tide‘ benutzen wir einfach, um die Vorstellung in unseren Kopf zu bekommen, dass eine rhythmische Bewegung hinein und heraus stattfindet. Diese tidenartige Bewegung des Liquor cerebrospinalis ist ein Mechanismus, der ständig in Bewegung ist. Wir sagen dazu Fluid Drive.

Mit der longitudinalen Tide bewegt sich alles im Körper rhythmisch 8–12 Mal pro Minute in eine einfache Flexion und Extension, wenn es sich um eine Struktur der Mittellinie handelt, und in eine Außen- und Innenrotation, wenn es sich um eine paarige Struktur handelt. Die Gesamtheit der Körperzellen – also die Zellen des Herzens, der Lungen, der knöchernen Strukturen, alles, die ganze Sache als eine Funktionseinheit – geht das gesamte Leben hindurch in einen leichten Rhythmus von Flexion/Außenrotation und Extension/Innenrotation. Die longitudinale, also vom Kopf bis zu den Füßen reichende Tide ist in uns immer oder fast immer vorhanden und lässt sich deshalb normalerweise auch am ehesten finden, wenn wir unsere Hände an einen Patienten legen.

Es gibt laterale Fluktuationen, bei denen sich der Liquor cerebrospinalis zusammen mit den gesamten Körpereinheiten rhythmisch von einer Seite zur anderen bewegt. Dieser Typ von Muster lässt sich, falls erforderlich, in unseren Patienten induzieren. Er kann aber auch spontan erscheinen und wird dann als laterale Fluktuation palpiert und diagnostiziert. Daneben gibt es spiralförmige Fluktuationen. Dies sind kleine Strudel, die sich – vielleicht in verschiedenen Bereichen des Zentralen Nervensystems – einrollen und ausrollen.

Ich spreche zu euch über Dinge, die von jedem Behandler beobachtet werden können, der den Mechanismus versteht und mit Hilfe seiner palpatorischen Fähigkeiten das zu lesen lernt, was vom Patienten kommt. Die laterale Tide ist wie die longitudinale relativ leicht zu finden; beide sind groß und der gesamte Körper bewegt sich mit ihnen. Die spiralförmigen Tiden sind dagegen wie diese kleinen Tiere, die den Strand entlang krabbeln, oder wie die Spiralen, die das hin und her wehende Seegras nahe der Küste manchmal bildet. Sie sind nicht laut und offensichtlich. Solche spiralförmigen Tiden deuten möglicherweise auf eine gerade stattfindende lokale Veränderung hin.

Und dann gibt es noch das, was ich ‚Unterströmungen‘24 nenne. Eine ‚Unterströmung‘ ist eine Tide, die vom Behandler genutzt werden kann, um eine Veränderung zu bewirken, als Motivation für den existierenden Tidenmechanismus des Patienten sein Funktionsmuster zu ändern. Indem man sie nutzt, kann man den Tidenmechanismus im Patienten etwas modifizieren. Lässt man den Patienten in Rückenlage seine Füße in Dorsiflexion bringen, veranlasst dies den Mechanismus der gesamten Körpereinheit, in Flexion zu gehen. Wird dann, während der Patient seine Füße in Dorsiflexion hält, eine laterale Fluktuation induziert, haben wir ziemlich bald zwei Tiden, die im Körper arbeiten: eine longitudinale und darüber die laterale. Selbstverständlich geschieht all dies unter der Kontrolle eines Behandlers, der das sanfte Arbeiten mit dem Mechanismus gelernt hat und die Fluktuation langsam induzieren kann, wobei er liest, was er sorgfältig palpiert, und diese Dinge innerhalb des Patienten geschehen lässt. Probiert das aus und versucht dann selbst herauszufinden, warum ihr es vielleicht anwenden wollt.

Es gibt eine weitere Tide, die, denke ich, aus dem Weltall zu mir kam. Ich hatte einen Patienten mit einem recht ernsthaften, weitreichenden, komplizierten Problem. Ich versuchte ruhig, diesen Fluid Drive zu lesen, und arbeitete dabei innerhalb der Körperphysiologie dieses Patienten. Plötzlich wurde mir die Tatsache bewusst, dass eine größere Tide da war, und zwar parallel zu der, die 8 Zyklen pro Minute vollzog. Hier war eine große Tide, die sich anfühlte als käme sie von irgendwo her herein, und sie expandierte, stoppte, expandierte, stoppte, expandierte, stoppte. Es dauerte volle anderthalb Minuten, bis diese größere Tide hereingekommen und ein Teil der Körperphysiologie des Patienten war, und dann floss sie genauso langsam ab, wie sie hereingekommen war. Woher sie kam und wohin sie ging, weiß ich nicht, aber ihr Einfluss veränderte offensichtlich die Nährstoffversorgung einer jeden Körperzelle dahin gehend, dass sie etwas tat. Für den betreffenden Patienten war diese ernährende Versorgung sicherlich hilfreich, denn die klinische Reaktion zeigte eine Verbesserung in den dysfunktionalen Gebieten.

Seit jenem ersten Erscheinen habe ich diese lange Tide ab und zu beobachtet. Sie ist nicht etwas, was man macht oder wonach man sucht, aber wenn man osteopathische Behandlungen mit Hilfe des Primären Atemmechanismus gibt, kann sie auftauchen. Als sie zum ersten Mal erschien, arbeitete ich gerade ruhig mit etwas, das ruhige Unterstützung brauchte. Sie erscheint nur dann, wenn sie gebraucht wird und du zufälligerweise still genug bist und der Patient still genug ist, dass sie auftauchen kann. Es ist nicht notwendig, sie herbei zu befehlen.

Die Qualität der Fluktuation des Liquor cerebrospinalis kann auch bei einer Diagnose genutzt werden. Lege dafür einfach ruhig deine Hände an den Patienten und frage dich: Fühlt sich dieser Mechanismus der Tidenbewegung lebendig an oder müde? Man lernt dies zu beurteilen, indem man das im Laufe eines Tages bei mehreren Patienten Erspürte vergleicht. Wie immer die Geschwindigkeit des Zyklus auch sein mag – frage: Was ist die Qualität dieser Tide? Fühlt sie sich lebendig an? Wenn man auf eine stößt, die keinen besonderen Schwung hat, sich also nicht so anfühlt, wie es sein sollte, kann man das als einen Referenzpunkt nutzen für das, was man in der Behandlungsphase tun wird.

Ein Patient, der einen müden Primären Atemmechanismus aufweist, messbar anhand der Qualität der Tide und des Funktionierens der unwillkürlichen Körpereinheiten, hat nicht die Energie, um größere Korrekturen durchzuführen. Manchmal halten die Resultate nicht an, weil nicht genug Lebensqualität verfügbar ist, um sie nach deiner korrigierenden Behandlung weiter funktionieren zu lassen. Man lernt also, innerhalb des Rahmens der Tidenvitalität im Patienten zu arbeiten, der Vitalität des Primären Atemmechanismus. Lernt, innerhalb dieses Referenzrahmens zu arbeiten, und die Korrekturen, die ihr durchführt, werden euch eher zufriedenstellen und für den Patienten sicher mehr bewirken.

Wenn ihr einen Befund bei einer Patientin macht, legt zuerst eure Hände an und versucht in aller Ruhe, ein Gespür dafür zu bekommen, wie sie sich als unwillkürliche Einheit anfühlt. Wie reagiert sie, was ist ihre Antwort? Wenn ihr nun einen Eindruck von der gesamten Patientin habt, legt eine Hand unter den Bereich, wo ihre Beschwerden sind. Im Falle eines Psoas-Spasmus, legt ihr eine Hand unter diesen spastischen Lumbalbereich und die andere Hand auf das Abdomen darüber, so dass das Problem zwischen euren Händen liegt. Nun spürt nach diesem unwillkürlichen Tiden-Mechanismus des Liquor cerebrospinalis, den ihr schon im gesamten Körper gefühlt habt. Fühlt er sich in diesem Bereich der Dysfunktion gleich an? Nein, er ist eingeschränkt, es gibt so viel Behinderung, die das Fluktuationsmuster stört. Man stellt fest, dass man nicht die gleiche Vitalität wie in der gesamten Person fühlt. Merkt euch, wie sich diese Dysfunktion anfühlt.

Jetzt macht ihr eure Behandlung. Ihr gebt der Patientin eine für diesen Tag und dieses besondere Problem passende Behandlung. Was für eine Technik ihr benutzt, spielt keine Rolle. Wenn ihr mit der Behandlung fertig seid und denkt, ihr habt eure Korrektur oder was auch immer gemacht, legt eure Hand wieder unter diesen Lumbalbereich und spürt nach der gleichen Tide, die ihr zuerst im ganzen Körper gespürt habt. Wenn ihr dann merkt, dass der eben behandelte Lumbalbereich die unwillkürliche Bewegung besser ausdrücken kann, bedeutet dies, dass eure Behandlung des Lumbal-Spasmus wirklich korrigierende Resultate erbracht hat, denn der ‚Boss‘ , der gesamte unwillkürliche Mechanismus, ist jetzt auch lokal in diesem Bereich anwesend. Man kann das fühlen, es ist geschehen, etwas ist los.

Wenn ihr jedoch zu diesem Bereich zurückgeht, wieder untersucht und das gleiche Gefühl von Stase findet wie vor der Behandlung der Patientin, kann ich euch garantieren, dass ihr nicht viel erreicht habt. Schon wenn sie die Praxis verlässt, wird sie wieder bei den gleichen Beschwerden angelangt sein, mit denen sie hereingekommen ist. Diese Tide lässt sich also als ein kleiner, unsichtbarer diagnostischer Anhaltspunkt verwenden. Wir können diesen schweigenden, unwillkürlichen Mechanismus als einen Hinweis nutzen, der uns bei unseren Behandlungsprogrammen für den restlichen Körper führt.

Fragt euch bei jedem Patienten still: Wie ist die Qualität dieser primären Lebensfunktion in diesem Patienten? Wie ist die Qualität in den gesunden Bereichen, wie ist sie im Bereich der Dysfunktion, wie ist sie vor und nach jedem Praxisbesuch? Wenn ihr mit den Stressmustern und Dysfunktionen eurer Patienten arbeitet, seid euch auf ruhige Weise immer der Tatsache bewusst, dass dieses Fluktuationsmuster, diese gesamte Einheit, ständig euer stiller Partner ist und euch hilft, korrigierende Veränderungen in den Dysfunktionsbereichen zu bewirken; denn euer Ziel für diesen Patienten ist es, Gesundheit wiederherzustellen. Die Patienten sind nicht nur da, damit ihre Dysfunktion geknackt oder korrigiert wird. Sie sind da, um die Spannungen, den Funktionsverlust, die Bewegungsstörung loszuwerden, um die Türen des Lebens aufzuschließen und sie so frei hinein- und hinausschwingen zu lassen, wie sie es tun sollen. Ihr habt einen Stillen Partner innerhalb der Fluktuation des Liquor cerebrospinalis, und ihr habt das Recht, ihn verstehen, nutzen und testen zu lernen.

Wenn ihr jetzt zu den Behandlungsbänken geht, um zu üben, wählt einen einfachen Griff am Schädeldach und arbeitet ganz still, um euch mit dem Patienten als ein Ganzes bekannt zu machen. Ihr spürt und schaut ganz ruhig zwischen eure Händen. Man könnte sagen, ihr schaut euch den Patienten von innen an, indem ihr direkt durch euren Handkontakt blickt und geduldig einige Minuten wartet. Ihr wartet auf die expansive Phase der Ossa parietalia, wenn sie mit dem Anschwellen der Flüssigkeit in diesem Mechanismus leicht nach außen in Außenrotation kommen, und wartet dann, wie sie allmählich zurück in Richtung Innenrotation gehen. Eine rhythmische, eine tidenartige Bewegung, die hineingeht und herauskommt, den Körper als eine Einheit expandiert und kontrahiert. Dr. Sutherland beschloss, diese Bewegung die Fluktuation des Liquor cerebrospinalis zu nennen. (Der Begriff cranial rhythmic impulse wurde dann von anderen entwickelt, einfach nur zum Zweck des Zählens.)

An der Erfahrung der Fluktuation des Liquor cerebrospinalis teilzuhaben, ist eine dynamische, lebendige Funktion; und Funktion ist das, was wir in dieser Woche studieren. Wir wollen beginnen, damit zu spielen, zu spüren wie diese kleine, rhythmische Tide hineingeht und herauskommt. Ihr könnt sie im Kopf spüren; ihr könnt sie im restlichen Körper spüren. Wenn ihr euer Tastgefühl trainiert habt, könnt ihr diesen Mechanismus der Flexion und Extension überall im Körper palpieren und fühlen. Ihr könnt ihn in den Knöcheln fühlen, ihr könnt ihn im großen Zeh spüren, ihr könnt ihn in jedem Körperteil spüren – wo auch immer ihr eure Hände anlegt. Wir wollen nicht, dass ihr euch nur auf den Kopf konzentriert. Wir versuchen, euch dazu zu bringen, dass euch das gesamte Bild bewusst ist, so dass ihr den gesamten Mechanismus für Diagnose und Therapie überall im Körper nutzen könnt.

Rollin Becker - Leben in Bewegung & Stille des Lebens

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