Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 33
7.
ОглавлениеDer Wind wehte mäßig aus Westnordwest, doch er reichte der „Isabella“ für die geringe Fahrt, die dem dichten Nebel angemessen war. Sie waren an der Pfahlbausiedlung vorbeigeschlichen und hätten den Indios buchstäblich in die Kochtöpfe spukken können.
Als sich die erste Galeere aus den milchiggrauen Schwaden herausschälte, ließ Ben Brighton beidrehen. Das Steuerruder wirbelte unter Pete Ballies mächtigen Fäusten, und das Heck der schlanken Galeone schwenkte durch den Wind. Ben Brightons Feuerbefehl folgte zwei Sekunden später.
Alle Mann waren an den Culverinen an Backbord eingesetzt. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, führte das Kommando. Ruhig wartete er den richtigen Augenblick ab, bis die momentane Krängung der Galeone nachließ.
Auch die zweite der an den Piers liegenden Galeeren wurde nun erkennbar. Keine Menschenseele befand sich an Bord der schlanken, flach gebauten Schiffe.
„Feuer!“ gellte der Befehl des Stückmeisters.
Acht Lunten senkten sich gleichzeitig auf die Zündlöcher der schweren Geschütze. Das zischend entflammende Zündkraut ließ dünne Säulen von Pulverrauch emporsteigen. Die Männer sprangen zurück.
Wie mit einem einzigen urgewaltigen Donnerschlag entluden sich die acht Siebzehnpfünder. Grellrot zuckte das Mündungsfeuer aus den geöffneten Stückpforten. Der Rückstoß warf die Culverinen rumpelnd in die Brooktaue.
Durch die mächtige Wolke aufwallenden Pulverrauches war das Krachen und Bersten von Holz zu hören. Teile von Masten und Planken wirbelten in hohem Bogen durch die Luft.
Die Männer unter Ben Brightons und Al Conroys Kommandos stießen frenetisches Jubelgeschrei aus. Doch sofort gingen sie wieder an die Arbeit. Der Stückmeister konnte sich den Befehl zum Nachladen schenken.
Big Old Shane, der Schmied von Arwenack, hatte auf der Back Stellung bezogen. Seelenruhig griff der riesenhafte Mann mit dem wilden grauen Bart nach dem ersten Brandpfeil und legte ihn auf die Sehne seines Bogens.
Der Pfeil zog seine glühende Bahn und traf die vorderste Galeere mittschiffs. Sie bestand nur noch aus einem Chaos hellfaseriger Splitter. Die Breitseite der „Isabella“ hatte das Schanzkleid zerschmettert und das Deck einschließlich Ruderbänken und Masten kahlrasiert.
Während die Geschützbedienungen die Pulverschaufeln in die überlangen Rohre der Culverinen kippten, schoß Big Old Shane Pfeil um Pfeil ab. Die ersten Flammen züngelten auf dem Wrack und auch auf der zweiten Galeere.
In der Festung, die noch unter den Nebelschwaden verborgen lag, wurde es jetzt erst lebendig. Langgezogene Alarmschreie und heisere Befehle waren zu hören.
Ein grimmiges Lächeln spielte um die Mundwinkel Ben Brightons.
„Zwei Strich Backbord, Pete“, sagte er knapp.
„Aye, aye, Sir, zwei Strich Backbord“, wiederholte Pete Ballie und legte Ruder.
Abermals schwang das Heck der schlanken Galeone durch den Wind. Nur Großsegel und Focksegel waren gesetzt, zum Anbrassen blieb den Männern keine Zeit. Sekundenlang schlug das Tuch, doch dann stand es wieder steif unter dem eben ausreichenden Westnordwest. Auf Ostkurs, wie urspünglich, segelte die „Isabella“ in nur fünfzig Yards Entfernung vor den Galionsspornen der vertäut liegenden Galeeren entlang. Fast lautlos glitt das schlanke Schiff der Seewölfe durch den wallenden Nebel, durch den es sich unbemerkt der Festung hatte nähern können.
An Land verdichtete sich das Stimmengewirr.
Al Conroy meldete die Backbordgeschütze feuerbereit.
Aus den Galeeren schlugen jetzt höhere Flammen. Keiner von Big Old Shanes Brandpfeilen war fehlgegangen.
Ben Brighton gab das Kommando für die zweite Breitseite.
Abermals brüllten die mächtigen Geschütze der „Isabella“. Die Rohre spien Feuer und Eisen durch die Stückpforten, und diesmal legten die Siebzehnpfünderkugeln drei Galeeren in Trümmer. Wieder wirbelten Splitter und zerfetzte Planken hoch durch die Luft und erreichten in dichtem Regen auch die „Isabella“. Die Männer zogen die Köpfe ein, suchten Deckung, und dann stimmten sie von neuem heiseres Gebrüll an.
„Ar – we – nack! Ar – we – nack!“ Ihr Schlachtruf hallte über den Hafen zur Festung hin.
Im nächsten Moment schnitt ein urwelthafter Schlag ihre Stimmen ab. Aus der ersten Galeere stieß eine Stichflamme hoch in den Himmel. Unter der Wucht der Explosion wurden die Nebelschwaden zerrissen und gaben einer schwarzgrauen Wolke von Pulverrauch Platz. Die Druckwelle erreichte auch die Galeone der Seewölfe. Hätten sie nicht ohnehin noch in Deckung gelegen, wären sie umgefegt worden.
Die Explosion der Pulverkammer hatte die Galeere in zwei Teile gerissen. Bug und Heck ragten schräg aus dem flachen Hafenwasser. Im zerborstenen Holz fanden die Flammen rasche Nahrung.
„Nachladen, Sir?“ rief Al Conroy von der Kuhl.
Ben Brighton traf eine schnelle Entscheidung.
„Nein“, entgegnete er energisch. „Alle Segel setzen!“
„Aye, aye, Sir!“ Auf dem Hauptdeck flitzten die Männer los und enterten behende in den Wanten auf.
„Pete!“
„Sir?“
„Geh auf Kurs Südost.“
„Aye, aye, Sir, Kurs Südost.“
Kurz darauf lief die Galeone unter Vollzeug vor dem Wind, und das Tuch blähte sich steif und prall. Rasch gewann die „Isabella“ an Fahrt.
Keine Sekunde zu spät, wie sich im nächsten Moment zeigte. Ben Brighton hatte den richtigen Riecher gehabt.
Feuerblitze zuckten an Land auf – aus den Nebelschwaden heraus. Einen Sekundenbruchteil danach rollte der Geschützdonner der Festungsbatterien über die See.
Doch die Kugeln orgelten weit hinaus und klatschten unsichtbar im Nebel in die Fluten.
Unsichtbar war längst auch die „Isabella“ für die Geschützmannschaften auf den Palisadentürmen von Macuro. Für diesen Teil des Planes hatte der Nebel den Zweck erfüllt, den der Seewolf ihm zugedacht hatte.
Noch bevor der Donner der ersten Breitseite von der „Isabella“ verklang, stürmten der Seewolf und seine Männer los. In Minutenschnelle erreichten sie die Palisadenwand an der zum Dschungel gelegenen Seite der Festung. Zwanzig Yards rechts von ihnen befand sich einer der Batterietürme. Auf der anderen Seite, nach links, verschwammen die Palisaden im Nebel.
Noch aus dem Ansturm heraus schleuderten Ferris Tucker und Edwin Carberry die Enterhaken, die hinter den Spitzen der Palisaden sofort faßten. Dan O’Flynn, Smoky und Batuti brachten ihre Musketen in Anschlag und richteten die Mündungen auf den Batterieturm, wo die Silhouetten von Soldaten zu erkennen waren.
Hektisches Geschrei gellte mittlerweile in der Festung. Befehlsstimmen überbrüllten sich gegenseitig. Das Chaos schien perfekt.
Hasard und Johannes Lederer enterten als erste an den Tampen auf. Noch hatten die Soldaten auf dem Turm nichts bemerkt, viel zu sehr hielt sie der Geschützdonner von See her in Atem. Mit kraftvollen Klimmzügen hangelten der Seewolf und der Deutsche hoch und stützten sich dabei mit den Stiefeln am glitschigen Holz der Palisaden ab. Ihre Musketen hatten sie geschultert.
Noch bevor die beiden Männer die Spitze des Zaunes erreichten, hatten Ed Carberry und Ferris Tucker die Trickkiste aus Al Conroys Pulverkammer geschnappt und liefen damit zurück. Zwanzig Yards abseits der Palisaden öffneten sie die Kiste im Schutz eines der Werftschuppen. Eilends trafen Carberry und Tucker ihre Vorbereitungen.
Inzwischen schwangen sich der Seewolf und sein deutscher Begleiter mit einem entschlossenen Ruck über die Spitze der Palisaden.
Von außerhalb des Zaunes bellte ein Musketenschuß. Zwei weitere Schüsse folgten.
Federnd landete Hasard auf dem Boden. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie auf dem Batterieturm einer der Soldaten die Arme hochwarf, vornüberkippte und lautlos hinunterstürzte. Ein zweiter Soldat sank hinter der Brüstung des Turms in sich zusammen.
Sofort riß Hasard die eigene Muskete vom Rücken. Johannes Lederer, der neben ihm glücklich gelandet war, tat es ihm nach. Ihnen blieb vorerst keine Zeit, sich um das Geschehen in der Festung zu kümmern. Nur so viel konnten sie feststellen, daß alles wild durcheinanderhastete. Und weiter rollte der Kanonendonner von See her.
Die Geschützmannschaft auf dem Batterieturm hatte spätestens jetzt begriffen, was sich am Palisadenzaun abspielte. Silhouetten tauchten über der Brüstung auf. Zwei, nein drei Männer. Hasard und Johannes Lederer gingen in die Knie, visierten an. Oben schimmerte Waffenstahl im trüben Licht des beginnenden Tages.
Die beiden Männer feuerten fast gleichzeitig. Schreie gellten. Die Silhouetten waren hinter der Brüstung verschwunden. Hasard und Johannes Lederer warteten keine Sekunde, warfen sich herum, orientierten sich blitzschnell und stürmten los. Hinter ihnen schwangen sich Batuti und Dan O’Flynn über den Zaun und landeten mit federnden Sätzen auf dem weichen Erdboden.
Hinter einer Reihe von Maultierkarren fanden der Seewolf und der Deutsche Deckung. Batuti und Dan O’Flynn folgten ihnen. Im selben Moment, als sich auch Smoky über die Palisaden schwang, begann der Feuerzauber.
Für die Spanier mußte es den Anschein haben, als breche die Hölle los.
Zischend stachen rotglühende Linien aus der milchigen Unergründlichkeit des Nebels heraus, und grelle Kugeln schwebten in weitem Bogen auf die Festungsanlagen innerhalb der Palisaden nieder. Die Soldaten, die unter den barschen Befehlen ihrer Offiziere und Unteroffiziere wie aufgescheuchtes Wild über den Appellplatz hasteten, begriffen nicht sofort.
Im nächsten Moment erfolgten die Detonationen dicht über ihren Köpfen. Es krachte wie von Kanonenschüssen in rascher Folge. Funkenregen ergoß sich über die Männer, die vor Schreck ins Stolpern gerieten, sich zu Boden warfen und verzweifelt Deckung suchten, wo es keine gab. Auch das Gebrüll ihrer Vorgesetzten verstummte schlagartig, denn ihnen war der Schreck nicht minder heftig in die Knochen gefahren.
Unablässig fauchten die Lichtspuren, die wie glühende Ketten aussahen, aus den Nebelschwaden von außerhalb der Palisaden. Die niederschwebenden, grell leuchtenden Kugeln, die mit wummernden Schlägen explodierten, verfehlten nicht ihre demoralisierende Wirkung. Es sollte noch geraume Zeit dauern, bis die Spanier begriffen, daß dieser Feuerzauber zwar einen Höllenlärm bescherte, sonst aber keinen Schaden anrichtete.
Keiner von diesen Männern hatte jemals das Reich der Mitte gesehen, und so konnten sie nicht ahnen, daß es nichts weiter als ein harmloses „chinesisches Feuer“ war, das über ihren Köpfen mit Donnergetöse krepierte.
Die Seewölfe hatten es auf einer ihrer Reisen in den Fernen Osten kennengelernt, und Al Conroy war ein gelehriger Schüler jener Chinamänner gewesen, die auf so unglaublich kunstvolle Weise mit dem Schwarzpulver umgehen konnten.
Der Nebel hatte sich kaum merklich gelichtet. Immer noch undeutlich waren jetzt schon die Umrisse der Batterietürme und der einzelnen Gebäude innerhalb der Palisaden zu erkennen.
Eins der Geschütze beim Haupttor begann zu feuern, nachdem eine ohrenbetäubende Explosion jeglichen anderen Lärm übertönt hatte. Hasard und seine Männer meinten auch, das Triumphgebrüll von Bord der „Isabella“ gehört zu haben. Die Pulverkammer einer der Galeeren mußte in die Luft geflogen sein.
Alles hing jetzt davon ab, ob es den Spaniern gelang, die Galeeren zu bemannen. Zwar hieß es allgemein, eine gut armierte Galeone könne sich mühelos gegen ein ganzes Rudel von Galeeren durchsetzen, aber die „Isabella“ segelte mit verringerter Crew und war folglich in ihrer Beweglichkeit geschwächt. Denn sie konnten nicht gleichzeitig die Geschütze bedienen und Segelmanöver ausführen.
Nicht mehr als zwei oder drei Minuten waren vergangen, seit Hasard und seine Gefährten in die Festung eingedrungen waren. Noch immer herrschte Verwirrung bei den Spaniern. In unverminderter Folge ließen Edwin Carberry und Ferris Tukker das chinesische Feuer niederregnen. Zwar versuchten die Offiziere mit erneutem Gebrüll, für Ordnung zu sorgen, aber nach wie vor schienen die meisten der Soldaten das Gefühl zu haben, ihnen säße der Gehörnte persönlich im Nacken.
Hasard hatte sich einen raschen Überblick verschafft. Die Muskete lehnte er an einen der Karren, er brauchte sie nicht mehr. Statt dessen zog er seinen Radschloßdrehling und überprüfte mit einem raschen Blick die Ladung der sechs Läufe.
„Da drüben!“ rief er gegen den Höllenlärm an. „Das muß das Gefangenenlager sein.“
Johannes Lederer und die anderen spähten nach links in die angegebene Richtung.
Aus dem offenen Gatter eines eingezäunten Areals stürmte eine Gruppe von Offizieren, denen Mannschaften in wirrer Formation folgten. An der Spitze der Offiziere hastete ein fülliger Mensch, der an seinem Körpergewicht erheblich zu tragen hatte. Der Uniform nach mußte es sich um einen Capitán handeln, wie Hasard feststellte.
Im offenen Gatter tauchte eine weitere Gruppe von Soldaten auf. Sie waren im Begriff, das Gatter zu schließen.
„Los jetzt!“ rief der Seewolf und schnellte als erster hoch.
Johannes Lederer und die übrigen Männer der „Isabella“ folgten ihm. Im selben Augenblick erschienen auch Ed Carberry und Ferris Tucker auf der Bildfläche. Sie hatten ihren Höllenspektakel eingestellt und schwangen sich unbehelligt über die Palisaden. Die Geschützmannschaften auf den Batterietürmen waren vollauf damit beschäftigt, sinnlose Kugeln einem unsichtbaren Gegner nachzujagen.
Die Soldaten beim Gatter vergaßen ihre Aufgabe. Erschrocken wirbelten sie herum, als sie die Angreifer heranstürmen sahen. Zwei oder drei der Spanier versuchten noch, die Musketen in Anschlag zu bringen. Die anderen sahen ein, daß es dafür zu spät war.
Hasard und seine Männer drangen aus dem Schatten einer Wagenremise vor, die sich den aufgereihten Maultierkarren anschloß. Der Seewolf feuerte im Laufen. Wummernd entlud sich der Drehling in seiner Faust. Die großkalibrige Kugel fegte einen der Musketenschützen von den Füßen. Auch die beiden anderen schafften es nicht mehr, ihre Langwaffen abzufeuern. Fassungslos starrten die anderen, die mit ihren Säbeln in Abwehrposition gegangen waren, auf den schwarzhaarigen Riesen, der da wie ein Ungewitter gegen sie vordrang und eine Waffe hatte, mit der er mehrmals hintereinander feuern konnte, ohne nachladen zu müssen.
„Ar – we – nack!“ brüllte Edwin Carberry, der gemeinsam mit Ferris Tucker aufschloß, und die anderen stimmten mit ein.
„Ar – we – nack!“ schmetterte es dem kleinen Haufen der Spanier beim Gatter donnernd entgegen, und ehe die anderen bei den Baracken und auf dem Appellplatz auch nur erfassen konnten, was sich abspielte, war es bereits zu spät.
Mit der entfesselten Gewalt eines Wirbelsturms brachen die Seewölfe über die Spanier herein. Letztere hatten es weder geschafft, die Brükke hochzuziehen noch das Gatter zu schließen. Verzweifelt setzten sie sich zur Wehr.
Hasard drang als erster auf sie ein. Unbarmherzig zerschlug er die Gegenwehr eines der Männer, der sich ihm in den Weg zu stellen versuchte. Ein zweiter sank unter seinem herabsausenden Säbel zusammen, während er in der Linken den Drehling am Laufbündel gepackt hielt und Hiebe mit dem schweren Knauf der Waffe austeilte, um sich die Seite freizuhalten.
Der Seewolf erreichte die Bohlenbrücke. Hinter ihm klirrten die Säbelklingen. Doch nur noch für einen Moment.
Jäh stoppte Hasard seine Schritte, als er die beiden gefesselten Gestalten am jenseitigen Ende der Brücke erblickte. Ein Blick zur Seite ließ seinen Atem stocken. Tief unten, in schlammiger Brühe, wälzten sich die häßlichen Körper von Alligatoren und Kaimanen, und ihre schuppigen Schwänze peitschten das Wasser.
Die unüberschaubare Menge der Galeerensklaven verharrte in stummer Furcht – hilflos dem Geschehen ausgeliefert. Doch dabei sollte es nicht mehr lange bleiben, das schwor sich der Seewolf in diesem Moment voller Ingrimm.
Johannes Lederer stürmte plötzlich an ihm vorbei.
„Gerhard!“ rief er. „Sigmund! Um Himmels willen!“
Hasard drehte sich zu den anderen um.
„Bewacht das Gatter!“ Er deutete auf die reglosen Körper der Spanier. „Nehmt ihnen die Waffen ab! Wir brauchen jeden Säbel, jede Muskete und jede Pulverflasche!“
„Aye, aye, Sir!“ brüllte Edwin Carberry begeistert. „Wir ziehen den lausigen Dons die Haut in Streifen von ihren Affenärschen! Die kriegen jetzt Zunder unter dem Hintern, daß ihnen heißer wird als den Kakerlaken im Kombüsenfeuer!“
Eilends führten die Männer den Befehl des Seewolfs aus, während Ferris Tucker und Smoky seitlich am Gatter mit ihren Musketen in Stellung gingen, um für Feuerschutz zu sorgen.
Johannes Lederer kniete vor den beiden Gefesselten nieder und befreite sie mit seinem Dolch von den Stricken. Nur die Ketten konnte er ihnen nicht abnehmen, ebensowenig wie den anderen, die sich in fassungsloser Freude vor ihm gruppiert hatten.
„Meine Kameraden!“ rief Lederer dem Seewolf zu. „Gerhard von Echten und Sigmund Haberding! Und all die anderen!“
Der Geschützdonner war mittlerweile versiegt. Doch die Ruhe sollte sich als trügerisch erweisen.
Von Echten und Haberding rappelten sich auf.
„Das ist der Mann, dem wir alle unsere Rettung verdanken“, sagte Johannes Lederer mit einer Handbewegung. „Sir Hasard, den sie den Seewolf nennen. Philip Hasard Killigrew.“
Gerhard von Echten, der hochgewachsene Deutsche, trat auf Hasard zu und reichte ihm die Hand.
„Sie waren in letzter Minute zur Stelle“, sagte er in fließendem Englisch. „Ohne Ihr Eingreifen wären mein Freund und ich nicht mehr am Leben. Wir sind Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Sir Hasard.“ Mit knappen Worten schilderte von Echten, wie Capitán Gutiérrez nach dem plötzlichen Geschützdonner in einem Anflug von Panik auf die Hinrichtung verzichtet hatte.
„Später mehr darüber“, entgegnete der Seewolf knapp. „Ich denke, uns bleibt nicht viel Zeit. Wie weit sind Ihre Männer einsatzfähig, trotz der Ketten?“
Gerhard von Echten hob mit einem entschlossenen Lachen die Handgelenke, um die noch die Ketten gewikkelt waren.
„Sehen Sie sich das an! Das ist sogar eine recht wirksame Waffe!“
Johannes Lederer war zu den übrigen Deutschen gelaufen, begrüßte sie freudestrahlend, schüttelte Hände, klopfte auf Schultern. Für die Wiedersehensstimmung blieben jedoch nur wenige Minuten. Hasard mahnte zur Eile, ließ die Waffen verteilen, die sie den getöteten Spaniern abgenommen hatten.
Eine Gruppe von Indios lief auf den Seewolf zu, und einer von ihnen, stämmig gebaut, war der Wortführer. Auch er hatte sich die Ketten um die Gelenke gewickelt.
„Gracias, Señor“, sagte er in kehligem Spanisch, „wir danken Ihnen für unser Leben. Und wir werden ohne Angst um unser Leben an Ihrer Seite kämpfen.“
Hasard nickte und lächelte kaum merklich.
„Noch habt ihr nur eure Fäuste und eure Ketten!“ rief er. „Aber das soll sich schnell ändern. Als erstes werden wir die Waffenkammer stürmen.“
Für einen weiteren Wortwechsel blieb keine Zeit. Hasards Vermutung, daß sie sehr bald in Bedrängnis geraten würden, bestätigte sich. Vom Gatter her ertönten die Warnrufe der Männer von der „Isabella“. Inzwischen waren dort auch jene Deutschen in Stellung gegangen, die die Waffen der toten Spanier übernommen hatten.
Mit einem energischen Handzeichen beorderte der Seewolf die Indios zurück, die sich ebenfalls zur Verteidigung an die Brücke begeben wollten. Es wäre Selbstmord gewesen. Widerstrebend gehorchten sie.
Hasard folgte Johannes Lederer und den anderen, die über die Bohlenbrükke hasteten. Die Seewölfe hatten das Gatter geschlossen und Musketen und Pistolen in Anschlag gebracht. Im Schutz der Einzäunung waren die Deutschen noch damit beschäftigt, die Beutewaffen zu laden. Hasard schob sich zwischen seine Männer und lud die leergeschossenen Läufe seines Drehlings mit geschickten Handgriffen nach.
„Seht sie euch an, die Kanalratten!“ grollte Edwin Carberry. „Glauben diese Stinte etwa, sie könnten hier ein Scheibenschießen veranstalten, was, wie?“
„Zieh bloß den Kopf ein“, sagte Ferris Tucker grinsend, „mit deiner großen Klappe bist du sonst die beste Zielscheibe.“
Der Profos ruckte herum.
„Was soll denn das schon wieder heißen? Mister Tucker, ich warne dich. Wenn du mich verscheißern willst, werde ich dir eigenhändig …“
„… die Haut in Streifen von deinem Affenarsch ziehen!“ fielen die anderen im Chor ein.
Gerhard von Echten und seine Männer wechselten erstaunte Blikke. Doch sie verstanden sehr wohl, mit welch einer hartgesottenen Sorte von Rauhbeinen sie es hier zu tun hatten. Und ebenso erklärte dies, weshalb es den Seewölfen überhaupt gelungen war, in die Festung einzudringen. Das waren Kerle, die Tod und Teufel nicht fürchteten und garantiert schon manches Mal mitten in die Hölle gesegelt waren, um den Leibhaftigen am Schwanz zu ziehen.
Auf dem Appellplatz, außer Schußweite noch, hatten sich inzwischen etwa fünfzig Spanier formiert. Ein Teniente stand wenige Schritte abseits und schrie seine Ordnung in die Dreierreihe. Weiter entfernt war ein Trupp von noch einmal fünfzig Soldaten auf dem Marsch in Richtung Festungstor.
„Vorwärts, marsch!“ ertönte der schneidende Befehl des Teniente.
Regungslos, die Waffen schußbereit, verfolgten die Seewölfe und ihre deutschen Kampfgefährten das Schauspiel.
Im Gleichschritt setzte sich die Dreierreihe der Spanier in Bewegung, auf die Einzäunung des Gefangenenlagers zu. Rasch schmolz die Entfernung zusammen. Sechzig Yards, dann nur noch fünfzig Yards …
„Ferris, auf was wartest du noch!“ zischte der Seewolf.
Der rothaarige Schiffszimmermann sah Hasard zweifelnd an.
„Soll ich wirklich? Ich meine, sie haben doch keine Chance, wenn ich …“
„Und wir haben keine andere Wahl“, fiel ihm Hasard ins Wort. „Wenn wir uns nicht augenblicklich die Waffenkammer unter den Nagel reißen, können wir einpacken.“
Ferris Tucker nickte, sagte nichts mehr. Er lehnte seine Muskete an das Gatter und griff in einen großen Segeltuchbeutel, den er am Gürtel trug. Zum Vorschein brachte er eine Flasche, die mit Pulver, Nägeln und gehacktem Blei gefüllt war. Aus dem Korken, der die Flasche hermetisch verschloß, ragte eine Lunte.
In vierzig Yards Entfernung stoppte ein schneidender Befehl das Teniente die Reihenformation der Spanier.
Ferris Tucker biß die Lunte der Höllenflasche ab, so daß sie nur noch um Fingernagelbreite über den Korken hinausragte. Mit zwei Flinten schlug er geschickt Funken und schaffte es im Handumdrehen, die Lunte zu entfachen.
Die vorderste Reihe der Spanier kniete nieder. Mit einer gutgeübten Synchronbewegung brachten sie die Musketen in Anschlag.
„Erste Reihe, Feuer!“ schrie der Teniente.
„Deckung!“ brüllte der Seewolf. Augenblicklich lagen er und seine Männer flach.
Auf einen Schlag zuckten die Mündungsblitze aus den Musketenläufen der Spanier. Die Schüsse vereinten sich zu einem einzigen weithallenden Krachen. Gefährlich nahe orgelten Kugeln über die Verteidiger hinter dem Gatter weg. Berstend und splitternd hackte Blei auch in die Einzäunung links und rechts vom Gatter.
Besorgt drehte Hasard sich um. Aber zum Glück hatten die Indios reagiert und sich ebenfalls zu Boden geworfen.
Blitzartig sprang Ferris Tucker auf. Mit aller Kraft schleuderte er die Höllenflasche.
„Zweite Reihe …“ schrie der Teniente.
Weiter gelangte er nicht.
Der Seewolf feuerte als erster, und sofort bellten auch die Musketen seiner Gefährten. Für die Distanz von vierzig Yards reichte die überdosierte Pulverladung seines Drehlings mühelos.
Schreie gellten bei den Spaniern, und ihre Reihen lichteten sich.
„Zweite Reihe, Feuer!“ schrie der Teniente mit sich überschlagender Stimme, während er sich verzweifelt zu Boden warf. Keiner von ihnen achtete auf die Flasche, die ihnen mit glimmender Lunte und dünner kleiner Rauchfahne entgegenrollte.
Immer noch feuerten die Seewölfe und die Deutschen. Nur vereinzelt schafften es die Spanier, mit Musketenschüssen zu antworten.
Der Feuerblitz der Detonation löschte alles aus. Schreie gellten markerschütternd, menschliche Körper wirbelten durcheinander. Diejenigen, die es überstanden hatten, warfen sich herum und ergriffen panikartig die Flucht. Kugeln folgten ihnen vom Gatter her, streckten drei, vier von ihnen nieder. Der Teniente brüllte nicht mehr. Reglos lag er dort, wo er sich zu Boden geworfen hatte.
Hasard schnellte hoch, stieß die Rechte mit dem Drehling in die Luft. Halb wandte er sich dabei auch zu den Indios um.
„Vorwärts!“
Die Männer stießen das Gatter auf und stürmten in weit auseinandergezogener Front los. Auch die Indios setzten sich in Bewegung. Alle hatten sich die Ketten um die Gelenke gewickelt, und zu Hunderten quollen sie über die Brükke. Ihr Freudengeschrei tönte weit über die Festung hinaus.
Der Seewolf und seine Gefährten orientierten sich rasch. In einem der Stabsgebäude am Ende des großen Platzes mußten sich die Waffenkammer und auch die Pulverkammer befinden. Da war niemand mehr, der sich ihnen jetzt noch in den Weg stellte. Es gab nur eine denkbare Erklärung dafür. Die restlichen Soldaten waren abgezogen worden, um die Galeeren zu bemannen – oder zumindest eine. Offenbar rechnete der Festungskommandant mit der größeren Gefahr von See her.
Es gab einen weiteren Grund, den weder Hasard noch die anderen einkalkuliert hatten. Capitán Gutiérrez hatte alle sonstigen noch verfügbaren Kräfte auf die Batterietürme gescheucht.
Das wurde den Seewölfen und den befreiten Ruderknechten jäh deutlich, als von der Landseite der Festung Geschützdonner herüberhallte. Das Orgeln der Kugel war zu hören, und der darauffolgende Einschlag ließ das Freudengeschrei der Indios in blankes Entsetzensgeheul übergehen.
Die Kugel war in den Graben vor dem Gefangenenlager gerast. Dreck und Schlamm spritzten hoch, vermischt mit den zerfetzten Leibern von Alligatoren und Kaimanen.
Hasard wich zur Seite und verlangsamte seine Schritte. Die ersten seiner Männer hatten bereits den Schutz der Gebäude erreicht.
„Schneller!“ brüllte er den Indios zu. „Dort hinüber!“ Er deutete auf die Baracken, hinter deren Bohlenwänden sie wenigstens fürs erste einigermaßen sicher sein würden.
Die Indios flohen panikartig, als die nächste Kanonenkugel heranheulte. Die Brücke erwies sich als Nadelöhr. Diesmal lag der Einschlag im Gefangenenlager. Hasard schloß die Augen, als er die markerschütternden Schreie hörte. Er wußte nicht, wie viele der Indios sich noch dort hinter der Einzäunung befanden.
Aber die übrigen schafften es, sich rechtzeitig vor dem nächsten Schuß in Sicherheit zu bringen.
Hasard winkte Gerhard von Echten und die Männer von der „Isabella“ zu sich heran.
„Übernehmen Sie die Waffenkammer“, forderte er den Deutschen auf. „Verteilen Sie alles, was Sie finden, an die Männer.“
Von Echten nickte nur, wirbelte herum und war in der nächsten Sekunde in der Riesenschar der Gefangenen untergetaucht.
Abermals orgelte eine Kanonenkugel über die Köpfe der Männer weg. Reaktionsschnell warfen sie sich zu Boden.
Der Einschlag riß einen Krater in die Mitte des Appellplatzes.
„Batuti!“ rief der Seewolf. „Schieß das Signal!“
Während sie sich wieder aufrappelten, zog der schwarze Herkules einen besonders präparierten Pfeil aus dem Lederköcher. Eine Lunte hing von der verdickten Spitze herab. Mit seinen Flinten setzte Ferris Tucker sie in Brand, und dann legte Batuti den Pfeil auf die Bogensehne und schoß ihn steil in die Luft, zum Meer hin.
Hasard war sich indessen darüber im klaren, daß sie keine Zeit mehr zu verlieren hatten. Die Batterietürme, deren Geschütze auf das Innere der Festung gerichtet worden waren, bildeten jetzt die größte Gefahr für sie.
„Ferris!“ rief er. „Wie viele Höllenflaschen hast du noch?“
„Fünf, Sir.“
„Dann los!“
Geduckt hasteten sie auf die Unterkunftsbaracken zu und drangen in deren Schutz vor.