Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 17
3.
ОглавлениеDer Explosionslärm war verklungen. Die letzten Trümmerstücke der auseinandergefetzten Karavelle waren auf den Wogen gelandet, die Kanonen schwiegen, allmählich lichteten sich die dicken Rauchschwaden. Kein Mann an Bord der „Isabella V.“ hatte noch Augen für die letzten überlebenden Spanier. Die Spanier pullten in Beibooten nach Osten. Die Seewolf-Crew ließ sie im Regendunst untertauchen.
Keiner verspürte das Bedürfnis, seine Rachsucht an den Überlebenden des Massakers auszutoben. Sie ließen die Spanier ziehen. Es gab Wichtigeres zu tun.
Philip Hasard Killigrew lag bewußtlos neben der Rah, die ihn getroffen hatte. Eine Blutlache bildete sich unter seinem Hinterkopf.
„Eine Tücke des Schicksals“, sagte Ben Brighton mit erstickter Stimme. „Mein Gott.“
Totenstille trat ein. Carberry räusperte sich. „Verdammt noch mal, ihr glaubt doch wohl nicht, daß der Seewolf sich von so einer dämlichen Rah kleinkriegen läßt, was, wie? Da müssen schon andere Sachen kommen. Teufel, erinnert ihr euch nicht daran, wie wir dem fetten Rodriguez mit seinem Konvoi nachstellten und dem Geleitzug Piratenschaluppen vom Leib hielten? Da hatten wir’s doch schon mal, daß Hasard was gegen den Schädel flog. Was steht ihr ’rum und glotzt blöd? Los, packt mal mit an. Wir stellen ihn schon wieder auf die Beine. Ich wette, er tut gleich wieder die Augen auf und lacht sich eins über unsere verdatterten Mienen.“
Er traf Anstalten, Hasard an den Schultern zu packen und hochzuziehen, aber jetzt war der Kutscher heran.
„Nicht.“ Er hob die Hand. „Eine unbedachte Bewegung, und du machst alles bloß noch schlimmer.“
„Wieso denn?“ Der Profos schnappte nach Luft. „Wer sagt denn das? Willst du dich aufspielen, du Kombüsenhengst?“
Ferris Tucker legte ihm die Hand auf die Schulter. „Laß, Ed. Du weißt doch auch, daß die Dinge diesmal nicht so einfach liegen.“
Der Kutscher ließ sich neben dem besinnungslosen Seewolf auf den Knien nieder und untersuchte vorsichtig die Wunden. Plötzlich gab er ein eigenartiges, trockenes Geräusch von sich. Es klang wie eine Mischung aus Schlucken und Würgen.
„Mensch, Mann“, sagte Profos Carberry ungewohnt leise. „Nun mal halblang. Was sind denn das für komische Laute, Kutscher?“
Der Kutscher blickte auf. Seine Stirn lag in Kummerfalten. Sein Gesicht war dreckverschmiert, aber es waren nicht die Spuren des Gefechtes, die seine Kameraden erschütterten. Plötzlich sah der Kutscher wirklich um Jahre gealtert aus.
„Sag schon was“, drängte Pete Ballie.
„Ich – ich wollte, es wäre mir passiert“, erwiderte der Kutscher. Seine Stimme zitterte. Wirklich, ihm war zum Heulen zumute. „Soweit ich feststellen kann, hat er eine schwere Kopfbeschädigung davongetragen.“
Carberry wollte etwas antworten, doch jetzt erschien Gwendolyn Bernice O’Flynn auf Deck. Sie hatte das Ende der Schlacht abgewartet, hatte voll Freude ihrem Seewolf in die Arme sinken wollen, witterte jetzt jedoch, daß etwas Unheilvolles in der Luft lag. Sie blieb stehen und schaute von einem zum anderen. Dann sah sie Hasard liegen.
Mit einem Aufschrei stürzte sie zu ihm.
Der alte O’Flynn fluchte. So schnell ihn seine Krücken trugen, humpelte er zu seiner Tochter. „Gwen, reiß dich zusammen. Du darfst dich nicht aufregen. Hör mal, Hasard ist ganz andere Sachen gewohnt. Bilde dir bloß nicht ein, es sei das erste Mal, daß er eine Blessur abkriegt.“
Gwens Körper wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt. Ferris Tucker und Karl von Hutten zogen sie sanft von Hasard weg.
Sie wehrte sich, aber der alte O’Flynn fuhr sie an: „Keinen Zwergenaufstand, Gwen! Wir bringen ihn ja ins Achterkastell. Wenn du deinem Mann was Gutes tun willst, dann richtest du die Koje in der Kapitänskammer her, verstanden?“
„Ja.“ Sie bezwang sich und ließ sich von Ferris und Karl durchs offene Schott ins Achterkastell führen. Donegal Daniel O’Flynn lauschte ihren verklingenden Schritten, dann drehte er sich zum Kutscher um.
„Nun mal ehrlich, Kutscher, wie stehen die Chancen für den Seewolf?“
„Schlecht. Ziemlich schlecht.“
„Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Carberry. „Den Bären bindest du mir nicht auf, Kutscher. Du übertreibst. Wie üblich. Na schön, das gehört zu deiner Aufgabe als Feldscher hier an Bord der ‚Isabella‘, und Knochenflikker und Scharlatane machen ja sowieso stets aus einer Fliege einen Ochsen. Aber, Schädel kaputt, was heißt das denn schon?“
Der Kutscher musterte ihn ernst. „Ich verstehe ja, daß du die Tatsachen nicht hinnehmen willst, Profos. Ich kann es begreifen, wirklich. Aber ich übertreibe nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Hasard hat gleich an mehreren Stellen des Kopfes schwere Verletzungen. Ich wage nicht einmal, da anzufassen.“
Er stand auf. „Es handelt sich um ein enorm kompliziertes Spezialgebiet, aber vielleicht kann ich es euch so verdeutlichen.“ Er hob die Hände, formte sie zu halbkugelähnlichen Gebilden und führte sie dann gegeneinander. „Das Gehirn des Menschen ist von mehreren Knochen umgeben, die schon in der frühen Kindheit ganz zusammenwachsen und eine Art knöcherne Schale bilden. Bei schwerem Aufprall kann die Schale brechen – wie jeder andere Knochen. Das ist bei Hasard der Fall.“
Carberry schnaubte wie ein Stier. „Na schön. Aber statt Vorträge zu halten, solltest du lieber mit der Wundbehandlung anfangen. Na los, wo bleibt dein Latein?“
Der Kutscher schüttelte den Kopf. „Ich bin machtlos.“
„Sag das nicht.“ Ben Brighton war aschfahl im Gesicht. Er sah aus, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. „Machtlos – das kann doch nicht dein Ernst sein. Du willst doch nicht behaupten, daß – daß ...“
„Daß er stirbt? So schnell nicht.“
„Wenn er nicht stirbt kommt er wieder auf die Beine“, schlußfolgerte Edwin Carberry in seiner unnachahmlichen Art. Er war ein Rauhbein zur See, ein einfacher, manchmal fast unbedarfter Mann, vor allen Dingen, was die Feinheiten im menschlichen Leben betraf. Hilflos stand er jetzt dem Unglück gegenüber und suchte sich durch betont forsches Reden innerlich aufrechtzuhalten.
Der Kutscher schüttelte wieder den Kopf. „Es wird ein langer Kampf für unseren Kapitän. Ich kann ihm Verbände anlegen, aber ich darf keinen Eingriff vornehmen, weil ich dadurch alles zerstören könnte. Nur einer könnte hier helfen: Sir Freemont, der Arzt von Plymouth, in dessen Diensten ich stand.“
Der alte O’Flynn stapfte mit seinem Holzbein auf. „Aber Sir Freemouth wohnt in Plymouth, und Plymouth ist im Augenblick weiter von uns entfernt als – als der Mond.“
Ben Brighton stand mit geballten Händen da. „Das spielt keine Rolle. Es ist ein Lichtblick. Kutscher, du sorgst dafür, daß ein paar Männer den Seewolf so vorsichtig wie möglich in die Kapitänskammer tragen. Ich übernehme die ‚Isabella‘ als Kapitän, bis Philip. Hasard Killigrews Gesundheit wiederhergestellt ist – wie es unser Bordrecht will.“
Er drehte sich achteraus. Grau und schwarz hoben sich die Konturen der Killigrew-Galeone aus dem Dunst über der See ab. Das Schiff hatte jetzt noch weiter übergeholt und drohte ganz querzuschlagen.
„Kein Zweifel, die Galeone sinkt“, sagte Ben. „Smoky!“
„Sir?“
„Du bemannst ein Beiboot, dann pullt ihr hinüber und holt Sir John, John Malcolm und die anderen Männer ab.“
„Ungern, Ben.“
„Ich bin auch nicht begeistert von solcher Art Fahrgäste“, erwiderte Brighton. „Aber es ist unsere Pflicht, so zu handeln. Beeilt euch mit dem Beiboot. Mit der ‚Isabella‘ wage ich mich nicht zu nahe an das sinkende Schiff heran.“
Während die Männer ihre Vorbereitungen trafen, enterten Big Old Shane, Batuti, der junge O’Flynn und der Schimpansenjunge Arwenack aus den Masten ab. Arwenack verharrte neben Hasard. Er gab einen klagenden Laut von sich. Instinktiv spürte auch das Tier etwas von dem Ernst der Lage, und vielleicht war auch ihm der Tod ein Begriff, der bereits eine Klaue nach dem Seewolf ausgestreckt hatte.
„Zur Hölle“, sagte Big Old Shane erschüttert. Er fuhr sich mit der Hand durch sein Bartgestrüpp. Seine Miene war nicht minder verzweifelt und hilflos als die von Carberry. „Und das, weil wir die Knochen für Sir John und seine Mannschaft riskiert haben. Dabei kann Hasard den Alten auf den Tod nicht riechen.“
„Kannst du ihn riechen?“ fragte Dan.
„Immer weniger, mein Junge.“
Unter der Anleitung des Kutschers hoben Blacky, Stenmark, Al Conroy und Gary Andrews den Seewolf auf. Gary Andrews hielt seine Tränen nicht zurück. Nie hatte er vergessen, wie sich Hasard für ihn eingesetzt hatte. Er hatte ihm das Leben gerettet, damals, auf der „Santa Barbara“. Und jetzt, da er, Gary, oder irgend jemand anders aus der Crew sich hätte revanchieren können – jetzt waren ihnen die Hände gebunden. Sie fühlten sich alle hundselend.
Shane, Dan, Batuti und einige andere folgten dem Zug ins Achterkastell. Der alte O’Flynn trat zu Ben Brighton aufs Achterdeck. Er blickte nach Nordosten und sah das Beiboot der „Isabella“, das zusammen mit einem Boot der Killigrew-Galeone zurückkehrte.
„Da kommen sie“, sagte der alte O’Flynn erbittert. „Mir soll alles recht sein. Ich will auch wegen der Sache damals in Falmouth keinen Streit vom Zaun brechen, um die Borddisziplin nicht zu stören. Ich verlange nur eins: daß der Seewolf wieder gesund wird.“
„Das hoffen wir alle“, sagte Ben.
Sie begaben sich auf die Kuhl, um bei der Übernahme der Schiffbrüchigen anwesend zu sein. Da enterten sie über die Jakobsleiter auf: Sir John Killigrew, John Malcolm Killigrew sowie weitere zweiundzwanzig mehr oder weniger blessierte Männer der Crew Sir Johns.
Sir John baute sich breitbeinig vor Ben und dem alten O’Flynn auf; ein bulliger Mann mit roten Haaren, jähzornig, tyrannisch, ein gerissenes Urviech, das nur auf den eigenen Vorteil bedacht war.
„Hallo“, sagte der alte O’Flynn lahm.
Sir John lachte. „Ich habe immer gewußt, daß Unkraut nicht vergeht, Donegal. Und wie du siehst, habe ich recht behalten. He, was schneidet ihr denn für belämmerte Gesichter?“ Er hieb dem Alten auf die Schulter. „Feiern wir unseren Sieg, und schönen Dank auch für die Unterstützung. Natürlich werde ich euch das nie vergessen.“
„Ohne uns wäret ihr verloren gewesen“, stellte der alte O’Flynn fest. „Will euch das in die Rüben, ihr Himmelhunde?“
„Langsam, langsam“, sagte John Malcolm schnaufend. Wie üblich schwitzte er aus allen Poren. „Fünfzehn Mann Verlust haben wir zu verzeichnen, das ist auch nicht ganz ohne, oder? Wir haben uns wacker geschlagen und hätten noch länger die Stellung gehalten ...“
„Besonders du“, sagte der alte O’Flynn sauer.
„Halten wir keine Volksreden“, fuhr Ben Brighton dazwischen. Er winkte Carberry und der Crew zu und rief: „Ho, wir nehmen Kurs auf Plymouth und segeln mit allem, was die ‚Isabella‘ zu tragen vermag.“ Er kehrte aufs Achterdeck zurück und überließ die Killigrew-Clique sich selbst. Die Verteilung der Leute auf die Kammern des Achterkastells und die Räume des Vorschiffes übernahm die Crew, sonst gab es nichts mehr zu bereden.
Vielmehr beriet sich Ben wenig später mit Ferris Tucker, Edwin Carberry, Big Old Shane und dem alten O’Flynn. Sie sprachen den genauen Kurs ab, und wie die einzelnen Deckswachen einzuteilen waren.
„Ed“, sagte Ben. „Ab sofort Werden die Frachträume überwacht, in denen unsere Beute lagert. Du kommandierst die Posten dazu ab.“
„Geht in Ordnung.“
„Ich kann das nur begrüßen“, sagte der alte O’Flynn. „Sir John ist ein gottverdammtes Schlitzohr.“
„Wie geht es dem Seewolf?“ erkundigte sich Ben, obwohl er es schon mindestens fünfmal gefragt hatte.
Big Old Shane hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Er ist nach wie vor bewußtlos. Sehr viel Blut verliert er nicht. Der Kutscher läßt ihn kaum aus den Augen, und natürlich wacht Gwen an der Koje in der Kapitänskammer.“
„Verdammt, dies ist wirklich ein schwarzer Tag“, sagte Ferris Tucker. „Der allerschwärzeste Tag, wenn ihr mich fragt.“
Sir John Killigrew blickte sich in der ihm und John Malcolm zugewiesenen Kammer um. „Ein feines Schiff ist das. Wirklich hervorragend. Dieses Holz, diese Verzierungen. Also wirklich, unser Bastard hat sich gemausert.“
John Malcolm hockte auf dem Kojenrand. „Wirklich? Er hat sie doch nur den Spaniern abgenommen, die Galeone.“
„Hättest du das nicht getan?“
„Ja, aber was ist denn schon dabei?“
Sir John grinste. „Nicht so dick auftragen, Söhnchen. Nicht mir gegenüber. Du weißt, wo deine Grenzen sind, und vor mir brauchst du nichts zu verheimlichen. Wer kennt dich besser als dein Vater? Nein, Qualitäten kann man ihm nicht absprechen, dem Bastard. Aber wo steckt er überhaupt? Los, wir unternehmen einen Erkundungsgang durch das Schiff.“
Sie streiften durch das Achterkastell und gelangten an die Tür der Kapitänskammer. Sie wurde von zwei Männern flankiert: Batuti und Blacky.
„Jetzt hört doch alles auf“, stieß John Malcolm hervor. „Dieser schwarze Hund, dieses Schwein von einem Nigger – ich kenne ihn. Dad, das ist doch der Kerl, der mich auf Arwenack niedergeschlagen hat, damals, im Kerker, weißt du noch! Der – der schwarze, grinsende Dämon ...“
„Langsam“, sagte Blacky drohend.
„Halt die Luft an, weißer Hurensohn“, sagte Batuti.
Sir John stand mit leicht abgewinkelten Beinen und holte tief Luft. „Augenblick mal, ihr Figuren. Wie könnt ihr euch erdreisten, einen solchen Ton anzuschlagen? Laßt uns zu Hasard vor. Er ist mein Sohn. Ich will ihn sprechen. Ich sorge dafür, daß er euch verdonnert.“
Blacky und Batuti schüttelten die Köpfe.
„Zutritt verboten“, sagte Blacky. „Und jetzt verschwindet, ihr Hampelmänner, ehe es uns zu bunt wird.“
„Hasard!“ rief Sir John. „He, Hasard! Was ist los, versteckst du dich vor uns?“
Schritte näherten sich von innen der Tür, dann ertönte eine Frauenstimme. „Blacky, Batuti, was ist denn das für ein Lärm? Hasard braucht Ruhe.“
Batuti hob die Fäuste. Seine gewaltigen Muskeln spannten sich, es war ein bedrohlicher Anblick, der zu denken gab.
„Batuti stellt Lärm ab“, sagte er.
Sir John zog John Malcolm mit sich fort. Sie traten kurze Zeit später auf das Quarterdeck, marschierten dann über die Kuhl und hielten auf das Vordeck zu.
„Eins steht fest“, sagte John Malcolm. „Das war die liebliche Stimme unserer süßen kleinen Gwen. Sie hat die Entführung durch die Spanier also auch überstanden.“
„Nicht so laut“, sagte sein Vater. „Sieh dich doch um, sie sind überall, die Leute von Falmouth. Tim Foster und vier andere Fischer, Abel Love und zwei seiner Handwerkerkollegen, Dick Stable, der Stallknecht, Robert Rowe, der Stadtschreiber. Kann mir nicht vorstellen, daß die gut auf uns zu sprechen sind.“
„Diesem Nigger breche ich noch die Knochen.“
„Spar dir das für später auf. Im Moment müssen wir mit den Wölfen heulen.“
„Na schön, aber ich kann mich kaum beherrschen.“
Smoky, der Decksälteste, musterte sie von der Back aus. Sir John lächelte scheinheilig, dann fragte er: „Dürfen wir mal ’runter und nachsehen, wie unsere Mannschaft untergebracht ist?“
„Glaubt ihr, wir haben den Kerlen die Hälse umgedreht?“
„Ich will nur nicht, daß sie euch behindern“, erwiderte Sir John.
Smoky grinste. „Ach so. Dann kriecht meinetwegen durchs Vorschiff, bis ihr müde seid. Aber stoßt euch nirgends. Ihr seht so zerbrechlich aus.“
„Der hat Lust auf eine Tracht Prügel“, zischte John Malcolm.
„Humor muß der Mensch haben.“ Sir John lachte, dann dirigierte er seinen Sproß vor sich her durchs Schott. Sie hatten ein paar Mannschaftsunterkünfte inspiziert und ein paar ihrer erschöpften Mitstreiter auf den Kojen ausgestreckt liegen sehen, als sie plötzlich ein langgezogenes Wimmern vernahmen. Sofort gingen sie dem Laut nach.
Sie trafen auf einen großen Raum. Nur ein Mann hielt sich hier auf. Er lag rücklings in einer Koje und preßte beide Hände auf den Bauch. Sir John ging auf ihn zu. John Malcolm folgte dichtauf. Der Mann jammerte mit geschlossenen Augen vor sich hin.
Sie hatten ihn fast erreicht, da ließ John Malcolm einen leisen Pfiff vernehmen. „Moment mal, das ist ja Baldwin Keymis, der Friedensrichter von Falmouth.“
„Der alte Halunke. Was tut er hier im Vorschiff?“
Sie weckten Keymis, und er blinzelte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
„Ich bin verletzt“, sagte er gequält. „Keiner kümmert sich um mich. Ich kann verrecken, das wäre diesen Bestien nur recht.“
„Laß mal sehen.“ Sir John untersuchte ihn flüchtig, dann gab er seinen Befund ab. „Also, frische Wunden hast du nicht, aber eine Menge Narben auf dem Leib. Du kannst mit dem Wimmern aufhören, Baldwin. Hol dreimal tief Luft und erzähle mir, wieso du keine Kammer im Achterdeck hast. Die steht dir doch als Friedensrichter zu.“
Keymis schnitt wieder eine Grimasse, diesmal aber nicht aus eingebildetem Schmerz, sondern vor Haß. „Der Seewolf ist an allem schuld. Er hat mich dazu verdonnert, bei diesem Pöbel im Vorschiff zu schlafen und gemeinen Decksdienst zu leisten. O mein Gott, wie tief bin ich gesunken.“ Er legte Sir John eine Hand auf die Schulter. „Daß ihr mich so sehen müßt! Aber ich bin froh, endlich wieder vertraute Gesichter vor mir zu haben – Menschen, auf die ich mich verlassen kann. Bundesgenossen im Kampf gegen Niedertracht und Hinterhältigkeit.“
„Mir kommen gleich die Tränen“, sagte John Malcolm.
Sir John Killigrew legte den Kopf schief und maß den Friedensrichter mit einem Blick aus schmalen Augen. „Du brauchst uns keinen Honig um den Bart zu schmieren. Was willst du?“
„Ich brauche Hilfe.“
„Kannst du dir nicht selbst helfen – bei deinem Amt?“ Sir Johns Miene war mißtrauisch. „Ich bin überzeugt, daß man dir auf jedem englischen Schiff den nötigen Respekt entgegenbringen würde, es sei denn, du läßt dir Unbotmäßigkeiten zuschulden kommen.“
Baldwin Keymis leckte sich die spröden Lippen. Er war ein dürrer Mann und zeichnete sich durch eine ausgeprägte Geierphysiognomie aus. Seine Lippen waren schmal, seine Augen grau. Der Ziegenbart, den er am Kinn trug, verlieh ihm alles andere als Schönheit. Seine Stimme klang näselnd, er gab sich alle erdenkliche Mühe, trotz der widrigen Umstände vornehm zu wirken. Aber, nein, er wirkte nicht überzeugend.
Sir John Killigrew wäre nicht das berüchtigte Schlitzohr gewesen, von dem man in ganz Cornwall sprach, wenn er diese Farce nicht durchschaut hätte. Und außerdem kannte er den Charakter von Hasard ganz genau. Bei aller Wut und allem Neid – er war aufrichtig und wahrheitsliebend, dieser Bastard! Ohne Grund hatte er Keymis bestimmt nicht so herabgewürdigt.
Gleichzeitig beschloß Sir John aber, auf Keymis’ Schau einzugehen. Wer wußte, wozu das noch gut war!
„Unbotmäßigkeiten?“ wiederholte der Friedensrichter. „Nichts läge mir ferner. Ich bin durch und durch ein korrekter Mann, wie ihr wißt. Aber dieser Philip Hasard Killigrew! Er mag ja tausendmal dein Sohn sein, doch hat er den Namen Killigrew beschmutzt und ist es nicht wert, ihn zu tragen. Diese Schande! Er ist zu einem Verbrecher geworden, zu einem primitiven und blutrünstigen Piraten. Ich habe das sofort begriffen, als ich hier an Bord kam – und deshalb bin ich so erniedrigt worden.“
„Aha“, sagte Sir John ohne Überzeugung.
„Hasard ist ein Bastard“, bemerkte John Malcolm haßerfüllt.
Sir John nickte bestätigend. „Ja, und es stört uns wirklich nicht, wenn du über seine Schandtaten berichtest, Baldwin. Es versteht sich doch wohl, daß Ehrenmänner wie wir zusammenhalten.“
Keymis, durch diese Worte gleichsam beflügelt, setzte sich auf und, streckte die Hand aus. Sir John ergriff sie ohne großen Enthusiasmus und schüttelte sie. Um so aufgeregter war der Friedensrichter. Er zog jetzt richtig vom Leder.
„Ihr müßtet mal sehen, was sich in den Frachträumen dieser Galeone häuft, Freunde. Ein Vermögen hat der Seewolf da zusammengerafft. Wer weiß, wie viele unschuldige Menschen ihr Leben lassen mußten, als er seine blutigen Beutezüge durch die Karibik unternahm.“
„Um die Spanier ist es nicht schade“, sagte Sir John. Doch er war jetzt hellhörig. Sein Interesse war geweckt, und wie! Was bargen die Frachträume?
Keymis rückte dichter auf sie zu und senkte die Stimme. „Wie können wir sicher sein, daß alle Überfallenen Spanier waren? Der Seewolf hat sich von Drake getrennt, von Drake fehlt jede Spur. Wer sagt denn, daß der Seewolf nicht eine Meuterei angezettelt hat, daß ein Teil seines unrechtmäßig erworbenen Vermögens nicht in Wirklichkeit Francis Drake gehört?“
Sir John zog die Augenbrauen hoch und kräuselte die Lippen. „Ach so. Allmählich geht mir ein Licht auf, Baldwin. Himmel, wie schwer man doch oft auf die naheliegendsten Dinge kommt.“
„Nicht wahr?“
„Nun laß dir nicht alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen.“ Sir Johns blaue Augen waren starr und durchdringend auf das Gesicht des Friedensrichters gerichtet. „Was befindet sich in den Frachträumen?“
„Gold und Silber, habe ich vernommen. Der Großteil sollen Barren sein, und zwar eine kaum vorstellbare Menge. Schatzkisten mit Perlen, Edelsteinen und Schmuck. Irgendwo an Bord habe ich mal aufgeschnappt, daß der Schatz des Vizekönigs von Lima darunter sei – und, damit nicht genug, in einigen Truhen soll ein direkt für Philipp II. von Spanien bestimmter Schatz ruhen. Außerdem ist unter der Galion dieses Schiffes ein goldener Anker festgezurrt.“
„Ein goldener Anker?“ echote John Malcolm. „Den hätten wir doch sehen müssen.“
Sir John warf ihm einen Seitenblick zu. Er wußte ja zur Genüge, daß Malcolms geistigen Fähigkeiten ein Limit gesetzt war. Der Bursche gehörte nicht zu den Schnellmerkern. Aber manchmal konnte er einem mit seinen dummen Fragen doch erheblich auf die Nerven gehen.
„Hasard wird so schlau gewesen sein, den Anker zu tarnen“, sagte Sir John gepreßt.
Keymis nickte. „Richtig. Das Ding hat einen Bleiüberzug.“
„Du weißt ja erstaunlich gut Bescheid. Warst du dabei, als Hasard den Anker und andere Teile seiner Beute ergatterte?“
„Nein. Den Anker soll er selbst vom Grund eines Korallenriffs heraufgeholt haben, nachdem er einen spanischen Schiffskonvoi auflaufen ließ. Ein spanischer Kapitän wollte den Anker heimlich nach Hause schmuggeln und für sich behalten, heißt es.“
„Wer’s glaubt, wird selig“, sagte John Malcolm.
Keymis schilderte, wie der Seewolf ihn und die anderen Gefangenen der Spanier aus dem Kerker von Santo Domingo befreit hatte. Aber auch hierbei ließ er kein gutes Haar an Hasard.
„Ich bin überzeugt, daß er auch damit einen Zweck verfolgt“, erklärte der Friedensrichter. „Wahrscheinlich fordert er für unsere Auslieferung ein Lösegeld, wenn wir in Falmouth sind.“ Er blickte John Malcolm, dann wieder dessen Vater an. „Na, im Augenblick sieht es allerdings so aus, als könnte dieser Teufel etwas Derartiges nicht mehr verwirklichen. Er ist im Gefecht mit den drei spanischen Galeeren und den beiden Karavellen schwer verletzt worden.“
Sir John hob wieder die Augenbrauen. „Ach?“
„Geschieht ihm recht“, sagte John Malcolm.
„Der Kerl ist von einer Rah am Kopf getroffen worden“, fuhr Keymis fort. „Alles ist um ihn besorgt. Aber um mich, den Friedensrichter von Falmouth, kümmert sich niemand. Dabei bin ich verwundet. Ein über Deck fliegendes Stück Holz von der explodierten Karavelle hat mich hierhin getroffen – gegen den Bauch.“ Er legte wieder die Hände auf die imaginäre Verletzung und verzog vollends das Gesicht.
„Ich hab dir doch bereits gesagt, du blutest nicht“, erklärte Sir John widerwillig.
„Und wenn ich nun eine innere Verletzung habe?“
„Unsinn.“
Keymis lüftete sein Wams, öffnete das Hemd und wies noch einmal seine Narben vor. „Und das? Ist das auch Einbildung? Oh, ich bin schandbar behandelt worden. Gefoltert haben sie mich, kielgeholt, wobei ich durch den Muschelbewuchs am Schiffsrumpf Schnittwunden am ganzen Körper davongetragen habe.“
„Warum?“ fragte Sir John. „Man verurteilt einen Mann nicht grundlos zum Kielholen.“
Blanker Haß schwang in Baldwin Keymis’ Stimme mit. „Diese Gwendolyn Bernice O’Flynn – diese Hure! Sie wollte der Besatzung weismachen, ich hätte sie vergewaltigen wollen. Und die Kerle haben ihr geglaubt, dabei ist alles erstunken und erlogen.“
John Malcolm grinste, aber Keymis ignorierte es wohlweislich. „Und dann“, sagte er, „dann hat dieses Flittchen den Seewolf umgarnt. Sie hat es geschafft, ihn total einzuwikkeln. Robert Rowe, der Stadtschreiber von Falmouth, spielte sich als Standesbeamter und Priester in einer Person auf und erklärte die Hure und den Seewolf als verheiratet.“
„Was?“ Sir John lief dunkelrot an. „Das geht zu weit. Ohne meine Einwilligung hätte Hasard das niemals tun dürfen! Ein Mädchen wie die O’Flynn ist nicht standesgemäß, zum Teufel!“
John Malcolm lieferte diesmal keinen Kommentar. Es war besser zu kuschen. Ihm war ja hinlänglich bekannt, was für ein Tyrann der Alte war.
„Damit nicht genug“, sagte Keymis beflissen. „Das Flittchen erwartet, wie ich aus sicherer Quelle weiß, auch noch ein Kind von dem Kerl.“
Sir John trat vor Wut mit dem Fuß gegen eine Koje, daß es krachte. „Verflucht soll er sein! Erst nimmt er sich eine Frau, ohne mich zu fragen, und dann wagt er es auch noch, den Killigrews einen Wechselbalg unterzuschieben. Aber so haben wir nicht gewettet. John Malcolm!“
„Dad?“
„Los, wir knöpfen uns diesen Bootsmann Brighton vor. Wollen doch mal sehen, ob wir dem nicht die Flötentöne beibringen, von wegen, wer hier das Sagen hat. Baldwin Keymis, du bleibst am besten vorerst hier im Vorschiff. Die Mannschaft ist sowieso nicht gut auf dich zu sprechen. Bei eventuellen Widrigkeiten könnte es knüppeldicken Verdruß für dich geben. Überlaß alles uns, wir verschaffen uns schon den nötigen Respekt.“
„Ja. Ich danke euch.“ Der Friedensrichter ließ sich auf die Koje zurücksinken. Er war froh, jemanden gefunden zu haben, der sich für ihn schlug. Das Leben konnte so bequem sein.