Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 9
5.
ОглавлениеBaldwyn Keymis erlebte alles wie in Trance. Auch Carberrys Stimme, seinen Rat, tief Luft zu holen, war nur wie aus weiter Ferne in sein Bewußtsein gedrungen. Irgendwo tief im Innern des Friedensrichters flakkerte noch der Wille, zu überleben, das Kielholen zu überstehen, irgendwie.
Auch das Kommando, dem der Stoß Luke Morgans und sein Sturz von der Rahnock folgte, war nur an die Oberfläche seines Bewußtseins gelangt. Erst als sich das kühle, grünblaue Wasser der See über Baldwyn Keymis schloß, erst als das starke Tau ihn unerbittlich in die Tiefe zog, war er plötzlich wieder hellwach.
Er öffnete die Augen, obwohl das Seewasser darin brannte, hielt er sie offen.
Baldwyn Keymis hatte wenig Angst davor, zu ertrinken. Er war sogar ein leidlich guter Schwimmer, schon seit seiner Kindheit. Aber das hatte er wohlweislich verschwiegen, geholfen hatte ihm dabei der Schock, das Entsetzen, das ihn gepackt hatte, als er sein Urteil erfuhr. Nein, das alles traute er sich zu, durchzuhalten, bis man ihn auf der anderen Seite der „Isabella“ wieder an Deck zog. Wahnsinnige Angst hingegen hatte er vor den Haien.
Als Kind war sein Vater vor den Küsten Cornwalls von einem Blauhai angefallen und zerrissen worden. Er, Baldwyn Keymis, hatte hilflos zusehen müssen. Dann hatten ihn die herbeieilenden Fischer aus dem Wasser gezogen, gerade noch rechtzeitig, bevor die anderen Haie auftauchten und sich auf die Überreste seines Vaters stürzten, ja, sogar noch das Boot in ihrer Gier angriffen, in dem er sich befand. Deutlich sah Baldwyn Keymis den aufgerissenen Rachen, die Reihen spitzer Zähne vor sich, die knirschend und krachend ein Stück des Dollbords zermalmten.
Ein reicher Onkel hatte ihn später zu sich genommen, auf eine Schule geschickt, ihm den Zugang zur englischen Gesellschaft geöffnet. So war er schließlich Friedensrichter geworden. Ein Mann, der seinen Knacks weg hatte, der den Schock, den er in der Kindheit erlitten hatte, nie abzuschütteln vermochte.
Keymis sah die dunkle Masse der Bordwand auf sich zurasen. Er spürte, wie sein Körper gegen die Beplankung schlug und an ihr entlanggerissen wurde. Er wollte um sich schlagen, aber er konnte nicht, denn Arme und Beine waren gefesselt. Ein wilder Schmerz durchzuckte seinen Körper, als das dicke Tau ihn tiefer und tiefer und über den messerscharfen Muschelbewuchs zerrte. Erst zerschnitten die Muscheln seinen Rücken – Baldwyn Keymis warf sich voller Panik herum. Da zerschnitten sie ihm die Brust, zerfetzten die Hose, die Haut an den Oberschenkeln. Er sah die roten Blutschleier in der blaugrünen Dämmerung, die sein geschundener Körper hinter sich herzog. In allerletzter Sekunde gelang es ihm, sein Gesicht vor den scharfen Muscheln in Sicherheit zu bringen, indem er sich abermals herumwarf.
Aber dann blieb ihm vor Schreck fast das Herz stehen.
Er sah den grauen, großen Schatten, der sich ihm näherte. Undeutlich noch, aber mit jeder Sekunde deutlicher zu erkennen.
Ein Hai! Und er folgte beharrlich der Blutspur, die Keymis hinter sich her durchs Wasser zog. Keymis sah die tückischen Augen, die starr auf ihn gerichtet blieben, je näher der große Fisch auf ihn zuschwamm.
Keymis warf sich verzweifelt hin und her, und damit verschlimmerte er seine Lage.
Der Hai schoß heran, durch sein wildes Gezappel erst richtig aufmerksam geworden. Seine spitze Schnauze stieß den Friedensrichter an, als wolle der Hai seine Beute erst prüfen, bevor er sie zerriß.
Keymis registrierte, wie der Hai an ihm vorbeischoß, für einen Moment in der Tiefe verschwand, und er wurde fast wahnsinnig vor Angst und Panik, denn er wußte genau: Der Hai würde zurückkehren. Einer der Fischer aus Cornwall hatte ihm einmal von diesem merkwürdigen Verhalten der Haie erzählt, bevor sie zum tödlichen Angriff zurückkehren und ihre Beute zerreißen.
Keymis Sinne umnebelten sich, stechend spürte er den Luftmangel in seinen Lungen. Wieder schrammte sein Körper über die scharfen Muscheln, die sich am Unterwasserschiff der „Isabella“ festgesetzt hatten. Wieder riß der scharfe Bewuchs ihm neue Wunden, und eine Wolke aus Blut zog ihre Spur hinter ihm her durch das blaugrüne Wasser der Karibik.
Da sah er den Hai. Er stieß von schräg unten auf ihn zu. Rasend schnell diesmal, entschlossen, sich diese Beute nicht entwischen zu lassen.
Hinter ihm jagten andere graue Schatten heran. Dann löschte ein gewaltiger Ruck an dem Tau, an dem er durchs Wasser gezogen wurde, fast sein Bewußtsein aus. Keymis spürte, wie eine ungeheure Kraft ihn packte, ihn über den Kiel zerrte und an der anderen Seite der „Isabella“ hochriß.
Seine Sinne umnebelten sich, irgendwo sah er noch einmal den Hai, der pfeilschnell durchs Wasser schoß, aber die schon sicher geglaubte Beute verloren zu haben schien. Dann wurde es dunkel um Baldwyn Keymis.
Zu diesem Zeitpunkt zogen Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane mit aller Gewalt an dem Tau.
„Haie! Achteraus, an Steuerbord, sie rasen von allen Seiten heran!“ Es war Dan, der das in höchster Erregung über Deck schrie. „Beeilt euch, wenn ihr von diesem Schurken auch nur noch einen einzigen Knochen nach oben holen wollt!“
Keymis durchbrach die Oberfläche an Backbord der Galeone. Die drei Männer rissen ihn mit einem gewaltigen Schwung aus dem Wasser. Unmittelbar hinter dem Friedensrichter schnellte sich ein kleinerer Hai, ein etwa drei Yards langes Tier, aus der See. Er verfehlte die Beine des Friedensrichter nur um einen knappen Yard. Mit weit aufgerissenem Maul fiel er klatschend in die See zurück.
Es war derselbe, der Keymis schon einmal wie prüfend mit seiner spitzen Schnauze angestoßen, ihn dann aber durch die ungeheure Schnelligkeit, mit der die Männer Keymis hochzogen, für einen Moment verloren hatte. Und das rettete Keymis das Leben.
Als er auf die Planken des Hauptdecks prallte, erwachte er aus seiner Bewußtlosigkeit. Sofort krümmte sich sein hagerer Körper zusammen, Hustenkrämpfe schüttelten ihn, und er spie das Meerwasser aus, das er während seiner Bewußtlosigkeit geschluckt hatte.
Dann erinnerte er sich. An die Haie, an die blaugrüne Dämmerung, die ihn wie ein gigantischer Sarg umgeben hatte, in dem es von Ungeheuern nur so wimmelte. Er erinnerte sich an die huschenden, grauen Schatten, die auf ihn zujagten, um ihn bei lebendigem Leib zu zerreißen.
Keymis begann plötzlich zu toben. Er entwickelte zwischen seinen Hustenanfällen so enorme Kräfte, daß es weder Carberry noch dem bärenstarken Ferris Tucker oder Old Big Shane gelang, ihn zu bändigen.
Erst ein Schlag mit dem Belegnagel, den Luke Morgan dem Tobenden verpaßte, ließ ihn verstummen.
„Kutscher!“ brüllte Carberry und blickte schaudernd auf die Wunden, die die Muscheln dem Friedensrichter geschnitten und die seinen Körper in eine einzige blutüberströmte Masse verwandelt hatten. Das sah schlimmer aus, als es war, denn keine der Wunden war wirklich tief oder gar lebensgefährlich – abgesehen von den Haien, die das Blut sofort angelockt und in Raserei versetzt hatte. Trotzdem mußte der Kutscher sofort etwas unternehmen.
Er war bereits zur Stelle, noch bevor Carberry ein zweites Mal zu brüllen brauchte.
Wortlos begann er seine Arbeit. Er wusch den Friedensrichter sorgfältig mit Seewasser, verband ihn überall dort, wo die Muscheln ihn am schlimmsten verletzt hatten und flößte ihm schließlich eine gehörige Portion Rum ein.
Der Seewolf sah wortlos zu. Breitbeinig stand er da. Seine eisblauen Augen blickten kalt auf den Bewußtlosen hinunter, der sich eben wieder zu regen begann.
„Wenn er wieder auf den Beinen ist, arbeitet er wie jeder andere an Bord. Al Conroy und Ferris beaufsichtigen ihn. Er soll nicht geschunden werden, aber ihm wird auch nichts mehr geschenkt. Alle Extratouren sind vorbei.“
Der Seewolf verließ das Hauptdeck.
„Ben!“
Ben Brighton war schon da und sah ihn fragend an.
„Laß die Segel setzen. Kurs Mona Passage. Wir haben bereits genug Zeit verloren. Es wird Zeit, daß wir endlich den Atlantik erreichen. Im übrigen“, er legte dem langjährigen Gefährten in vielen Kämpfen und Unternehmungen die Rechte auf die Schulter, „du hast deine Sache hervorragend gemacht. Niemand an Bord hätte die Verhandlung gegen diesen Strolch besser führen können als du.“
Er nickte ihm zu und verschwand in Richtung Achterkastell.
„Ho, Männer! In die Wanten, setzt Segel! Rudergänger, Kurs Südost! Ho, beeilt euch, oder ich werde euch aufschwänzen!“ Ben Brightons Stimme dröhnte über das Deck.
Die Männer enterten wie der Blitz auf. Schon bald begannen sich die ersten Segel in der frischen Brise zu blähen. Langsam schwang die „Isabella“ herum und nahm wieder Fahrt auf.