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6.

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Der gute Wind hielt an. Die „Isabella“ segelte Tag um Tag auf die Mona Passage zu. An Bord verlief das Leben in ruhiger Routine. Lediglich Big Old Shane, Ferris Tucker und Al Conroy exerzierten mit den neuen Männern immer wieder an den Culverinen und Drehbassen. Tatsächlich saß inzwischen fast jeder Handgriff wie im Schlaf. Will Thorne und Batuti kümmerten sich um die Schlechtwettersegel, außerdem wachte der Segelmacher darüber, daß immer genügend fertige Segeltuchkartuschen in den Magazinen lagerten. Das hatte sich bei vergangenen Gefechten schon wiederholt als entscheidend erwiesen.

Baldwyn Keymis erholte sich nur langsam. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Immer wieder verfiel er in wildes Nervenfieber. Dann hielt meist Gwen bei ihm Krankenwache, und selbst Hasard vermochte in diesem Punkt nichts gegen ihre Starrköpfigkeit auszurichten.

Als er sie einmal darauf angesprochen hatte, hatte Gwen nur gelächelt.

„Du brauchst um mich keine Sorgen zu haben. Keymis hat seine Strafe weg, ich kann und will ihm diese Sache nicht länger nachtragen. Ihr alle schneidet diesen Mann, aber er braucht jetzt Hilfe. Wenn er überleben soll, dann muß sich jemand um ihn kümmern, ich kann es nicht mit ansehen, daß er hier zugrunde geht.“

Hasard hatte sich gefügt. Er kannte Gwen gut genug, um zu wissen, daß es unmöglich war, sie von einem einmal gefaßten Entschluß wieder abzubringen.

Am vierten Tag nach dem Bordgericht ging er selber zu Keymis und sah nach ihm. Er erwischte einen Moment, in dem der Friedensrichter wieder von einem heftigen Nervenfieber geschüttelt wurde. Manchmal schrie er auf, dann wieder murmelte er unverständliche Sätze und kämpfte mit unsichtbaren Ungeheuern.

Gwen sah Hasard an.

„Es gibt in seinem Leben etwas, das diesen Mann verfolgt. Irgendein Alptraum, der ihn ständig quält, aber ich kriege nicht heraus, was es ist.“

Gwen zögerte, und der Seewolf bemerkte es. Mit einem Schritt war er bei ihr.

„Gwen, du verschweigst mir etwas“, sagte er und zog das Mädchen an sich. „Warum? Hast du kein Vertrauen zu mir?“

Gwen barg für einen Moment ihren Kopf an seiner Schulter.

„Doch, ich habe. Vertrauen zu dir, viel mehr als das“, sagte sie leise. „Ich habe Angst, um dich, um die anderen. Dieser Mann da plant etwas. Immer wieder wird das in seinen Fieberphantasien deutlich, und es muß mit der Ladung der ‚Isabella‘ zusammenhängen. Er ist jetzt dein erbittertster Feind, Hasard. Nimm dich vor ihm in acht. Verstehst du jetzt, warum ich mich um ihn kümmere? Ich will wissen, was er gegen dich im Schilde führt, denn man kann nur einer Gefahr begegnen, die man kennt!“

Der Seewolf zog sie an sich.

„Vielleicht ist es richtig, daß du bei ihm wachst, wenn er phantasiert. Vielleicht erfährst du wirklich etwas, was uns hilft. Nein, ich werde mich hüten, Keymis zu unterschätzen. Der Mann ist gefährlich.“

Er strich Gwen über das rotblonde Haar, und sie ließ es geschehen. Unmerklich hatte sich zwischen den beiden etwas angebahnt, aber noch hatte keiner von ihnen den Mut, sich dem anderen zu offenbaren.

Hasard verließ die Kammer, in der sie den Friedensrichter untergebracht hatten, ganz entgegen allen anderen Anweisungen. Sie lag zwar nicht im Achterkastell, sondern im Vorschiff und war von Ben Brighton extra zu diesem Zweck hergerichtet worden, aber Keymis in seinem gegenwärtigen Zustand im Vordeck verkommen zu lassen, war unmöglich und wäre auch unmenschlich gewesen. Der Seewolf jedenfalls war nicht der Mann, der so etwas duldete. Allerdings – von diesem Tage an trat bei Keymis eine Besserung ein. Seine Anfälle wurden seltener. Aber er war und blieb nur noch ein Schatten seiner selbst. Als er eines Tages wieder an Deck erschien, erschraken sogar die hartgesottenen Männer der Crew. Keymis hockte immer irgendwo, wie ein Gespenst wirkte er auf die Mannschaft, aber ihm entging nichts. Ob er arbeitete oder döste, so lädiert sein Körper auch war, er hatte einen scharfen Verstand, vorzügliche Augen und war trotz seiner zur Schau getragenen Apathie in Wirklichkeit hellwach.

Doch zunächst hatte die „Isabella“ mit ganz anderen, wesentlich bedrohlicheren Problemen fertigzuwerden.

Am Nachmittag des vierten Tages trat ein, was der Seewolf schon lange befürchtet hatte.

„Wahrschau – Mastspitzen voraus!“ schallte Dan O’Flynns Stimme über Deck.

Hasard und Ben Brighton fuhren herum.

„Verdammter Mist!“ stieß der Seewolf hervor, und sein Bootsmann wußte ganz genau, was er damit sagen wollte.

Sie näherten sich nunmehr der Mona Passage. Jener Passage, die zwischen Hispaniola und Puerto Rico in den Atlantik führt. Ben Brighton war sich völlig im klaren darüber, daß sie diese Passage durchsegeln mußten, koste es, was es wolle. Wichen sie noch weiter nach Osten aus, bis zur Anegada Passage etwa, wurde dadurch nichts mehr besser, im Gegenteil. Denn dort erwarteten die „Isabella“ unzählige kleinere und größere Inseln, auf denen es von Seeräubernestern nur so wimmelte. Außerdem mußten sie damit rechnen, dort auch auf spanische Schiffe zu stoßen. Und zum dritten hatten sie bereits genug Zeit verloren. Wollten sie die schweren Winterstürme im Atlantik vermeiden, dann mußten sie sich höllisch beeilen. Ben Brighton wußte nur zu gut, wie weit diese Stürme, die manchmal wochenlang mit unverminderter Stärke tobten, ein Schiff vom Kurs abdrängen konnten, wenn es sie überhaupt überstand.

Das alles ging ihm blitzartig durch den Kopf, als er jetzt zum Großmars hochpeilte, in dem Dan hockte.

„He, Dan, kannst du die Schiffe erkennen?“ rief der Seewolf gerade hinauf.

„Nein, noch nicht. Ich sehe nur ein Teil der Takelage. Es sind drei Schiffe, zwei kleinere und ein größeres. Könnte eine Karavelle sein. Wenn wir unseren Kurs beibehalten, werden wir uns ihnen rasch nähern.“

Hasard nickte grimmig. Er würde den Kurs beibehalten, und zwar bis zur Isla Mona, die fast in der Mitte zwischen Hispaniola und Puerto Rico lag, hinter der die Mona Passage begann. Dort würde er dann raumschots Kurs Nordost segeln, falls der günstige Wind weiterhin anhielt. Aber es sah ganz danach aus, mehr noch, schon seit einigen Stunden hatte es aufgebrist.

Hasard warf einen Blick nach Steuerbord. Irgendwann; seiner Schätzung nach in knapp zwei Stunden, mußte dort die Silhouette der Isla Saona auftauchen. Sie war der Südspitze Hispaniolas vorgelagert.

Der Seewolf entschloß sich rasch.

„Klar Schiff zum Gefecht!“

Seine Stimme scheuchte auch die letzten Schläfer hoch. Die Männer hasteten über die Decks und entfernten in fieberhafter Eile die Persennings von den schweren Siebzehnpfündern.

„Ben, geh runter. Sag den Männern, daß es noch dauern wird, bis wir vielleicht Feindberührung kriegen. Aber sag ihnen auch, daß sie von jetzt an jederzeit bereit sein sollen. Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir auf einen alten Bekannten stoßen, der auch hier noch mal sein Glück gegen uns versuchen will.“

Ben blieb ruckartig stehen.

„Du denkst an Caligu?“ fragte er, und gleichzeitig erschien vor seiner Erinnerung das Bild dieses großen, braunhäutigen Piraten, der ihnen schon verdammt zugesetzt hatte, der wie wild hinter den Schätzen herwar, die tief im bauchigen Rumpf der „Isabella“ steckten.

Ben Brighton dachte in diesem Moment an die erbarmungslose Schlacht in der Windward Passage, wo sie ihrem Untergang nur noch gerade entronnen waren, weil sich ein Freund für sie geopfert hatte.

Ein unangenehmes Prickeln überzog seinen Nacken, aber er ließ sich nichts anmerken.

Er sah, wie der Seewolf nickte.

„Ja, Ben. Caligu. Dieser Hund will es wieder versuchen, und ganz bestimmt hat er uns aufgelauert. Er ist mit seiner Karavelle schneller als unsere schwere ‚Isabella‘. Wir werden uns vor ihm in acht nehmen müssen. Denn wenn er es diesmal nicht schafft und wir ihm wieder entwischen, dann ist ihm die Beute für immer verloren.“

Ben wollte schon den Niedergang zum Hauptdeck hinunterturnen, als der Seewolf ihn abermals zurückhielt.

„Ich habe neulich gesehen, wie Big Old Shane an einem gewaltigen Bogen bastelte. Ich weiß, was für ein guter Bogenschütze er ist. Frag ihn, ob er damit fertig geworden ist. Wenn ja, dann sollen er und Batuti die Marse besetzen und unseren Gegnern von dort aus mit ihren Brandpfeilen gehörig einheizen. Ich habe Big Old Shane auf Arwenack mit seinem Bogen schießen sehen, ich weiß, wie weit solche Waffen tragen und auf wie große Entfernungen er damit absolut sicher zu treffen weiß! Batuti noch dazu, also, kümmere dich um die beiden! Ich werde inzwischen zu Dan aufentern. Mal sehen, ob mir mein Spektiv etwas zeigt!“

Ben Brighton marschierte zum Hauptdeck, während Hasard an ihm vorbei zum Steuerbordwant des Großmastes ging. Die Wache auf dem Achterkastell übernahm Ed Carberry, dazu bedurfte es nicht besonderer Anweisungen.

Ben erspähte Big Old Shane bei den Geschützen. Der einstige Waffenmeister von Arwenack beschäftigte sich gern und viel mit den Culverinen oder Drehbassen. Und zusammen mit Ferris Tucker und Al Conroy hatte er bereits fast Wunder vollbracht. Alle Geschütze, Stückpforten, Brooktaue und Lafetten befanden sich in einem so gepflegten Zustand, wie die Galeone es in ihren allerbesten Tagen nicht erlebt hatte.

Der Waffenmeister sah Ben entgegen. Auf seinem kantigen Gesicht breitete sich ein freundliches Grinsen aus.

„He, Ben, was treibt dich denn vom Achterkastell in unsere pulverdampfgeschwängerten Niederungen?“ flachste er den Bootsmann an.

Ben Brighton erwiderte das Grinsen.

„Nichts Besonderes, mein Freund“, erwiderte er. „Aber Hasard rechnet damit, daß ein alter Freund von uns die Mona Passage zu blockieren gedenkt. Deshalb möchte er gern wissen, ob du deinen neuen Bogen schon fertig hast?“

Der Waffenmeister, der bisher neben einem der Geschütze gekniet hatte, um die Verankerung eines Brooktaus zu überprüfen, richtete sich auf. Seine Augen zogen sich zusammen, bis sie nur noch Schlitze waren.

„Also daher weht der Wind! Na, da habe ich gute Nachrichten für den Seewolf. Der Bogen ist fertig, und er funktioniert. Frag mal Batuti, der hat ihn ausprobiert. Der wollte ihn gar nicht wieder hergeben, und du weißt, daß sein eigener Bogen auch nicht ohne ist. Jedenfalls mußte ich ihm versprechen, ihm ebenfalls einen Bogen meiner Konstruktion anzufertigen. Aber es gehört Kraft dazu, ihn zu spannen, Ben. Das ist kein Ding für Kinder!“

Ben nickte.

„Wie sieht es denn mit den Pfeilen aus, Shane? Ich hörte, du brauchst für dieses Zauberding eine ganz besondere Sorte von Pfeilen?“

Der Hüne nickte.

„Da liegt das Problem. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir genügend von den Dingern anzufertigen.“

Ben war mit einem Schritt bei ihm.

„Ich kenne Hasard jetzt lange genug. Ich ahne, was er vorhat, wenn wir wirklich auf diesen dreimal verfluchten Caligu treffen sollten, wenn er es wieder ist, der uns die Mona Passage sperren will. Nimm dir, wenn du willst, Ferris, aber sorge dafür, daß du genügend Brandpfeile zur Verfügung hast. Ihr habt aller Wahrscheinlichkeit nach noch ein paar Stunden Zeit.“

Der Waffenmeister von Arwenack starrte Ben Brighton an.

„Gut, das soll ein Wort sein. In ein paar Stunden regelt Big Old Shane so manches. Besonders mit einem Mann wie Ferris Tucker!“

Er verlor keine Zeit mehr, sondern ging sofort zu Ferris hinüber, der die Culverinen der Backbordseite überprüfte, während Al Conroy den Neuen letzte Instruktionen an der Steuerbordseite erteilte.

Ferris Tucker nickte nur ein paarmal, dann verschwanden die beiden unter Deck, wo der Schiffszimmermann seine Werkstatt hatte.

Unterdessen stand der Seewolf längst im Mars des Großmastes. Er hatte das Spektiv angesetzt und beobachtete seit einer geraumen Weile die drei Schiffe, denen die Galeone sich rasch näherte. Dan, auf dessen Schulter der Schimpanse Arwenack hockte und hin und wieder die Zähne fletschte, als ahne er schon, daß wieder eines dieser ihm zutiefst verhaßten, lärmenden Seegefechte bevorstand, beobachtete den Seewolf. Am plötzlichen Zucken seiner Lippen erkannte er, daß der Seewolf entdeckt hatte, wonach er suchte.

„Hölle und Teufel!“ stieß er hervor. „Es ist tatsächlich dieser verfluchte Caligu mit unserer alten ‚Isabella V.‘! Ich könnte mich in den Hintern beißen, daß ich das Schiff damals in der Bucht von Grand Cayman nicht versenkt habe! Was wäre uns alles erspart geblieben, wenn ich da besser aufgepaßt und einmal mehr nachgedacht hätte!“

Er reichte Dan das Glas.

„Sieh mal durch, und dann sage mir, ob auch du unsere alte ‚Isabella‘ erkennst! Ich meine, sie segelt den anderen voraus. Eins der Schiffe drehte eben ab, wahrscheinlich, um sich als Fühlungshalter hinter uns zu setzen. Genau wie damals in der Windward Passage!“

Der Seewolf stieß diese Worte fast heiser vor Wut hervor. Das Grinsen Dans verbesserte seine Laune keineswegs.

„Nur daß es damals ein paar Schiffe mehr waren“, sagte Dan in seine Überlegungen hinein. „Wenn die Kerle damals schon nicht den Mumm hatten, sich in die Reichweite unserer Geschütze zu wagen, diesmal müssen sie sich erst recht vorsehen. Denn soweit ich sehe, handelt es sich um unsere alte ‚Isabella‘, sie ist der einzige wirklich gefährliche Gegner. Aber da wir dieses Schiff kennen, besser kennen als der verdammte Caligu, wissen wir auch, was sie kann und was sie nicht kann. Die anderen beiden sind Schaluppen, schnell ihrer Takelung nach, aber nur schwach armiert. Seit wann kann denn eine Krähe den Seeadler beunruhigen?“

Der Seewolf starrte Dan an, als sei er eine Erscheinung. Was war eigentlich in der letzten Zeit aus dem einst so vorlauten Bürschchen geworden? Der Junge führte neuerdings Reden, die verdammt Hand und Fuß hatten!

Hasard beschloß, Dan auf die Probe zu stellen.

„Was schlägst du vor? Wenn du an meiner Stelle wärst, was würdest du tun?“

„Ich würde Caligu entgegensegeln. Ihn verwirren. Er würde sich außerhalb der Reichweite unserer Culverinen halten, aber unsere beiden Bogenschützen könnten seine Segel mit ihren Brandpfeilen erwischen. Ich glaube nicht, daß Caligu das einkalkuliert, denn er wird sich auf die Wendigkeit und Schnelligkeit seines Schiffes verlassen.“

Hasard bedachte den Jungen mit einem merkwürdigen Blick. Aber Dan redete schon weiter.

„Big Old Shane hat sich einen neuen Bogen gebaut. Einen Langbogen, der aber von der Konstruktion her Besonderheiten hat und auch besondere Pfeile verwendet. Ich glaube, er hat sich schon lange damit beschäftigt, auf Arwenack schon. Dieser Bogen soll eine viel größere Reichweite und Durchschlagskraft haben als der von Batuti. Big Old Shane müßte Caligu die Hölle ganz schön heiß machen können!“

Dans Wangen glühten vor Kampfeslust, und seine Augen blitzten. Der Seewolf, der das Bürschchen schon immer tief in sein Herz geschlossen und ganz besondere Pläne mit ihm hatte, nutzte die Gelegenheit. Denn sobald würde sie sich nicht wieder in dieser Form ergeben.

Er sah den Jungen fest an, und in diesem Augenblick mußte er sich eingestehen, daß Dan sich längst von jenem vorlauten Bürschchen zum Mann gemausert hatte.

„Dan, ich finde deinen Plan hervorragend. Du sollst ihn selber in die Tat umsetzen. Ich übertrage dir hiermit das Kommando über die ‚Isabella V.‘, bis wir Caligu geschlagen haben. Jeder Mann an Bord wird deine Befehle für die nächsten Stunden so ausführen, als hätte ich sie gegeben. Ich werde allenfalls als dein Berater zur Verfügung stehen, und das auch nur, wenn du mich fragst.“

Dan starrte den Seewolf aus großen Augen an.

„Heißt das, ich kann – ich soll – ich meine, ich kann alles bestimmen, was wir, was die ‚Isabella‘ in den nächsten Stunden tut? Welche Besegelung, welchen Kurs, welche ...“

„Genau das, Dan. Du hast das Kommando, als ob ich es wäre. Und jetzt runter mit dir aufs Achterkastell, da ist dein Platz!“

Dan wischte den Schimpansen von der Schulter, was Arwenack mit einem empörten Keckern beantwortete und blitzartig im Rigg verschwand.

Dan hingegen sauste wie ein geölter Blitz die Wanten hinunter und dann zum Achterkastell.

Der Seewolf folgte ihm, etwas langsamer. Er war gespannt, wie Dan der Mannschaft diese Neuigkeit beibringen würde, aber er wollte zur Stelle sein, falls es Schwierigkeiten geben sollte.

Er sah, wie Dan mit Ben Brighton redete und der Bootsmann einen zweifelnden Blick zu Hasard hinüberwarf, dann jedoch begriff, daß Dan es ernst meinte und sich eine solche Order wohl doch nicht aus den Fingern gesogen haben konnte.

Der Seewolf mußte grinsen. Dan war wirklich ein helles Bürschchen. Er schob Ben einfach den Schwarzen Peter zu, indem er ihn als seinen ersten Offizier damit beauftragte, die Mannschaft von seiner Kommandoübernahme in Kenntnis zu setzen.

Hasard lehnte sich gegen den Hauptmast. Absichtlich blieb er dort stehen, er wollte wissen, wie die Männer reagierten.

Ben Brighton zögerte, überdeutlich spürte der Seewolf, wie merkwürdig sich Ben in seiner Rolle als Herold vorkam. Dann fand auch dieser Hundesohn wahrhaftig einen Ausweg. Der Seewolf beobachtete, wie er sich Edwin Carberry griff, den Mann, der mit seiner Stimme die Masten der ‚Isabella‘ zum Schwanken bringen konnte.

Carberry schnappte nach Luft, aber als er in Dans funkelnde Augen blickte und den Seewolf grinsend am Hauptmast lehnen sah, stieß er entschlossen sein Rammkinn vor.

„Alle Mann an Deck!“ brüllte er. „Alle Mann herhören!“

Er wartete eine Weile, bis auch der letzte an Deck gestürzt war. Seine Blicke wischten noch mal zu Dan herüber und dann zum Seewolf, aber der nickte ihm zu.

Carberry ergab sich ins Unvermeidliche und holte tief Luft. Befehl war Befehl, da gab es nichts.

„Hört her, ihr lausigen Decksaffen. Auf Anordnung des Kapitäns übernimmt ab sofort bis auf Widerruf Dan O’Flynn das Kommando über die ‚Isabella‘. Der Kapitän erwartet von euch, daß ihr seine Befehle so schnell und so genau ausführt, als kämen sie von ihm selbst.“

Ein Raunen ging durch die Männer, einige rissen Mund und Augen auf, Buck Buchanan sprang auf die Kuhl.

„Was? Seid ihr denn alle verrückt geworden?“ schrie er. „Wir segeln klar Schiff zum Gefecht, und dann soll so ein Hänfling, so ein Hosenscheißer das Kommando über eine Crew von ausgewachsenen Männern übernehmen?“

Lachen brandete auf, und Carberry wollte schon wie eine gereizte Bulldogge dazwischenfahren, aber Dan hielt ihn zurück. Irgend etwas in dem Blick des Jungen – des jungen Mannes, wie Carberry sich augenblicklich verbesserte – gefiel dem Profos ganz und gar nicht. Aber Buchanan bemerkte von alledem nichts.

Er bog sich auf der Kuhl vor Lachen.

„He, Dan, Junge“, grölte er, „weißt du, was du mich kannst? Nein, weißt du nicht? Na, dann zeig ich’s dir mal!“

Er drehte sich um und ließ mit einem Ruck seine Hose ’runter. Dann bückte er sich und drehte Dan den nackten Hintern zu.

Die Crew brach in brüllendes Gelächter aus, das aber sofort erstarb, als Dan mit einem Satz über die Schmuckbalustrade flankte und unmittelbar hinter Buck Buchanan auf den Decksplanken landete.

Schneller als die meisten Männer es registrieren konnten, verpaßte er Buchanan einen so derben Tritt in den dargebotenen Hintern, daß Buck Buchanan über die Kuhl schoß und eine unsanfte Bauchlandung vollführte.

Er wollte hoch, aber die herabgelassene Hose behinderte ihn. Und noch ehe er seine Blöße wieder bedecken konnte, war Dan heran.

Ein weiterer Tritt traf Buchanan ins verlängerte Rückgrat, und er stürzte abermals auf die Planken.

Dan fackelte nicht. Er war sofort wieder bei ihm, riß ihn hoch und deckte den völlig Verblüfften mit einem Hagel glasharter Hiebe ein, und er war nicht zimperlich dabei.

Buck Buchanans Hose rutschte, schließlich verlor er sie, in dem verzweifelten Bemühen, seine Füße freizukriegen, ganz. Mit einem gewaltigen Schwinger streckte Dan ihn auf die Bretter und versetzte ihm abermals einen Tritt in den Achtersteven, der Buchanan durchschüttelte.

Ächzend blieb er liegen.

Dan schnappte ebenfalls nach Luft, aber nach einigen Sekunden hatte er schon wieder genügend Puste. Er baute sich breitbeinig vor Buchanan auf.

„Hattest du das gemeint, Buck, als du mich fragtest, ob ich wüßte, was ich dich könnte? Oder hattest du dir das anders vorgestellt? Los, hoch mit dir, oder ich poliere dir deine Arschbacken, daß du dich hinterher für den großen Weltarsch hältst, der alles zuscheißen soll ...“

Brüllendes Gelächter der gesamten Crew war die Antwort. Nur Gwen, die unfreiwillig Zeugin dieser Auseinandersetzung geworden war, starrte ihren Bruder entgeistert an.

„Dan!“ entfuhr es ihr, und Dan wirbelte herum. Ein Grinsen überzog seine Züge, dann aber verneigte er sich artig vor seiner Schwester.

„Es tut mir leid, junge Lady, daß du die Entblößung und Bestrafung eines männlichen Achterstevens mitansehen mußtest ...“

Der Rest ging in dem dröhnenden Gelächter Ed Carberrys unter, der verzweifelt nach Luft schnappte und sich gar nicht beruhigen konnte. Aber auch allen anderen ging es so, selbst Hasard konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er ging lachend zu Gwen hinüber und zog sie mit sich fort in Richtung Achterkastell.

Buck Buchanan erhob sich. Wie benommen schüttelte er den Kopf, als er seine Hose von den Planken aufklaubte und hineinstieg. Unmittelbar vor Dan blieb er stehen, und nun überzog auch sein vierschrötiges Gesicht ein freundliches Grinsen.

„Aye, aye, Sir, du hast gewonnen“, sagte er laut und vernehmlich. Damit war der Bann endgültig gebrochen. Dan knuffte ihn kameradschaftlich in die Rippen und marschierte zum Achterkastell zurück.

Es war höchste Zeit. Denn die Karavelle Caligus wuchs bereits bedrohlich über den Horizont hoch. Das Schiff segelte schneller als die Galeone, und diesen Vorteil spielte der Pirat eiskalt aus.

Zwei Stunden vergingen, Caligu peilte die Lage. Er hütete sich, auf Schußweite an die Galeone heranzusegeln. Das verschaffte Ferris Tucker und Big Old Shane die nötige Zeit, genügend Pfeile für den Bogen des Waffenmeisters herzustellen.

Die beiden Schaluppen segelten inzwischen fast im Kielwasser der „Isabella“ – wie Haie, die ihrer Beute folgen. Unermüdlich, Stunde für Stunde.

Kühl und gelassen gab Dan seine Befehle, und der alte O’Flynn warf ihm mehr als einmal einen anerkennenden Blick zu.

Sie passierten die Isla Saona, und als die Dämmerung ihre ersten Fäden über den Westhorizont zog, kam die Isla Mona in Sicht.

Der Wind hatte weiterhin aufgebrist, die blaugrüne See der Karibik hatte sich verdunkelt, von Süden rollten schäumende Wogen heran, deren Gischtkronen weithin leuchteten.

Für die Galeone war es ein nahezu ideales Wetter, denn ihr schwerer Rumpf und ihre starke Besegelung wurden mit dem Wetter spielend fertig. Anders die beiden Schaluppen. Sie hatten bereits jetzt mit der See zu kämpfen, und auch die Karavelle Caligus verschwand immer wieder hinter den glasgrünen, drohenden Bergen der See, die unablässig heranrollte und die „Isabella“ zum Schlingern brachte.

„An die Brassen!“

Dans helle Stimme durchschnitt das Heulen des Windes.

„Kurs Nordost! Alle Mann auf Stationen!“

Der Seewolf warf Dan einen anerkennenden Blick zu. Dan hätte keinen geeigneteren Moment erwischen können, um den Kurs zu ändern.

„In die Wanten, Männer, setzt jetzt jeden Fetzen, den die Masten tragen! Zeigt es ihnen, zeigt den verdammten Ratten, wie der Seewolf und seine Crew die ‚Isabella‘ segeln!“

Dans Wangen glühten. Mit Argusaugen verfolgte er die Arbeiten der Männer, die die Wanten hinaufturnten und jeden Fetzen Segel setzten, der an den Rahen noch unterzubringen war.

Dan warf einen Blick zu Caligu zurück, der mit seiner Karavelle etwas abgefallen war.

„Wenn er heute noch angreifen will, dann wird er es jetzt tun, Hasard! Er muß merken, daß unsere ‚Isabella‘ gar nicht so langsam und schwerfällig ist, wie er sich das wohl gedacht hat. Daß sie die schwere See viel besser nimmt als seine beiden Schaluppen! Er muß damit rechnen, daß wir ihm während der Nacht, falls sich das Wetter weiterhin verschlechtert, glatt davonlaufen!“

Der Seewolf nickte. Dan hatte die Lage völlig richtig beurteilt.

Die beiden Schaluppen schlossen auf. Auch die Karavelle Caligus änderte ihren Kurs und glitt näher an die „Isabella“ heran, hielt sich aber sorgfältig außerhalb der Reichweite der schweren Geschütze.

„Caligu wartet auf die beiden anderen!“ stieß Dan hervor. „Er will uns in die Zange nehmen! Na warte, du braunhäutiger Bastard, du sollst dein blaues Wunder erleben!“

Er gab Big Old Shane und Batuti ein Zeichen. Die beiden enterten sofort auf. Batuti in den Vormars, Big Old Shane in den Hauptmars. Jeder hatte seinen schweren Bogen und einen Köcher voller Brandpfeile bei sich.

„Luke, Blacky!“

Die beiden spritzten heran.

„Rauf mit den Kohlebecken. Der Tanz geht los! Da, jetzt wollen sie es wirklich wissen!“

Seewölfe Paket 3

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