Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 28
5.
Оглавление„Auf was wartest du? Verpaß ihm das Ding“, zischte Matt Davies.
Al Conroy schüttelte den Kopf und raunte: „Noch nicht.“
Er hockte im Bug der Schaluppe hinter der vorderen Drehbasse. Die Kriegskaravelle „War Song“ war keine Geistererscheinung mehr, die sie nach Gefühl durch die Nacht verfolgten. Das Schattenspiel war vorüber. Sie hatten sie groß und deutlich vor sich und rückten lautlos und unaufhaltsam auf sie zu. Sie hob und senkte sich auf den seichten Wogen des Atlantiks, und immer, wenn die Schaluppe mit dem Bug hochstieß, geriet die Bordwand der Karavalle genau vor die Mündung der vorderen Drehbasse.
Al Conroy hatte sie mit Akribie geladen und justiert. So eine Drehbasse war im gewissen Sinne Gold wert, denn sie hatte gegenüber den schweren Geschützen, die man auf großen Schiffen führte, unschätzbare Vorteile. Die Falkons und Minions, die Demi-Culverinen und Culverinen, sie alle waren relativ schwerfällig, umständlich zu handhaben und schossen nur in der einen festgelegten Richtung. Eine Drehbasse hingegen war kein Vorder-, sondern ein Hinterlader. Es bedurfte bei weitem keines so großen Zeitaufwandes, Pulver ins Bodenstück zu füllen und die Kugel samt Wergpfropfen in ihre Lage zu bringen, wie bei einer größeren Kanone. Außerdem ließ die Basse sich in ihrer Lafette, die auf dem Schanzkleid befestigt war, beliebig nach links und nach rechts drehen. Auch in der Höhe war sie verstellbar.
Gary, Al, Matt und Stenmark hatten das Aufschließen der Karavelle an die „Isabella V.“ rechtzeitig bemerkt. Natürlich hatten sie ebenfalls angeluvt und sich ihrerseits zwischen die Karavelle und das Land geschoben. Die wahre Luvposition hatten also sie, aber das wußten weder Sir John noch Ben Brighton und die anderen an Bord zur „Isabella“. Der erste Schußwechsel hatte stattgefunden. Al und seine Kameraden hatten zu ihrer Genugtuung festgestellt, was für einen Treffer die „War Song“ erhalten hatte.
Immer dichter schob sich die Schaluppe an die Karavelle heran.
Jetzt genügte es, daß ein Mann von der „War Song“ rein zufällig den Kopf wandte. Er mußte sie entdecken. Al hielt die Luft an. Matt beobachtete mit offenem Mund, kauerte hinter dem Schanzkleid und hielt eine schußfertige Muskete. Stenmarks Gesicht war von der gleichen inneren Anspannung gezeichnet wie die Mienen der Kameraden. Gary hielt es kaum noch achtern am Steuerruder aus. Aber sie alle zwangen sich, wirklich den allerletzten, günstigsten Moment abzupassen.
Und er kam.
Während die Schaluppe an die Karavelle heranlief, verfolgte Al, wie der Gegner abfiel. Sie hatten auch gesehen, wie die „Isabella“ Sir John und seiner Mannschaft den Allerwertesten gezeigt hatte – der Rest ließ sich mühelos zusammenreimen. Sir John nahm die Hetzjagd auf.
Gut, dachte Al, sehr, sehr gut.
Die „War Song“ zog ihr Vorschiff vom Nordwestwind weg. Al sah die Heckgalerie, sie schob sich immer mehr in sein Blickfeld. Schlichte, solide englische Schiffszimmermannsarbeit, nicht so viele Schnörkel wie bei den spanischen Schiffen. Die Hennegatsöffnung war ein schwarzer Fleck im Schiffsleib. Unter ihr verlief in vertikaler Richtung das Steuerruder. Al konnte es nicht genau erkennen, doch er nahm die Hennegatsöffnung als Zielpunkt.
Al wußte, daß dies seine einmalige Chance war. Ein zweites Mal bot sie sich bestimmt nicht. Es kam auf ihn an, auf seine Fähigkeit als Geschützführer. Jenseits des Atlantiks, an der Westküste der Neuen Welt, hatte er der „Nuestra Senora de la Concepcion“ den Bugspriet abgeschossen, nachdem Hasard mit ein paar Männern aufgeentert war und den spanischen Kapitän überwältigt hatte. Oh, er hatte noch andere Kunststücke fertiggebracht, nicht nur, was das fachgerechte Zielen, sondern auch, was das richtige Abmessen der Ladung und andere Kleinigkeiten betraf. Auf dieser Erfahrung basierte jetzt sein Unternehmen.
Er setzte die Lunte in Brand.
Knisternd fraß sich der Funke durch die Zündschnur. Al wartete nur noch ab, bis sich der Bug der Schaluppe in einem kleinen Wellental nach unten neigte – da senkte er die Lunte auf die Basse. Der Funke eilte durch den Zündkanal, erreichte das Zündkraut, und in diesem Augenblick hob die Schaluppe wieder ihren Bug an. Al zog den Kopf ein. Alle vier Männer hielten den Atem an.
Das Krachen der Drehbasse wurde von einem Ruck begleitet, der durch die Schaluppe lief. Rötlich-gelbes Feuer stob aus dem Geschützlauf und preßte die Ladung vor sich her. Beißender Rauch breitete sich über dem schmalen Deck der Schaluppe aus. Matt Davies kriegte eine Ladung davon in die Lungen, weil er den Mund immer noch geöffnet hielt.
Die Eisenkugel raste in das Heck der „War Song“. Sie hörten Holz splittern und Männer schreien, dann sahen sie, wie das Ruderblatt wegknickte. Matt hustete und lachte. Al Conroy hatte das Ruder der Karavelle zerschmettert, wie es keiner besser vermocht hätte! Trümmer landeten klatschend im Wasser. Jemand schrie Zeter und Mordio, es war Sir John Killigrew.
„Arwenack!“ rief Al Conroy.
„Ar-we-nack!“ brüllten seine drei Kameraden im Chor.
Die Schaluppe nahm sich im Verhältnis zu der Karavelle winzig aus. Und ihre Armierung war geradezu lächerlich. Aber sie hatten dem Gegner einen Nadelstich verpaßt, und zwar einen ganz empfindlichen. Wie sollte die „War Song“ ohne Ruder manövrieren?
Gary Andrews drehte ab. Abstand legte sich zwischen die Karavelle und die Schaluppe. Ehe drüben auf dem Achterdeck überhaupt eins der Geschütze besetzt und auf sie gerichtet war, befanden sie sich außer Schußweite. Deutlich sahen sie aber unter einem fahlen Streifen Mondlicht die Männer der Karavelle, wie sie die Fäuste gegen sie schüttelten.
„Ar-we-nack!“ riefen Al, Gary, Matt und Stenmark noch einmal.
„Feuer!“ brüllte Sir John. „So schießt doch, ihr verdammten Hunde! Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“
Coleman, der vierschrötige Seemann, hatte die Lunte einer Drehbasse gezündet. Er senkte sie auf das Bodenstück, dann belferte das Geschütz los und spie seine Ladung in die Nacht. Im aufzuckenden Mündungsblitz sahen Sir John, Sullivan, Coleman, Feeney und einige andere für einen Augenblick die zweimastige Schaluppe. Danach verfolgten sie nur noch, wie das Geschoß wirkungslos ins Meer klatschte und eine gischtende Fontäne hochriß. „Feuer!“ schrie Sir John.
„Es hat keinen Zweck mehr“, sagte Bootsmann Sullivan. „Die sind bereits zu weit weg. Wenn mich nicht alles täuscht, segeln sie die Schaluppe, die in Plymouth an der Pontoon Pier vertäut lag. Sie gehört dem Hafenkapitän.“
„Aber der Hafenkapitän ist nicht an Bord“, sagte Feeney.
„Bestimmt nicht“, meinte Sullivan. „Der würde doch nicht auf uns schießen. Ich glaube eher, daß die Kerle dort zur Crew des Seewolfes gehören.“
„Die können verteufelt gut zielen“, sagte Coleman.
Sir John war plötzlich bei ihm und packte ihn an den Aufschlägen. „Oh, wie schlau ihr doch seid. Ihr seid der Inbegriff von Intelligenz und Einsatzbereitschaft. Warum hast du sie nicht getroffen, du Hund? Bist du besoffen? Seid ihr alle total beschränkt, daß ihr euch so fertigmachen laßt?“
„Ich kann nichts dafür“, stammelte Coleman.
Sir John hieb ihm die Faust unters Kinn. Coleman gab noch einen erstickten Laut von sich, dann kippte er hintenüber und blieb rücklings neben dem toten Harris liegen.
Feeney hatte seine Hand bereits um die Pistole geschlossen, die in seinem Gurt steckte. Er wollte auf Sir John los, doch Sullivan hielt ihn zurück, ehe Sir John etwas bemerkte. Die Mienen der Männer waren finster. Keiner konnte diesen selbsternannten Kapitän leiden. Es roch nach Unrat und Meuterei, alle Zeichen standen auf Sturm. Aber noch hielt Sullivan und die Crew die tief in ihnen sitzende Disziplin zurück. Man hatte sie ihnen ja heftig genug eingetrimmt. Sie war ein Teil ihrer selbst, von dem sie sich so schnell nicht zu lösen vermochten.
Sir John stieg, so schnell er konnte, über die Trümmer der Gaffelrute und wandte sich dem Quarterdeck zu. Er stolperte fast über das zerfetzte, blutverschmierte Segeltuch.
„Klart hier endlich auf!“ brüllte er. „Wird’s bald? Weg mit diesem Dreck, weg mit den Leichen!“
Er benutzte den Backbordniedergang und lief zum Rudergänger.
„Die Toten bleiben an Bord“, sagte Bootsmann Sullivan zu Feeney und den anderen. Sein Gesicht war plötzlich wie aus Stein gehauen. „Sie sollen beigesetzt werden, wie es ihnen gebührt. Ich bin bereit, notfalls mit meinem Leben dafür einzustehen.“
Er schritt an die Five-Rail und wurde Zeuge, wie Sir John den Rudergänger zusammenstauchte.
„Was, das Ruder gehorcht nicht mehr? Verdammt noch mal, es kann doch nicht total in die Brüche gegangen sein. Unmöglich! Du bist ein Versager, Mann!“
Der Rudergänger, ein sonst sehr besonnener Mann, versetzte dem Kolderstock einen Stoß. Das Ding pendelte hin und her. „Bitte sehr, Sir. Wie Sie sehen, spielt sich da nichts mehr ab. Oder wollen Sie sich selbst überzeugen?“
Sir John packte ihn an der Kleidung, wie er sich Coleman gegriffen hatte. „Totschlagen sollte man dich. Ihr seid verlauste Hurensöhne, du und deine Kumpane. Als Fischfutter wäret ihr gerade gut genug.“
„Sir“, sagte Sullivan. „Wollen Sie diesen Mann auch niederschlagen?“
Sir John riß dem Rudergänger die Pistole aus dem Gürtel, dann stieß er ihn von sich. Der Mann stolperte und fiel hin. Sir John spannte den Hahn der Waffe. Es war eine Steinschloßpistole, fix und fertig geladen, gut geölt und griffig, bereit zum Töten. Der Hahn knackte. Sir John legte auf Bootsmann Sullivan an. Nur, wer ihn ganz genau beobachtete, konnte sehen, daß seine Hand etwas zitterte.
„Sullivan! Noch so eine Bemerkung, und ich schieße Sie nieder.“
Sullivan war bleich geworden. „Jawohl, Sir.“
„Haben wir ein Notruder an Bord? Antworten Sie!“
„Nein, Sir.“
„Wie lange dauert es, bis ein neues gezimmert ist?“
„Ich – mindestens eine Stunde, Sir.“
„Schon eine halbe Stunde wäre zu lange.“ Killigrew senkte die Pistole. Sein Blick richtete sich auf die See, dorthin, wo die Schaluppe in der Nacht verschwunden war. Arwenack. Er hatte den Namen deutlich ausrufen hören. Arwenack war die Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth, aber Arwenack war auch der Schlachtruf des Seewolfes und seiner Getreuen geworden. Arwenack! Es klang wie triefender Hohn in Sir Johns Ohren. Vor Schimpf und Schande wäre er am liebsten vergangen. Die Karavelle trieb steuerlos im Atlantik, war weitgehend manövrierunfähig – und dem Gegner ausgeliefert.
„Arwenack?“
Ben Brighton glaubte, etwas spiele ihm einen Streich. Aber nein, er hatte es doch laut und deutlich vernommen. „Ferris, Shane, Old O’Flynnhabt ihr das auch gehört?“
„Ja“, gab Ferris grinsend zurück. „Da hat jemand Sir Johns Karavelle eine Kugel in den Hintern gesetzt und unseren Kampfruf gebrüllt.“
„Das kann doch nicht wahr sein!“
„Ist es aber“, erwiderte der alte O’Flynn. Er grinste so amüsiert wie sein etwas vorlauter Sproß Dan. „Vielleicht bin ich, was die Ohren betrifft, nicht mehr ganz so hellhörig wie ihr jungen Schnösel. Aber ich hab’s auch gehört. Und der Teufel soll mich auf der Stelle hier vom Achterdeck reißen, wenn es etwa Sir John war, der das gerufen hat.“
„Anluven!“ rief Ben. „Wir gehen durch den Wind und segeln wieder nach Westen. Wollen doch mal sehen, wer uns da so unverhofft zu Hilfe gekommen ist.“
„Das fragst du dich noch?“ sagte Ferris erstaunt.
Ben grinste nun auch.
„Anluven!“ brüllte Carberry auf der Kuhl. „Bewegt euch, ihr müden Kakerlaken!“
„Wir haben einen Verbündeten, den uns der Himmel schickt“, sagte Shane. „Wer hätte das gedacht?“
„Ich“, erwiderte der alte O’Flynn. „Nachdem wir aus dem Hafen von Plymouth abgehauen sind, ohne weiter auf den Kutscher und die anderen zu warten, lag es doch auf der Hand, daß sie uns folgen würden, oder?“
„Na ja“, entgegnete Ferris. „Immerhin mußten sie sich wohl erst mal ein Schiff suchen, oder? Und danach konnten sie uns hundertmal aus den Augen verlieren, oder?“
„Ich glaube, ihr unterschätzt manchmal eure eigenen Kameraden“, sagte der Alte.
„He!“ rief Jean Ribault jetzt aus dem Großmars. „Der Karavelle hat es glatt das Ruder weggehauen, wenn mich nicht alles täuscht. Jedenfalls benimmt sie sich wie eine flügellahme Ente. Sie schafft es einfach nicht, abzufallen und sich uns auf die Fersen zu heften.
„Hurra!“ schrie der alte O’Flynn. Seine weißen Haare flatterten im Nachtwind. Sir Johns Aufenthalt auf der „Isabella“ hatte seiner Laune einen erheblichen Dämpfer aufgesetzt, aber jetzt fühlte er sich wieder ganz er selbst. Er war schwer gehandikapt, hatte eine hölzerne Beinprothese und mußte auf zwei Krücken laufen – aber für einen O’Flynn waren solche Dinge Nebensächlichkeiten. Die O’Flynns waren Dickschädel und Querköpfe, aber auch unerschütterliche Draufgänger.
„Jetzt hauen wir dem alten Killigrew die Hucke voll!“ schrie er. „John, wir kommen. Halt dich an der Reling fest, damit du nicht ins Wasser fällst!“
„Schaluppe Steuerbord voraus“, meldete Jean.
Die Männer der „Isabella“ stürzten ans Steuerbordschanzkleid. Sie hielten angestrengt Ausschau. Und dann schälten sich die Umrisse der zweimastigen Schaluppe aus der Nacht.
Jean Ribault brüllte: „He, ho, diese Satansbraten, diese verteufelten Kanalratten! Das sind Gary, Al, Matt und Stenmark!“
Die Crew der Galeone brach in Begeisterungsrufe aus. Mützen wurden hochgeworfen, Pfiffe ausgestoßen. Buck Buchanan feuerte sogar seine Pistole in die Luft ab.
Die Schaluppe lief ihnen entgegen. Ben Brighton beugte sich weit über, legte die Hände wie einen Schalltrichter an den Mund und rief: „Wahrschau, Männer. Wo steckt der Kutscher?“
Gary antwortete: „Er ist zu Gwen und Dan zurück, die im Haus von Sir Freemont bei Hasard Wache halten. Burton und Keymis haben die Stadtgarde dorthin geführt, nachdem ihr sie am Hafen habt abblitzen lassen.“
„Verdammt und zugenäht!“ rief Ferris Tucker.
„Keine Angst“, schrie Al Conroy zurück. „Der Kutscher hat Sir Freemont bestimmt rechtzeitig gewarnt. Und Sir Freemont steht auf unserer Seite. Der versteckt Hasard garantiert so gut, daß Burton und Keymis ihn nicht entdecken.“
„Na, hoffen wir’s!“ rief Ben Brighton. „Wie geht es dem Seewolf?“
Sekundenlang breitete sich Schweigen von Bord zu Bord aus. Nur das Knarren der Blöcke und Rahen in der Takelage der „Isabella“ und der Schaluppe und das Plätschern des Seewassers an den Bordwänden waren zu vernehmen.
Endlich erwiderte Gary: „Er lebt noch. Und Sir Freemont gibt ihm eine Chance.“
„Eine wie große Chance?“ wollte Ben wissen.
„Er meint, Hasard habe es seiner unverwüstlichen Natur zu verdanken, daß er noch nicht ins Gras gebissen hätte. Wenn ich richtig verstanden habe, kann das Fieber ihn so leicht nicht umhauen. Bleibt noch der Schädelbruch. Der ist nicht von schlechten Eltern.“
„Aber Sir Freemont versteht was von seinem Fach!“ rief Matt Davies. „Er flickt Hasard zurecht und päppelt ihn wieder hoch. Ganz bestimmt. Wenn ich euch das sage, könnt ihr’s glauben.“
Einige Männer grinsten. Aber alle atmeten erleichtert auf. Die Sorge um ihren Kapitän blieb zwar, doch die Gewißheit, Philip Hasard Killigrew in fachkundigen Händen zu wissen, bedeutete ihnen schon sehr viel.
„Was tun wir jetzt mit Sir John und seiner verdammten Karavelle?“ erkundigte sich Stenmark. „Ihr wollt ihn doch wohl nicht abhauen lassen, was?“
„Nein.“ Bens Züge verhärteten sich. „Er hat eine gründliche Lektion verdient. Um die Männer, die er befehligt, tut es mir in gewisser Weise leid. Sie sind in die Sache gegen ihren Willen hineingerissen worden. Was hätten sie anders tun sollen, als Sir John zu gehorchen?“
„Schön und gut“, meinte der alte O’Flynn. „Das heißt aber noch lange nicht, den Halunken John deswegen zu schonen.“
„Keineswegs. Wir geben der Karavelle Zunder. Aber ganz versenken werden wir sie nicht.“ Ben wandte sich der Kuhl zu. „Ed, hast du das verstanden?“
„Aye, aye, Sir.“
„Kurs auf die Karavelle also!“ rief Ben.
Gary, Al, Matt und Stenmark winkten ihnen zu. Dann drehte sie Schaluppe, ging an den Wind und lief wieder auf die „War Song“ zu. Gary steuerte das Schiff so, daß es in die alte Luvposition zwischen Karavelle und Küste zurückkehrte.
„He, Al!“ rief Blacky ihnen noch nach.
Al Conroy wandte sich um.
„Ein feiner Schuß ist das gewesen!“ rief Blacky. „Du hast ihn doch abgegeben, oder?“
„Ja.“
„Zielwasser getrunken?“
„Ja!“ schrie Al Conroy. „Englisches Bier.“
Die Konturen der Schaluppe wurden fast völlig von der Nacht geschluckt. Ben manövrierte die „Isabella“ auf die „War Song“ zu, und zwar in die Leeposition. An Bord der Karavelle herrschte nach wie vor heilloser Zustand. Natürlich trachteten die Männer danach, auch ohne das Ruder auf neuen Kurs zu gelangen. Aber das war ein recht schwieriges Unterfangen. Noch segelte die Karavelle vor dem Wind, und nur ganz allmählich nahm sie den Bug ein wenig in östliche Richtung. Doch ohne Ruder ließ sich die Halse unmöglich fahren. So wendig die Karavelle gewesen war, so plump wirkte sie jetzt.
Die „Isabella V.“ hingegen war eine Festung zur See. Mit vollen Segeln rauschte sie auf die Dreimast-Karavelle zu. Ben Brighton ließ Pete jedoch rechtzeitig wieder abfallen und präsentierte dem Gegner die Steuerbordbreitseite der Galeone.
Die Männer kauerten auf den Gefechtsstationen. Ben Brighton erteilte Carberry durch eine Gebärde den Befehl, und Carberry brüllte: „Feuer!“
Zwölf Culverinen, also 17-Pfünder, führte die Galeone auf jeder Seite der Kuhl. Hinzu kamen vier Drehbassen auf der Back und sechs auf dem Achterkastell. Die zwölf Geschütze der Steuerbordseite donnerten jetzt los, ruckten zurück und wurden im Rückstoß von ihren Tauen aufgehalten. Feuerblitze stachen in die Nacht, heulend flogen die Eisen- und Bleikugeln zur „War Song“ hinüber. Eine Kettenkugel erwischte die Fock und riß sie in Stücke. Das Schanzkleid der Karavelle zersplitterte an mehreren Stellen. Dann belferten auch die beiden Drehbassen der Schaluppe los, und die Mündungsblitze verrieten, wie nah Gary und seine drei Kameraden sich wieder an die Karavelle herangewagt hatten.
Natürlich feuerten die Männer der „War Song“ erbost zurück. Doch die „Isabella“ überholte sie, drehte hoch und segelte dann frech und gottesfürchtig vor ihrem Bug vorbei. Die neuerliche Backbordbreitseite der „War Song“ verpuffte ohne Treffer in der Nacht. Auch ihre Drehbassen wurden jetzt eingesetzt, doch wieder zog sie den kürzeren.
Ferris, Ben, Shane, Blacky und Bob Grey bedienten fünf Bassen der „Isabella“ und beschädigten der „War Song“ die Galion und den Bugspriet. Die Geschosse des Gegners pfiffen heran, und die Männer legten sich platt auf die Planken. Eine Kugel trieb das Steuerbordschanzkleid der „Isabella“ auf, die anderen jagten über die Decks weg.
Ben Brighton richtete sich auf. Der Schaden am Schanzkleid war unerheblich.
„Jemand verletzt?“ rief er.
„Keiner!“ rief Carberry aus der Kuhl zurück. „Hol’s der Teufel!“ „Anluven, Pete“, befahl Ben. „Wir wenden und fahren dann noch einen Angriff.“
„Aye, aye, Sir.“
„Jean, kannst du noch erkennen, wo die Schaluppe steckt?“
„Ja. Sie drückt sich am Heck der Karavelle vorbei und verholt sich zum Nachladen nach Nordwesten.“
„Ist sie getroffen?“
„Glaube ich nicht.“
Ben säuberte seine Drehbasse, füllte neues Pulver ein und brachte die nächste Kugel mitsamt dem Kabelgarn in ihre Lage.
„Na, hoffentlich behältst du recht“, murmelte er. „Wir bringen Sir John das Fürchten bei, aber es würde mir leid tun, wenn Gary, Al, Matt und Stenmark dabei das Nachsehen hätten.“
Wenig später rollte der Geschützdonner von neuem über die See. Der Wind trug ihn weit aufs Meer hinaus. Die gleißenden Mündungsblitze der Kanonen waren Fanale in der Nacht. Schwaden von Pulverqualm dehnten sich zwischen den Schiffen aus. Trotz aller Bemühungen gelang es den Männern der „War Song“ nicht, dem Gegner Paroli zu bieten. Sie vergeudeten nur ihre Munition. Die Crew der „Isabella“ jedoch und die vier Männer von der Schaluppe erzielten Treffer um Treffer. Das achtere Segel und die Fock der Karavelle waren zerstört, das Großsegel war nur noch ein durchlöcherter Fetzen. In den Bordwänden klafften Lecks. Die Schreie von Verwundeten wehten zur „Isabella“ und zur Schaluppe.
„Genug“, sagte Ben Brighton schließlich. Er drehte sich zur Kuhl. „Ed, das Feuer einstellen.“
„Aye, aye.“
„Jean, wo ist die Schaluppe?“
„Sie läuft direkt auf uns zu!“
„Ferris“, sagte Ben. „Wir müssen Gary und den anderen ein Zeichen geben, daß sie ebenfalls das Feuer einstellen.“
„Batuti könnte einen Brandpfeil in die Luft schicken.“
„Gut. Batuti!“
„Hier, Sir.“ Der Gambia-Neger meldete sich mit dröhnender Stimme aus dem Vormars. Ben teilte ihm mit, was er zu tun hatte, und einen Augenblick später stieg eine lodernde Fackel in die Nacht auf. Sie schien sich in den schwarzen Himmel fressen zu wollen, bis nur noch ein winziger Punkt von ihr übrigblieb. Aber dann hatte sie den Höhepunkt ihrer Bahn erreicht, knickte ab und sackte nach unten fort. Der Pfeil tauchte in die See.
„Wahrschau!“ rief Gary Andrews von der zweimastigen Schaluppe. „Was ist los, Männer?“
„Feuer einstellen“, antwortete Blacky von der Back der „Isabella“.
„In Ordnung!“
„Schön und gut“, sagte der alte O’Flynn, der neben Ben, Shane und Ferris auf dem Achterdeck stand. „Aber was machen wir jetzt mit der Karavelle?“
Big Old Shane lächelte grimmig. „Wenn keiner was dagegen hat, leiste ich jetzt meinen Teil und erkläre den Besatzungsmitgliedern der ‚War Song‘ ein paar Kleinigkeiten. Es war klug, Ben, das Schiff nicht mit Mann und Maus zu den Fischen zu schikken. Also los, gehen wir dichter heran.“ Er blickte die anderen der Reihe nach an. „Ihr braucht mich nicht so verdattert anzustarren. Es ist mein voller Ernst.“