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8.

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Gleich nachdem sie im Nebel verschwunden waren, hatte Ben Brighton den Kurs ändern und die „Isabella“ in langen Schlägen gegen den Wind kreuzen lassen. Dann waren sie erneut auf Ostkurs gegangen und näherten sich nun abermals dem Hafen von Macuro aus der ursprünglichen Richtung.

„Deck!“ schrie Bill, der Moses, aus dem Großmars. „Leuchtkugel an Backbord!“

Die Köpfe der Männer ruckten herum. Deutlich sahen sie den hellroten Feuerball, der hoch am Himmel zerplatzte und einen Funkenregen niederschweben ließ. Es war das vereinbarte Zeichen.

Längst war die Galeone klar zum Gefecht. Murrend zwar, doch letztlich folgsam, hatten sich die Zwillinge ins Mannschaftslogis verzogen, nachdem sie Sand ausgestreut sowie Kohlenbecken und Pützen mit Wasser aufgestellt hatten. Und wieder standen die Geschützmannschaften unter Al Conroys Kommando an Backbord bereit.

Unvermittelt tauchten die zerschossenen Galeeren aus dem Dunst auf. Nach dem ersten Angriff war die Sicht merklich besser geworden. In der Pfahlbausiedlung regte sich keine Menschenseele. Die Indios mußten die Flucht in den Dschungel ergriffen haben. Unter dem leicht zunehmenden Wind begann der Nebel sich mehr und mehr zu verflüchtigen.

Auch die Festungspalisaden von Macuro wurden jetzt sichtbar.

„Drei Strich Steuerbord!“ befahl Ben Brighton reaktionsschnell. „Backbordgeschütze klar zum Feuern!“

Pete Ballie ließ das Steuerruder wirbeln, und der Bug der „Isabella“ schwenkte nach Südosten.

Bevor die Festungsbatterien auch nur eine Chance hatten, das Ziel zu erfassen und sich darauf einzurichten, gab der Erste Offizier der „Isabella“ den Feuerbefehl. Jetzt zeigte sich der unschätzbare Vorteil, den die überlangen Rohre der Culverinen an Bord der Galeone boten. Gegen die Reichweite dieser Geschütze war kein Kraut gewachsen.

Yardlange Feuerblitze zuckten aus den Stückpforten, hart krängte die „Isabella“ unter dem Rückstoß nach Steuerbord. Der Donner der Culverinen rollte gegen die Festung an, mit verheerender Gewalt raste die volle Backbord-Breitseite auf die Palisaden zu.

Schreie gellten, noch bevor die Siebzehnpfünderkugeln das Palisadenholz in Trümmer legten. Berstend und krachend flogen die Palisaden unter den Einschlägen auseinander. Die Batterietürme sanken mit ihrer schweren Geschützlast in sich zusammen wie unter wegknickenden Getreidehalmen. Planken und Bohlen wirbelten durch die Luft und begruben die Soldaten unter sich. Innerhalb von Sekunden bestand die vordere Festungsmauer nur noch aus zerfetzten Fragmenten.

Während der Pulverrauch sich lichtete, stimmten die Männer auf der „Isabella“ ihr Triumphgebrüll an.

„Ar – we – nack!“ hallte abermals der Schlachtruf, dessen rollender Takt an den Marschtritt eines herannahenden Heeres erinnerte.

„Deck!“ gellte von neuem Bills Stimme aus dem Großmars. „Galeere Backbord voraus!“

Noch während er die letzte Silbe hervorstieß, erfolgte ein dumpfer Schlag, dann das unverkennbare Orgeln eines herannahenden Geschosses. Klatschend fuhr es durch das Vormarssegel der Galeone und riß an Steuerbord eine hohe Fontäne aus den Fluten.

Al Conroy reagierte blitzschnell. Mit wenigen Sätzen war er auf der Back. Die Drehbasse an Backbord war bereits geladen, wie alle anderen der Hinterladergeschütze in den schwenkbaren Gabellafetten.

Wie Ben Brighton, der auf dem Achterkastell nach Backbord geeilt war, erfaßte auch der Stückmeister die Situation blitzschnell.

Die Prunkgaleere des Festungskommandanten war mit Soldaten als Ruderern bemannt worden und löste sich von der Pier. Auf der Plattform am Bug war die Geschützmannschaft im Begriff, den schweren Mörser für den zweiten Schuß zu laden. Da nicht einmal die Hälfte der Ruderbänke besetzt war, lief die Galeere nur langsame Fahrt.

Al Conroy schätzte die Entfernung auf neunzig bis hundert Yards. Ruhig visierte er an, nachdem er die Lunte ins Zündloch der Drehbasse geschoben hatte.

Im selben Moment ging Ben Brighton aufs Ganze.

„Geh auf Ostkurs, Pete!“

„Aye, aye, Sir.“ Der Rudergänger begriff sofort. Trotz des zerrissenen Vormarssegels hatte sich die Fahrt der schlanken Galeone noch nicht verringert.

Al Conroy glich den beginnenden Kurswechsel aus. Brüllend entlud sich die Drehbasse und spie ihren tödlichen Hagel aus gehacktem Blei aus.

Als der Pulverrauch verflog, war die Plattform am Bug der Galeere wie leergefegt. Nur der Mörser stand einsam und verlassen da. Schreie gellten im nächsten Moment, doch das Entsetzen, das aus ihnen klang, galt nicht dem Meisterschuß Al Conroys.

Groß und drohend rauschte der Bug der „Isabella“ auf das Vorschiff der Prunkgaleere zu. Viel zu spät erhielt die zahlenschwache Rudermannschaft den Befehl zum Streichen. Panikartig sprangen die ersten Ruderer auf, als der Schatten der heranrauschenden Galeone auf sie fiel. Befehle, die unter dem Sonnendach hervorgellten, wurden nicht mehr befolgt.

Rasend schnell verringerte sich die Distanz.

Mit ohrenbetäubendem Krachen bohrte sich der Bug der „Isabella“ in das prachtvoll verzierte Vorschiff der Galeere. Für einen Moment hob sich der Bug der Galeone. In einem Meer von Trümmern versank auch der schwere Mörser.

Die Soldaten, einschließlich der Offiziere, sprangen in wilder Flucht über Bord und retteten sich schwimmend an Land.

Ben Brighton ließ beidrehen. Zurück blieb das Wrack der „Virgen de Murcia“, deren reichgeschmücktes Heck jetzt schräg emporragte.

Aus der Festung wehten noch immer Schüsse und Detonationen herüber. Besorgnis überschattete die Gesichtszüge Ben Brightons. Er durfte den Männern an Land nicht zu Hilfe eilen, denn noch war die Lage zu unklar, um die „Isabella“ schutzlos vor Anker zu legen.

Insgesamt drei Batterietürme gab es an der landeinwärts gelegenen Palisadenwand der Festung. Bevor die Mannschaften die Geschütze zum nächsten Schuß klarieren konnten, waren Hasard und seine Männer heran. Smoky und Ferris Tucker gaben Feuerschutz mit ihren Musketen. Mit Höllenflaschen, deren Lunten bereits glimmten, jagten der Seewolf, Ed Carberry und Dan O’Flynn auf die Türme zu. Batuti stand seelenruhig an der Ecke einer Barakke und feuerte seine Pfeile auf die Türme ab. Die Mannschaften waren gezwungen, in Deckung zu gehen.

Alles Weitere spielte sich in Minutenschnelle ab. Hasard und die beiden anderen schleuderten ihre Höllenflaschen aus geringer Entfernung nach oben. Dann warfen sie sich herum und hasteten zurück.

Beinahe gleichzeitig erfolgten die Detonationen. Trümmer wirbelten durch die Luft, und die mächtigen Kanonen schlugen hart auf dem Boden auf.

Stille kehrte ein.

Der Seewolf und seine Männer vergewisserten sich rasch, daß die Festungstürme an den Längsseiten der Palisaden nicht besetzt waren. Dann eilten sie zurück über den Appellplatz, wo die meisten Indios schon bewaffnet waren und unter dem Kommando der Deutschen auszuschwärmen begannen. Gerhard von Echten und seine Freunde waren noch in den Gebäuden beschäftigt.

Durch die zerfetzte Palisadenfront der Festung eilten die Männer von der „Isabella“ zum Hafen hinunter. Grenzenlose Erleichterung befiel sie, als sie die Szenerie vor sich sahen. Hier gab es keine Probleme mehr. Ben Brighton und die anderen hatten ganze Arbeit geleistet.

Erst beim zweiten Hinsehen erblickten Hasard und seine Männer die Gestalten, die aus dem seichten Uferwasser an Land krochen. Und die Seewölfe waren rechtzeitig genug zur Stelle, um die Spanier in Empfang zu nehmen. Die triefendnassen Männer unter Capitán Ramón Marcelo Gutiérrez leisteten keinen Widerstand mehr. Es gab keinen Gedanken daran angesichts der drohenden Waffen, die sich ihnen entgegenrichteten. Überdies saß ihnen der Schock der gerade erlittenen Niederlage noch in den Knochen.

Den beleibten Festungskommandanten übernahm der Seewolf persönlich. Gutiérrez war ein schlotterndes Abbild seiner selbst. Er konnte den hünenhaften Engländer nur anstieren und brachte kein Wort des Protestes hervor, als Hasard ihn mit einem Schwenker seines Drehlings aufforderte, loszutraben.

Frenetischer Jubel der Indios empfing ihn und die anderen, als sie die Spanier über die heruntergelassene Bohlenbrücke in das ehemalige Gefangenenlager trieben. Von allen Seiten erschienen jetzt Gruppen bewaffneter Indios, die versprengte Spanier aufgegriffen hatten und dem Beispiel der Seewölfe folgten. Im Handumdrehen befand sich die überlebende Schar der Soldaten unter Capitán Gutiérrez in jenem Lager, in dem sie zuvor die Rudersklaven wie Tiere hatten vegetieren lassen.

„Ihr werdet eine Weile hier ausharren müssen“, erklärte Hasard, „und denkt daran, daß in eurem schönen Graben noch genügend Alligatoren am Leben geblieben sind.“

Er wandte sich ab. Sie zogen die Brücke hoch und schlossen das Gatter. Irgendwann würden die spanischen Galeonen erscheinen, die den Silbervorrat abzutransportieren hatten. Bis dahin mußten sich Gutiérrez und seine Leute gedulden. Schon jetzt stand fest, daß es härter für sie werden würde als eine gnädige Kugel.

Als Hasard und seine Männer auf den Appellplatz zurückkehrten, waren die Deutschen unter Gerhard von Echtens Kommando damit beschäftigt, metallbeschlagene Kisten aus einer der Baracken ins Freie zu transportieren.

Von Echten erblickte den Seewolf und trat auf ihn zu. Mit einer ausladenden Handbewegung deutete der hochgewachsene Deutsche auf die inzwischen gestapelten Kisten.

„Ich hoffe, Sie haben einen ausreichend großen Laderaum, Sir Hasard.“ Er warf einen Blick über die zerborstene Festungsfront. Vor dem Hafen ankerte die „Isabella“. „Wir sollten keine Zeit verlieren und das Silber gleich an Bord mannen lassen. Es steht Ihnen zu.“

Hasard schüttelte energisch den Kopf.

„Abgelehnt. Das Silber gehört Ihnen, denn Sie wurden von den Spaniern um die Ausübung Ihres Rechts betrogen. Ich werde die Kisten zwar an Bord nehmen, aber nur bis zu Ihrem Stützpunkt, wo ich Sie und Ihre Männer absetzen werde.“

„Ich sehe schon“, Gerhard von Echten seufzte, „das wird eine schwierige Verhandlung. Versuchen wir es so: Ich nehme Ihren Vorschlag teilweise an. Allerdings nur unter einer Bedingung. Wir schließen einen Vertrag, den ich als Bevollmächtigter des Augsburger Bankhauses unterzeichne. Darin wird der britischen Krone die Hälfte des erbeuteten Silbers überschrieben. Die Auslieferung erfolgt in London, und zwar bei der Rückreise unseres nächsten Schiffes nach Europa.“

Hasard willigte ein, denn er begriff, daß von Echten niemals die gesamte Beute für sich allein akzeptieren würde.

Mit Hilfe der Indios brauchten sie nur wenig mehr als eine Stunde, um die insgesamt achtzig Kisten an Bord zu mannen. Während dieser Arbeit waren Ferris Tucker und mehrere Helfer unablässig damit beschäftigt, alle ehemaligen Galeerensklaven mit kräftigen Hammerschlägen von ihren Ketten zu befreien.

Und die Freiheit war das Geschenk für die Indios, die zu Hunderten am Strand ausharrten und mit leuchtenden Augen die Galeone verfolgten, bis ihre Segel über der östlichen Kimm verschwunden waren …

Seewölfe Paket 12

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