Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 18

4.

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Sir John Killigrew hatte stets Prioritäten gesetzt. Seine Gedankenwelt wurde dabei von einem Bild beherrscht, in dessen Mittelpunkt er, immer nur er stand. Nach ihm folgten – mit erheblichem Abstand – John Malcolm, Simon Llewellyn und Thomas Lionel, seine drei Söhne, dann eine Weile gar nichts mehr, danach vielleicht Lady Anne Killigrew, seine Frau.

Sir John verfuhr nach dem Prinzip, daß gut war, was Arwenack diente und erhielt. Schlecht war alles, was die Stammfeste in irgendeiner Weise gefährdete. Dies galt vor allem in materieller Hinsicht. Damals, beim Angriff der Spanier auf Falmouth, hatte Sir John Arwenack gehalten und sich den Teufel um die O’Flynns und alle anderen Sippen des Ortes gekümmert. Sie waren fortgeschleppt worden. Sir John hatte keinen Finger für sie gerührt, um sich nicht selbst zu gefährden.

So lautete sein Grundsatz: Eigennutz ist besser als Gemeinnutz. Er dachte an das, was im Bauch der Galeone lagerte. Ihm wurde richtig kribbelig zumute. John Malcolm ging es nicht anders. Dies war die Priorität, hatte Vorrang vor allem: die Beute des Seewolfes.

Die Sache mit Gwendolyn Bernice O’Flynn stellte Sir John vorerst hintenan.

Sie schritten über Deck und steuerten auf das Achterkastell zu. Sir John nickte mal Smoky, mal Matt Davies, mal jemand anderem aus der Crew zu. Aber keiner erwiderte den Gruß. Überall war Ablehnung, auch bei den Männern aus Falmouth, die – außer Baldwin Keymis natürlich – allesamt auf der Seite des Seewolfes zu stehen schienen.

Ich kriege euch schon klein, verdammte Bande, dachte Sir John.

Er stieg über den Steuerbordniedergang zum Quarterdeck, dann zum Achterdeck hoch. John Malcolm blieb wie sein Schatten dicht hinter ihm. Ben Brighton stand ganz achtern an der Hecklaterne des Schiffes. Dunkelheit senkte sich über die See. Ben Brighton blickte mißmutig nach Süden.

Sir John entdeckte an der Backbordseite des Achterdecks eine hünenhafte Gestalt. Big Old Shane. Der Schmied von Arwenack hielt ihnen den Rücken zugekehrt. Hatte er sie nicht bemerkt? Immerhin, Sir John war einigermaßen froh, daß Shane und nicht etwa der alte O’Flynn zugegen war. Mit dem alten O’Flynn gab es früher oder später wegen der Vorfälle in Falmouth noch Streit. Aber dann, so nahm sich John Killigrew vor, würde er ihm auch die Meinung wegen Gwendolyn geigen.

Er trat hinter den Bootsmann. Ben fuhr herum.

Sir John lächelte, drehte sich halb und schaute zum Besanmast hoch. „Ein wunderschönes Schiff mit einer guten Mannschaft. Alles tipptopp in Ordnung, es gibt nichts zu bemängeln. Ein schönes Schiff mit vielverheißender Ladung. Ein Schiff, das Zukunft hat, Mister Brighton – für Leute, die das Glück zu nutzen wissen.“

„Was wollen Sie?“ fragte Ben. Es klang barsch. Er sah nicht ein, warum er sich beherrschen sollte. Über Sir John wußte er so einiges, außerdem hatte er ihn ja damals beim Irland-Unternehmen zur Genüge kennengelernt.

„Sie sind jetzt der Kapitän auf diesem Schiff“, stellte Sir John nachdrücklich fest. „Ich schätze Ihre Qualitäten. Sie sind ein Mann, der seine Macht verdient. Zwei große Namen, Kapitän – Ben Brighton und John Killigrew, Generalkapitän von Cornwall. Uns steht es zu, die Zukunft zu bestimmen. Haben wir denn eigentlich jemals etwas gegeneinander gehabt? Nein ...

Ben drängte sich an ihm vorbei, ließ auch John Malcolm stehen und stapfte wütend nach vorn. „Lassen Sie mich in Ruhe.“ Er trat an die Five-Rail, den Querabschluß des Achterdecks zum Quarterdeck. Hart spannten sich seine Finger um die Handleiste.

Sir John gab nicht auf. Er ging ihm nach. Ein Blick zu Big Old Shane: Shane hatte sich umgedreht. John Malcolm schlich mit gesenktem Kopf, kampfbereit wie ein Stier. Wahrscheinlich hätte er Ben Brighton am liebsten die Fäuste gezeigt. Aber das ließ Sir John nicht zu.

Sir John baute auf seine bewährte Verhandlungstaktik. Er lehnte sich neben Ben Brighton mit dem Rücken gegen die Five-Rail und lächelte. „Nun aber Schluß mit dem Theater, mein lieber Freund. Es hat keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig foppen. Reden wir Klartext. Es kommt Ihnen gut gelegen, daß Hasard schwer verletzt ist. Schließlich wollen Sie nicht Ihr Leben lang Anwärter auf den Posten des Kapitäns bleiben, oder? Nun, nach meinem Dafürhalten sind Sie unmittelbar vor Ihrem Ziel, Mister Brighton. Es tut mir leid für meinen Sohn, aber nach allem, was ich gehört habe, wird er wohl bald das Segeltuchkleid anziehen müssen.“

Ben Brighton drehte sich langsam zu ihm um.

Sir John fuhr fort: „Verheimlichen Sie mir nicht, was in den Frachträumen der ‚Isabella‘ liegt. Ich weiß es bereits. Mein Bester, wir sollten diese Beute teilen. Schließlich steht den Killigrews, aus deren Schoß Philip Hasard stammt, ein stattlicher Happen von der großen Torte zu. Ich bin der rechtmäßige Erbe meines Sohnes Hasard, wenn Sie so wollen. Wirklich, diese Fahrt übersteht mein Sohn nicht. Was bleibt? Wir teilen sofort, um klare Verhältnisse zu schaffen.“

„Haben Sie ausgeredet?“ fragte Ben leise.

„Nein. Im übrigen, so finde ich, segeln wir am besten gleich direkt nach Falmouth, statt Plymouth anzulaufen. Was wollen wir denn noch dort? Hasard kann ja doch keiner mehr helfen.“

„Wenn es an Bord der ‚Isabella‘ jemals einen Dreckskerl gegeben hat, dann sind Sie es“, erwiderte Ben Brighton.

„Wie bitte?“

„Was erdreistet sich dieser Hund?“ zischte John Malcolm.

„Verschwindet“, sagte Ben kalt. „Alle beide. Ich rate euch, die Hacken zu zeigen, bevor ich mich vergesse.“

Sir Johns Stirn umwölkte sich, seine Augen erhielten einen stechenden Glanz. Kalter Haß funkelte plötzlich in ihnen. „Nehmen Sie die Ehrenkränkungen zurück, die Sie da eben ausgestoßen haben.“

„Einen feuchten Kehricht werde ich tun.“

„Das bereust du“, sagte Sir John. „Wir sind noch nicht miteinander fertig, du Mistfresser. Ich werde dir beibringen, was es heißt, einen Killigrew zu beleidigen.“

„Dad, ich bringe ihn um!“ rief John Malcolm. Er ließ die Hand auf den Degengriff fallen.

Big Old Shane war plötzlich neben ihm. „Stop. Laß das. Ich wollte mich hier nicht einmischen, aber ihr habt laut genug gesprochen, daß ich alles verstehen konnte. Jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten.“

„Recht so!“ rief Sir John. „Wenigstens einer auf diesem gottverfluchten Kahn, mit dem man noch vernünftig reden kann. Shane, ich habe immer gewußt, daß niemand einen Keil zwischen uns treiben kann.“

Shane schüttelte den Kopf. Er war ein Klotz von einem Mann, wild, verwegen, mit nackter Brust unter seinem Lederhemd, wirrem Grauhaar und einem Dickicht von Bart. Das Gewölk hatte sich gelichtet. Mondlicht fiel auf Shanes zerfurchtes Gesicht. Sein Ausdruck war von tiefem Ernst.

„Jetzt irren Sie sich, Sir John.“ Seine Stimme klang dumpf und grollend. „Lange Zeit habe ich mich innerlich dagegen geweigert, das Schweigen um das Geheimnis von Hasards Herkunft zu brechen. Aber nun kann ich nicht mehr anders. Denn Ihre Behauptung, Sir, Hasard stamme aus dem Schoß der Killigrews, ist glattweg gelogen.“

„Was?“ brüllte Sir John. „Du auch, Shane? Ja, hat sich denn hier alles gegen mich verschworen? Das hat Folgen für euch, ihr verdammten Meuterer!“

Shane hob eine Hand. „Bleiben Sie ruhig, Sir. Ich habe nur die Wahrheit gesprochen. Sie wissen, daß es nichts als die Wahrheit ist.“

„Unterstellungen!“ schrie John Killigrew. „Du bist des Teufels, Mann, daß du gegen deinen Herrn Partei ergreifst. Bist du von allen guten Geistern verlassen. diesen Bastard zu verteidigen? Was zahlt er dir, damit du dich auf seine Seite schlägst?“

„Nichts“, erwiderte Shane ruhig. „Und den Bastard lassen Sie das nächste Mal besser weg.“

John Malcolm wollte nun doch den Degen zücken. Aber Shane packte seine Arme. John Malcolm fühlte sich wie in Eisenklammern festgespannt. Er stieß einen schwachen Laut des Entsetzens aus.

Dann kriegte Sir John einen regelrechten Wutkoller.

Er tobte herum, schlug mit beiden Fäusten auf die Five-Rail, trampelte mit den Füßen. Sein Jähzorn gelangte zum Überschäumen. Er konnte sich nicht mehr bezwingen. Als er sich genügend ausgelassen hatte, wirbelte er herum und deutete mit bebendem Finger auf Ben und Shane.

„Brighton! Shane! Ihr habt hier nichts mehr zu melden. Die ‚Isabella‘ wird mir unterstellt, Vergeßt nicht, daß ihr es mit Sir John Killigrew, dem Generalkapitän von Cornwall, zu tun habt. Brighton, Pöbel wie du und deinesgleichen haben vor meiner Autorität zu kuschen.“ Wieder hieb er auf die Handleiste der Five-Rail. „Das Kommando übernehme ich, verstanden? Sofort!“

Plötzlich zog er seine Pistole. „Shane, bleib, wo du bist! Brighton, leiste ja keinen Widerstand.“ Es knackte. Er hatte den Hahn der Waffe gespannt. „Von euch Schmutzfinken lasse ich mich doch nicht unterkriegen. Brighton, wenn du auch nur eine falsche Bewegung tust, knalle ich dich über den Haufen!“

Gestalten bewegten sich auf Kuhl und Quarterdeck. Sie hasteten nach achtern und drängten sich schließlich unterhalb der Five-Rail und auf den beiden Niedergängen, die zum Achterdeck hinaufführten. Die gesamte Crew versammelte sich. Das Gebrüll der streitenden Männer hatte sie angelockt.

Sir John stand links von Ben Brighton und sah die Männer der Crew vom Steuerbordniedergang aus näher rücken. Einige Gesichter hatte er sich schon gut eingeprägt. Da war Smoky, der Decksälteste, da war Matt Davies, der Mann mit der eisernen Hakenprothese anstelle der rechten Hand. Da war auch ein drahtiger Blonder. Sir John konnte sich seines Namens nicht entsinnen, er registrierte nur, daß dieser Mann etwas von den anderen abrückte und vor den Steuerbordwanten des Besanmastes verharrte.

Sir John hob die Radschloßpistole in seiner Rechten noch etwas an.

Die Männer der Crew sahen die Waffe matt im Mondlicht schimmern. Sie verhielten ihren Schritt. Sir John wußte, daß er auch Männer in seinem Rücken hatte, er hatte deren Schrittgeräusche vernommen, doch auch die waren jetzt verstummt.

Eine Pistole vermittelte nun einmal eine deutliche Sprache.

Unten, so stellte John Killigrew durch einen raschen Blick fest, hatten sich nun auch Mitglieder seiner Mannschaft von der gesunkenen Galeone versammelt. Er nickte beruhigt. Das war wenigstens ein Lichtblick.

„Herhören“, sagte er in die lähmende Stille. „Auf der ‚Isabella‘ findet ein Kommandowechsel statt. Ab sofort übernehme ich die Führung. Jeder Mann der Besatzung hat mich gefälligst mit ‚Kapitän‘ und ‚Sir‘ anzureden. Wer nicht kapiert, kriegt die Neunschwänzige zu spüren, wird in die Vorpiek gesperrt oder an der Rahnock zum Zappeln aufgehängt.“

„Mann, Sie spinnen wohl?“ sagte Smoky.

Sir John grinste verächtlich. „Sonst noch jemand, der eine Lektion nötig hat? Ich merke mir jeden. Nachher wird mit den Meuterern unter euch abgerechnet.“

„Nimm mich mit auf in die Liste“, brüllte Carberry.

„Mich auch“, sagte Jean Ribault.

Ferris Tucker, der Kutscher, Pete Ballie, Gary Andrews, Stenmark, Al Conroy und die anderen von der Stammcrew der „Isabella“ bekundeten durch Zurufe, daß sie auf derselben Seite standen – auf der Seite des Seewolfes. Ben Brighton begann zu grinsen, und Sir John wurde bleich, als sich nun auch die ehemaligen Karibik-Piraten zu Wort meldeten.

„Weg mit dir, du Rabenaas!“ rief Jeff Bowie. Er stand an der Backbordseite. Sir John fuhr herum und blickte ihn an. Jeff hatte eine Hakenprothese wie Matt Davies, mit dem Unterschied, daß er die linke Hand eingebüßt hatte. Piranhas hatten sie ihm abgefressen, als sie in Kolumbien den Rio Atrato hinuntergefahren waren.

„Keine Chance für John Killigrew!“ schrie Will Thorne.

„Hau ab!“ rief Luke Morgan vom Quarterdeck.

„Schmeißt ihn doch ins Wasser“, sagte Buck Buchanan nicht besonders laut, aber dumpf und drohend. Er krempelte die Ärmel auf. Er war ein Bulle von einem Mann, vielleicht nicht besonders helle, aber bedingungslos dem Kommando des Seewolfes und dessen Vertreter ergeben.

Daran gab es nichts zu rütteln: Kein Mann der Crew wollte Sir John als Kommandanten der „Isabella V.“ annehmen. Unberechenbare Burschen wie Gordon Watts oder Patrick O’Driscoll gab es nicht mehr an Bord, sie hatten sich von selbst abgesondert – wer geblieben war, hatte sich nur einem Kapitän verschrieben.

„Philip Hasard Killigrew“, sagte Tim Foster, einer der Fischer aus Falmouth. „Er ist der einzige Killigrew, der hier Befehle geben darf.“

„Es lebe der Seewolf!“ rief der Stallknecht Dick Stable, und die seinerzeit aus Falmouth entführten Männer bezeugten ihren Beifall. Sir John sah seine Felle davonschwimmen. Er blickte wieder zu seinen Männern, diesem kleinen Häufchen Unverletzter, die von der Galeone entkommen waren. Aber die fühlten sich entweder eingeschüchtert, oder sie grinsten sich eins, was in der Dunkelheit nicht zu erkennen war.

„Meuterei also“, sagte er. „Damit kommt ihr nicht durch. Obacht, Brighton, meine Warnung gilt immer noch. Ich drücke ab, wenn du Tricks versuchst. Ich bin bereit, ein Exempel zu statuieren.“

„Davon rate ich ab“, erwiderte Ben. „Sie haben nur den einen Schuß. Na schön, schießen Sie mich nieder. Glauben Sie, ich habe Angst? Für Hasard opfere ich mich gern.“

„Ich auch“, sagte Gary Andrews. Er schritt an Ferris Tucker vorüber. Die anderen folgten ihm. Der Ring um Sir John Killigrew, Ben Brighton, Big Old Shane und John Malcolm Killigrew schloß sich langsam.

„Stehenbleiben!“ brüllte Sir John.

„Schießen Sie doch, auf was warten Sie noch – Sir“, sagte Ben spöttisch. „Ich sterbe, aber die Männer knüpfen Sie garantiert an der nächsten Rah auf.“

Sir John drängte sich mit dem Rücken gegen die Five-Rail. Sein Blick zuckte hin und her. Die Männer hatten Pistolen und Musketen, Messer, Schiffshauer, Degen. Und sie waren zu allem entschlossen. Wirklich, sie würden nicht zögern, ihn und John Malcolm in Stücke zu hauen. Und was nutzte ihm, Sir John Killigrew, der schönste Nachruf daheim in Falmouth, was nutzten die nachträglichen Grabreden, alles Geheuchel und das Bestreben der Hinterbliebenen, für eine Bestrafung der Schuldigen durch die Gerichte zu sorgen?

Prioritäten setzen!

Etwas Blitzendes surrte flach über das Achterdeck auf ihn zu. Es ging von dem drahtigen Blonden an den Besanwanten aus. Ein hohler Laut, dann steckte es zitternd in der Five-Rail. Ein Messer.

„Meine Name ist Bob Grey“, sagte der Blonde. „Ich gelte als Meister im Umgang mit dem Messer. Das nächste Mal ziele ich auf Ihre Brust, dessen können Sie gewiß sein – Siirrr!“

„Sir John!“ rief nun auch Big Old Shane. „Sie können Ben Brighton umbringen. Aber wenn Sie’s tun, ist das Leben von John Malcolm auch keinen Pfifferling mehr wert, das schwöre ich Ihnen.“ Er hatte den Burschen mit dem Ferkelgesicht immer noch fest im Griff und hielt ihn als eine Art Schutzschild vor sich.

„Das ist ungeheuerlich“, sagte Sir John.

Jean Ribault lächelte, wie nur er das in einer Situation wie dieser vermochte. „Monsieur, Sie müssen einsehen, daß die Dinge nicht gerade zu Ihren Gunsten stehen. Dies ist ein verschworener Haufen von eisernen Kerlen, die das Schicksal fest zusammengeschmiedet hat und die sich nur einem beugen.“

„Der Seewolf soll leben!“ klang es wieder über Deck, diesmal wie eine Kampfansage.

Sir John konnte nicht verhindern, daß ihm dabei ein Schauer über den Rücken lief. Noch nie hatte er es erlebt, daß eine Crew mit solch unbedingter Treue und Zuverlässigkeit hinter ihrem Kapitän stand. Und er sah es ja an seinen eigenen Männern. Sie ließen sich für ihn nicht niedermetzeln, sondern steckten gleich von Anfang an zurück. Eine ähnliche Kampfmoral hatte Sir John letztlich auch von Hasards Männern erwartet, sein Plan hatte darauf basiert. Jetzt prallte er von einer Barriere ab.

„Gut“, sagte er zornig. „Töten werde ich dich nicht. Aber ich kann dir wenigstens eins über den Schädel ziehen. Als Andenken.“ Er drehte die Radschloßpistole um. Sie hatte einen am Ende verdickten Kolben, der extra dafür gebaut war, dem Gegner auf den Kopf geknallt zu werden. Sir John wollte sich auf Ben stürzen – doch plötzlich verlor er den Boden unter den Füßen.

Hilflos hing er an zwei Haken, die ihn hochstemmten und zappeln ließen. Matt Davies und Jeff Bowie hatten zugepackt. Die Spitzen ihrer Prothesen bohrten sich in Sir Johns Montur, ohne ihn dabei zu verletzen. Der Kolben der Radschloßpistole sauste ins Leere. Ben Brighton brauchte sich seiner Haut nicht zu wehren. Er brauchte, und das im wahrsten Sinne des Wortes, nicht einmal einen Finger zu krümmen.

Sir John war machtlos. Er stieß einen Laut aus, in dem alle Schande und Erniedrigung lagen, die er in diesem Augenblick verspürte.

Shane stieß John Malcolm von sich. Der stolperte mit rudernden Armen bis zum Backbordniedergang, verlor dort das Gleichgewicht und fiel Batuti in die Hände. Batuti und Blacky waren als Wachtposten vor der Kapitänskammer abgelöst worden und an Deck gestiegen, weil sie den Lärm gehört hatten.

„Allmächtiger!“ kreischte John Malcolm. „Der schwarze Dämon. Hau ab, du Vieh, ich kann deinen Gestank nicht ertra ...“

Der Rest blieb ihm im Mund stekcen, denn der Gambia-Neger riß ihn hoch, stieß einen unwilligen Laut aus und sagte: „Batuti stellt Geschrei von kleines Schweinegesicht ab.“ Dann rammte er ihm die Faust unters Kinn.

Wie damals war das, weiland im Kerker von Arwenack, als Hasard gefangen gewesen war und der junge Dan O’Flynn und Batuti erschienen waren, um ihren Seewolf zu befreien. Da hatte Batuti dem Widerling John Malcolm auf die Schulter getippt, mit den Augen gerollt und ihm sein weißes Raubtiergebiß gezeigt, bevor er ihn niedergeschlagen hatte. John Malcolm hatte das Bild des „grinsenden, schwarzen Dämons“ in sich aufgenommen und nie wieder vergessen.

John Malcolm kippte hintenüber, schlug auf die Planken und versank im Reich der Träume. Erlösende Finsternis senkte sich über alles. Für den mißratenen Sprößling war vorläufig alles ausgestanden – für Sir John nicht.

Ben Brighton nahm ihm die Radschloßpistole ab. Er entlud sie, dann sagte er zu Matt und Jeff: „Absetzen.“

Sir John kriegte wieder Boden unter die Füße. Apathisch sah er zu, wie Ben ihm die Pistole in den Gurt zurückstopfte.

Ben trat einen Schritt zurück, dann sagte er: „Und jetzt hören Sie mal gut zu, Sir. Ich will Ihnen erklären, was ich von Leuten halte, die sich einbilden, in ihren Adern fließe blaues Blut, und allein das sei eine Rechtfertigung für alles, was sie tun, und von vornherein ein Beweis für Mut und Ehrlichkeit. O nein, werter Sir, es ist kein Garantiesiegel und kein Freibrief, denn ein Blaublütiger kann genauso ein Arschloch sein wie der letzte Aufklarer oder Plankenschrubber an Bord eines Schiffes.“

War Sir John zuvor schon bleich gewesen, jetzt verlor er das letzte bißchen Farbe aus dem Gesicht. Er schnappte nach Luft. Ihm fehlten die Worte.

Ferris Tucker sah Smoky an. „Ben wächst über sich selbst hinaus, und das alte Schlitzohr würde am liebsten in Grund und Boden versinken. Die Standpauke war mal nötig.“

„Die hochmütigen Herren von der Feste Arwenack“, sagte Ben Brighton. „Wie die Tyrannen spielen sie sich auf, aber sehen wir doch mal, was dahintersteckt. Nichts seid ihr! Nullen, Waschlappen, Weichlinge und Memmen und dazu noch Versager wie das Ferkel John Malcolm.“

„Das brauche ich mir nicht anzuhören“, sagte Sir John schwerfällig. Was war los? War er betrunken? Gaukelte ihm die Einbildung etwas vor? Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit ihm umzuspringen – außer Hasard natürlich.

Als Hasard sechs Jahre alt gewesen war, da hatte ihn der Alte mitgenommen auf See und ihn vorn bei der Galion festgebunden und sich zehn Stunden lang halb totgelacht, als sich der Junge die Seele aus dem Leib gespuckt und die Seefahrt verflucht hatte – bei einem handfesten Sturm wohlgemerkt, den Sir Johns Karacke nur beigedreht überstanden hatte. Die Galle war das letzte gewesen, das Hasard in die kochende See gespuckt hatte – trotzig und voll berstender Wut auf Sir John, das salzgewässerte Rauhbein. Als er aber losgebunden wurde, hatte er dem Alten kräftig ins Handgelenk gebissen – worauf dieser ihm eine scheuerte. Später, auf der Feste Arwenack, war der Tag gekommen, an dem Hasard sich offen aufgelehnt hatte. Er hatte nur darauf gewartet, groß und stark genug zu sein. Er hatte seine drei sauberen Brüder vermöbelt, dann hatte er sich Sir John gegriffen und ihn in das Hirschgeweih gehängt, das seit hundert Jahren den Kamin in der Halle der Stammfeste zierte. Damals hatte sich Sir John geschworen, daß er sich niemals wieder so herunterputzen lassen würde. Aber jetzt war er diesem wutschnaubenden Ben Brighton ausgeliefert und mußte sich anhören, was der vom Stapel ließ.

„Spitzen Sie die Ohren, ich bin noch nicht fertig“, sagte Ben. „Es mußte erst ein Seewolf kommen, um die Leute von Falmouth aus den Klauen der Spanier zu befreien. Andernfalls wären sie im Kerker von Santo Domingo eines langsamen, grausamen Todes gestorben oder wären als Zwangsarbeiter auf den Plantagen der Insel Hispaniola dahingesiecht. Ist das Ihr Verantwortungsgefühl, Sir, Ihr großer Mut? Oder wollen Sie behaupten, es sei Ihnen ganz einfach scheißegal, was aus Ihren Mitbürgern geworden wäre?“

„Nein!“ Sir John brüllte es, daß ihm das Blut in den Kopf stieg und in den Ohren brauste. „Nein und nochmals nein! Ich war mit meiner Galeone aufgebrochen, um die Falmouther Gefangenen zu befreien, du neunmalkluger Hund! Erst jetzt hatte ich verlauten hören, daß die armen Teufel nach Spanien verschleppt worden waren, und nur darum bin ich mit den drei Galeeren und den beiden Karavellen ins Gefecht geraten.“

„Da lachen ja die Hühner!“ schrie der alte O’Flynn vom Quarterdeck. Er schickte sich an, aufs Achterdeck zu humpeln. Aber Big Old Shane kam ihm praktisch zuvor. Er baute sich vor Sir John auf, und wieder konterte er.

„Tut mir wirklich leid, Sir, aber Ihren Schneid hätten Sie ja damals zeigen können, als die verdammten Dons Falmouth überfielen. Aber da verschanzten sich die Killigrews auf Arwenack, drehten Däumchen und schauten zu, wie die Spanier Falmouth fast ganz zerstörten und in aller Seelenruhe ihre Gefangenen aussuchten.“

„Du Hund“, flüsterte Sir John. „O du elender Sohn einer räudigen Hafenhure, ich werde mich für deine Heimtücke noch revanchieren. Darauf kannst du dich verlassen.“

Big Old Shane lachte grimmig. „Mir jagen Sie keine Angst ein. Ich hätte weiterhin geschwiegen, wenn Sie nicht die ungeheure Dreistigkeit besessen hätten, die ‚Isabella‘ an sich reißen zu wollen.“

„Ich nicht!“ Der alte Donegal Daniel O’Flynn stapfte mit dem Holzbein auf, daß es nur so krachte. „John und ich, wir haben noch eine Rechnung zu begleichen, so ganz unter Freunden. Nicht wahr, John?“

„Du kannst mich“, erwiderte Killigrew.

„Ich habe immer auf deiner Seite gestanden, vergiß das nicht. Aber du hättest mich und meine Tochter nicht den Spaniern ausliefern dürfen. Du hast den Bogen überspannt. Und jetzt, nach anderthalb Jahren seit dem Überfall, behaupten zu wollen, ihr wärt auf dem Weg gewesen, die Gefangenen zu befreien – nein, das ist eine zu haarsträubende Lüge.“

„Fahr zur Hölle!“ schrie Sir John.

„Ja, aber nach dir. Gib doch zu, daß du dich auf einem deiner Beutezüge befunden hast. Sag doch die Wahrheit. Du wolltest den Spaniern ein Schnippchen schlagen und bist dabei wie üblich in die Klemme geraten. Statt deinem Sohn Hasard jetzt dankbar zu sein, versuchst du, ihm das Schiff zu stehlen. Pfui Teufel. Ohne die Hilfe der ‚Isabella‘ würdest du als Wasserleiche im Atlantik schwabbern – und das wäre wohl auch besser so gewesen, du mieser Stinkstiefel!“

Sir John sah jetzt deutlich, wie die Männer seiner Restcrew verstohlen grinsten. Er verdammte sie ins Fegefeuer, aber er konnte nichts unternehmen. Keiner außer John Malcolm und Baldwin Keymis stand hinter ihm. John Malcolm war bewußtlos. Und Keymis? Was konnte der schon gegen diese Übermacht ausrichten, abgesehen davon, daß er es sowieso nicht wagte, den Kopf aus dem Schott des Vorkastells zu stecken.

So mußte er, Sir John Killigrew, es sich gefallen lassen, beleidigt und erniedrigt zu werden. Er ballte die Hände. Er erstickte fast an seiner Wut. Aber er konnte nichts ausrichten. Und im stillen mußte er natürlich zugeben, daß Big Shane und der alte O’Flynn den Nagel auf den Kopf getroffen hatten. Ja, er war auf einem Beutezug gewesen. Aber nie würde er das offen zugeben.

Seewölfe Paket 3

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