Читать книгу Seewölfe Paket 3 - Roy Palmer - Страница 19
5.
ОглавлениеCaligu und seine Piraten – sie ritten auf Flammenpferden und furchtbaren Ungeheuern über die See. Don Franciso Rodriguez, Panfilo de Retortilla und viele andere Spanier aus der Neuen Welt waren unter der Meute, die jetzt mit Heulen und Brüllen das Schanzkleid der „Isabella“ erklomm und über Deck jagte. Hasard sah sie auf sich zurasen.
„Nein!“ Er hob die Arme, streckte sie weit von sich, spreizte die Finger. „Caligu – nein – nie-der – Ro-dri-guez – das Schiff – es ist mein, mein ...“
Gwen stöhnte entsetzt auf. Sie beugte sich über die Koje der Kapitänskammer, legte ihrem Mann die Hand auf die Brust und versuchte alles, um ihn zu beruhigen. „Hasard, Hasard. Du phantasierst ja. Was ist denn nur?“
„Mein Schiff, mein – der Schatz ...“
Er formte die Hände zu Fäusten. Plötzlich schlug er um sich. Gwen entging mit knapper Not einem Hieb. Sie stolperte, fiel neben der Koje hin und begann hemmungslos zu weinen. Philip Hasard Killigrew wälzte sich auf seinem zerwühlten Lager. Er stammelte Zusammenhangloses und fügte sich durch die Bewegungen selbst Schmerz zu. Er schrie und schlug immer wilder um sich.
Gwen erhob sich. Schluchzend stürzte sie zur Tür. „Blacky! Batuti! Himmel, wo steckt ihr?“
Sie riß die Tür auf. Schwarz gähnte ihr die Öffnung entgegen. Der Gang war leer. Hinter ihr gebärdete sich der Seewolf wie ein Verrückter auf der Koje und drohte, zu Boden zu kippen. Gwen wurde von Panik erfaßt. Keuchend hetzte sie den Gang entlang.
„Blacky! Batuti!“
Plötzlich wuchs eine Gestalt vor ihr aus dem Dunkel. Karl von Hutten packte sie an den Armen und schüttelte sie. „Gwendolyn, um Himmels willen, was ist denn nur?“
„Hasard – er fiebert ...“
„Mein Gott, und ich stand mit Piet Straaten vorn am Schott, um die Diskussion auf Deck zu verfolgen. Wir haben Blacky und Batuti vor wenigen Minuten abgelöst. Warte. Piet, he, Piet!“
„Hier“, ertönte die Stimme des Holländers.
„Ruf den Kutscher, aber schnell. Der Seewolf ist aus seiner Ohnmacht erwacht.“
Kurz darauf verließ der Kutscher die Versammlung auf Deck, hetzte wie wahnsinnig ins Achterkastell und stürmte den Gang zur Kapitänskammer entlang, als säßen ihm sämtliche Hunde der Hölle im Nakken. Er stieß sich fast den Kopf an der Türfassung, dann stand er in der Kammer. Karl, Piet und Gwen knieten neben der Koje des Seewolfes.
Hasard phantasierte immer noch. Von dem, was er ausstieß, waren manchmal nur Namen wie „Caligu“ oder „Rodriguez“ oder „Isabella“ zu verstehen.
„Da kann man nicht viel tun“, sagte der Kutscher. „Ihr müßt nur verhindern, daß er aus der Koje fällt. Festbinden hat keinen Zweck. Dadurch würden wir seinen Zustand nur verschlimmern.“
Gwen rang die Hände. „Aber es muß doch wenigstens ein Mittel geben, das ihn schlafen läßt. Mein Gott, müssen wir denn nur dastehen und ihn leiden sehen?“
Hasard sank plötzlich in sich zusammen. Gwen stockte der Atem. Der Kutscher beugte sich hastig über seinen schwerkranken Kapitän und lauschte an seiner Brust. Endlich nickte er. „Der Herzschlag normalisiert sich, der Atem geht auch regelmäßiger. Er ist wieder in Bewußtlosigkeit versunken. Tut mir leid, Gwen, aber das wird sich während der Reise nach England sicherlich noch öfter ereignen.“
Gwen biß die Zähne zusammen.
John Malcolm schlug die Augen auf. „Was – wo – verdammt, mein Kopf!“ Er rieb sich den lädierten Schädel und vor allen Dingen das Kinn, wo ihn Batutis eisenharte Faust getroffen hatte. Noch jetzt hatte John Malcolm das Gefühl, ein Bulle habe ihn getreten.
Er schaute sich um und sah seinen Vater, der gekrümmt auf dem Rand der Koje hockte. So stocksteif kauerte der Alte dort, daß es Malcolm himmelangst wurde.
„Vater!“
„Was willst du?“ sagte Sir John, ohne den Kopf zu wenden.
„Ich dachte schon, du wärest ...“
„So schnell kriegen die mich nicht klein, diese Hunde.“
„Wo sind wir?“
„Wieder in unserer Kammer im Achterkastell. Es ist übrigens die Kammer, in der vorher der Friedensrichter untergebracht war, bevor sie ihn ins Vorschiff jagten.“
„Was macht Keymis?“
„Was macht Keymis“, äffte Sir John seinen Sohn nach. „Der schert sich einen Dreck um die Ereignisse und horcht an seiner Koje. Eine Stütze ist der nicht für uns, das kann ich dir sagen.“
„Diese Schweine“, sagte John Malcolm. Er wollte sich aufrichten, ließ sich aber gleich wieder mit einem matten Laut auf das Lager sinken. „O mein Gott, wie mein Kopf weh tut. Ich glaube, es stecken Nägel drin. Wir haben endgültig verspielt, Dad.“
„Das sieht dir ähnlich, die Flinte gleich ins Korn zu werfen.“ Sir John erhob sich, trat zu ihm und schaute verächtlich auf ihn hinunter. „Sonst hast du eine große Klappe, aber es braucht bloß so ein dämlicher Nigger draufzuhauen, und du ziehst den Schwanz ein wie ein Hund. Verspielt – etwas Blöderes fällt dir wohl nicht ein, wie?“
„Ich bin kein Weichling“, begehrte John Malcolm auf. „Das kannst du mir nicht anhängen. Ich wollte dich retten. Ich hatte meinen Degen schon fast gezückt und ich hätte dich ’rausgehauen, wenn Old Shane nicht gewesen wäre, Dad.“
„Old Shane.“ Sir Johns Augen waren zu Schlitzen geworden. „Allein der Name bringt mich zur Weißglut. Aber laß nur, mein Sohn, unsere Stunde kommt noch. Vielleicht haben wir den richtigen Augenblick verfehlt. Das heißt aber nicht, daß ich zurückstecke.“
„Was hast du vor?“
„Sei mal still.“ Der Alte reckte den Hals und drehte sein Gesicht zur Tür. „Hörst du das, mein Junge?“
„Da sind Stimmen. Die Hure Gwen weint, wenn mich nicht alles täuscht.“
„Gut. Das bedeutet, dem Bastard geht es schlechter.“
„Meinst du wirklich?“
„Würde das Weib sonst heulen?“
„Wohl nicht.“ John Malcolm massierte sich das ramponierte Kinn. „Also, ich habe nur den einen Wunsch: daß der Kerl bald ins Gras beißt.“
Sir John begann in der Kammer auf und ab zu. wandern. Plötzlich konnte er schon wieder grinsen. „Hör mal, ich habe da einen prächtigen Plan. Wieso helfen wir dem Schicksal nicht ein bißchen nach, damit sich unsere Wünsche erfüllen?“
„Du meinst ...“
„Sag bloß, du liebst deinen verdammten Stiefbruder!“
„Ich?“ John Malcolm wurde richtig empört. „Da hört aber alles auf. Du weißt doch, was für eine Stinkwut ich auf ihn habe.“
„Wut allein, das reicht nicht.“
„Ich hasse ihn.“
„Wie weit?“
„Auf was willst du hinaus?“
„Antworte auf meine Frage.“
„Also“, sagte John Malcolm, und in seinen Augen flackerte es, „ich könnte ihm den Hals umdrehen, diesem Hund.“
Sir John nickte befriedigt. „Das wollte ich nur hören. Du wirst zum Zug kommen, das schwöre ich dir. Bald knöpfen wir uns Hasard vor. Wir brauchen ja nur in seine Kammer zu schleichen, dem liederlichen Frauenzimmer O’Flynn eins über den Schädel zu ziehen und ihm, dem großen Seewolf, die Gurgel zuzudrücken. So einfach ist das.“
John Malcolm richtete sich in der Koje auf. In diesem Moment störte es ihn nicht, daß sein Kopf schmerzte. Aus geweiteten Augen blickte er seinen Erzeuger an. „Augenblick mal. Du vergißt die Wachen. Der schwarze Teufel und sein weißer Kumpan waren vor der Tür der Kapitänskammer postiert, erinnerst du dich nicht?“
„Ich bin doch kein Tattergreis, mein Sohn.“
„Ich schätze, die Wache ist inzwischen abgelöst worden. Wie spät ist es?“
„Nach Mitternacht. Nun, du kannst natürlich recht haben, ausnahmsweise mal.“
John Malcolm verzog den Mund. „Siehst du, Dad. Wir sind kaltgestellt. Und wir können noch froh sein, daß dieser Brighton, Old Shane und all die anderen Verbrecher uns nicht einfach zu den Haien geschickt haben.“
„Hör doch auf mit dem Gefasel. Sie wissen genau, was sie damit riskieren würden. Sie können es einfach nicht tun, Junge, oder glaubst du, diese Schweine haben uns nur aus reiner Menschlichkeit verschont? O nein, die wissen ihren Verstand schon zu gebrauchen. Mal angenommen, sie würden uns umbringen: In Falmouth würde man nach uns fragen. Früher oder später würde bekannt werden, daß sie uns abserviert haben. Und, mein lieber Mann, dann gäbe es ganz schön Rabatz. Zwei Killigrews können nicht so mir nichts, dir nichts verschwinden. Ich bin der Generalkapitän von Cornwall. Man würde hartnäckige Nachforschungen anstellen, die den Seewolf und seine Halunken ans Messer liefern.“
John Malcolm grinste breit und zufrieden. „Mit anderen Worten, wir haben gar nichts zu befürchten.“
„Im Grund nicht. Die wagen es nicht, uns abzumurksen. Sonst hätten sie es schon längst getan.“
„Aber wenn wir Hasard töten, werden wir uns in Falmouth vor einem Gericht verantworten müssen.“
Sir John lachte leise. „Du spinnst wohl. Erstens haben wir nicht nur Baldwin Keymis, sondern auch noch eine Menge anderer Leute auf unserer Seite. Zweitens helfen wir nur dem Schicksal nach. Hasard liegt ohnehin im Sterben. Drittens: Ihm weint doch keiner eine Träne nach. Die Leute von Cornwall werden sogar froh sein, eine Mißgeburt wie ihn endlich los zu sein. Sie haben nämlich Angst vor ihm.“
„Ganz bestimmt.“
Sir John wandte sich zur Tür. „Stell dich hier neben die Tür, blicke durch den Spalt und paß auf, daß mir keiner nachschnüffelt. Ich schleiche mich durchs Achterkastell und sehe nach, wie es sich mit der Wache an der Kapitänskammer verhält.“ Damit schlüpfte er aus dem Raum.
Wenig später war er zurück und erklärte: „Verdammt, da wird tatsächlich scharf aufgepaßt. Zur Zeit schieben dieser Karl von Hutten und einer der Holländer vor der Tür Wache. Ich habe Glück gehabt, daß sie mich nicht entdeckt haben.“ Er ließ sich auf seiner Koje nieder. „Na schön, im Moment ist da also nichts zu machen, John Malcolm. Dann warten wir eben, bis die Wogen sich wieder geglättet haben. Ein paar Nächte Ruhe, und jeder wird denken, wir kuschen endgültig.“
„Ja“, erwiderte John Malcolm grinsend. „Und dann schlagen wir zu.“
In den folgenden Tagen verließen die beiden Killigrews selten ihre Kammer, höchstens, um zum Essenfassen zu gehen. Bedient wurden sie nicht. Jeder Mann an Bord vermied es auch, sich mit ihnen zu unterhalten. Sie wurden geschnitten – wie seinerzeit und auch jetzt noch Baldwin Keymis, der Intrigant.
Seinerseits vermied auch Sir John jeglichen Kontakt mit Keymis. Er hielt es für taktisch klüger. Er beschränkte sich darauf, mit John Malcolm zu sprechen, spielte im übrigen den reumütigen Bösewicht und gab sich alle Mühe, den Wunsch nach Versöhnung zum Ausdruck zu bringen.
Es wurde Februar, und die „Isabella V.“ erreichte die Biskaya. Die See war – nach einigen Tagen Ruhe – wieder ruppig und rauh geworden, die Windstärke pendelte zwischen sechs bis acht. In den Nächten waren der Wind, der durch Wanten und Pardunen pfiff, und das unablässige Knarren der Rahen, Blöcke und Taljen die Begleitmusik, die den Schlaf der Männer an Bord untermalte. Die „Isabella“ rollte und stampfte bei schäumender Bugsee. Trotz aller Risiken hielt Ben Brighton sie unter Vollzeug. Er war wie besessen von dem drängenden Verlangen, so schnell wie möglich Plymouth zu erreichen.
„Es ist soweit“, sagte Sir John eines Nachts zu seinem Sohn. „Du weißt, ich hatte herausgefunden, daß Brighton jeweils eine vierstündige Doppelwache seiner Crew vor Hasards Kammer gehen ließ. Jetzt scheint es damit vorbei zu sein.“
„Sie fühlen sich sicher, die Hunde“, sagte John Malcolm.
„Heute nacht erledigen wir es.“
„Ich kann es kaum erwarten.“
Etwas später, es ging auf Mitternacht zu, verließen sie ihre Kammer und glitten durch das Dunkel der Schiffsgänge auf den Raum des Kapitäns zu. Sir John hatte seine Radschloßpistole gezückt. Ben Brighton hatte sie entladen, und Sir John besaß auch keine Munition mehr. Aber die Waffe taugte immer noch dazu, sie jemandem auf den Schädel zu schlagen.
John Malcolm hatte seinen Degen noch im Wehrgehänge stecken. Doch er wollte ihn nicht anwenden, um Hasard zu töten. Er wollte sich nur seiner Hände bedienen, damit ihm später kein Mensch den Mord nachweisen konnte.
Sie gelangten an die Tür zur Kapitänskammer. Hier verharrten sie eine Weile und sahen sich nach allen Seiten um. Sir John grinste seinen Sproß triumphierend an. Es war, wie er gesagt hatte: keine Wachen. Niemand ließ sich blicken. Die Luft war rein.
Sir John legte die Hand auf die Türklinke. Sanft drückte er sie herunter, so langsam, daß sie keinen Laut verursachte. Danach probierte er, ob die Tür etwa von innen verriegelt war. Das war nicht der Fall. Die Tür ließ sich aufschieben. Und sie bewegte sich in gut geölten Angeln! Kein Knarren verriet die beiden Eindringlinge.
Sir John spähte in die Kammer.
Neben der Koje des Seewolfes brannte ein Talglicht. Seine blakende Flamme verbreitete ausreichend Helligkeit. Einfacher ging es nicht. Da war die Koje mit dem schwerkranken Seewolf. Er lag in tiefer Bewußtlosigkeit. Gwen saß auf einem Stuhl, ihnen halb zugewandt, und war eingenickt. Das Licht wies den Killigrews den Weg, sie brauchten nur ein paar Schritte zu tun und konnten ihren Mordplan in die Tat umsetzen.
Sir John zögerte nicht.
Er pirschte voran. John Malcolm folgte ihm auf den Fersen. Sie hatten die halbe Distanz zwischen Tür und Lager des Seewolfes zurückgelegt, da fiel die Tür mit einem knappen Geräusch ins Schloß.
John Malcolm fuhr herum.
Sir John war zusammengezuckt und stand geduckt, die Radschloßpistole umgedreht in der Rechten.
„Himmel, du Narr“, zischte er. „Kannst du nicht aufpassen? Bei der See muß die Tür ja zuklappen.“
John Malcolm sah die beiden hühnenhaften Gestalten, die neben der Tür an der Innenwand der Kammer emporwuchsen. In der einen erkannte er Big Old Shane, den Schmied und Waffenmeister von Arwenack, die andere entpuppte sich als der riesige Gambia-Neger.
„Dad“, röchelte John Malcolm. „Das ist eine Falle.“
Sir John drehte sich nun auch um. „Jesus, was sind wir doch für Hornochsen gewesen.“
Shane trat langsam auf sie zu. Die Planken knarrten ein wenig unter seinen Schritten. Er blieb stehen, ein Koloß von einem Mann, groß, stark, unerschütterlich und unbeirrbar. „Ich habe es geahnt. Ich kenne Sie genau, Sir John, und wußte, daß diese leidige Angelegenheit noch nicht ausgestanden ist, vor allem, wenn ich an die Schatzbeute im Leib dieses Schiffes denke. Ich habe Ben Brighton gewarnt. Und es war meine Idee, die Kapitänswache schließlich vom Gang in die Kammer zu verlegen.“
„Du Hund“, stieß Sir John aus. „So hintergehst du mich also zum zweiten Mal. Aber dir werde ich es zeigen. Du wirst noch um meine Gnade betteln.“
„Alter Mann nimmt den Mund zu voll“, versetzte Batuti grollend. „Aber jetzt Schluß.“ Er schlug mit der einen Faust in die offene Fläche der anderen Hand. Das Geräusch weckte Gwendolyn Bernice O’Flynn.
Sie erfaßte die Situation mit einem Blick. „O mein Gott.“ Sie klammerte sich mit beiden Händen an der Sitzflächenkante ihres Stuhles fest. „Was wollen Sie hier, Sir John? Gehen Sie. Ist es nicht genug, daß Hasard so entsetzlich leidet?“
„Nein“, sagte John Malcolm. „Wir setzen jetzt alles auf eine Karte, du Hure. Dad, gib’s ihr doch!“ Er zückte seinen Degen und richtete die Spitze auf Big Old Shane. „Noch einen Schritt weiter, und ich durchbohre dich als ersten, du Verräter!“
Sir John stürzte sich auf Gwen. Aber er hatte nicht mit der Geistesgegenwart der jungen Frau gerechnet. Sie glitt vom Stuhl und ließ sich zu Boden sinken. Sir John hieb den Pistolenkolben auf die Sitzfläche, dann stolperte er über das Sitzmöbel, schlitterte damit ein Stück nach Backbord und prallte gegen die Wand am Fußende von Hasards Koje. Fluchend fuhr er herum.
Gwen drängte sich mit einem Aufschrei gegen die Koje.
Shane riß ein Entermesser aus dem Gurt. Gerade noch rechtzeitig, denn John Malcolm unternahm einen Ausfall, sprang auf ihn zu und wollte ihm den Degen in den Unterleib rammen. Shane führte eine glänzende Parade. Die Klinge des Entermessers krachte gegen den Degen. John Malcolm wurde durch die Wucht des Schlages zur Seite gestoßen.
Batuti war mit einem Satz, der jedem Panther Ehre bereitet hätte, an Shane und John Malcolm vorbei. Er stellte sich zwischen Gwendolyn und den zornbebenden Sir John.
„Gib’s auf“, sagte Big Old Shane zu John Malcolm. „Vergiß nicht, was ich einst auf Arwenack geschworen habe, als ihr Hasard schon einmal ermorden wolltet.“ Schweren Schrittes hielt er auf den ferkelgesichtigen Sproß zu.
„Ja“, sagte John Malcolm. „Du wolltest mich umbringen. Aber das schaffst du nicht. Du hast ja nur Angst, gib’s doch zu.“ Er hob den Degen.
Sir John hatte sich aufgerappelt und näherte sich Batuti. „Weg dort, Nigger. Mach Platz, oder du kriegst ein Ding verpaßt, wie du es noch nicht erlebt hast.“
Batuti lachte wieder. Das reizte Sir John bis zum Überkochen. Er hechtete auf den Gegner zu und wollte den Pistolenkolben auf dessen Stirn donnern. Batuti packte seine Arme. Er drehte sie ein wenig um, und Sir John ließ die Waffe mit einem Wehlaut los. Sie polterte zu Boden.
„Batuti böse“, hörte Sir John dicht vor sich Batutis Stimme. „Du ganz hundsmiserabler Kerl.“
Dann krachte ihm eine Faust unters Kinn, und Sir John glaubte, durch die Decke nach oben und außenbords der „Isabella“ katapultiert zu werden. Er hatte den Eindruck, ein Vorschlaghammer habe ihn getroffen. Mit solcher Wucht hatte Batuti zugeschlagen, daß Sir John meinte, sein Kopf müsse in tausend Stücke zerplatzen. Er streckte sich schlaff neben der Koje aus und regte sich nicht mehr.
Shane wehrte die nächste Attacke von John Malcolm ab. Diesmal drehte er das Entermesser in einer heftigen Rundbewegung. Klinge rieb sich an Klinge, es gab einen scharrenden Laut – und dann flog John Malcolms Degen in die Ecke der Kammer. John Malcolm schlenkerte die schmerzende Hand.
Shane hieb das Entermesser mit der Spitze in den Boden. Zitternd blieb es stecken. „So, du Würstchen. Und jetzt sag mir, ob du noch eine anständige Tracht Prügel willst.“
Mit gellendem Schrei stürzte John Malcolm auf den Gegner zu. Er raste vor Wut und kannte nur noch den einen Wunsch: sie an irgend jemandem auszutoben, um sich für den Hinterhalt zu rächen. Er wußte die Umstände nicht mehr abzuwägen, vergaß sich, handelte blindlings.
Big Old Shane empfing ihn mit einem schmetternden Fausthieb. John Malcolm stoppte, krümmte. sich. Shane packte ihn, drehte ihn und trat ihm mit aller Macht in den Hintern. Da raste John Malcolm gegen die Tür, als hätte ihm jemand eine Pulverladung in den Hintern gesteckt und sie dann angezündet. Er prallte mit unverminderter Wucht dagegen und sackte zu Boden. Die Tür krachte aus ihrem Rahmen und begrub ihn unter sich. John Malcolm wimmerte.
Shane ging zu ihm. „Wehr dich doch, du Meuchelmörder. Wo bleibt deine große Schnauze? Es wurde mal Zeit, daß dich jemand zurechtstutzt und nachholt, was dein Alter versäumt hat, du Ratte!“
John Malcolm kroch unter der Tür hervor, erhob sich, schwankte, schlug mit der Schulter gegen den Rahmen. Er keuchte, dann taumelte er in den Gang hinaus. Shane setzte ihm nach.
„Shane, nicht!“ rief Gwen.
Aber der Schmied hörte nicht auf sie, und auch Batuti regte sich nicht vom Fleck, um den Riesen aufzuhalten. Sie sahen die Gestalten der beiden Männer im Gang nicht mehr, aber sie vernahmen die Geräusche: das Klatschen, mit dem Shanes Schläge an John Malcolms Körper landeten, das Keuchen, Stöhnen und Jammern des Killigrew-Sprosses. Etwas polterte, etwas fiel um, jemand fluchte, und dann trat Stille ein.
Sie dauerte nicht lange.
Schritte polterten über Deck, Männer sprangen den Niedergang hinunter. Sie hatten den Lärm vernommen. Zuerst erschienen Ben Brighton, Ferris Tucker, Carberry, Ribault und Karl von Hutten, gleich darauf auch Blacky, Smoky und schließlich der alte O’Flynn an der Seite seines Sohnes. Ben Brighton blieb erschüttert unter der Füllung der zerstörten Tür stehen und betrachtete den alten Killigrew.
„Batuti hat ihm ein Ding verpaßt, daß er sich gleich zu Hasard legen könnte“, sagte Gwen. „Sie wollten Hasard umbringen.“
„Wie geht es dir?“ erkundigte sich Ben tonlos.
„Gut, und Hasard ist auch nichts passiert, als der Kampf tobte.“
„Ruft den Kutscher“, befahl Ben.
Kurz darauf kehrte er mit einem Talglicht in den Gang zurück und beugte sich über John Malcolm Killigrew. Der Bursche sah übel aus: sein Gesicht war blutverschmiert und verquollen, seine Kleidung zerrissen. Big Old Shane lehnte an der Wand des Ganges. Seine Brust hob und senkte sich unter regelmäßigen Atemzügen.
Ben erstarrte. John Malcolms Brust bewegte sich nicht mehr. Er beugte sich über ihn und lauschte nach den Herzschlägen – vergebens.
Der Kutscher erschien.
„Da kannst du nichts mehr ausrichten“, sagte Ben leise. „Dieser Mann ist tot.“ Er blickte zu Shane auf. Das Talglicht flackerte und warf gespenstischen Schein auf das verwitterte Gesicht des Schmiedes.
„Es überrascht mich nicht“, sagte Shane. „Und ihr könnt mich auch nicht verurteilen, weil ich es ihm besorgt habe. Damals, auf Arwenack, als sie Hasard in den Kerker geworfen hatten, bin ich um ein paar Minuten zu spät gekommen, sonst hätte ich ihn schon da erschlagen. Heute nacht konnte ich nicht mehr anders. Es mußte geschehen. Ja, über die Folgen bin ich mir im klaren. Ich habe John Malcolm auf dem Gewissen, den Erstgeborenen der feinen Killigrew-Sippe. Aber ich bereue nichts. Wenn es sein muß, werde ich mit dem Leben dafür büßen.“
„Hör doch auf“, sagte der alte O’Flynn wütend. „Der da“, er wies mit seinem Holzbein auf den Toten, „war ein erbärmlicher Lump. Es ist nicht schade um ihn. Hört zu, Männer, schicken wir auch Sir John zu den Fischen. Er hat’s genauso verdient wie John Malcolm, außerdem sorgt er garantiert für Schwierigkeiten, wenn er Falmouth lebend erreicht.“
„Vorsätzlicher Mord?“ Ben Brighton erhob sich. „Nein, das kann und werde ich nicht zulassen. Schlagt euch das aus dem Kopf, Männer.“
„Schon gut“, erwiderte Shane. „Keiner tut etwas gegen deinen Befehl. Ich bin bereit, alle Folgen zu tragen, die sich aus diesem Zwischenfall ergeben. Einiges kann ich mir schon lebhaft ausmalen. Sir John lebt, und außerdem ist da noch Baldwin Keymis, der nur darauf wartet, einem von uns den Strick zu drehen. Sir John und er werden Komplicen, und dann geben sie gemeinsam keine Ruhe, bis der Tod von John Malcolm gesühnt ist. Immerhin, ich habe mich an einem Adelssproß vergriffen.“
„Verdammt!“ rief der junge O’Flynn. „Dieses Prachtexemplar von einem Sproß wollte meine Schwester niederknüppeln, den Kapitän ermorden und dann auch noch über Batuti und dich herfallen, zusammen mit Sir John, meine ich natürlich. Wenn das nicht schwer genug wiegt!“
Shane schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Junge, aber ich stehe den Dingen skeptischer gegenüber als du. Sir John wird alles abstreiten. Wer kann seine Aussage widerlegen?“
„Wir alle“, sagte Dan O’Flynn erregt.
„Das zählt nicht. Vergiß nicht, daß wir hergelaufene Strolche sind. Du brauchst mich nicht so verblüfft anzustarren, ich sage nur, wie es ist. Nicht einmal Hasard zählt etwas bei den hohen Herren, die in Cornwall die Geschicke der Menschen leiten. Für sie ist er nicht der verdiente Kapitän Killigrew, sondern ein Nichts, ein Emporkömmling. Und angesichts der Tatsache, daß John Malcolm Killigrew tot ist, wird man sich zusammen mit Sir John und Baldwin Keymis sehr schnell über die Schuldfrage einig werden. Wer glaubt unsereins schon? Wer ergreift für einen Mann wie mich Partei?“
„Wenn das so ist“, sagte Carberry, „warum hast du dieses Schwein dann totgeprügelt?“
Big Old Shane blickte die Männer der Reihe nach an. Immer mehr drängten nach, es wurde eng im Gang.
„Blut ist nur mit Blut zu sühnen“, sagte Shane. „Ich habe keine Angst vor den Folgen meiner Tat. Und ihr haltet euch gefälligst zurück, wenn man mich daheim in England in Haft nimmt und in den Kerker wirft. Ich bin innerlich auf alles vorbereitet. Blut ist nur mit Blut zu sühnen, deswegen mußte John Malcolm, der eine Bluttat begehen wollte, sterben. Blut ist nur mit Blut zu vergelten, deswegen werde ich den Kopf hinhalten und nicht mit der Wimper zucken, wenn sie mich für mein Handeln zur Rechenschaft ziehen. Innerlich bin ich auf alles vorbereitet. Ich habe es schließlich nicht im Jähzorn getan. Ich habe getötet, Carberry, um den Seewolf ein für allemal vor einem seiner gemeinsten Widersacher in Sicherheit zu wissen. Und ich habe es auch für Gwen getan, und für das Kind, das sie unter dem Herzen trägt.“
Gwen hatte zugehört und blickte den Riesen erschüttert an.
Die Männer starrten auf Old Shane, und es lag weder Tadel noch Zweifel in ihren Mienen. Vielmehr bewunderten sie diesen bärenstarken Mann, weil er sich so beispielhaft verhalten hatte. Für Shane gab es keinen Kompromiß, er ging bis zur letzten Konsequenz, und es lag nicht nur etwas Archaisches, Altüberliefertes, sondern auch etwas beinahe Selbstzerstörerisches in seinem Verhalten. Er hatte gewählt und sich für Hasard entschieden.
In der furchtbaren Situation war er für die Crew etwas wie ein Fels, der mahnend und wegweisend zugleich aufragte. Selbst der harte Carberry verspürte für Shane etwas von der großen Ehrfurcht, die er auch dem Seewolf gegenüber empfand.