Читать книгу Geh immer nach dem Licht - Ruth Lindemann Möller - Страница 7
„Väterne Oma“, 24.12.
ОглавлениеJetzt bin ich zwölf Jahre alt. Meine Eltern, nachdem sie viele Jahre eine zusätzliche Bäckerei mit großer Konditorei betrieben hatten, kauften noch ein Hotel direkt im Zentrum mit der Kirche als Nachbarn. Als ob das Leben nicht schon bis dahin aus fast nur Arbeit bestünde. Meine arme Mama hatte plötzlich neben ihren Kindern zusätzlich und ohne jegliche Erfahrung ein Hotel zu managen. Ich, die Älteste, war knapp sieben, mein Bruder viereinhalb Jahre jünger. Mein Vater, der das Problem hatte, sich von materiellen Dingen zu trennen, war trotz Versprechen beim Hotelkauf lange noch im Gange als Konditor und Bäcker.
Meine „Vatersmutter“, wie wir es direkt aus dem Dänischen übersetzen, war alleinstehend und reiste mehr als das halbe Jahr herum und besuchte abwechselnd ihre vier Söhne. Bei den meisten blieb sie nicht lange, aber bei uns war es ja spannend, nachdem wir ein Hotel hatten und es passierte so viel jeden Tag.
Vatersmutter litt unter „schlechtem Herz“ wie man sagt und das letzte Jahr wohnte sie lange bei uns. Einmal fiel sie um mit Herzbeschwerden und mußte schnell Nitroglyzerin unter die Zunge gelegt bekommen. Tabletten hatte sie immer in ihrer Handtasche dabei. Nach diesem Geschehnis haben meine besorgten Eltern mich mit der Oma zusammen in einem von unseren Hotelzimmern schlafen lassen. Im Notfall konnte ich eine Tablette unter ihre Zunge legen und Hilfe holen.
Vatersmutter ging dann zur selben Zeit wie ich ins Bett, und wir lagen und unterhielten uns jeden Abend. Sie erzählte mir von ihrem Leben und wie sie meinen Großvater während seines Urlaubes in Dänemark kennengelernt hatte. Das folgende Jahr kam er zurück, um sie zu holen, und sie wanderten nach Amerika aus. Ich könnte viel mehr erzählen, aber das würde uns nur ablenken. Sie und ich bauten einen starken Kontakt auf, der sonst auf diese Weise nicht möglich gewesen wäre. Diese gemeinsame Schlafperioden fanden etwa vier Mal statt.
Dann kam der Zeitpunkt, als das Herz nicht mehr wollte und Vatersmutter ins Krankenhaus in ihrem Wohnort kam. Immer noch erinnere ich mich an meine Irritation und Verwunderung über meine sonst so liebe Klassenlehrerin, die versuchte, mir auszureden, mit meinem Vater meine Oma im Krankenhaus zu besuchen. Nur einen Schultag frei, bat ich. Wußte, es konnte die letzte Gelegenheit sein, Oma noch am Leben zu sehen. Heutzutage weiß ich, daß meine Klassenlehrerin mich nur schützen wollte, um etwas Trauriges und Unangenehmes zu meiden. Aber ich bestand darauf. Glücklicherweise!
Ich erinnere mich an den Krankenhausbesuch Anfang Dezember, aber möchte nicht unnötig Zeit damit vergeuden. Gehe jetzt direkt zu dem 24.12.. Unser Hotel war geöffnet bis 16 Uhr an diesem Tag und zusätzlich selber Weihnachten für jetzt drei Kinder mit allen dazugehörigen Vorbereitungen zu halten, ist wahnsinniger Stress in sich.
Aber dieses Weihnachten wurde noch schlimmer. Am späten Vormittag kam ein Telefonat mit der Mitteilung, daß meine Oma gerade gestorben war. Sah, daß mein Vater geweint hatte. Etwas später sagte meine Mutter mir, daß sie und mein Vater besprochen hatten und sich einig waren, Weihnachten mit uns drei Kindern wie immer zu feiern. Wir konnten ja jetzt auch nichts tun. Mit zwölf ist man nicht leicht abzulenken, aber die jüngeren Geschwister helfen einem dabei.
Vor Neujahr kam das Begräbnis. Mein Erstes. Ich vergesse nie, wie ich in der Kirche den Sarg anstarrte und weinte. Konnte es nicht lassen. Der schwierigste Moment war jedoch am Grab, wo mein sonst so starker Vater total zusammenbrach und heulte. Meine Mutter umarmte ihn und zog ihn weg. Das war hart zu erleben.
Wieder zu Hause fing „Es“ an. Jeden Abend, wenn ich mich unter meine Bettdecke gekuschelt hatte, war der „Kontakt“ da. Meine Vatersmutter, gerade beerdigt, war bei mir wie eine Stimme in meinem Kopf. Wir redeten, wie wir das lange Perioden gewöhnt waren. Ich erzählte ihr, was ich den Tag über erlebt hatte, und sie gab mir dazu ihre Meinung.
Verwunderlich, aber ich dachte, es wäre ganz normal. Behielt es jedoch für mich. Wer hätte mir auch geglaubt. Vielleicht hatte ich Angst, zum Narren gemacht zu werden. Aber ich konnte mit ihr reden und auch Antwort bekommen, also herrschte für mich überhaupt kein Zweifel.
Auf diese Weise verlief ungefähr ein halbes Jahr. Jeden Abend hatten wir Kontakt. Dann eines Abends, ohne Vorwarnung, ohne jede Andeutung von ihr, lag ich da unter meiner Decke und dachte wie immer an meine Oma. Aber kein Kontakt möglich! Ich versuchte verzweifelt über Wochen hinweg, bis ich einsah, daß es nicht mehr möglich war, Kontakt mit ihr zu etablieren. Aus welchem Grund auch immer. Betete mein Vaterunser.
Heute denke ich, daß Vatersmutter gesehen hat, daß keiner Zeit hatte, sich um mich zu kümmern und daß ich schwer trauerte, ganz für mich alleine. Immer noch herrscht kein Zweifel in mir, daß dieser Kontakt real stattfand. Es ist nur leichter geworden, es zu begreifen, verglichen mit anderen Erlebnissen, die später in meinem Leben folgten.
Zum Schluß, herzlichen Dank für deine Fürsorge, liebe Oma.