Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 22
8.
ОглавлениеBen Brighton warf einen besorgten Blick zur Pier. Immer mehr Schaulustige hatten sich dort versammelt. Es wurde laut palavert, gestikuliert, zur „Isabella“ gewiesen. Das Wachsen der Menschenmenge behagte Ben ganz und gar nicht, aber er konnte nichts dagegen unternehmen.
Er wandte sich wieder Robert Rowe zu, der sich an der Spitze der anderen Engländer von Falmouth, die sie aus dem Kerker von Santo Domingo befreit hatten, zu ihm in die Kuhl begeben hatten.
„Also, Robert Rowe“, sagte er zu dem Stadtschreiber. „Ich habe euch rufen lassen, weil ich aus unserem Schiff natürlich kein Gefängnis machen kann.“
„Wir haben uns nie wie in einem Gefängnis gefühlt“, sagte Dick Stable, der Stallknecht.
„Eine Ausnahme bildet nur der hier“, sagte der Fischer Tom Foster und wies voll Widerwillen auf Baldwin Keymis, der gleich neben ihm stand. „Aber der zählt ja nicht. Auch wir sind froh, wenn wir ihn nicht mehr am Halse haben.“
Ben atmete tief durch. „Na gut, es freut mich, daß ihr euch eingelebt habt. Auch ich muß sagen, daß wir euch gern bei uns gehabt haben – von Keymis abgesehen.“
Der Friedensrichter schwieg verbissen.
Ben fuhr fort: „Andererseits kann ich aber auch verstehen, daß ihr euch nach euren Familien zurücksehnt. Ich halte euch nicht, Männer. Kehrt nach Hause zurück, bevor eure Frauen und Kinder es von anderen erfahren, daß ihr mit heiler Haut den Spaniern entwichen seid. Erzählt ihnen, was sich zugetragen hat, und daß sie dem Seewolf zu verdanken haben, daß ihr lebt.“
Robert Rowe trat vor und schüttelte ihm die Hand. „Ich weiß mit dem Federkiel umzugehen, aber ein guter Sprecher bin ich nicht. Auf Wiedersehen, Ben Brighton.“ Er wandte sich zu der Crew der „Isabella“ um und winkte ihr zu.
Die Männer grüßten zurück und stießen Rufe aus. Es gab ein paar kameradschaftliche Abschiedsszenen. Carberry hieb einigen Falmouthern auf die Schulter, daß sie in die Knie gingen. Nacheinander schritten sie über den Laufsteg, der von der Backbordseite der Kuhl nach oben zur Pier führte, davon. Alle drehten sich auf der Pier noch einmal zur „Isabella“ um, und manchen standen die Tränen in den Augen. Zu lange hatten sie an dem beispiellosen Leben dieser Crew teilgehabt, um jetzt ohnedem fortgehen zu können. Nur Baldwin Keymis wich dem Blick Ben Brightons aus, drängte sich an ihm vorüber, war dann schnell auf der Pier und in der Menschenmenge verschwunden, ohne auch nur kurz zurückzuschauen.
„Der ist froh, daß er abhauen darf“, sagte Ferris Tucker. „Hoffentlich bereitet er uns keine Scherereien.“
Ben winkte den alten O’Flynn und Big Old Shane heran. „He, was ist denn mit euch? Schließt ihr euch der Gruppe nicht an? Ihr habt uns gegenüber keinerlei Verpflichtungen.“
Shane lächelte. „Das nicht, aber es zieht uns auch nichts an Land. Wir haben uns offen gegen Sir John Killigrew gestellt. Das bedeutet, wir können und wollen nicht mehr nach Falmouth zurück. Kurzum, wir würden gern bei euch bleiben.“
„Falls ihr uns haben wollt“, fügte der alte O’Flynn hinzu.
„Hm.“ Ben musterte den Alten, und der kriegte plötzlich große Augen. „Also, Donegal, wenn du dein Holzbein nicht abschnallst und damit jemanden verprügelst, bist du genauso willkommen bei uns wie Shane.“
Sie lachten. Ben versammelte die Crew auf der Kuhl, dann erklärte er ihnen: „Die „Isabella“ wird die neue Heimat von Big Old Shane und Donegal Daniel O’Flynn senior. Falls jemand Einwände hat, dann soll er sie jetzt vorbringen, später hat er keine Gelegenheit mehr dazu.“
„Keine Einwände!“ rief Edwin Carberry.
Smoky, der den Schimpansenjungen Arwenack auf seiner Schulter sitzen hatte, meldete sich zu Wort. „Was wird aus Sir John Killigrew und seinen zweiundzwanzig Mann Besatzung?“
„Die Zweiundzwanzig können sofort gehen“, erwiderte Ben. „Wegen Sir John beraten wir noch.“ Er zog sich mit Ferris Tucker, Ed Carberry, Shane und dem alten O’Flynn in die Kapitänskammer zurück. Eine Zeitlang wägten sie das Für und Wider der Freilassung von John Killigrew ab.
„Eins steht fest“, sagte Ben zum Schluß. „Wir haben im Grund kein Recht und keine eigentliche Handhabe, ihn weiter unter Kammerarrest zu halten – trotz des Mordversuches an Hasard.“
„Sir John ist der von der Krone ernannte Generalkapitän von Cornwall“, sagte Shane. „Vergessen wir nicht, daß ihm sein Titel eine gewisse Unantastbarkeit verleiht.“
„Immunität nennt man das“, sagte Ben.
Der alte O’Flynn schlug mit der Faust auf den Tisch. „Verdammt und zugenäht, wir hätten den Hund doch gleich auf See erledigen sollen. Ja, ich bin mir der Folgen bewußt, aber es wird sie auch so geben, das schwöre ich euch, so wahr ich O’Flynn heiße.“
Ben zuckte mit den Schultern. „Was soll’s! Jetzt, nachdem unsere ‚Isabella‘ nicht mehr auf See ist, sondern im Hafen liegt, muß Sir Johns Namen und Titel respektiert werden. Keiner von uns ist ein Jurist und weiß darum auch nicht, wie die rechtliche Lage genau zu beurteilen ist.“
Carberry rieb sich das Rammkinn. „Aber eins ist sicher: Unsere Gesamtlage ist total verdreht und beschissen. Der Seewolf fehlt. Ein gottverfluchter Killigrew mußte über die Klinge springen. Baldwin Keymis, dieses Rübenschwein und Rabenaas, ist weg und steckt voller Zündstoff – der Henker mag wissen, was er noch unternimmt. Und dann ist da der Schatz. Wir stehen ’rum wie die Ölgötzen und wissen nicht, wem die Beute zugeteilt werden soll. O Mann, so blöde wie heute habe ich mich noch nie gefühlt.“
Ben ließ die Wachen rufen, die die Kammer von Sir John Killigrew im Auge behielten. Wenig später wurde Sir John an Deck geführt. Es waren Will Thorne und Jean Ribault, die ihn bis auf die Kuhl brachten. Jean deutete eine Verbeugung an.
„Monsieur, Sie sind ein freier Mann und können gehen, wohin Sie wollen. Ich hoffe, Sie werden dies entsprechend zu würdigen wissen. Haben Sie Verständnis dafür, wenn die Schiffsführung sich nicht von Ihnen verabschiedet. Nach allem, was geschehen ist, besteht wohl kein Anlaß dazu.“
Sir John hob den Kopf und sah sie auf dem Achterdeck stehen: Ben Brighton, Ferris Tucker, Edwin Carberry sowie Shane und den alten O’Flynn.
„Ihr Hunde“, flüsterte er. „Wir sprechen uns noch.“ Er wandte sich Jean zu. „Spar dir dein Gewäsch, Franzose. Ich habe deinesgleichen noch nie leiden können. Du bist ein gottverdammter Bastard von einem Hugenotten und kannst mich mal.“
„Danke für das Kompliment“, sagte Jean Ribault lächelnd. Er verbeugte sich noch einmal.
Sir John rauschte wutentbrannt ab. Er lief über die Gangway auf die Pier und setzte sich dort an die Spitze seiner Restbesatzung. Die hatte wohlweislich auf ihn gewartet. An Bord der „Isabella V.“ hatten sie es vermieden, sich mit der Seewolf-Crew anzulegen, aber jetzt wollten sie sich nicht der Pflichtvernachlässigung und Desertion schuldig machen. So, wie Sir John in Wut war, konnte er ihnen ja mutwillig etwas am Zeuge flicken.
Ben Brighton blickte Sir John und seinem Gefolge nach, wie sie sich durch das dichter werdende Menschenknäuel zwängten und dann zum Kai hin absetzten.
„Ich habe auch über den Schatz nachgedacht, Ed“, sagte er versonnen. „Er ist jetzt so etwas wie ein Pulverfaß für uns, und die Lunte dazu brennt. Wir wissen, daß dreiviertel unserer Beute für die königliche Lissy bestimmt sind, das verbleibende Viertel soll unter der Crew aufgeteilt werden. Aber der Seewolf fehlt, um das zu regeln.“
„Da hat man sich nun wie verrückt geschlagen“, sagte Ferris Tucker. „Himmel, Ben, was haben wir in unseren Gefechten an der Küste von Südamerika und in der Karibik alles riskiert. Um Kopf und Kragen ging es, und kaum hatten wir uns von einer Schlacht halb erholt, ging es in die nächste. Höllische Gefahren haben wir durchgestanden. Wir hätten alle mehr als einmal draufgehen können – wenn die Spanier oder die Piraten uns nicht kleingekriegt hätten, so waren immer noch die Haie da, um uns den Garaus zu bereiten.“
„Ja“, pflichtete Ed Carberry ihm bei. „Keiner von uns fürchtet Tod und Teufel, aber jetzt haben wir’s endlich geschafft, unsere Beute nach England zu bringen und stehen wie die Blöden da. Ehrlich, wir wissen doch weder vor noch zurück.“
„Zum Kotzen ist das“, sagte der alte O’Flynn.
Big Old Shane ließ den Blick schweifen. Mißbilligend musterte er die vielen Menschen auf der Pier. Die wurden immer lauter, rotteten sich förmlich zusammen und drängelten, daß der eine oder andere glatt ins Wasser zu fallen drohte.
„Geheimhalten läßt es sich ja nicht“, sagte Shane grimmig. „Nachdem die Männer aus Falmouth und Sir John mit seinen Mannen an Land gegangen sind, spricht es sich schnell herum, was es mit unserer ‚Isabella‘ auf sich hat.“
„Der sagenhafte Schatz aus der Neuen Welt.“ Ferris Tucker lachte freudlos auf. „Das muß doch wie ein Lauffeuer umgehen.“
Unten auf der Kuhl kratzte sich Buck Buchanan am Kopf. „Also, es will mir nicht in den Kopf, wieso dieses dämliche Gesindel unsere Galeone so anglotzt. Haben die noch nie ein Segelschiff gesehen?“
Jean Ribault warf ihm einen Seitenblick zu, dann konzentrierte er sich wieder auf das, was die Menge da auf der Pier tat. „Buck, die ‚Isabella‘ ist kein schmucker Frachtsegler, der ungefährdet zwischen England, Irland und Schottland kreuzt oder beispielsweise ein Kriegsschiff der englischen Flotte, das gerade im Dock aufpoliert worden ist. Sieh sie dir mal von außen an, unsere ‚Isabella‘! Da stößt man doch mit der Nase auf die Narben, die sie aus den Kämpfen davongetragen hat, nicht wahr? Sie ist ein sturm- und kampferprobtes Schlachtroß, und ich kann den Leuten nicht einmal verübeln, daß sie herübergaffen. Nur habe ich die Befürchtung, daß es allein beim Gaffen nicht bleiben wird.“
„Hölle und Teufel“, murmelte Buck Buchanan. „Ist das ein Scheißhafen.“
Und damit brachte er auf seine Art zum Ausdruck, was sich offen in den Mienen der Männer spiegelte. Sie sehnten sich plötzlich weit fort, zurück in die Karibik mit all ihren Härten, ihren Haien, die in den Tiefen der See lauerten, ihren Dons und Piraten, sie sehnten sich nach dem exotischen Zauber, der ohne Verfremdungen war und ihnen vor allem eines garantierte: die absolute Freiheit.
Denn hier, das begannen sie zu ahnen, würden sie bald nicht mehr frei sein. Das Gebaren der Menschen an Land setzte ihnen zu und drohte sie zu erdrücken. Da waren sie, die Geier, die Wölfe und die Haie, aber im Gegensatz zur Karibik, wo das Gesetz des Stärkeren regierte und dennoch einen natürlichen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Parteien existierte. Im Gegensatz zu dort war die offene Gier der Menschen von alles vernichtender Macht. Davor waren sie dereinst geflohen, als sie aufgebrochen waren, um Freibeuter zu werden. Nichts haßten sie mehr als die niederen Empfindungen und Wünsche dieser Leute – und doch waren sie zurückgekehrt.
„Ich glaube, wir haben uns Illusionen hingegeben“, sagte Jean Ribault.
„Ganz gewiß“, sagte Karl von Hutten. „Der Pöbel hat fette Beute gewittert. In der Masse sind sie stark, diese Burschen. Man muß sich gegen sie schützen.“ Unwillkürlich legte er die Hand auf den Kolben seiner Steinschloßpistole.
Im selben Moment wandte sich auch Ben Brighton an Ed Carberry. „Die Entwicklung hier gefällt mir nicht. Profos, sofort die Drehbassen auf Back und Achterdeck besetzen lassen und ein waches Auge auf diese Leute halten.“
„Aye, aye, Sir.“
Dann wurde die Menge Zeuge, wie Carberry in seiner unnachahmlichen Art die Crew aufscheuchte und durcheinanderhetzte. Seine Flüche hallten über Deck, manche davon konnten sogar eine hartgesottene Hafenhure zum Erröten bringen. Die Menge auf der Pier schrie, grölte und pfiff. Der Lärm schwoll immer mehr an.
Ben Brighton schritt auf dem Achterdeck auf und ab. Wie ein gereizter Tiger strich er an der Holzbalustrade entlang. Er verfolgte die Vorbereitungen seiner Männer an den zehn Drehbassen. Im stillen schickte er ein Stoßgebet zum Himmel, der Kutscher und die anderen Männer mögen bald zurückkehren und ihm die Nachricht bringen, wie es dem Seewolf ginge. Gab Sir Anthony Abraham Freemont ihm überhaupt noch eine Chance?
Kurz nach Mitternacht hatte der Umfang der Menschenmenge das Maß des Erträglichen bei weitem überschritten. Das war eine wabernde Masse, in der es brodelte und gärte, und ein winziger Funke genügte, um sie zum Explodieren zu bringen. Die Crew der „Isabella“ war nervös geworden. Ihre Unruhe färbte auch immer mehr auf Ben Brighton ab. Er fühlte sich dieser verzwickten Situation bald nicht mehr gewachsen.
„Ich begreife nicht, wo der Kutscher, Gary, Al, Matt und Stenmark solange bleiben“, sagte er zu Ferris Tucker. „Es wird ihnen doch wohl nichts zugestoßen sein?“
„Ich schlage vor, ein paar von uns setzen sich in Marsch und sehen mal nach.“
„Warte noch.“
„Du denkst an die Gaffer? Vor denen habe ich doch keine Angst.“ Ferris lachte, aber so richtig überzeugt klang es nicht. Was war, wenn diese Leute einen Trupp der „Isabella“ einkeilten und zerquetschten? Brach dann nicht die Hölle los? Konnten sie das gebrauchen? Panik vor dem Schiff, und dazu noch eine zerstreute Crew, das war das allerletzte, was Ben Brighton sich wünschte.
Plötzlich stieß Smoky vorn auf der Back einen Ruf aus.
Ben sah es auch: am Ende der Menschenmasse, zum Kai hin, war unvermittelt Aufruhr eingetreten. Ben nahm den Kieker und blickte hindurch. Er erspähte Uniformierte. Sie waren von irgendwoher, wahrscheinlich aus der Western Road, aufgetaucht und verschafften sich nun mit rüden Methoden Platz.
Wie ein Keil stießen sie durch die Menge.
„Das ist die Stadtgarde“, sagte der alte O’Flynn. „Da haben wir den Salat. Es gibt Verdruß.“
„Ruhig bleiben“, mahnte Big Old Shane. „Ganz hübsch ruhig bleiben, sonst sind wir die Dummen. Hören wir doch mal, was die Knaben wollen.“
Die Soldaten der Garde schlugen nach links und rechts. Einige Schaulustige wurden aufsässig. Tumult entstand. Jemand schrie, dann fiel ein Schuß, und ein Mann gab einen heulenden Laut von sich.
„Es gibt Verletzte“, sagte Ben, der immer noch den Kieker hielt.
„Aber die Menge weicht!“ rief Ferris Tucker.
„Lieber die Menge als die Stadtgarde“, sagte Donegal Daniel O’Flynn.
Sie waren Zuschauer, und sie hatten sogar Tribünenplätze. Nach und nach verlor sich ein Teil der Menschenmassen in Richtung auf die Stadt. Die Uniformierten hatten nun keine Schwierigkeiten mehr, sich durchzusetzen. Sie schoben sich an den letzten Bürgern vorüber, besetzten die Pier und riegelten die „Isabella V.“ gewissermaßen ab.
Dann trat ein fetter, widerlicher Mensch vor.
„Da wird der Hund in der Pfanne verrückt“, ächzte Ferris Tucker. „Die Ratte Samuel Taylor Burton!“
„Der Bruder von Isaac Henry Burton“, sagte Ben und nickte.
Er betrachtete den Mann durch den Kieker. Burton war schätzungsweise Anfang der Dreißig, braunäugig und trug eine Perücke. Sein Gang war wie der einer watschelnden Ente. Die Heimtücke stand ihm im Gesicht geschrieben. Ben Brighton kannte den verschlagenen Isaac Henry Burton zur Genüge von ihrem Irland-Unternehmen her. Sein Bruder hier war kein Stück besser.
Shane gab ein verächtliches Schnaufen von sich. „Der feine Burton, Friedensrichter in Plymouth. Seit Urzeiten liegt seine Sippe mit den Killigrews in Fehde, weil die Burtons den Killigrews die Vorrangstellung in Cornwall neiden.“
„He“, sagte der alte O’Flynn. „Seht doch mal, wer da hinter Burton hermarschiert. Habe ich’s nicht gesagt, daß Keymis uns noch ganz gewaltig an die Karre fährt?“
Ja, er befand sich in Burtons Gefolge: Baldwin Keymis, glatt und hinterhältig wie nie, erfüllt von seinem elementaren Haß auf die Männer der „Isabella“. Statt die Dinge auf sich beruhen zu lassen, fuhr er nun schweres Geschütz auf. Die Soldaten standen wie eine Mauer und hielten ihre Musketen in Bei-Fuß-Stellung.
„Herhören!“ rief Samuel Taylor Burton. Seine Stimme klang ziemlich hoch und schrill und schraubte sich nach und nach immer höher in den Diskant. „Kraft meiner richterlichen Funktion verkünde ich: Die gesamte Besatzung der ‚Isabella V.‘, vormals ‚San Josefe‘, steht unter Arrest.“
Der alte O’Flynn knurrte vor Wut. „Was will dieser Hänfling?“
Ben Brighton trat ans Backbordschanzkleid des Achterdecks.
„Sir!“ rief er laut. „Welches Recht haben Sie dazu, uns unter Arrest zu stellen?“
„Mordverdacht!“ schrie Baldwin Keymis – und handelte sich einen zurechtweisenden Blick seines Amtskollegen ein.
„Jawohl, Mordverdacht“, sagte Burton. „Jeder Mann der Besatzung wird des Mordes beschuldigt. Außerdem besteht der Verdacht der Fahnenflucht. Ihr seid von Kapitän Francis Drakes Flotte desertiert! Dies sind die Hauptmotive der Anklage, die sich gegen euch richten wird. Im übrigen erkläre ich die Galeone als beschlagnahmt.“
„Das habe ich mir gedacht“, sagte Shane. „Einfacher könnte er und Keymis, dieses Schwein, es ja nicht haben, um sich den Schatz unter den Nagel zu reißen.“
Keymis flüsterte Burton etwas zu. Es war Ben Brightons Name, wie sich herausstellte, denn Samuel Taylor Burton schrie nun: „Mister Brighton, ich fordere Sie auf, mit Ihren Männern das Schiff zu verlassen. Wir bringen euch ins Stadtgefängnis. Die Waffen werden von jedem Mann an Bord zurückgelassen und später von uns konfisziert.“
„Ich glaube, ich träume“, sagte Ben Brighton.
Burton kreischte: „Jeder Widerstand ist zwecklos und wird mit Waffengewalt gebrochen!“
Ben wandte sich langsam nach Süden und sagte: „Eins hat dieses fette Ekel vergessen: den Hafenausgang abzuriegeln. Ich bin zu allem entschlossen. Nur eins lasse ich über meine Leiche zu.“
„Daß die ‚Isabella‘ in die Hände dieser Hundesöhne fällt“, vervollständigte der alte O’Flynn.
Er stand plötzlich zusammen mit Ferris Tucker und Shane ganz vorn an der Schmuckgalerie des Achterkastells. Die Crew blickte sie an, sah auch auf Ben Brighton, erfaßte die Situation und begriff Bens Absichten. Da bedurfte es keiner Worte. Jetzt zeigte die Crew, was sie wert war, jetzt bewies sie, was für ein verschworener Haufen sie in all den harten Jahren des Kampfes und der Entbehrungen geworden war. Sie handelte, als wüßte sie Ben Brightons Befehle im voraus.
Es knisterte auf der Back und auf dem Achterdeck.
Die Lunten zu den Drehbassen brannten.
„Ja“, flüsterte Ed Carberry voller Haß. „Nehmt sie aufs Korn, diese Bastarde. Zielt auf Baldwin Keymis und Burton, diese Hurensöhne, und auf die Stadtgarde, und dann wollen wir doch mal sehen, wer hier den Ton angibt.“ Er kauerte plötzlich hinter dem Backbordschanzkleid der Kuhl. Es klang gefährlich, wenn er brüllte, doch wirklich ruppig und unausstehlich wurde er, wenn er flüsterte.
Alle Männer der „Isabella“ brachten sich in Deckung.
„Burton! Keymis!“ rief Ben. „Sobald einer der Soldaten auch nur die Muskete hebt und Anstalten trifft, den Finger zu krümmen, gebe ich den Feuerbefehl.“
„Das ist gegen das Gesetz!“ Burtons Stimme kippte über, so wütend war er.
„Das Gesetz an Bord eines Schiffes wird durch seinen Kapitän verkörpert – und der bin zur Zeit ich. Burton, ich warne Sie! Sie sind der erste, der in die Luft geblasen wird, wenn Sie auch nur eine falsche Bewegung ausführen!“
„Ich habe ihn vor dem Lauf“, sagte Pete Ballie, der eine Drehbasse auf dem Achterdeck bediente.
„Ferris“, sagte Ben.
Ferris Tucker kappte den achteren Festmacher. Carberry sah es, glitt nach vorn und kappte auch die andere Trosse. „Die „Isabella“ trieb von der Pier weg. Plötzlich war Bewegung in der Kuhl. Gewandt enterten Männer in den Wanten auf und setzten die Segel. Es waren Manöver, die tausendfach geübt waren und in Sekundenschnelle durchgeführt wurden. Immer mehr Abstand legte sich zwischen die Galeone und die Pier.
Ben Brighton blickte zu Samuel Taylor Burton hinüber. Der Mann war weiß vor Wut, und Baldwin Keymis ballte in ohnmächtigem Zorn die Hände. Sie waren zu feige, es darauf ankommen zu lassen.
Die „Isabella V.“ verließ den Hafen von Plymouth. Mit prallen Segeln glitt sie bei Nordwestwind an der Mole vorbei und nahm Kurs nach Süden. Ben Brighton stand immer noch achtern und schaute durch den Kieker zur Pier. Dort bewegten sich Burton und Keymis endlich wieder. Burton schrie seine Garde zusammen.
„Es ist noch nicht vorbei“, sagte Ben. „Wo Hasard sich aufhält, hat Burton höchstwahrscheinlich erfahren. Keymis wird ihm ja berichtet haben, daß wir Hasard von Bord brachten. Vielleicht will er ihn jetzt für alles büßen lassen. Vielleicht wird er versuchen, ihn zu erpressen und so an unser Schiff heranzukommen. Er wird mit allen Mitteln danach trachten, sich zumindest einen Teil des Schatzes unter den Nagel zu reißen.
„Der Teufel soll ihn holen“, sagte der alte O’Flynn, aber er wußte auch nicht, ob dieser fromme Wunsch in Erfüllung gehen würde.
Nur eines wußten sie: Plymouth hatte sie wieder ausgespien, als hätten sie die Pest an Bord. Sie waren wie Verdammte, für die es kein Zurück und keine Bindungen mehr gab ...