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4.

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Die Schiffsbewegung nahm Kapitän Fosco Sampiero mit. Er taumelte durch den Ruderraum nach vorn und prallte hart gegen die Querwand. Hinter ihm fluchten Venturi und die anderen, die mit an der Ruderpinne gearbeitet hatten. Es polterte über ihnen im Achterkastell.

Mit einemmal ertönte grell und stark verzerrt die Stimme des Zweiten Offiziers: „Kommt zurück nach oben! Es hat alles keinen Zweck mehr, wir sind im Strudel! Wir sinken, Santa Madonna, wir sinken! Rette sich, wer kann!“

Seine letzten Worte gingen in dem Schreien der Frauen unter.

Bianca Sampiero, Tosca Venturi und Ivana Gori hatten in der Kapitänskammer den Bootsmann Vittorio Medola in die Koje Sampieros gelegt. Sie hatten begonnen, die Wunde in seinem Rücken zu behandeln, so gut sie konnten, bevor der Feldscher erschien, nach dem die Frau des Kapitäns hatte rufen lassen.

Aber der Feldscher zeigte sich nicht, und die „Novara“ wurde von wilden Schlägen durchgerüttelt, die sie bis in die äußersten Verbände erzittern ließen. Wie durch eine unsichtbare Macht wurde Medola aus der Koje gehoben. Er landete auf dem Boden und rollte quer durch den Raum, hin und wieder zurück, als sich die „Novara“ ächzend zur anderen Seite neigte. Er hinterließ eine blutige Spur auf den Planken, seine Arme und Beine bewegten sich wie die Gliedmaßen einer Marionette.

„Santa Maria!“ schrie Ivana Gori. „Er ist tot. Tot, tot!“

„Sei still!“ rief Bianca Sampiero. Sie griff nach ihrer Hand und zerrte sie mit sich auf den Gang hinaus. Sie wollte um Hilfe rufen und nach ihrem Mann sehen, denn sie brauchte jetzt dessen Rat und Beistand, da auch sie die Fassung zu verlieren drohte.

Tosca Venturi war ausgerutscht und hingefallen. Sie stieß auf dem Boden mit Medolas schlaffer Gestalt zusammen und schrie entsetzt auf.

Fosco Sampiero stürmte mit seinen Helfern nach oben, entdeckte seinen Zweiten Offizier im Mittelgang der Hütte und ging sofort direkt auf ihn los. Gori gebärdete sich wie ein Verrückter, er hatte die Nerven verloren.

Sampiero packte ihn bei den Rockaufschlägen und schüttelte ihn hin und her. „Sind Sie wahnsinnig, hier so herumzuschreien?“ fuhr er ihn an. „Sie machen alles nur noch schlimmer, Sie Hornochse!“

„Lassen Sie meinen Mann los!“ schrie Ivana Gori. Sie versuchte, sich von Bianca Sampiero loszureißen, doch es gelang ihr nicht.

Die „Novara“ trieb im Strudel und neigte ihren Bug immer weiter nach unten. Auf dem Hauptdeck glitten die Männer aus. Sie mußten sich an den Nagelbänken und an Tauen und Wanten festhalten, um nicht nach vorn und über die Back weg in den tödlichen Trichter gerissen zu werden.

„Ich will nicht sterben!“ brüllte Gori. „Ich will weg, laßt mich!“

„Domenico!“ schrie seine Frau.

Sampiero schlug dem Mann zweimal ins Gesicht, dann ließ er ihn los. Gori schlug mit dem Rücken gegen die schiefe Gangwand und sank daran zu Boden.

Sampiero gab seiner Frau, dem Ersten und allen anderen zu verstehen, sie sollten ihm folgen, dann stürzte er auf die Kuhl hinaus, hielt sich am wild schwankenden Schott fest und blickte über das stark abschüssige Deck in das gähnende schwarze Maul des Strudels.

Das darf nicht wahr sein, dachte er schockiert, es ist alles nicht wahr, du träumst nur, so etwas gibt es einfach nicht.

„Beiboote abfieren!“ schrie er. „Wir verlassen das Schiff!“

Einige Decksleute hatten schon damit begonnen, die beiden Jollen der „Novara“ von ihren Zurrings zu befreien. Sampiero lief zu ihnen und half ihnen dabei. Es war ein wahnwitziges Unternehmen, die Boote zu Wasser bringen zu wollen, ohne daß sie kenterten oder sich von ihren Leinen losrissen, aber es war noch fataler, einfach ins Wasser zu springen, denn das wäre gleichbedeutend mit Selbstmord gewesen.

Nichts konnte dem Höllenstrudel entgehen.

„Moment mal“, sagte Big Old Shane verdutzt. „Dan ist weg, verdammt noch mal.“

Carberry stieß einen unwilligen, verächtlichen Laut aus. „Natürlich ist er weg, du Barsch, Hasard hat ihn doch selbst fortgeschickt.“ Er blickte weiterhin durch das Spektiv.

„Das meine ich nicht“, sagte der graubärtige Riese. „Eben habe ich ihn noch zwischen den Büschen gesehen, aber jetzt ist er untergetaucht, als habe er sich in Luft aufgelöst.“

Der Seewolf ließ das Fernrohr sinken. „Er ist hingefallen, willst du sagen?“

„Genau das.“

„Mann“, sagte der Profos. „Er wird doch wohl nicht so dämlich sein und sich die Gräten brechen, was?“

„Ich sehe mal nach. Vielleicht hat er sich an einem Stein gestoßen.“ Shane setzte sich besorgt in Bewegung und eilte den Hang hinunter. Hasard blickte ihm nach. Carberry, der der Sache immer noch keine Bedeutung beimaß, spähte unverwandt zu der fremden Galeone hinüber, deren Untergang jetzt unmittelbar bevorstand.

Ungefähr auf halber Strecke zu dem Punkt, an dem er Dan zuletzt gesehen hatte, blieb Big Old Shane abrupt stehen. Eine Gestalt richtete sich zwischen den Büschen auf, aber sie war nicht mit Dan O’Flynn identisch. Es handelte sich um einen Bullen von Kerl, der eine Muskete im Anschlag hielt und damit auf Shanes Brust zielte.

„Hölle und Teufel“, sagte der Schmied von Arwenack. „Jetzt haben wir den Salat.“ Er wollte in Dekkung gehen und selbst seine Muskete hochreißen, aber da erklang hinter seinem Rücken eine scharfe Stimme.

„Keine Bewegung, oder ihr seid alle des Todes!“

Hasard, der schon die Hand auf den Kolben seiner doppelläufigen Reiterpistole gesenkt hatte, wandte den Kopf. Carberry ließ das Spektiv sinken und drehte sich ebenfalls verblüfft um.

Die Stimme hatte Französisch gesprochen, aber sie verstanden alle genug von dieser Sprache, um den Inhalt des Satzes deuten zu können. Eine Fehlinterpretation war ausgeschlossen, außerdem war das Benehmen des Mannes, der hinter ihnen zwischen den Felsen am nördlichen Rand des Plateaus aufgetaucht war, so offensichtlich und eindeutig, daß es keinen Zweifel über seine Absichten geben konnte.

Der Mann – er trug eine schwarze Hose, hohe Stulpenstiefel und ein weiteres, bauschiges Hemd aus weißem Stoff – hielt in jeder Hand eine Pistole. Er war hager und hatte eine Glatze. Sein Gesicht mit der leicht gekrümmten Nase und den harten, stechenden Augen verriet äußerste Entschlossenheit.

Carberrys Miene wurde düster, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und seine Stirn war plötzlich gefurcht. Er nahm eine leicht geduckte Haltung ein und ließ die Arme baumeln.

Der Seewolf wußte, wie er dieses Verhalten seines Profos’ zu deuten hatte. Carberry würde, wenn es nötig war, auf den Fremden losstürmen und ihn überrennen, selbst auf die Gefahr hin, sich die eine oder alle beiden Kugeln aus den Pistolen einzufangen. Der Narbenmann stand bereit zum Sprung. Er konnte sehr schnell sein, schneller, als man es wegen seiner wuchtigen Statur von ihm erwartete.

„Vorsicht, Ed“, sagte Hasard. „Unternimm nichts, wenn ich dir nicht den Befehl dazu gebe.“

„Sehr gut!“ rief der Franzose auf englisch. Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Ich habe jedes Wort verstanden. Ich bin nicht nur der englischen Sprache mächtig, ich kann auch Spanisch und Portugiesisch. Genügt das? Es ist klug von euch, wenn ihr euch ergebt und die Waffen wegwerft, denn im Falle eures Widerstandes würde Duplessis, mein treuer Helfer, als ersten euren Kameraden töten, den er soeben niedergeschlagen hat, und dann den Großen mit dem Bart. Mir würde es keine Schwierigkeiten bereiten, euch zwei mit gezielten Schüssen niederzustrecken. Also?“

„Was willst du von uns?“ fragte der Seewolf so ruhig wie möglich. „Wer bist du? Gibt es ein Gesetz, das uns das Betreten dieser Insel verbietet?“

„Mein Name ist Regis La Menthe, meine Herren“, antwortete der Glatzkopf mit geradezu unnachahmlicher Überheblichkeit. „Ich bin der Herrscher von Martinique, der einzige Gebieter über die Geschicke der Insel und ihrer Bewohner. Noch nie hat es ein Mensch gewagt, ungestraft in mein Reich einzudringen.“

„Wir haben nichts verbrochen“, sagte der Seewolf. „Wir sind hier vor Anker gegangen, um etwas Frischwasser zu fassen. Wir können das Wasser bezahlen, wenn du willst, La Menthe.“

„Werft die Waffen weg!“

„Mir reicht’s“, sagte der Profos. „Sir, mir reicht’s wirklich, und ich bitte dich darum, diesem aufgeblasenen Stint das Maul einschlagen zu dürfen.“

„Du vergißt Dan.“

„O Hölle, so ein verdammter Mist.“

„La Menthe“, sagte der Seewolf. „Wir sind nur bis auf dieses Plateau vorgedrungen, um nach der Ursache der Schreie und des Schusses zu forschen, die wir gehört haben. Das kannst du uns nicht verübeln. Draußen sinkt eine Galeone, deren Besatzung sich in Lebensgefahr befindet, wie bestimmt auch du beobachtet hast, und wir sollten uns wie zivilisierte Menschen benehmen und gemeinsam versuchen, etwas für die armen Teufel zu tun.“

Der Franzose lachte kurz auf. „Aha, ein Menschenfreund bist du, Engländer? Wie heißt du denn? Deinen Namen muß ich wissen, ich werde ihn mir bis an das Ende meiner Tage merken, denn es gibt weiß Gott nicht viele Wohltäter wie dich auf dieser verrückten Welt.“

„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew.“

„Killigrew – etwa aus der alten Seeräubersippe von Falmouth?“

„So ungefähr.“

Wieder lachte La Menthe, es klang höhnisch und verschlagen. „Mon Dieu, ausgerechnet ein dreckiger kleiner Pirat will sich zum Retter von Schiffbrüchigen aufschwingen! Ich stamme aus Dieppe, mein Freund, und habe genug von euch Killigrews gehört, um zu wissen, aus welchem Holz eure ganze Bande geschnitzt ist. Das ist doch nur eine faule Ausrede, Killigrew, du suchst nach einem Trick, um mich aufs Kreuz zu legen, nicht wahr?“

„Ich schwöre dir bei meiner Ehre, daß das nicht der Fall ist.“

„Ehre? Wo sitzt bei dir die Ehre?“

„Das brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen, Sir“, sagte Shane wütend. „Die Partie steht drei gegen zwei, und ich traue es mir zu, diesen Bullen hier umzublasen, ehe er Dan was antun kann. Auf was warten wir?“

La Menthe hob seine beiden Pistolen noch etwas an und sagte laut: „Duplessis, auf meinen Ruf hin zertrittst du dem jungen Kerl das Gesicht, verstanden?“

„Ja“, antwortete Duplessis. „Ich tret ihm mit meinem Stiefel das ganze Hirn aus dem Schädel, und dann töte ich den Bärtigen. Was hat er gesagt?“

„Das braucht dich nicht zu interessieren“, entgegnete sein Herr. „Diese englischen Bastarde geben ohnehin nur Gewäsch von sich. Killigrew, weg mit den Waffen, oder es geschieht ein Unglück! Dies ist meine letzte Aufforderung!“

„Du begehst einen großen Fehler“, sagte der Seewolf. „Erkläre mir, was du von uns willst, und wir können darüber verhandeln.“

„Sieh da, sieh da!“ rief der Franzose hämisch. „Jetzt packt den großen Kaperfahrer doch die Angst, nicht wahr? Ich habe es schon immer gesagt, bei euch englischen Hundesöhnen ist es mit dem Schneid nicht so weit her, wie ihr es uns immer erzählen wollt. Verhandeln willst du? Nicht mit mir. Duplessis!“

„Halt“, sagte Hasard. „Wir gehorchen. Männer, laßt die Waffen fallen. Los, das ist ein Befehl!“

Carberry und Shane gehorchten widerstrebend. Die Musketen landeten mit klapperndem Laut auf dem Gestein.

Hasard zog langsam seine Doppelläufige, ließ sie seinen Fingern entgleiten und blickte dabei La Menthe an. „Zufrieden? Wir wollen eben doch nicht den Heldentod sterben.“

„Fort auch mit den Degen, Säbeln und Messern!“ herrschte La Menthe ihn und seine Männer an.

Es hatte keinen Zweck, den Franzosen irgendwie täuschen zu wollen, er hatte seine wachen Augen überall. Als schließlich alle Waffen der Seewölfe auf den Felsen lagen, winkte La Menthe seine beiden Sklaven aus dem Versteck hervor, in das sie sich vorher auf sein Geheiß hin hatten zurückziehen müssen.

Sobald La Menthe durch sein Spektiv verfolgt hatte, daß die unerwünschten Besucher der Insel sich im Anmarsch auf das Plateau befanden, hatte er sich einen einfachen, aber wirksamen Plan zurechtgelegt, durch den er die vier überrumpeln konnte. Als Hasard, Shane, Carberry und Dan auf dem Aussichtsplatz gestanden und nach der fremden Galeone Ausschau gehalten hatten, hatte der Glatzkopf vom Versteck in den Felsen aus Duplessis hinunter in die Büsche geschickt, weil er ahnte, daß der Seewolf einen Mann als Melder zurück zur Bucht senden würde. Duplessis hatte einen weiten, zeitraubenden Bogen geschlagen, um von den Männern der „Isabella“ nicht entdeckt zu werden. Der Aufwand hatte sich gelohnt.

La Menthe wies auf seine Gefangenen.

„Durchsucht sie“, sagte er zu den Schwarzen.

Hasard, Carberry und Shane mußten es sich gefallen lassen, von den Sklaven abgetastet zu werden. Einer der beiden förderte aus Carberrys Stiefel ein kleines Messer zutage und wies es untertänigst seinem Herrn und Gebieter vor.

„Gut“, sagte La Menthe. „Und nun zu den Flaschen, die du an deinem Gürtel festgebunden hat, Killigrew. Was sind das für merkwürdige Dinger? Erzähl mir bloß nicht, daß du darin Wasserproben entnehmen wolltest. Ich sehe von hier aus, daß sie bereits gefüllt sind. Womit?“

„Mit Pulver, Blei, Eisen und Glas“, erwiderte der Seewolf. Warum sollte er es dem Franzosen verheimlichen? La Menthe würde ja ohnehin herausfinden, daß es sich um Flaschenbomben handelte, die man vermittels ihrer durch den Korken führenden Lunte zur Explosion bringen konnte. Viel Scharfsinn gehörte nicht dazu.

Seewölfe Paket 12

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