Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 29
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ОглавлениеDer Hafen der Festung Macuro bestand aus Pfählen. Hunderte von ihnen, vielleicht mehr als tausend, waren in den weichen Grund gerammt worden, damit sie die Bretter trugen, aus denen Stege, Anleger und Plattformen zusammengezimmert worden waren.
Bereitwillig hatten die Spanier das Verfahren der Eingeborenen übernommen, die ihre Hütten vor der Mangrovenküste bauten. Eine solche Pfahlbausiedlung grenzte unmittelbar westlich an den Hafen von Macuro. Zwischen dem Gewirr der algenbewachsenen Pfähle lagen flache Einbäume, und aus den Eingängen der Hütten starrten braunhäutige Menschen herüber, die das Geschehen in stumpfer Apathie verfolgten.
Jene Pfahlbausiedlungen hatten dem Land seinen Namen gegeben. Genau zweiundneunzig Jahre waren vergangen, seit die Entdecker Alonso de Ojeda und Amerigo Vespucci 1499 an der Küste entlang bis zum Maracaibosee gesegelt waren. Auf dieser Reise hatten sie zum ersten Mal die Pfahlbauten der Indios gesehen, und dabei waren Erinnerungen an Venedig wach geworden. Vespucci und de Ojeda hatten diese Land „Venezuela“ getauft, was nichts anderes als „Klein-Venedig“ bedeutete.
Ein hartes Lächeln kerbte sich in die Mundwinkel Gerhard von Echtens, während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen. Knapp drei Jahrzehnte nach jener ersten Erforschung Venezuelas war der Vertrag mit dem Augsburger Bankhaus geschlossen worden, der sich nun für die zwanzig Männer unter von Echtens Kommando als äußerst verhängnisvoll erwiesen hatte. Ob und wann die Auftraggeber in Deutschland jemals von diesem Zwischenfall erfahren würden, stand in den Sternen. Vorerst gab es für die Männer, die schwer an ihren Ketten zu schleppen hatten, jedenfalls nicht die geringste Hoffnung.
In Reihe wurden sie durch das Tor der Palisadenbefestigung getrieben. Jetzt erstreckte sich der gerodete Küstenabschnitt in voller Breite in ihrem Blickfeld. Barsche Befehle der spanischen Soldaten trieben sie voran und hinderten sie, sich Einzelheiten genauer einzuprägen.
Gerhard von Echten wandte kaum merklich den Kopf. Die Festungsanlage war mit hölzernen Ecktürmen ausgestattet. Auch das große Tor wurde beiderseits von solchen Türmen begrenzt. Ihre quadratischen Plattformen waren mit Dächern geschützt, und es bestand kein Zweifel, daß dort oben schwere Geschütze in stationären Lafetten ruhten. Eine wirksame Sicherung für den Hafen, die sicherlich auch landeinwärts auf ähnliche Weise bestand.
Die Gefangenen wurden auf einen der beiden breiten Stege getrieben, die vom Strand zu den einfachen hölzernen Piers hinausführten. Es wehte eine schwache Brise, die die Gluthitze nicht zu mildern vermochte.
Gerhard von Echten erreichte den Steg als letzter. Die schweren Fußketten, die er und seine Männer hinter sich herzogen, hatten ein Rillenmuster im Sand zurückgelassen. Zwei Soldaten, die ihn flankierten, bildeten die Nachhut des Bewachungskommandos. Von Echten ließ seinen Blick über die Piers gleiten. Er zählte sieben Galeeren, die dort vertäut lagen. Zur Rechten befand sich eine Werftanlage, auf deren Helling eine weitere Galeere lag. Hammerschläge und das Kreischen von Sägeblättern klangen herüber. Unter einem provisorischen Dach aus Segeltuch waren die Arbeiter vor der sengenden Sonne geschützt.
Sigmund Haberding, der vor von Echten ging, verfing sich plötzlich in den Fußketten seines Vordermannes, stolperte und konnte sein Gleichgewicht nicht halten. Als er sich mit den Händen abstützte, war einer der Soldaten blitzschnell zur Stelle und hieb ihm die Stiefelspitze in die Seite. Haberding unterdrückte einen Schmerzenslaut und schlug endgültig hin.
„Aufstehen, du Hund!“ brüllte der Soldat und trat abermals zu. „Willst du wohl parieren, du Dreckskerl!“
Sigmund Haberding krümmte sich. Keuchend begann er sich aufzurappeln.
Gerhard von Echten konnte seine Wut nicht unterdrücken. Doch er versuchte vergeblich, sich auf den Spanier zu werfen. Noch im Ansatz seiner Bewegung wurde er an den Oberarmen gepackt, und ein Knie stieß schmerzhaft in seinen Rücken. Der Atem des anderen Soldaten umwehte ihn von hinten.
„Schön ruhig bleiben, Amigo! Oder willst du einen Vorgeschmack auf die Hölle, die dich da draußen erwartet?“
Gerhard von Echten ließ seine Muskeln erschlaffen. Er schwor sich, daß dies seine erste und letzte unüberlegte Handlung gewesen war. Durch so etwas konnte er die Lage für seine Männer nur verschlechtern. Für eine sorgsam geplante Aktion gegen die Spanier war die Zeit noch nicht reif. Dazu mußten sie erst mit den Verhältnissen vertraut sein, mit dem Tagesablauf und mit allen Einzelheiten.
Nach einem dritten Fußtritt des Soldaten gelangte Sigmund Haberding wieder auf die Beine. Der andere lockerte seinen Griff und ließ von Echten schließlich los. Einen Moment war der träge Marschtritt der Gefangenen ins Stocken geraten. Sofort setzte wütendes Gebrüll der Bewacher ein, und unter Hieben und Stößen bewegten sich die gepeinigten Männer weiter voran.
Gerhard von Echten spürte, daß die Spanier jetzt geradezu auf einen weiteren Zwischenfall lauerten. Sie hatten Blut geleckt und würden beim nächstenmal nur noch härter und gemeiner zuschlagen. Bevor Haberding sich wieder nach vorn wandte, wechselte von Echten einen raschen Blick mit ihm. Sie verstanden sich ohne Worte. Sei vorsichtig, bedeutete der Blick, gib ihnen keinen Anlaß mehr, ihr Mütchen an dir zu kühlen!
Der Steg führte etwa fünfzig Yards weit hinaus und knickte dann rechtwinklig nach links ab. Der andere Steg, mehr als hundert Yards entfernt, war ebenfalls rechtwinklig gebaut, jedoch in entgegengesetzter Richtung. In dem Bekken, das dadurch gebildet wurde, lagen vier einmastige Schaluppen, die offenbar nur einen äußerst geringen Tiefgang hatten. Zum Meer hin ließen die Kopfseiten der Stege einen Durchlaß von zehn Yards Breite. Den Flanken der Stege vorgelagert waren jene kurzen Piers, an denen die Galeeren mit dem Heck vertäut lagen. Die Galionssporne zeigten auf die offene Wasserfläche hinaus.
Über das, was sie auf einem solchen Schiff erwartete, gab sich keiner der zwanzig Deutschen irgendwelchen Illusionen hin. In allen Häfen dieser Welt kursierten Geschichten darüber, welche Erniedrigungen und Torturen Galeerensklaven erdulden mußten. Diese Schauergeschichten hatten vergessen lassen, daß Galeeren und Galeassen früher eigentlich nur von berufsmäßigen Ruderern bemannt gewesen waren – wie etwa in den ruhmreichen Zeiten Venedigs. Aber seit es üblich geworden war, Menschen auf den Ruderbänken anzuketten, stand allein das Wort „Galeere“ für den Inbegriff der Hölle.
Während sie weitergetrieben wurden, hatte Gerhard von Echten nur flüchtig Gelegenheit, die flachen Schiffe zu betrachten. Zweifellos waren sie für den Einsatz in den flachen Küstengewässern des Golfes von Paria besser geeignet als zwei- oder dreimastige Segelschiffe, die ausschließlich die Windkraft nutzten. Sechs der an den Piers vertäuten Galeeren waren von einheitlicher und schmuckloser Bauart, etwa dreißig bis fünfunddreißig Yards lang, mit nur einem Mast, an dem ein Lateinersegel geführt wurde.
Eine Galeere hob sich jedoch durch ihr Äußeres von den anderen ab, und es verwunderte Gerhard von Echten nicht, daß sie geradewegs auf dieses Prunkschiff zugeführt wurden.
Es war gut fünfzig Yards lang und hatte ein reich verziertes Heck. Wappenschilde und Medaillons waren mit kunstvoll geschwungenen Linien verbunden. Die Einlegearbeiten leuchteten in verschiedenen Farben, der Schriftzug „Virgen de Murcia“ war mit Blattgold unterlegt. Über dem ausladenden Heckaufbau dehnte sich ein Sonnendach aus schwerem, rot gefärbtem Segeltuch, das an den Kanten mit Fransen besetzt war. Wie bei allen Galeeren üblich, gab es an den beiden Außenseiten der Plattform je eine herabhängende Treppe, über die man an Bord gelangte. Das massive Stufenholz war fest eingebaut, wurde also während der Fahrt nicht eingeholt.
Ein untersetzter Sargento, der die Gruppe der Soldaten befehligte, baute sich neben der Steuerbord-Hecktreppe auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. Auf seinen barschen Befehl hasteten vier Soldaten an Bord. Die übrigen stellten sich in Reihe auf, um die Gefangenen auf der Pier zu flankieren.
Gerhard von Echten sah, wie der Unterführer höhnisch grinsend eine Verbeugung und eine einladende Handbewegung andeutete.
„Vorwärts, Amigos, für euch haben wir die besten Plätze reserviert!“
Die Vordersten in der Formation der Gefangenen setzten sich in Bewegung und erklommen die Stufen, die zur Heckplattform hinaufführten. Nach und nach folgten ihnen die anderen. Das Klirren ihrer Ketten vereinte sich zu einem alles bestimmenden Geräusch. Nur für wenige Schritte genossen sie den wohltuenden Schatten unter dem Sonnendach, dann wurden sie von der Gluthitze empfangen, die mittschiffs über den Plankengängen und den Ruderbänken lastete. Die Brise war nicht stark genug, um den Geruch von Menschenschweiß und Kalfaterpech zu verwehen.
Atemlose Stille herrschte an Bord, nur unterbrochen vom Klang der Ketten. Einhundertdreißig Augenpaare waren groß und starr auf die Neuankömmlinge gerichtet. Ausnahmslos Indios hockten auf den Ruderbänken. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, nur ihre Augen schienen einen Rest von Leben bewahrt zu haben, der das Ungeheuerliche des Geschehens zu erfassen vermochte.
Gerhard von Echten sah mit einem Blick, daß genau zwanzig Plätze frei waren, gleich achtern, vor der schattigen Heckplattform, die der Schiffsführung vorbehalten blieb. Es gab insgesamt fünfzig Ruderbänke, auf jeder Seite fünfundzwanzig. Jeweils drei Ruderer saßen auf einer Bank, und jeder hatte einen Riemen von gut zwölf Yards Länge zu bewegen.
Jetzt ertönten wieder die barschen Befehle der Soldaten, als sie die Gefangenen auf die freien Ruderbänke scheuchten. Von der sehr flach gebauten Back löste sich eine Gestalt, bei deren Anblick die Indios sofort die Köpfe tiefer zogen.
Ein Schauer lief Gerhard von Echten über den Rücken, als er den Kerl sah. Ein Riese von Statur, sowohl in seiner Körpergröße als auch in seiner Breite. Mindestens zwei Zentner Lebendgewicht schleppte der Bursche mit sich herum. Außer einer Leinenhose mit breitem Gurt über dem mächtigen Bauch war er unbekleidet. Kleine tückische Augen funkelten in seinem feisten Gesicht. Sein Kahlkopf leuchtete in der Sonne. Da er eine schwere Lederpeitsche in der Rechten trug, bestand kein Zweifel über die Aufgabe, die dieser Koloß an Bord der „Virgen de Murcia“ zu erfüllen hatte.
Er watschelte mit beträchtlicher Geschwindigkeit über den Plankengang heran, der sich von der Back bis zum Achterdeck in erhöhter Position zwischen den Ruderbänken entlangzog.
Einige der Gefangenen verhedderten sich in ihren Ketten, als sie von den Soldaten auf die Bänke gestoßen wurden.
Gerhard von Echten hielt den Atem an. Er wußte, was jetzt folgte.
Der kahlköpfige Stockmeister stieß einen heiseren Wutschrei aus. Mit einem letzten Satz, der seine Körpermassen erbeben ließ, war er zur Stelle. Die geflochtene Lederschnur der Peitsche zischte nieder. Ein scharfer, klatschender Laut folgte.
Der Getroffene, der zwischen den Bänken gestrauchelt war, schrie schmerzerfüllt auf. Er stürzte gegen die Indios auf der Bank davor, doch die braunhäutigen Männer rührten sich nicht und wagten nicht, ihm aufzuhelfen.
Noch zweimal schlug der Stockmeister zu. Abermals gellten Schrei, als zwei weitere Männer getroffen wurden, die nicht sofort den rechten Platz auf ihrer Bank gefunden hatten.
Gerhard von Echten empfand ohnmächtige Wut, die wie eine brennende Woge in ihm aufstieg. Der Anblick des kahlköpfigen Fettwanstes, der breitbeinig auf dem Plankengang lauerte, brachte seinen Zorn fast zum Überkochen. Von Echten mußte alle Willenskraft aufwenden, um sich zu beherrschen. Er folgte Sigmund Haberding und den anderen, die sich wieder in Bewegung setzten.
Der Zufall wollte es, daß Haberding und von Echten ihren Platz nebeneinander auf der letzten Bank an Steuerbord zugewiesen erhielten. Sie mußten den Kopf weit in den Nacken legen, wenn sie zu der Schmuckbalustrade aufblicken wollten, die die Plattform unter dem Sonnendach begrenzte. Gerhard von Echten war Vormann auf seiner Bank, saß also direkt am Plankengang und würde später den Takt vorzugeben haben, wenn die Schinderei begann.
Die Spanier ahnten offenbar nicht, daß Sigmund Haberding sein Stellvertreter war. Äußerlich war Haberding nicht das, was man einen auffälligen Menschen nennen konnte. Dunkelblond, mittelgroß und von schmaler Statur, schien er alles andere als ein harter Kämpfer zu sein. Doch dieser Eindruck trog.
Gerhard von Echten hatte in seinem Leben nur wenige Leute kennengelernt, die Intelligenz und körperliche Kraft und Gewandtheit gleichermaßen hatten. Sigmund Haberding, Baumeister und Landvermesser von Beruf, gehörte zu dieser seltenen Spezies. Bei der Planung der Venezuela-Expedition hatte er keine Eventualitäten außer acht gelassen. Die Gruppe unter Gerhard von Echten war dank der Leistung seines Stellvertreters exzellent ausgerüstet gewesen und hätte monatelang ohne fremde Hilfe im unwegsamsten Dschungel aushalten können. Nur eins hatte niemand einplanen können: jene unliebsame Konfrontation mit den Spaniern, die sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen hatte.
Der Sargento und sein Bewachungskommando blieben unter dem Sonnendach des Achterdecks. Eine andere Gruppe von Soldaten, die offenbar zur Schiffsbesatzung gehörten, eilte von der Back her auf die neuen Ruderknechte zu. Sie schleppten Ringe und Eisenstangen heran, mittels derer die Fußketten der Gefangenen an den Stützleisten vor den Bänken befestigt wurden. Die Handketten wurden unlösbar mit den Griffstücken der schweren Riemen verbunden. Unlösbar jedenfalls für die Gefangenen, weil die Augbolzen mit dem Hammer festgeschlagen wurden und später nur mit einer Zange herausgezogen werden konnten.
Der Stockmeister wartete geduldig, bis die Soldaten ihre Arbeit verrichtet hatten und sich wieder auf die Back begaben. Sie verfügten dort ebenfalls über ein Sonnendach aus Segeltuch, das auf einer Firststange ruhte. Letztere lag in einer Halterung am Fockmast und auf einer Traverse vor dem Galionssporn.
Im Gegensatz zu den kleineren Galeeren hatte die „Virgen de Murcia“ zwei Masten, an denen Rahsegel gefahren wurden. Dieses war unüblich, denn die Galeeren, die Gerhard von Echten aus dem Mittelmeerraum kannte, verwendeten ausnahmslos Lateinersegel. Möglicherweise hatten sich die Baumeister dieser Prunkgaleere aber für die Rahbesegelung entschieden, weil sie für die bisweilen auftretenden tückischen Stürme im Golf von Paria besser geeignet waren.
Überhaupt mußten die hier stationierten Galeeren in Venezuela gebaut worden sein, denn eine Überquerung des Atlantiks war mit Schiffen dieser Art ein allzu waghalsiges Unterfangen. Das Armierungssystem der Galeere war so überholt wie der Schiffstyp selbst. Auf einer Plattform am Bug ruhte ein überschwerer Mörser. Außerdem gab es vier Drehbassen, je zwei vorn und achtern an Backbord und Steuerbord. Den Rest an Feuerkraft hatte die Schiffsbesatzung mit Musketen und Armbrüsten zu bewerkstelligen.
Nach Meinung der Spanier waren Galeeren aber wegen ihrer Wendigkeit und ihres geringen Tiefgangs für Einsätze in Küstennähe noch immer am besten geeignet. Gegner dieser Ansicht behaupteten indessen, daß Galeeren heutzutage bestenfalls noch gut dafür waren, größere Segelschiffe bei ungünstigem Wind in den Hafen zu schleppen. Dieselben Gegner wiesen auch darauf hin, daß eine Galeere gegen ein Kriegsschiff unter Segeln nur dann eine Chance hatte, wenn es ihr gelang, vier Strich von achtern heranzurudern. Nur dadurch gelangte sie in den toten Winkel der feindlichen Bordgeschütze, und das wiederum war meist nur bei einer Flaute möglich.
Das heisere Organ des Stockmeisters störte Gerhard von Echten in seinen Gedanken.
„Herhören, ihr verdammten Hunde! Ihr habt ab sofort die Ehre, eins der prächtigsten Schiffe im Golf von Paria rudern zu dürfen. Wer sich dieser Ehre unwürdig erweisen sollte, kriegt die Peitsche zu schmecken. Ist das klar?“ Der feiste Kahlkopf blickte mit seinen schmalen kleinen Augen in die Runde. Er nickte zufrieden, als niemand es wagte, einen Laut von sich zu geben. Dann fuhr er fort: „Ich werde euch jetzt zeigen, was ihr zu tun habt. Und gnade euch Gott, wenn das nachher nicht klappt! Wir haben nämlich Order für eine Inspektionsfahrt nach Punta Peñas. He, du!“ Er wandte sich zur Seite und stieß einem der Indios mit dem Peitschenstiel gegen die Schulter. „Hoch mit dir! Zeig den Neuen, wie man pullt!“
Der Eingeborene sprang von seiner Ruderbank auf und packte den Riemen, der wie alle anderen in Ruhestellung arretiert war. Seine beiden Nebenmänner mußten dem Beispiel folgen, denn die drei Riemen einer Bank ließen sich nur gleichzeitig bewegen.
„Aufpassen jetzt!“ brüllte der Stockmeister. „Seht genau her, ihr Mistkerle! Wir fangen an mit dem ersten Takt. Der Vormann steht als erster auf, und die beiden anderen folgen ihm jeweils einen Moment später. Den richtigen Zeitabstand kriegt ihr von selbst raus, wenn ihr erst mal angefangen habt. So! Und jetzt …“ Er deutete auf den Indio, der nach seinen Worten die entsprechenden Bewegungen vollführte. „… einen Schritt vor, rechten Fuß auf die Fußraste und – fallen lassen!“
Der Indio sackte zurück auf seine Bank.
„Damit ihr’s kapiert“, blaffte der Kahlkopf, „durch diesen Bewegungsablauf taucht das Riemenblatt mit einer kurvenförmigen Linie ins Wasser. Weshalb das wichtig ist, braucht ihr nicht zu wissen.“
„Bestmögliche Ausnutzung der Hebelwirkung“, flüsterte Sigmund Haberding.
Gerhard von Echten nickte kaum merklich.
„Sei still!“ zischte er, ohne den Stockmeister aus den Augen zu lassen. Dieser hatte zum Glück nichts bemerkt. Es war sinnlos, wenn sie sich von Peitschenhieben traktieren und dadurch ihre Kraftreserven schmälern ließen. Denn ihre Energie würde rasch dahingeschmolzen sein. Wenn es aber irgendwann eine Chance für sie geben sollte, dann brauchten sie wenigstens ein Mindestmaß an Stehvermögen.
„Jetzt haben wir nur noch den dritten Takt“, fuhr der Kahlkopf mit dröhnender Stimme fort. „Und dieser dritte Takt leitet zugleich wieder den ersten Takt ein. Folgendermaßen: Riemen aus dem Wasser und – aufstehen!“
Der Indio-Vormann und seine Banknachbarn demonstrierten auch diese Bewegung.
„Seht ihr, so einfach ist das. Eigentlich ein Kinderspiel. Ihr könnt froh sein, daß ihr rudern dürft, statt in einem Kerker ohne Licht und Sonne hocken zu müssen.“ Er lachte scheppernd, und dabei sah es aus, als wollten sich die Fettwülste an seinem Oberkörper selbständig machen. „Gut. Die Neuen werden das jetzt mal bankweise und dann alle zusammen üben.“ Er watschelte zwei Schritte in Richtung Achterdeck und zeigte mit der Peitsche auf Gerhard von Echten. „Du bist Vormann, Amigo, und deine Nebenmänner richten sich nach dir! Also los!“
Von Echten gehorchte. Er stellte sich unbeholfener an, als er war, bemühte sich aber, keine schwerwiegenden Fehler zu begehen. Jeder unnötige Peitschenhieb, den er kassierte, konnte sich später als Nachteil erweisen. Nach den ersten vier, fünf Versuchen klappte es zur Zufriedenheit des Stockmeisters.
Die nächsten Bankmannschaften folgten, und sie alle hatten inzwischen begriffen, daß sie sich nach Gerhard von Echtens Beispiel richten und die Peitsche vermeiden mußten. Nach dem abschließenden gemeinsamen Üben stieß der kahlköpfige Koloß einen besänftigten Knurrlaut aus.
„Na fein! Seht zu, daß es genausogut funktioniert, wenn der Capitán nachher an Bord ist. Immerhin“, er setzte ein hinterhältiges Grinsen auf, „müßt ihr euch die Essensrationen erst verdienen. Vergeßt das nicht.“ Er wandte sich abrupt ab und begab sich mit kurzen, schnellen Schritten zurück zur Back, wo er über einen schattigen Stammplatz zum Ausruhen verfügte.
Die Soldaten, die unter dem Kommando des Sargento standen, postierten sich auf dem Plankengang. Offenbar mißtrauten sie den neuen Ruderknechten noch. Erst wenn sie genügend geschunden waren, brauchte man mit etwaiger Aufmüpfigkeit von ihnen nicht mehr zu rechnen.
Die nächste halbe Stunde verrann, ohne daß etwas geschah. Weder die Indios noch die neuen Galeerensträflinge wagten es, ein Wort zu wechseln. Unter der sengenden Sonne rann ihnen allen trotz der Tatenlosigkeit der Schweiß in Strömen über die Haut. Auch den Soldaten war keineswegs behaglich zumute. Sie schwitzten unter ihren Panzern und Helmen und bedachten die Gefangenen, denen sie diesen Einsatz zu verdanken hatten, mit mißbilligenden und teilweise sogar haßerfüllten Blicken.
Unvermittelt wurde die lähmende Stille an Bord durchbrochen.
Schläge einer einzelnen Trommel ertönten im Marschtritt, näherten sich rasch, und es bestand kein Zweifel, daß die „Virgen de Murcia“ das Ziel war. Schon strafften die Soldaten auf dem Plankengang und unter dem Sonnendach ihre Haltung. Der Sargento verharrte zwei Schritte abseits von seinen Männern in Habtachtstellung.
Die Trommelschläge dröhnten jetzt. Schritte polterten auf Holzplanken, und die Männer auf den Ruderbänken spürten, wie das Schiff durch die zusätzliche menschliche Last in kaum merkliche Bewegung geriet.
„Atención!“ brüllte der Sargento. „Achtung!“
Die Soldaten standen schlagartig stocksteif, als hätte man ihnen anstelle des Rückgrats einen Besenstiel in den Rücken geschlagen. Der Unterführer schnarrte seine Meldung herunter.
„Gracias, Sargento“, sagte Capitán Gutiérrez, „danke, danke. Begeben Sie sich mit Ihren Leuten auf die Back. Wir werden ein wenig Verstärkung nötig haben.“
Gerhard von Echten las die Enttäuschung in den Gesichtern der Soldaten. Sie hatten geglaubt, ihre Order wäre mit dem Anketten der Gefangenen beendet gewesen. Aber Gutiérrez dachte nicht daran, sie jetzt schon in das süße Nichtstun der Garnison zu entlassen.
Nachdem die Soldaten der Anordnung gefolgt waren, trat der Capitán mit seinen drei Begleitoffizieren an die Schmuckbalustrade. Gutiérrez hatte seine vermutlich beste Uniform angelegt. Das Wams war mit verschnörkelten goldenen Stickereien besetzt, der schwarze Hut trug Verzierungen im gleichen Muster. Am Gurt aus weichem Schweinsleder hingen Gutiérrez’ Prunkwaffen – links ein Offiziersdolch und rechts eine einschüssige Pistole. Die Griffstücke beider Waffen waren mit Einlegearbeiten und Gravuren in feinstem Silber versehen. Die rote Kniehose des Kommandanten von Macuro endete in mattschimmernden Stulpenstiefeln.
Wohlgefällig ließ Ramón Marcelo Gutiérrez seinen Blick über die neuen Ruderknechte gleiten.
„Wie ich sehe“, stellte er mit falschem Lächeln fest, „habt ihr euch schon recht gut eingelebt, meine lieben deutschen Freunde. Richtet euch nur immer nach allen Vorschriften, und ihr werdet ein feines Leben an Bord meines Schiffes führen. Viel besser, als ihr es eigentlich verdient hättet.“ Er räusperte sich und verschränkte die Arme vor dem fülligen Oberkörper. „Wir unternehmen jetzt eine Inspektionsfahrt nach Punta Peñas, etwa sieben Seemeilen nordöstlich von hier. Achtet mir darauf, daß ihr eure Arbeit ordentlich tut. Ich habe es nicht gern, wenn ich in meiner Ruhe gestört werde, weil das Schiff zu schlingern anfängt.“
Gutiérrez gab ein Handzeichen zum Vorschiff und wandte sich ab. Auf welche Tücken sich die Warnung des Capitán gründete, sollten Gerhard von Echten und seine Männer erst später begreifen. Denn die Schwierigkeiten, mit denen ein Ruderknecht auf einer Galeere bisweilen zu kämpfen hatte, kannten sie alle nicht.
Mittschiffs und auf der Back entstand Wuhling. Die Decksmannschaft, die sich bislang im Logis aufgehalten hatte, löste die Leinen und holte den Buganker ein. Segel wurden nicht gesetzt. Die Gefangenen wagten nicht, sich umzudrehen, denn der Stockmeister war mittlerweile wieder zur Stelle und schritt gemächlich auf dem Plankengang auf und ab, die Hände mit der Peitsche auf den Rücken gelegt.
Während Capitán Gutiérrez und seine Offiziere aus dem Blickfeld der Ruderknechte verschwanden, trat der Trommler an die Schmuckbalustrade und verharrte abwartend.
„Klar zum Ablegen!“ ertönte eine Stimme vom Vorschiff.
Der Stockmeister hob die Peitsche zur Bestätigung und begab sich zum vorderen Ende des Plankengangs, in die Nähe des Trommlers.
„Klar bei Riemen!“ schrie der Kahlköpfige.
Es war wie ein jäher Ruck, der durch die Masse der einhundertfünfzig menschlichen Leiber lief. Der einheitliche Bewegungsablauf funktionierte so präzise, daß der Stockmeister einen mißtrauischen Blick zu den Deutschen warf, als hielte er ihr frühzeitiges Können für Hexerei.
Der erste Trommelschlag erfolgte mit dem zweiten Rudertakt und dann in gleichbleibendem Rhythmus zu jedem weiteren Takt. Rasch nahm die Galeere Fahrt auf. Das Knarren der Riemen auf den Dollen vereinte sich zu einem einförmigen Klang.
Etwa vier Kabellängen von den Piers entfernt ging die „Virgen de Murcia“ auf nordöstlichen Kurs. Auch die Riementechnik, die bei einem solchen Kurswechsel den Mann an der Ruderpinne unterstützte, meisterten die neuen Galeerensträflinge auf Anhieb. An Backbord wurde zweimal drei Takte lang ausgesetzt, während sie an Steuerbord unablässig weiterpullten. Die Kommandos gab der Stockmeister, auf sein Zeichen hin fielen die Backbordruderer wieder in den ursprünglichen Takt ein.
Jemand brüllte einen Befehl vom Achterdeck. Augenblicke später war das Klatschen nackter Fußsohlen auf den Planken zu hören. Die Decksmannschaft enterte in den Wanten auf. Großsegel und Focksegel wurden gesetzt, denn der Wind stand günstig aus Südsüdwest. Das Tuch blähte sich unter der handigen Brise. Die Männer unter Gerhard von Echten wagten nur für einen Moment, sich umzudrehen. Sie sahen, daß die Segel riesige Dämonenfratzen in schillernden Farben trugen. Der Grund für eine solchermaßen grausliche Bemalung mochte darin liegen, daß man auf diese Weise bei den abergläubischen Eingeborenen einen Vorschuß an Respekt erlangte.
Deutlich spürten die Männer auf den Ruderbänken, wie durch die plötzliche Windkraft ein Beben durch den Schiffsrumpf ging und die Fahrt sich abermals steigerte. Dennoch gab es für die Ruderknechte keine Pause. Offenbar, so folgerte Gerhard von Echten, liebte es Capitán Gutiérrez, die Schnelligkeit seines Prunkschiffes bis zur Neige auszukosten.
Noch bewältigten von Echten und seine Gefährten die Arbeit an den Riemen, ohne daß ihnen die Zunge aus dem Hals hing. Lediglich der Schweiß lief ihnen aus allen Poren. Aber sie wußten auch, daß dies nur der Anfang war. Keiner von ihnen mochte daran denken, wie es aussehen würde, wenn das Pullen zu mörderischer Schinderei ausgeartet war. Überdies war die Schlagzahl, die der Trommler vorgab, zur Zeit noch mäßig. Das würde sich schon dann ändern, wenn sie ohne Segel gegen Wind und Seegang zu rudern hatten.
Doch die Schwierigkeiten sollten ihnen schon bald aus einer völlig anderen Richtung drohen. Nachdem sie geraume Zeit ihre Riemenarbeit in unverändertem Gleichklang geleistet hatten, setzten unvermittelt Böen ein. Anfangs vereinzelt, doch dann zunehmend häufiger begann das Segeltuch zu schlagen. Noch trübte kein Wolkenfetzen den Himmel, aber der Golf von Paria kündigte seine Tücken an. Die Decksleute wurden an die Brassen gescheucht. Es half jedoch wenig. Zu oft änderte der Wind jetzt seine Richtung.
Die See wurde kabbelig. Schatten schienen mit den Böen über die Wasseroberfläche zu huschen. Noch lag die mächtige Galeere ruhig im Wellengang, doch häufig schnitten die Riemenblätter jetzt durch die Luft, statt ins Wasser zu tauchen.
Gerhard von Echten und seine Männer hatten Mühe, nicht aus dem Takt zu geraten. Es zeigte sich, daß die Indios über mehr Erfahrung verfügten. Sie verstanden es, sofort auf den etwa fehlenden Gegendruck zu reagieren und ihre Muskelkraft entsprechend zu bremsen.
Das Unvermeidliche geschah auf einer der Backbordbänke.
Der Vormann und sein Nachbar verloren das Gleichgewicht, als ihre Riemen durch leeren Raum wischten. Vergeblich versuchten sie, sich rechtzeitig abzustützen. Eine Kettenreaktion war die Folge. Mit schmetternden Geräuschen verhedderten sich die Riemen der achteren Bänke an Backbord zu einem hölzernen Salat.
Die Decksleute stießen wütende Schreie aus. Unter dem Sonnendach der Heckplattform wurden barsche Befehle laut. Der Stockmeister war eilends zur Stelle und ließ seine Peitsche auf die unglückseligen Ruderknechte niedersausen. Doch es half alles nichts.
Die „Virgen de Murcia“ lief aus dem Ruder und begann zu stampfen.
„Verfluchte Hundesöhne!“ schrie der Stockmeister mit sich überschlagender Stimme. „Hoch die Riemen!“
Das Kommando war wie eine Erlösung. Außenbords flogen die Riemen empor, von den Ruderknechten in Ruhestellung gekantet. Von weitem sah die Galeere jetzt aus wie ein großes Insekt mit feingliedrigen, rechteckigen Flügeln. Die Decksleute arbeiteten fieberhaft an den Brassen, und im nächsten Moment standen die Segel wieder prall vor dem Wind.
Capitán Gutiérrez schob sich mit zornrotem Gesicht an die Schmuckbalustrade. Er stützte sich mit den Händen auf, um sein Gleichgewicht zu halten.
„Stockmeister!“ brüllte er.
Der Kahlköpfige verneigte sich eilfertig.
„Si, mi capitán?“
„Wer waren die Bastarde?“
Wortlos deutete der Stockmeister auf die Bänke der Deutschen an Backbord.
„Ich habe den Verdacht“, sagte Gutiérrez gefährlich leise, „daß sie es absichtlich getan haben, um mich zu ärgern. Jeder von ihnen soll fünf Peitschenhiebe erhalten, damit sie sich solche Dreistigkeiten in Zukunft nicht mehr erlauben!“
„Si, mi capitán!“ schnarrte der kahlköpfige Koloß, und mit fettem Grinsen wandte er sich zur Seite.
Gerhard von Echten schloß die Augen, als die Peitschenschnur zischend herabsauste und auf die ungeschützten Rücken der Männer klatschte. Bei den ersten Hieben bissen sie noch die Zähne zusammen, doch dann konnten sie ihre Schreie nicht mehr unterdrücken.
Gerhard von Echten mochte die Demütigung seiner Männer nicht mit ansehen. Dabei hatte er die vage Ahnung, daß dies nur ein Anfang der Qualen war, die ihnen noch bevorstanden.