Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 37
2.
ОглавлениеRegis La Menthe saß hoch oben auf einem kleinen Plateau in den Bergen, an deren Hängen Sam Roskill und Luke Morgan sich ein Kastell hätten vorstellen können. Oder, besser gesagt, er thronte auf einem hölzernen Gestühl, das einer seiner schwarzen Diener ihm hatte nachtragen müssen, als sie zusammen hier heraufgestiegen waren.
Einer der Neger hielt jetzt einen aus Schilfmatten geflochtenen Sonnenschirm über La Menthes kahles Haupt, während der andere seinem Gebieter mit einem großen Federbusch Kühlung zufächelte.
Der vierte Mann in der seltsamen Versammlung war wiederum ein Weißer, und zwar ein gedrungener, bullig wirkender Mann mit groben Zügen und einem verkniffenen Gesichtsausdruck. Er stand nicht weit abseits und hielt eine geladene Muskete in den Fäusten, mit der er sofort auf die Sklaven schießen würde, falls diese auch nur ansatzweise etwas wie einen Fluchtversuch oder eine Rebellion wagten. Zusätzlich hatte er zwei Pistolen und ein Entermesser in seinem breiten Leibgurt stecken.
La Menthe, der aus der französischen Hafenstadt Dieppe stammte, beobachtete interessiert durch sein mit Messing und Perlmutt besetztes und mit Gravuren verziertes Spektiv, was draußen auf See und am Strand der Westbucht geschah.
Als an Bord der „Novara“ die Schreie ertönten und mit dem Nordost-Passat bis zu den Inselbergen getragen wurden, hob auch der vierte Mann wie witternd seinen wuchtigen Kopf.
„Ja, Duplessis“, sagte La Menthe. „Es sind Menschen, die da um Hilfe rufen und sich womöglich gegenseitig über den Haufen rennen, denn sie sind in Gefahr. Sie treiben geradewegs auf den Strudel zu, der sich wieder einmal vor dem großen Riff gebildet hat. Ich sage dir, es sind Narren. Aber sie sind auch Störenfriede, mit denen wir nichts zu tun haben wollen, und daher ist es gut, wenn sie wie die Ratten ertrinken.“
„Gut“, wiederholte Duplessis und nickte dazu. „Ein großes Schiff?“
„Zwei Schiffe, mein Freund“, erwiderte La Menthe. Er lächelte ein wenig. „Zwei Galeonen, jede mit drei Masten, und beide fast gleich groß – und doch scheint das eine Schiff mit dem anderen nichts zu tun zu haben. Das zweite, Duplessis, liegt bereits in unserer schönen Westbucht vor Anker. Es hat acht Gestalten ausgespuckt, die jetzt im Gebüsch herumkriechen und irgend etwas zu suchen scheinen.“
„Wasser“, sagte Duplessis. „Und Nahrung. Was sonst? Der Teufel soll sie holen.“
„Er wird sie holen, wenn sie zu neugierig sind“, sagte La Menthe. Er war ein sehniger, kräftiger Mann, aus dessen harten Zügen die Mentalität eines unerbittlichen Herrschers sprach. „Wie gut, daß ich auf meinen gewohnten Spaziergang nicht verzichtet habe. Es tut sich heute viel. Viel zuviel für meine Begriffe. Es wird noch Ärger geben.“
Duplessis blickte aus schmalen Augen mal nach Osten, mal nach Westen, aber ohne die Zuhilfenahme des Spektivs konnte er die fremden Schiffe nicht erkennen.
La Menthe reichte ihm in einer gönnerhaften Geste das Rohr. „Hier, wirf selbst mal einen Blick hindurch. Gib mir solange die Muskete.“ Er lehnte sich in seinem Gestühl zurück und streckte die Beine weit von sich, nahm die Muskete aus der Hand seines Landsmannes entgegen und verfolgte fast amüsiert, wie dieser angestrengt hindurchspähte.
„Der Henker mag wissen, warum dieses eine Schiff auf den Sog zuläuft“, brummte Duplessis. „Ist der Kapitän des Wahnsinns, daß er die Gefahr nicht erkennt?“
„Das ist auch mir ein Rätsel“, erklärte La Menthe. „Aber ich habe das untrügliche Gefühl, wir erfahren noch, was der Grund dafür ist, daß er geradewegs in sein Verderben segelt.“
„Und was tun wir?“ wollte Duplessis wissen.
„Wir warten ganz einfach ab.“
„Sie werden alle ertrinken.“
„Und wir rühren keinen Finger für sie“, sagte Regis La Menthe.
„Und die anderen Kerle?“
„Das Schicksal spielt sie uns in die Hände“, antwortete La Menthe. „Ich denke, wir könnten ihre Galeone gut gebrauchen. Es scheint ein prächtiges Schiff zu sein, groß, robust und gut armiert.“
Panik war an Bord der „Novara“ ausgebrochen, denn alle, vom Kapitän bis zum letzten Decksmann, wußten jetzt, was die Stunde geschlagen hatte. Steuerlos trieb die Galeone vor dem Wind, dazu verdammt, in dem tückischen Strudel zu enden.
„Geit auf die Segel!“ schrie Fosco Sampiero vom Achterdeck aus. „Weg mit dem Zeug, verdammt noch mal!“
Die Männer auf dem Hauptdeck hasteten eher ziellos auf und ab und gerieten sich gegenseitig ins Gehege. Roi Lodovisi tat so, als habe er selbst den Kopf verloren. Er brüllte unsinnige Befehle und schlug und trat nach den Männern, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden.
So vergrößerte er das Durcheinander noch, statt es einzudämmen und für Disziplin zu sorgen – wie es seine Pflicht gewesen wäre.
Sampiero stieg selbst auf die Kuhl hinunter. Er wollte hart durchgreifen und notfalls mit der neunschwänzigen Katze für Ordnung sorgen. Doch ein gellender Schrei, der jetzt aus dem Achterkastell drang und sich in die Rufe der entsetzten Männer mischte, hielt ihn zurück.
Er hatte die Stimme erkannt, sie gehörte seiner Frau Bianca!
Fosco Sampiero fuhr auf dem Absatz herum, riß die Tür zum Achterkastell auf und stürmte in den Gang. Er prallte fast mit Tosca Venturi und Ivana Gori zusammen, die ihre Kammern verlassen hatten und verstört um sich blickten. Der Lärm an Deck hatte sie aus ihrer Nachmittagsruhe gerissen, aus dem Schlummer, mit dem sie die Zeit totzuschlagen suchten, da sie die meiste Zeit des Tages auf Sampieros Anordnung hin unter Deck zu verbringen hatten.
Bianca Sampiero stand am Ende des Ganges vor der offenen Kapitänskammer und schrie erneut auf. Ihr Mann schob sich an den anderen beiden Frauen vorbei und lief zu ihr.
Verdammt, dachte er, du hast dich breitschlagen lassen, die Frauen mitzunehmen, nur für diese eine Reise, gewiß, aber es war doch ein Fehler, und der Teufel hat dich geritten, als du ihren Bitten nachgegeben hast.
„Mein Gott, Bianca!“ rief er. „Was ist? So beruhige dich doch. Wir …“
Er unterbrach sich, denn jetzt sah er endlich die Gestalt, die auf der rechten Seite des Ganges kauerte und sich an der Wand aufzurichten versuchte.
„Medola!“ schrie der Kapitän. „Gerechter Himmel! Sind Sie verletzt?“
„Nicht der Rede – wert, Signor Capitano“, sagte der Bootsmann mühsam. „Er hat mich gestochen, der Hund – aber – aber ich weiß, wer’s war. Zorzo – Mario Zorzo – der Satansbraten. Möge der Herr mir verzeihen, daß ich – in die Falle gegangen bin. Das Ruder – es ist zersägt, Capitano.“
„Wo sind Cavenago und Teson?“
„Noch – unten.“
„Ihr Frauen kümmert euch um ihn!“ rief Sampiero. Dann hatte er auch schon seine Radschloßpistole gezückt und lief zum nächten Niedergang.
„Aufpassen“, flüsterte Vittorio Medola noch. „Das Wasser – im Frachtraum ist ein Leck. Oder – mehrere Lecks. Ich …“
„Was sagt er?“ fragte Tosca Venturi, die nähergetreten war und angestrengt versuchte, etwas von den Zusammenhängen zu begreifen.
„Ich verstehe ihn nicht mehr“, entgegnete die Frau des Kapitäns. Sie beugte sich über den Bootsmann, um ihn anzusprechen, sah aber, daß dieser inzwischen ohnmächtig geworden war.
„Helft mir“, sagte sie zu den Frauen der Offiziere. „Wir tragen ihn in meine Kammer und verbinden seine Wunde.“
Tosca Venturi stöhnte entsetzt auf, als sie sich bückte und die große Blutlache bemerkte, die sich unter Medolas Körper gebildet hatte.
Sampiero hatte den Ruderraum erreicht und fiel fast über die verkrümmte, reglose Gestalt Raoul Cavenagos. Er prallte mit der Schulter gegen das offene Schott, fing sich, kniete sich hin und untersuchte seinen Steuermann. Er tastete nach dem Pulsschlag und beugte sich tief über ihn, um nach dem Pochen des Herzens zu horchen, doch Cavenago gab keine Lebenszeichen mehr von sich.
Erschüttert richtete der Kapitän sich wieder auf. Medola hatte die fast unglaubliche Leistung vollbracht, noch bis zur Kapitänskammer zu kriechen, aber vielleicht lag auch er schon im Sterben. Cavenago war tot. Und Teson, der Schiffszimmermann?
Er wandte sich um und eilte weiter. Mit der Sicherheit eines Mannes, der sein Schiff bis in den letzten Winkel hinein besser kannte als sein eigenes Zuhause, fand er den Niedergang zum Frachtraum und hastete die Stufen hinunter.
Das Rauschen des Wassers empfing ihn. Trotz der Dunkelheit, die hier unten herrschte, sah er die sprudelnde Bewegung, die etwa in der Mitte des Raumes auf beiden Schiffsseiten war. Wasser schoß herein, flutendes Seewasser, das Sampiero fast bis zu den Knien reichte. Die Fässer voll Wein und die Kisten mit dem Werkzeug begannen zu schwimmen und an ihren Brooktauen zu zerren.
Sampiero war sich jetzt des vollen Ausmaßes der Tragödie bewußt. Er war wie vor den Kopf geschlagen, aber er wußte jetzt, wie er sich zu verhalten hatte, Zweifel waren nicht mehr vorhanden.
Alfredo Tesons Körper lag im Wasser, mit dem Bauch und dem Gesicht nach unten, und um ihn herum hatte sich ein dunkler Fleck ausgebreitet. Sampiero brauchte seinen Zimmermann nicht mehr zu berühren, um dessen Tod festzustellen.
Sampiero lief mit der gezückten Pistole nach vorn – nur dorthin konnten Zorzo und dessen Spießgesellen entwischt sein. Sampiero wußte genau, was jetzt zwangsläufig kam. Er ahnte auch, daß Zorzo mit Prevost und diese beiden wiederum mit Lodovisi unter einer Decke steckten. Sein ganzes Bestreben gipfelte im Augenblick darin, die Pistole nicht naß werden zu lassen.
Er konnte nicht versuchen, die Lecks abzudichten und die Ruderanlage notdürftig instand setzen zu lassen. Die Zeit dazu reichte nicht mehr aus. Nur ein Phantast hätte daran geglaubt, das Unabwendbare noch verhindern zu können.
Nur eine Möglichkeit gab es noch: Die „Novara“ mußte auf die Riffe gelenkt werden, ehe sie vom Strudel erfaßt wurde.
Sampiero verließ den Laderaum, hetzte zum Vordeck hinauf. Er hörte hinter sich das Rauschen und Gurgeln des Seewassers und über sich das Schreien der Männer – und vor sich erkannte er plötzlich die Umrisse einer menschlichen Gestalt.
Die Gestalt eilte vor ihm den Niedergang hinauf, der zum Logis führte. Ob es sich nun um Zorzo, um Prevost oder um einen der anderen Kerle handelte, die mit zu dem Komplott gehörten, das hier geschmiedet worden war, konnte Sampiero nicht feststellen.
Er blieb aber stehen, hob die Pistole mit beiden Händen und schrie: „Halt! Stehenbleiben!“
Der Mann rannte weiter, obwohl er die Stimme seines Kapitäns erkannt haben mußte und es auf jeden Fall ratsam gewesen wäre, die Order zu befolgen. Er rannte und hoffte, seine Flucht würde gelingen, doch Sampiero drückte ohne jede weitere Warnung ab.
Der Schuß brach donnernd. Im Aufblitzen des Mündungsfeuers sah der Kapitän den Mann zusammenbrechen. Er lief zu ihm, beugte sich über ihn und stellte fest, daß es sich tatsächlich um einen von Zorzos Kumpanen handelte. Er sah auch, daß er einen Sterbenden vor sich hatte.
„Erleichtere dein Gewissen“, sagte Sampiero eindringlich, während er seine Radschloßpistole wegsteckte und dem Mann die geladene Waffe aus dem Gürtel zog. „Sag mir, wer Medola, Cavenago und Teson niedergestochen hat. Es war Zorzo, nicht wahr?“
„Fahr – zur Hölle“, keuchte der Mann.
„Du hast dich mit Meuchelmördern eingelassen“, sagte der Kapitän.
„Und dieser Kahn säuft ab – endlich.“
„Aber auch für dich ist es das Ende.“
„Egal – die anderen werden meinen Tod rächen.“
„Das sehe ich“, zischte Sampiero. „Du warst der letzte, der die Flucht ergriff. Sie haben dich einfach zurückgelassen, statt dich mitzuschleppen. Es kümmert sie einen Dreck, was mit dir wird.“
Der Mann riß die Augen weit auf. „Ist das – die Wahrheit?“
„Sie springen von Bord, und keiner kann sie mehr aufhalten. Dein Tod hat keinen Sinn, du Narr“, sagte der Kapitän.
„Zorzo“, wisperte der Sterbende. „Er hat Medola und Cavenago mit dem Messer niedergestochen. Aber Teson – das war Prevost. Und jetzt – sind sie auf der Galionsplattform, weil – Lodovisi – es so befohlen hat …“
Der Mann sprach nicht mehr weiter, er verdrehte die Augen und sank auf die Stufen des Niederganges zurück. Sampiero erhob sich, war mit wenigen Sätzen oben beim Mannschaftslogis und stürmte auf das Schott zu, das nach vorn auf die Galionsplattform führte.
Er stieß es auf und sah gerade noch Roi Lodovisi, der ihm sein höhnisch grinsendes Gesicht halb zugewandt hielt. Sampiero riß die Waffe hoch und zielte auf ihn.
Er schrie: „Zurück, Profos, oder du bist des Todes!“
Aber im selben Augenblick stieß sich Lodovisi bereits vom Rand der Plattform ab.
Sampiero schoß, ohne zu zögern. Die Kugel raste im Krachen der Pistole auf den Leib des Profos’ zu, doch durch seine rasche Vorwärtsbewegung entzog sich Lodovisi dem Tod, und das Geschoß strich um gut eine Handspanne an seinem Rücken vorbei.
Mit einem Fluch schleuderte der Kapitän die Pistole fort. Er sprang vor, beugte sich über die Umrandung und sah die Kerle neben der Bordwand der „Novara“: Lodovisi, der jetzt eingetaucht war und gerade wieder hochschoß, Zorzo, Prevost und fünf andere, die alle mit zu jener Bande gehörten, die in der bewußten Nacht mit Lodovisi zusammengehockt und dunkle Pläne gewälzt hatte.
Narr, schimpfte Sampiero sich selbst, wie einfältig und nachgiebig bist du doch gewesen! Du hättest Lodovisi hinrichten und die anderen Hunde sofort auspeitschen lassen sollen!
„Signor Capitano!“ schrie über ihm Domenico Gori, der Zweite Offizier. „Signor Venturi ist mit ein paar Helfern ins Achterdeck hinunter, um das Ruder zu richten!“
Sampiero fuhr zu ihm herum. Gori hatte die Kuhl überquert und die Back geentert, um nach dem Strudel Ausschau zu halten. Dabei hatte er überraschend seinen Kapitän entdeckt, den er überall, nur nicht auf der Galionsplattform vermutet hätte. Er stand an der Balustrade und blickte fragend und fast hilflos zu Fosco Sampiero. Er war ein noch sehr junger Offizier mit relativ wenig See-Erfahrung.
„Venturi soll versuchen, das Ruder hart Backbord zu legen!“ rief Sampiero zurück. „Lieber brumme ich mit dem Höllenkahn auf das Korallenriff, als daß ich wie ein Narr mitten in den Trichter fahre! Gori, wir sind einer Verschwörung und Meuterei anheimgefallen! Hölle, wirf mir eine Muskete zu, damit ich auf diese Dreckskerle feuern kann!“
Gori wies entsetzt voraus. „Signor Capitano, sehen Sie doch!“
Sampiero richtete seinen Blick über den Bugspriet und die Blinde der „Novara“ hinweg und konnte sich nur mit Mühe eines erschrockenen Ausrufes enthalten.
Zum Greifen nah schien der mörderisch kreisende Sog der Galeone jetzt zu sein. Keine drei Kabellängen trennten ihn von dem Schiff. Obwohl Sampiero das Tuch hatte wegnehmen lassen, lief die Galeone immer noch Fahrt, genug, um in die zupakkende Strömung des Strudels zu geraten.
„Das Ruder hart Backbord legen!“ schrie Sampiero. Dann lief er zurück ins Vorschiff und von dort aus hinaus auf die Kuhl. Vergessen war sein Vorhaben, wenigstens Lodovisi, Zorzo oder Prevost noch auf die Höllenreise zu schicken, verdrängt der Haß, den er gegen die Übeltäter verspürte. Jetzt galt es nur noch, die nackte Haut zu retten.
Sampiero bahnte sich einen Weg zwischen den aufgeregt durcheinanderrufenden Männern hindurch. Er wollte zu Emilio Venturi und den anderen stoßen und ihnen beim Herumdrücken der Ruderpinne helfen. Er spürte, wie die Panik auch ihn mit eisigkalten Klauen packte und nicht mehr losließ.