Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 27
4.
ОглавлениеBen Brighton wich nicht vom Achterdeck der „Isabella“. Mal blickte er nach achtern, mal trat er an die Holzgalerie zum Quarterdeck und gab Pete Ballie eine leichte Kurskorrektur an. Sie segelten nach Westen, an der Küste Cornwalls entlang, mit leichtem Drall nach Südwesten. Es war kein leichter Törn, denn bei dem aus Nordwest einfallenden Wind galt es, möglichst wenig Luv zu verschenken. Aber in Luv war die Küste, und an die durften sie wiederum nicht zu dicht heran. Backstagswind war das Ideale für die Galeone, aber den konnte keiner herbeizaubern.
Die See war jedoch ruhig. Die „Isabella“ brauchte nicht gegen Brecher zu kämpfen wie vor der Küste Spaniens oder in der Biskaya. Sie kam trotz allem gut voran. Ben hatte vor, sich eventuell um Landsend herum zu verholen – an den berüchtigten Scilly-Inseln vorbei bis an die Nordwestküste Cornwalls.
„Ich kenne die Ecke ganz genau“, hatte der alte O’Flynn gesagt. „Wir können die ‚Isabella‘ da in einer abgelegenen Bucht verstecken, und zwar so lange, bis wir sichere Nachrichten über Hasards Gesundheitszustand haben.“
Big Old Shane hatte hinzugefügt: „Die Nordwestküste ist zwischen Port Isaac Bay und der Bude Bay, ja, sogar bis hinauf nach Hartland Point so gut wie unbesiedelt. Von dort aus sind es über Land bis nach Plymouth etwa dreißig Meilen.“
„Die kann man zu Fuß bewältigen“, hatte Ben erwidert. „Aber wir könnten uns auch Pferde kaufen. An Zahlungsmitteln mangelt es uns ja nicht.“
Zur Zeit waren sie wohl die reichsten Männer von England. Sie hatten genug Gold, Silber, Perlen und Juwelen, um ein Königreich zu kaufen. Aber dieser Umstand stimmte den nicht gerade froh.
Gerade waren sie drohendem Unheil entwichen. Burton und Keymis hatten klein beigeben müssen. Aber jetzt zog eine neue Gefahr auf. Natürlich war weder Ben noch den anderen Männern an Bord der „Isabella“ die dreimastige Karavelle entgangen, die ihnen beharrlich folgte. Jetzt war es Nacht, aber Ben war fest überzeugt, daß sie immer noch hinter ihnen segelte.
Bens Blick glitt über Deck. Kein Mann nutzte die Gelegenheit zu einer Mütze voll Schlaf. Alle waren beschäftigt. Die letzten Handgriffe an den Kanonen wurden getätigt. Ben hielt das Schiff gefechtsbereit – für alle Fälle.
Ferris Tucker hatte vorn bei den Drehbassen der Back Aufstellung genommen. Shane und der alte O’Flynn kehrten soeben von einem Inspektionsgang durch die Frachträume und die Pulverkammer zurück. Sie wechselten ein paar Worte mit dem bulligen Edwin Carberry, dann stiegen sie von der Kuhl aufs Achterdeck und gesellten sich zu Ben Brighton.
„Ich wette, die Karavelle ist uns immer noch auf den Fersen“, sagte der alte O’Flynn.
„Ich will nicht mehr Shane heißen, wenn sich nicht Sir John auf dem Schiff befindet“, meinte Shane. „Er ist mit den Burtons verfeindet, deswegen hat er sich von den Friedensrichtern und der Stadtgarde ferngehalten. Aber das mindert seinen Rachedurst und die Gier auf unseren Schatz keineswegs. Wie ich ihn kenne, hat er sich dreist die Karavelle unter den Nagel gerissen.“
„Sie heißt ‚War Song‘, wenn mich nicht alles täuscht.“ Der alte O’Flynn stapfte mit seinem Holzbein auf. „Heut früh, als wir in Plymouth einliefen, habe ich den Namenszug am Bug gelesen. Das ist eine Kriegskaravelle, Freunde, genau das Richtige für Sir John. Ich kann mir schon vorstellen, wie er sie mit seinem Haufen Männer besetzt hat. Er ist der General-Kapitän von Cornwall. Er kann sich aufspielen, wie er will. Die meisten Leute kuschen vor ihm.“
Ben lächelte ihm zu. „Ja. Aber an uns hat er sich schon ein paar Zähne ausgebissen. Und er verliert sämtliche Beißer, wenn er sich einbildet, uns jetzt schnappen zu können.“
„Soll er doch angreifen“, sagte O’Flynn grimmig. „Diesmal halte ich mich nicht zurück. Diesmal schnalle ich mir die Prothese ab und knalle sie ihm auf den Schädel.“
Shanes Lachen klang dunkel und grollend. „Willst du die Karavelle entern?“
„Glaubst du, ich gehöre schon zum alten Eisen?“
„Um Himmels willen.“ Shane hob abwehrend die Hände. Sie waren groß wie Ankerklüsen. Er konnte damit einem Gegner mühelos die Knochen brechen. „Ich bin doch nicht lebensmüde. Mit dir lege ich mich nicht an.“
„Willst du mich verschaukeln?“
„Nein. Es ist mein Ernst.“
„Dein Glück.“
Ben lauschte ihrem vergnüglichen Dialog, blickte dabei aber zur Kuhl. Carberry stand breitbeinig und mit verschränkten Armen da und glich die Schiffsbewegungen mit den Beinen aus. Wer von der Mannschaft nicht an Schoten und Brassen beschäftigt war, kauerte hinter den Geschützen. Es war ein kleiner Haufen geworden – eine kleine, aber fest zusammengeschmiedete Crew, die ihre Beute bis zum letzten verteidigen würde.
Eine kleine Crew, ein großes Schiff! Da waren zur Zeit von der alten Stammbesatzung nur übriggeblieben: Ferris Tucker, Smoky, Blakky, Batuti, der riesige Gambia-Neger, und Pete Ballie, der Rudergänger. Weiter befanden sich an Bord Karl von Hutten, den sie mit der „Isabella III.“ sozusagen übernommen hatten, als sie diese gekapert hatten, sowie die ehemaligen Karibik-Piraten, die es unter dem Kommando von Einohr Mac Dundee damals nicht mehr ausgehalten hatten. Patrick O’Driscoll und Gordon Watts lebten nicht mehr. Was ihnen zugestoßen war, hatten sie sich selbst zuzuschreiben. Es war, als sondere die einmalige Art von Kameradschaft, die die Seewolf-Crew verband, solche Typen aus. Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Buck Buchanan, Luke Morgan und Will Thorne indes hatten Hasard die Treue gehalten. Als sie Drake zum vorletztenmal bei der Kaperung der „Nuestra Senora de la Concepcion“, des Feuerspeiers, gesehen hatten, hatte Hasard ihm diese und die anderen ehemaligen Piraten vorgestellt. Jean Ribault, der Franzose, gehörte ebenso zu diesem Haufen wie die beiden Dänen Nils Larsen und Sven Nyberg und die Holländer Jan Ranse und Piet Straaten. Das waren insgesamt einundzwanzig Mann, Ben, Ed Carberry, Shane und O’Flynn mitgerechnet.
Hinzu kam noch ein Besatzungsmitglied besonderer Art: der Schimpansenjunge Arwenack. Zur Zeit hielt er sich in seinem geliebten Großmars auf, wo er sonst immer dem jungen Dan O’Flynn Gesellschaft leistete. Jean Ribault hatte Dans Platz eingenommen. Er besaß ähnlich scharfe Augen wie Dan und war deswegen als Ausguck vorzüglich geeignet – auch bei Nacht. Arwenack hatte den Wechsel ohne großes Gezeter akzeptiert. Er hatte auch keinen Grund zum Meckern, denn Jean fütterte ihn mit Rosinen, die er in einem der Vorratsschapps der Kombüse aufgestöbert hatte.
Jean blickte fast unaufhörlich nach achtern. Sein Instinkt sagte ihm, daß sich bald etwas tun würde. Es war noch nicht lange dunkel, aber wenn die Karavelle feindliche Absichten hatte, dann würde sie nicht mehr lange zögern. Jean stellte sich die ganze Zeit über vor, wie er sich wohl verhalten würde, wenn er eine Galeone angreifen wollte.
„Die Karavelle ist ein wendiges und schnelles Schiff, mon ami“, sagte er zu Arwenack. „Sie wird keine Schwierigkeiten haben, uns zu überholen. Hast du die schönen Lateinersegel gesehen, die sie trägt?“
Arwenack schluckte ein paar Rosinen unzerkaut herunter und grunzte.
Jean lächelte. „Bist ein kluges Bürschchen. Was tun wir, wenn die Karavelle uns die Krallen zeigt?“
Arwenack duckte sich, legte die Hände über den Kopf und schaute Jean zwischen den Fingern hindurch an.
„Nein, kleine Brötchen backen wir nicht“, sagte Jean erbost.
Arwenack straffte sich. Er zog die Hände schnell vom Kopf, fletschte die Zähne, knurrte und zerrte etwas hinter sich hervor. Es war eine halbe Kokosnußschale.
Jean lachte auf. „Jetzt verstehen wir uns, mon ami. Natürlich werden wir ihnen Zunder geben. Aber wenn du deine berühmten Wurfgeschosse schleuderst, paß bloß auf, daß keiner von uns so ein Ding auf den Schädel kriegt.“
Der Schimpanse nickte eifrig. In diesem Moment sah es wirklich so aus, als verstünde er die menschliche Sprache.
Jean sah plötzlich achtern etwas wie ein riesiges Schemenwesen aus der Nacht wachsen. Sofort war er alarmiert. Er richtete sich hinter der Segeltuchverkleidung des Hauptmarses auf, beugte sich vor, spähte angestrengt und erkannte die schwachen Konturen der Karavelle. Sie war ein steil aufragender, bedrohlicher Schatten, der ihnen nun bedenklich nahe kam.
„Deck!“ rief Jean. „Die Karavelle rückt von achtern auf und luvt an!“
„Schockschwerenot“, sagte unten auf dem Achterdeck Big Old Shane. „Die Hunde wollen sich also zwischen uns und das Land schieben?“
„Sehr richtig“, entgegnete Ben. „Und somit ist klar, was sie vorhat. Wir haben ablandigen Wind. Der Gegner will die Luvposition übernehmen und einen Vorteil herausschinden. Da er schneller als wir ist, gehört nicht viel dazu, es zu schaffen.“
„Hölle und Teufel!“ Der alte O’Flynn bewegte wieder sein Holzbein, daß es auf die Planken krachte. „Das dürfen wir nicht zulassen.“
„Wir können es nicht ändern“, sagte Ben. „Profos!“
„Sir?“
„Schiff klar zum Gefecht!“
„Klar zum Gefecht, Sir!“
Jean Ribault stellte mit grimmiger Genugtuung fest, daß die Wolkendecke sich öffnete. Nur für eine Weile zeigte sich der blasse Erdtrabant, aber diese Weile genügte dem Franzosen vollauf. Er hob den Kieker ans Auge und fixierte aufmerksam die Karavelle. Sie war nah genug heran, um Einzelheiten erkennen zu lassen.
„Verdammt“, murmelte er. „Die Armierung des Burschen ist nicht von schlechten Eltern.“ Er zählte die Stückpforten auf der Backbordseite. Es waren zehn.
„Zwanzig Kanonen!“ rief er auf Deck. „Und sie sind ausgefahren. Auf der Back und auf dem Achterkastell hat er auch noch ein paar Drehbassen.“
Er richtete das Spektiv auf das Achterdeck der Kriegskaravelle. Er wollte die Drehbassen auch noch zählen, aber dann entdeckte er etwas weitaus Interessanteres. Eine bullige Gestalt zeigte sich in der Optik. Sie bewegte einen Arm und schien irgend jemandem einen Befehl zu erteilen.
„Hol’s der Teufel“, sagte Jean, dann brüllte er: „Zur Hölle, die Karavelle wird von Sir John Killigrew kommandiert!“
„Damit ist alles klar“, sagte unten Edwin Carberry. „Himmel, Arsch, auf was warten wir noch? Verbraten wir diesem Rübenschwein ein Ding, das er so schnell nicht wieder vergißt. Munition haben wir genug, um ein wirkungsvolles Feuerwerk zu veranstalten. Wäre doch gelacht, wenn wir den Affenarsch Sir John nicht zum Teufel jagen könnten, was, wie?“
Jean beobachtete durch den Kieker. Als er sah, daß drüben auf der Karavelle die Lunten aufflammten, sträubten sich ihm die Nackenhaare. „He, Ben, Ferris, Ed – der Hurensohn feuert!“ Seine Stimme dröhnte über Deck, und Ben Brighton reagierte sofort.
„Pete, abfallen und auf Südkurs gehen!“
„Aye, aye, auf Südkurs gehen.“ Pete Ballie setzte den Kolderstock in Bewegung und legte Ruder. Die „Isabella V.“ drehte nach Backbord, schwang ihren Bug südwärts und ging platt vor den handigen Nordwest. Sie drehte ihr verziertes Heck dem Gegner zu.
Genau im richtigen Augenblick!
Mündungsblitze zuckten in der Backbordwand der Karavelle auf. Das zehnfache Donnern der Kanonen klang wie ein einziger, gewaltiger Schlag. Pulverqualm und Feuerrauch stiegen auf, und die tödlichen Kugelladungen heulten zur „Isabella“ herüber.
Ferris Tucker hatte seinen Posten auf der Back verlassen. Wie ein Irrer stürmte er über die Kuhl, raste zum Quarterdeck und dann zum Achterdeck hinauf. Er stoppte hinter einer der sechs Drehbassen, duckte sich und lugte scharf übers Schanzkleid hinweg zum Gegner hinüber. Ben, Shane und O’Flynn hatten ebenfalls die Köpfe eingezogen.
„Verpassen wir ihm eins!“ brüllte Shane.
„Laßt mich das machen!“ rief Ferris zurück. Er zündete die Lunte seiner Drehbasse, zielte kaltblütig und stellte die Basse in ihrer Lafette fest. Der Funke fraß sich bis aufs Zündkraut durch, dann gab es ein ohrenbetäubendes Krachen, und die Basse zuckte unter dem Rückstoß. Ferris hörte Jean Ribault im Großmars lachen. Er sah die Wasserfontänen wie Türme hinter der „Isabella“ aufsteigen und grölte nun ebenfalls wie verrückt.
„He, Sir John hat sich verrechnet!“ schrie Ferris. „Seine ganze Backbordbreitseite ist wirkungslos ins Wasser gezischt!“
Ben schlug Shane auf die Schulter, daß es krachte. Der alte O’Flynn kicherte vor Vergnügen, und die Crew johlte. Dann steigerte sich ihre Begeisterung noch, denn Ferris’ Drehbassenladung hatte ihr Ziel erreicht. Er hatte auf den achteren Mast der Karavelle gezielt und getroffen.
Der Jubel der „Isabella“-Crew kannte keine Grenzen mehr, als die Gaffel am Besanmast der Karavelle zersplitterte.
Bootsmann Sullivan sprang zur Seite. Er schaute hoch und schrie auf, als er das Rauschen über sich hörte und feststellte, daß die Männer der Galeone mit ihrem einzigen Schuß die Fallen der Gaffelrute am Besanmast zerschossen hatten.
Die schwere Spiere taumelte. Die Rohnock verfing sich für einen Moment in den Webeleinen der Wanten, dann riß sie sich los, und die mächtige Gaffelrute krachte mit ohrenbetäubendem Donnern aufs Deck. Sir John Killigrew brüllte die wüstesten Flüche. Er tanzte vor Wut, aber das nutzte ihm auch nichts.
Sir John vollführte im letzten Augenblick einen Hechtsprung. Er landete bäuchlings auf den Stufen des Backbordniederganges und schlitterte aufs Quarterdeck. Bootsmann Sullivan hatte sich ebenfalls nach vorn geworfen. Er jumpte einen Sekundenbruchteil, bevor das Rundholz auf Deck prallte, über die Five-Rail weg. Sein kühner Satz beförderte ihn aufs Quarterdeck. Er setzte haarscharf vor der an der Gräting befindlichen Nagelbank auf. Fast hätte er sich an den Belegnägeln den Kopf gestoßen. Aber das wäre ihm immer noch lieber gewesen als das Schicksal, das ihn auf dem Achterdeck getroffen hätte, wenn er dort geblieben wäre.
Sullivan blickte zurück.
Er wurde Zeuge, wie es Harris und Jenkins erwischte – die beiden Besatzungsmitglieder, die am Nachmittag auf seinen Befehl hin das Vorschiff aufgeklart hatten. Das Splittern des Holzes mischte sich mit ihren Schreien. Sie hatten an den beiden Drehbassen des Achterdecks gestanden, jetzt wurden sie von dem schweren Rundholz regelrecht erschlagen. Das Lateinersegel deckte sie zu und färbte sich von ihrem Blut.
Die Gaffelrute hatte auch die Five-Rail in ihrer Mitte zerschlagen. Ihr Holz war zersplittert und hatte einen dritten Mann aufgespießt. Es war ein gräßlicher Anblick. Sullivan war ein alter Haudegen, ein erfahrener Soldat zur See, doch etwas Derartiges hatte selbst er selten miterlebt. Er stöhnte auf.
Der Schwerverletzte brüllte, daß es den Männern in den Ohren gellte. Sir John hatte sich aufgerappelt und schrie einen Geschützführer der Backbordseite an. Zwei, drei Männer, darunter auch Feeney, hasteten an Sullivan vorbei. Sullivan löste sich jetzt auch aus seiner Erstarrung und schloß sich ihnen an, um den Unglücklichen aus seiner furchtbaren Lage zu befreien.
Sie zerrten ihn von dem zersplitterten Ende der Gaffelrute, doch dann sank er in ihren Armen zusammen. Sullivan stellte seinen Tod fest. Der Mann hatte sehr viel Blut verloren. Sein Unterleib sah grauenvoll aus. Sie betteten ihn auf dem Lateinersegel und richteten sich erschüttert auf.
Bootsmann Sullivan suchte nach Harris und Jenkins, und als er sie fand, wünschte er sich, diesen Tag niemals erlebt zu haben und ihn für alle Zeiten aus seinem Gedächtnis streichen zu können. Doch die Erinnerung würde bleiben. Sie würde sich in seinem Geist festbrennen und ihm schlaflose Nächte bereiten, sie würde ihn für den weiteren Verlauf seines Lebens zeichnen.
„He!“ Sir John war den Backbordniedergang wieder halb hoch geklettert und blickte auf das verwüstete Achterdeck. „Was steht ihr da herum, ihr Hornochsen? Los, schmeißt die Toten in die See. Oder bildet ihr euch ein, sie würden auferstehen? Bootsmann Sullivan, haben Sie was auf den Kopf gekriegt oder ist Ihnen sonst was passiert?“
„Nein, Sir.“
„Dann über Bord mit den Leichen und an die Arbeit. Wir müssen dem Gegner nach und ihn stellen. So eine Schlappe darf uns nicht wieder unterlaufen. Sonst lasse ich Sie und diese Bande von Narren unter Arrest stellen, wenn wir wieder in Plymouth sind.“
„Sir – die Toten haben ein Recht darauf, mit seemännischen Ehren bestattet zu werden.“ Sullivan hätte sich, kaum daß er es ausgesprochen hatte, am liebsten auf die Zunge gebissen. Aber er konnte es nicht mehr rückgängig machen.
Sir John brüllte: „Sullivan, Sie erdreisten sich, mir zu widersprechen?“
„Nein, Sir.“
„Ich stelle Sie vor ein Bordgericht, wenn Sie nicht augenblicklich parieren. Ich lasse Sie hinrichten, Mann. Kommen Sie her.“
In Sullivan hatte sich mit einem Schlag etwas geändert. Sein Weltbild war verrückt. Auch Autoritätspersonen konnten Fehler begehen und sogar Niederträchtigkeit beweisen. War er ein hirnverbrannter Idiot? Warum war ihm das noch nicht früher aufgefallen? Wie denn – ein Sir John Killigrew, General-Kapitän von Cornwall, verlangte von ihm, er solle drei Männer seiner Crew einfach außenbords werfen, weil es sie im Kampf erwischt hatte? Wo blieb da die Hochachtung vor dem Mut, den sie bewiesen hatten, vor der Tatsache, daß sie bis zuletzt unerschütterlich ihren Mann gestenden hatten? Und, nicht zuletzt: Er, Sullivan, war jahrelang mit Harris, Jenkins und dem dritten Toten gefahren und fühlte sich mit ihnen verbunden. Einem heruntergekommenen Piratenführer konnte man derartige Methoden zubilligen, nicht aber einem General-Kapitän Ihrer Majestät, Königing Elizabeth I. von England.
Sullivan ging zu Sir John.
„Sie“, sagte Sir John mühsam beherrscht. „Ihnen haben wir diese riesengroße Schweinerei zu verdanken, verdammt noch mal.“
„Wie bitte, Sir?“
„Ja!“ schrie Sir John. „Hätten Sie diesen Sauhaufen von Mannschaft besser gedrillt und auf Disziplin gehalten und diesen Kerlen vor allen Dingen beigebracht, wie man mit Geschützen umgeht, hätten wir keine solche Schlappe erlitten. Die Breitseite hätte die ‚Isabella‘ auf jeden Fall noch ins Heck treffen müssen. Die Hunde haben uns einen Treffer verpaßt. Wie stellen Sie sich dazu, Bootsmann Sullivan?“
Sullivan spürte, wie etwas in ihm aufstieg und sich gärend in ihm ausbreitete. Das war ein verflixt merkwürdiges Gefühl. Zunächst wurde er sich noch nicht richtig bewußt, was es war, aber später begriff er, daß es Haß war.
„Sir“, sagte er. „Sie haben das Kommando an Bord, und Sie haben den Feuerbefahl erteilt.“ Was war nur in ihn gefahren? Niemals, niemals hätte er seinem Kapitän, der zur Zeit Urlaub hatte, auch nur ansatzweise eine derartige Antwort gegeben.
Sir John traf Anstalten, ihn zu pakken, doch er hielt sich im letzten Augenblick zurück. „So, also immer noch Widerworte, Sullivan. Nun, darüber unterhalten wir uns bei nächster Gelegenheit noch ausführlich.“
„Sir, ich sage nur, wie es ist.“
„Ja“, erwiderte Sir John gedehnt. „Schon gut, Mann. Sorgen Sie jetzt endlich dafür, daß Ordnung in dieses Durcheinander kommt. Die Männer sollen die Schoten und Brassen des Segels kappen und den ganzen Salat über Bord schmeißen, verstanden?“
„Aye, aye, Sir.“
Sir John legte den Kopf in den Nacken. „Ausguck!“
„Sir?“
„Kannst du die Galeone noch sehen, du Bastard?“
„Ja, Sir. Sie halst und geht auf Steuerbordburg.“
Sir John ballte die Hände. „Ben Brighton, dieser Satan. Er will mit raumem Wind nach Osten abhauen, aber das schafft er nicht. Ich werde ihn vorher schnappen, ich habe das schnellere Schiff.“ Er begann wieder zu brüllen. „Los, ihr Hurensöhne, wir fallen ab und jagen dem Gegner nach! Wollt ihr euch wohl beeilen? Muß ich euch Beine machen? Ich merke mir jeden, der hier nicht pariert, und wenn dieses Gefecht vorüber ist, dann gnade euch Gott. Die Faulen und Drückeberger, die Weichen und die Memmen, ich lasse sie der Reihe nach auspeitschen und kielholen.“
Er ahnte nicht, daß im Dunkel der Nacht ein weiterer Gegner lauerte.