Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 40
5.
ОглавлениеDas erste Beiboot der „Novara“ schlug quer und kenterte an der Bordwand, kaum, daß es abgefiert war und das Wasser berührt hatte. Nur ein Wunder hätte die Jolle wieder in ihre ursprüngliche Lage zurückbringen können, aber Wunder gab es nicht auf der Welt, schon gar nicht für den unglücklichen Kapitän Fosco Sampiero und seine Mannschaft.
„Es hat keinen Zweck!“ schrie Domenico Gori, der inzwischen wieder auf den Beinen war und das Achterkastell verlassen hatte. „Wir müssen alle sterben! Wir saufen ab, wir sind verloren!“
Sampiero, Venturi, der Rudergänger, der Feldscher und die anderen Männer, die sich auf dem Hauptdeck am zweiten Boot versammelt hatten, konnten jetzt nicht dafür sorgen, daß er den Mund hielt. Sie hatten genug zu tun mit dem Hochhieven der Jolle, die an über die Rahnocken und durch Taljen laufenden Tauen hing.
Aber sie fluchten darüber, daß Gori ihre Verzweiflung durch sein Geschrei noch anheizte und wachsen ließ, und alle hatten sie den Wunsch, dem durchgedrehten Zweiten den Hals zuzudrücken.
Bianca Sampiero stürzte auf ihren Mann zu und rief im Rauschen und Tosen der Fluten: „Warte, Fosco! Laß schon einige Leute in das Boot klettern! Dadurch wird es beschwert und kann nicht so leicht kentern wie das andere!“
Der Kapitän zögerte nicht, diesen Vorschlag seiner Frau anzunehmen.
„Los!“ brüllte er. „Die Frauen als erste in das Boot – auch du, Bianca! Nein, keine Widerrede, verstanden? Das ist ein Befehl!“
Bianca Sampiero hatte alles, nur nicht dies beabsichtigt, doch sie wußte, daß sie sich dem Willen ihres Mannes beugen mußte. Sie half Tosca Venturi und Ivana Gori, die jetzt bei ihr waren, auf die Duchten der Jolle, dann kletterte sie selbst hinterher.
Sampiero und seine Helfer hatten das Boot wieder ganz auf die Kuhl abgefiert. Sampiero drehte sich auf dem wild schwankenden Deck zu seinem Zweiten Offizier um und winkte ihm zu.
„Gori! Hierher! Sie gehen mit von Bord, los, beeilen Sie sich, verdammt noch mal!“
Gori eilte auf die Jolle zu, glitt aus, schlitterte ein Stück über die Planken und stieß dabei einen Laut des Entsetzens aus. Die Kuhlgräting stoppte ihn. Er rappelte sich wieder auf, stolperte zur Jolle und ließ sich über das Dollbord sinken.
Es war eine Schande für einen Schiffsoffizier, mit den Frauen zu fliehen, statt bis zur letzten Minute an der Seite seines Kapitäns auszuharren, doch Gori schien in seinem derzeitigen Zustand weder so ehrenhaft zu empfinden noch überhaupt urteilsfähig zu sein.
Sampiero suchte noch drei Decksleute aus, die mit an Bord der Jolle gehen sollten, denn Gori und die drei Frauen allein konnten sie nicht voranbringen, es waren dazu ein paar erfahrene Rudergasten erforderlich.
Mit vereinten Kräften hievten der Kapitän und seine Männer das Boot wieder hoch, schwenkten es außenbords und fierten es ab. Allein das war bei der gefährlichen Schräglage der Galeone ein höchst waghalsiges Unternehmen. Die Jolle wurde hecklastig, und die vier Männer und die drei Frauen mußten sich an den Duchten festklammern, um nicht herauszufallen.
Sampiero, Venturi, der Rudergänger und die anderen schrien sich gegenseitig Worte zu, die im Brüllen des Strudels fast untergingen. Immerhin brachten sie es fertig, durch rascheres Wegschricken des einen Bootstaues die Lage der Jolle wieder halbwegs zu stabilisieren, und so setzte sie endlich sicher im Wasser auf. Zwar tanzte sie wie eine Nußschale, aber es erwies sich doch als richtig, daß die Belastung durch eine siebenköpfige Besatzung ein Umschlagen verhinderte.
Die Rudergasten griffen nach den Riemen. Gori hatte sich so weit gefangen, daß er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Er zerrte den Bootshaken unter den Duchten hervor und drückte die Jolle mit aller Macht von der Bordwand der „Novara“ fort.
Die „Novara“ bewegte sich nicht mehr kreisend und taumelnd, sie hatte im Zentrum des Trichters einen ruhenden Pol gefunden und neigte sich fast gemächlich noch tiefer mit dem Bug dem Grund der See entgegen. Der Strudel zerrte an ihrem Rumpf, doch er vermochte ihn nicht mehr zu drehen, dazu war die Last des Schiffes mitsamt seiner Ladung zu gewaltig.
„Aufs Achterdeck!“ schrie Sampiero seinen Männern zu. „Von dort aus werdet ihr springen!“
„Signor Capitano!“ rief Emilio Venturi. „Sie kommen doch mit uns, oder?“
Fosco Sampiero antwortete darauf nicht, er arbeitete sich auf der Kuhl, die sich jetzt wie der glatte Hang eines Berges vor ihnen erhob, nach achtern. Es war keine Zeit mehr gewesen, die Manntaue zu spannen, die bei Sturm der Mannschaft einen gewissen Halt an Oberdeck geben. Mühsam mußten sich der Kapitän und seine abgekämpfte, zu Tode entsetzte Gefolgschaft hocharbeiten, am Schanzkleid entlang und dann über den Niedergang bis zur Nagelbank auf dem Achterdeck, die ihnen vorläufig ausreichenden Halt bot.
Kein Strudel der Weltmeere konnte ein so großes Schiff wie die „Novara“ binnen weniger Augenblicke in die Tiefe ziehen. Dagegen sprachen die Trägheit der Masse und die Behäbigkeit, mit der der Dreimaster zwangsläufig seine Abwärtsfahrt vollführen mußte. Nein, schnell ging das nicht, sondern es vollzog sich fast wie ein Zeremoniell, bei dem die „Novara“ ächzend wie ein verwundeter Gigant nunmehr in nahezu senkrechte Haltung abkippte und das verzierte Heck mit der Galerie und den Bleiglasfenstern der Kapitänskammer hoch aus der See hob. Zoll um Zoll sank sie. In ihrem Frachtraum tanzten die Weinfässer und die Werkzeugkisten im schwappenden Wasser. Bald würden sie unter die Deckenbalken gepreßt werden.
Sampiero und seine Männer waren ganz bis zur Heckreling hinauf geklommen und kletterten jetzt darüber weg. Damit begaben sie sich auf den Heckspiegel und befanden sich praktisch zwischen der großen Achterlaterne und der Galerie, die rund ums Plattgatt lief, auf der achteren Außenhaut ihres Schiffes.
Von hier aus vermochten sie zu sehen, wie sich die Jolle in zähem, beständigem Kampf von der Galeone entfernte. Emsig arbeiteten die vier Männer an den Riemen, aber auch die Frauen hatten mit zugegriffen und ruderten so gut mit, wie sie es konnten. Bianca Sampiero saß auf der Heckducht und hielt die Ruderpinne. Immer wieder drehte sie sich zu ihrem Mann und dessen letzten Getreuen um, die wie kleine, hilflose Kreaturen auf dem mächtigen Heckspiegel der „Novara“ aussahen.
„Fosco!“ schrie Bianca, so laut sie konnte. „Wir schaffen es! Folgt uns, wir werfen euch Taue zu, an denen ihr euch festhalten könnt! Hörst du mich?“
Sampiero winkte ihr zu, dann sagte er zu seinen Männern: „Ihr springt jetzt. Es ist die letzte Chance, nehmt sie wahr. Versucht, die Insel zu erreichen und Lodovisi zu stellen, der dies alles angezettelt hat. Zorzo und Prevost haben Cavenago, Medola und Teson niedergestochen, sie verdienen dafür den Tod. Über Lodovisi sollte man Gericht halten, ich habe es versäumt, und deshalb trage ich die eigentliche Schuld an diesem Unglück.“
„Lodovisi wußte, daß Sie ihn noch bestrafen würden, weil er aufwieglerische Reden geführt hatte, Signor Capitano!“ rief Emilio Venturi. „Sie hätten auf jeden Fall damit gewartet, bis wir Nombre de Dios erreichten. Deshalb wollte er vorher von Bord, wollte sich aber auch an Ihnen rächen. Dieser Hund, dieser Mörder!“
Sampiero richtete sich halb auf und schrie seinen Leuten zu: „Springt! Auf was wartet ihr, ihr elenden Narren?“
„Signore!“ rief der Rudergänger. „Sie müssen uns begleiten, das sind Sie uns schuldig!“
„Ja! Ich komme ja auch! Springt!“
Sie krochen zum Rand des Spiegels, erhoben sich, stießen sich kräftig mit den Beinen ab und flogen dem Wasser entgegen, das inzwischen die „Novara“ bis hinauf zur Querwand des Achterkastells geschluckt hatte.
Wieder drang ein Stöhnen aus der Tiefe des Schiffsleibs, ein urwüchsiger, dumpfer Laut, in dem sich alle Qual zu vereinen schien, die die Männer empfanden.
Venturi blickte seinen Kapitän an. „Capitano, ich weiß, daß Sie mit diesem Schiff in Gottes tiefen Keller sinken wollen, ich sehe es Ihnen an! Aber das lasse ich nicht zu!“
„Venturi, Sie haben mir keine Anweisungen zu geben!“
„Das tue ich auch nicht.“
„Verschwinden Sie endlich! Hauen Sie ab!“
„Nein! Ich bleibe!“
„Venturi, ich kann Sie zwingen, diesen Teufelskahn zu verlassen, das wissen Sie ganz genau!“
„Sie werden es nicht tun!“
Ja, das stimmte: Niemals würde Sampiero es über sich bringen, Hand an seinen Ersten Offizier zu legen, auf den er immer große Stücke gehalten hatte. So gesehen, befand er sich jetzt in einer Zwangslage, denn er konnte es nicht verantworten, den Mann mit sich sterben zu lassen.
„Capitano, hören Sie mich an!“ schrie Venturi. „Sie begehen ein Verbrechen an Ihrer Frau, wenn Sie hierbleiben! Und es ist auch ungerecht der Mannschaft gegenüber, die Ihre Führung weiterhin braucht! Capitano – unterlassen Sie diesen unsinnigen Mannesbeweis!“
Sampiero wandte sich wütend zu ihm um. „Sie beleidigen mich! Gehen Sie von Bord, ehe ich mich vergesse! Sie sind ein Trottel, ein Einfaltspinsel und ein unfähiger Anfänger, den ich an Bord meines Schiffes nur geduldet habe, weil ich Mitleid mit ihm hatte!“
Venturi lachte freudlos auf. „Beschimpfen Sie mich ruhig, es stört mich nicht. Deswegen bleibe ich trotzdem.“
„Fosco!“ ertönte ganz schwach aus dem Tosen des Wassers die Stimme von Bianca Sampiero. „Mein Gott, so kommt doch endlich!“
„Emilio!“ schrie nun auch Tosca Venturi.
Sampiero kroch auf Venturi zu, um ihn nun doch zu packen und ins Wasser zu stoßen. Etwas kochte in seinem Inneren über. Er begriff den Starrsinn seines Ersten nicht und vergaß darüber seine eigene Verbohrtheit.
Sampiero hatte Venturi, der vor ihm auswich, fast erreicht, da wurden sie beide durch etwas völlig Unerwartetes abgelenkt.
Aus der Tür der Kapitänskammer, die sich jetzt in waagerechter Lage befand, kroch eine Gestalt hervor, die sich an den Taljen der Heckbalustrade festklammerte, und sich – augenscheinlich unter größter Anstrengungen – daran hochzog. Sie schaffte es, stellte sich mit den Füßen auf die Achterwand der Hütte und schob dem Kapitän und seinem Ersten ein bleiches Gesicht mit weit aufgerissenen Augen entgegen, das beim ersten Hinsehen wie das Antlitz eines Geistes anmutete.
Der Mann war Vittorio Medola.
Old O’Flynn, Sam Roskill, Luke Morgan und Bill rissen augenblicklich ihre Musketen und Tromblons hoch, als es im Dickicht raschelte. Trotz des diffusen Dämmerlichtes, das jetzt einzusetzen begann, konnten sie alle vier deutlich die Bewegung verfolgen, die keine zehn Yards von ihnen entfernt war und von einem größeren Lebewesen herzurühren schien.
„Achtung!“ zischte Old O’Flynn. „Ich gebe einen Schuß ab, und zwar dicht über den Rücken von dem Kameraden hinweg. Ist er ein Mensch, gibt er sich wohl zu erkennen, ist es ein Tier, wird es bocken und die Flucht ergreifen, und dann strecken wir es nieder.“
„Nur zu“, raunte Sam Roskill. „Wir sind bereit.“
Der Alte kniff ein Auge zu und zielte ruhig über den Lauf seiner Muskete, doch jetzt tönte ein Ruf aus dem Gebüsch: „He – Freunde, seid ihr das? Hasard? Shane?“
„Matt Davies, hol’s der Henker“, knurrte Old O’Flynn. „Dich reitet ja wohl der Teufel, wie? Um ein Haar hätte ich dir das ganze Stroh aus deinem verfluchten Schädel geblasen.“
Luke Morgan stieß heftig die Atemluft aus, dann sagte er: „Mann, Matt, das war wirklich knapp. Kannst du nicht eher Bescheid geben, wer du bist?“
„Ich hab euch doch auch eben erst entdeckt“, verteidigte sich der Mann mit der Eisenhakenprothese. „Kann ich mich jetzt zeigen, oder habt ihr die Schießeisen immer noch auf mich gerichtet?“
„Vorwärts“, sagte der Alte und ließ die Muskete sinken. „Was ist denn bloß los? Bist du allein?“
„Nein. Bob Grey ist bei mir.“
„Na, Mahlzeit“, brummte Sam Roskill. „Auf euch haben wir gerade gewartet. Was wollt ihr? Habt ihr Heimweh nach uns gehabt?“
Matt Davies trat aus dem Dickicht hervor und grinste breit. „Da irrst du dich aber gewaltig, Sam. Von mir aus hätten wir an Bord der Old Lady bleiben können, aber Ben bestand darauf, daß wir mal nach euch Ausschau halten. Na ja, wir haben eure Stimmen gehört und …“
Er wurde durch Bob Grey unterbrochen, der jetzt hinter ihm war und rief: „Vorsicht, nicht schießen, Leute! Ich bin’s, euer guter alter Bob! Ich bin kein Wildschwein und auch kein Hirsch, überzeugt euch bitte davon, bevor ihr abdrückt!“
„Du Rüsseltier“, sagte Luke wütend. „Schrei hier doch nicht so ’rum. Willst du uns die Wilden auf den Hals locken?“
„Wieso?“ fragte Matt verdutzt. „Ist die Insel also doch bewohnt?“
„Augenblick mal“, sagte Sam. „Werfen wir nicht alles durcheinander, ja?“
Old O’Flynn empfing Bob Grey mit einem zornigen Blick. „Sag mal, du denkst wohl, wir haben alle Schlick auf den Augen. Ich kann eine Mißgeburt wie dich auch in zehn, zwanzig Jahren auf eine Meile Abstand noch von einem Gorilla oder Orang-Utan unterscheiden, und das ist gar nicht mal so einfach.“
Bob wollte darauf eine passende Antwort geben, aber Matt hielt ihn am Arm fest und sah Old O’Flynn an. „Lassen wir das lieber. Darf man erfahren, was hier läuft? Schön, ich seh ja, daß ihr die Quelle gefunden habt. Fein. Aber warum seid ihr vier hier und nicht oben auf dem Plateau?“
„Plateau? Was für ein Plateau?“ wollte Luke wissen.
„Na, jetzt hör aber auf“, sagte Bob empört. „Wollt ihr uns für dumm verkaufen? Das laß ich mir von dir nicht gefallen, Mister Morgan.“
„Vorerst wissen wir gar nichts“, sagte Old O’Flynn giftig. „Wir tappen hier im Ungewissen, und ich habe das langsam satt. Habt ihr in der Bucht die Schreie und den Pistolenschuß gehört?“
„Keine Spur“, erwiderte Matt. „Was hat das jetzt wieder zu bedeuten?“
„Das wissen wir nicht“, erwiderte der Alte. „Aber wenn ihr nichts gehört habt, warum scheucht euch Ben Brighton dann an Land?“
„Weil ihr schon zu lange weg seid und er sich fragt, warum ihr auf dem Plateau herumkriecht, während hier unten doch wohl eher eine Quelle zu finden ist.“ Matt räusperte sich. „Gary Andrews hat vomVormars aus oben, auf dem Plateau an den nördlichen Berghängen der Bucht, mit dem Kieker die Bewegung von menschlichen Gestalten wahrgenommen, und da haben wir angenommen, das wäret ihr. In Ordnung?“
„Ich denke schon“, sagte Old O’Flynn. „Hasard, Carberry, Shane und mein Sohn sind in die Berge aufgestiegen, um zu sehen, was es mit diesem Geschrei auf sich hat. Wir sind hiergeblieben und sollen auf die vier warten. Einverstanden, Mister Davies?“
Matt schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Da stimmt nämlich was nicht. Gary hat auf dem Plateau ganz deutlich insgesamt acht Männer unterscheiden können, und wir dachten, das wäret ihr. Jetzt seid ihr vier aber hier, und ihr seid vorher auch nicht mit Hasard zusammen ’raufgeklettert, oder?“
„Nein“, sagte der Alte verdutzt.
„Und Gary hat ganz bestimmt auch keinen Tang auf den Augen“, meinte Bob Grey. „Wenn er sagt, er hat acht Leute gesehen, dann waren es acht. Bloß hat er nicht unterscheiden können, wer das war.“
„Auf jeden Fall sind es vier zuviel“, sagte Old O’Flynn mit umwerfender Logik. „Aber falls es sich um einen Überfall gehandelt hat, hätte Hasard zwei Schüsse in die Luft abgegeben – wie vereinbart.“
„Und wenn er dazu keine Gelegenheit hatte?“ fragte Bill. „Was dann?“
„Die Angelegenheit ist höllisch kompliziert, verdammt noch mal“, sagte Luke Morgan. „Und faul.“
„Oberfaul, es stinkt bis hierher“, sagte Matt Davies. „Wir können hier nicht herumstehen. Wir müssen etwas tun.“