Читать книгу Geh immer nach dem Licht - Ruth Lindemann Möller - Страница 18
Dämone und Rituale
ОглавлениеMeine Mutter litt die schlimmsten Qualen, die Du Dir vorstellen kannst. Fast mit Wehmut dachte ich zurück an die Zeit im Krankenhaus, wo sie so überströmend herzlich allen gegenüber war, zu gutmütig wie man sagt. Damals war es ihr meistens verschont, ihren eigenen Zustand zu erkennen.
Jetzt herrschte der Wahnsinn die ganze Zeit, und das Pflegepersonal war gar nicht ausgebildet, um mit so einem Fall umzugehen. So oft wie überhaupt möglich war ich da. Wenn ich bei ihr war, litt ich, aber schlimmer war es, viel schlimmer, wenn ich längere Zeit nicht bei ihr sein konnte.
Die Metastasen in ihrem Gehirn änderten von Zeit zur Zeit die Druckrichtung, wobei andere Gehirnfunktionen gehemmt oder ganz geändert wurden. Das bewirkte, daß Mamas Sinneszustand schnell von einem Augenblick zum nächsten kippte. Zu einem Zeitpunkt schaute sie mich voller Liebe an und hielt meine Hand, um dann innerhalb einer Sekunde vollständig umzuschwingen, ihre Hand loszureißen und mich hart, mitten ins Gesicht, zu schlagen und wütend, fast voller Hass zu sein.
Anschließend nach zwei Minuten war wieder alles in bester Ordnung, und sie lächelte mich wieder liebevoll an, um kurz danach wieder zu wechseln. Ich wußte nie wann. Es gab keinen Auslöser von Aussen. Aus Schaden, oder soll ich lieber aus Schmerzen sagen, lernte ich, blitzschnell zu reagieren. Ganz schnell ihre Hand zu greifen und dann ordentlich festzuhalten.
An einem bestimmten Tag war sie besonders aufgewühlt und ich setzte mich auf die Bettkante und streichelte sie beruhigend und fragte:„Was ist los Mama?“ Ihre Augen konnten aus Angst ganz steif werden. „Kannst du es nicht sehen, Ruth?“, „Nein, ich sehe nichts, Mama“. „Dort, hinter diesem Gemälde, Feuer“ und „Über dem Schrank Dämone.“
Sie war außer sich vor Angst, und guter Rat war teuer. Du darfst nicht vergessen, daß meine Mutter trotz dieser Einschränkungen in ihren Gehirnfunktionen eine sehr kluge Frau war, und wenn ihr Zustand es erlaubte, sie dich mit einem Blick anschaute, der durch dich hindurch drang. Ich zog es vor, zu sagen:„Ich bin ganz sicher, daß du es sehen kannst, aber ich bin nicht fähig, es zu sehen, Mama. Ich glaube dir.“ Zumindest war dies eine kleine Stütze, obwohl sehr klein, wenn Du Dir vorstellst, daß sie Dämone, Teufel und furchtbare Feuer brennen sah. Die Dämone bedrohten sie und waren ihr so nah. Was sollte ich bloß tun?
Nochmals fand Mama die Lösung. Eine Lösung, die half, aber die mir einige unangenehme Szenen bereitete, ebenso wie kleine Lügen. Zuhause hatten wir es uns immer mit Kaffeetrinken zusammen gemütlich gemacht. Wenn einer sagte:„Sollen wir nicht jetzt Kaffee trinken“, bedeutete es übersetzt, daß wir uns hinsetzen und miteinander reden sollten. Mama trank immer noch gerne Kaffee, zuletzt aus Trinkbechern mit Schnabel.
Dann wurde ich von ihr in ein Ritual eingeweiht, von mir danach als das „Kaffeeritual“ benannt. Etwas schockiert mußte ich zusehen, daß der von mir überreichte Kaffee wie eine Art Weihwasser von ihr rund um sie herum in einem Zirkel im Bett gespritzt wurde mit der Erklärung:„Jetzt können sie nicht mehr an mich herankommen, ich bin in Sicherheit.“ Anschließend wurde sie ruhig und fühlte sich wohl bis dann das Pflegepersonal wieder die Bettwäsche wechselte und das Problem erneut entstand. Danach wollten sie ihr keinen Kaffee mehr erlauben. Wenn ich dann kam, bat Mama mich eindringlich, ihr Kaffee zu besorgen. Ich wußte ja, wie lebenswichtig es für sie war. Heimlich besorgte ich ihr Kaffee und ließ mich dann dafür beschimpfen.
Mehrmals hatte ich gebeten, daß ein Psychiater zu Mama kommen sollte. Der diensthabende Arzt war weder ausgebildet noch im Stande, diese Probleme zu regeln. Zu allerletzt ging ich so weit, daß ich drohte, Mama zu verlegen, falls nicht umgehend ein Psychiater beordert werden würde, Mama zu untersuchen und danach zu begleiten.
Hätte ich bloß in meinem Leben so stark sein können, wenn es um mich ging! Diese Drohung trug Frucht und zwei Psychiater als Team starteten eine Behandlung, die längst hätte stattfinden sollen. Meine Mutter bekam ein Mittel, das den Druck der Metastasen im Gehirn erleichtern konnte.
Wie ein Wunder bewirkte das Mittel, daß ihre Sinnesschwankungen aufhörten. Ihre Angst wurde gedämpft und ihr Gehirn schien besser zu funktionieren. Fast wie ein normaler Zustand. Danach war sie wieder im Stande, dänisch zu sprechen; bloß waren ihre Kräfte mit der Zeit kleiner geworden aufgrund des voranschreitenden Krebses. Meistens schaffte sie nur kurze Sätze.
Einmal brachte ich ihr eigenes Fotoalbum von vor der Ehe mit und ging mit ihr über einige Tage jedes Foto durch. Ich redete am meisten, kannte ja die Meisten, auch bei Namen und konnte gut Fragen stellen, die Mama mir dann beantwortete.
Diese „Fotosessions“ brachten uns beide große Freude. Ich, neugierig wie ich bin, bekam neue Details zu wissen und Mama hatte einen wichtigen Teil ihres Lebens zur Revision und wurde dabei lebhafter.
Aus meinen bis jetzt geschriebenen Seiten sehe ich, wie wichtig diese Zeit vor dem Tod war. Wenn ich Mama besuchte, blieb ich sieben bis acht Stunden durchgängig. Das hielt keiner aus, nur ich. Weil ich unbedingt für sie da sein wollte. Es war sehr hart mit so viel Leiden klarzukommen, zwischendurch der reine Wahn. Hier in diesem Buch ist es nicht angebracht, alles zu erzählen.
Um es auszuhalten, hatte ich eine Stütze für mich gefunden. Mama war schwach und schlief ab und zu ein. Diese Augenblicke benutzte ich, um in mein „kleines weißes Buch“ zu schreiben. Alles, was an dem jeweiligen Tag bei Mama stattfand, wurde genau notiert und jedes einzelne Wort aus Mamas Mund schrieb ich sofort Wort für Wort auf.
An einem Tag war die nette Psychiaterin zur Visite bei Mama und sie entdeckte mein Buch und bekam es näher erklärt. Bei einer späteren Gelegenheit mußte ich ihr heilig versprechen, daß ich das Buch herausgeben würde. Sie meinte, daß dies so außergewöhnlich sei. Das gäbe es nicht. Man kann so viel um reale Geschehnisse herum dichten und das haben schon diverse Autoren gemacht. Aber ein Buch herauszugeben mit weitergeleiteten Originalaussagen über einen solchen Krankheitsverlauf von einem Patienten, wäre ganz außergewöhnlich und von großem Wert für andere.
Zur Zeit befindet sich das „kleine Weiße“ in einer Bankbox. Bis jetzt habe ich es nicht schaffen können das kleine weiße Buch fertig zu schreiben, aber jedenfalls bringe ich ja hier einige Ausschnitte.
Das nächste Mal, als ich Mama besuchte, war an ihrem Geburtstag. Sollte es ihr letzter werden?