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Zweimal Herzstillstand
ОглавлениеNach der Heimkehr von der Beerdigung in Dänemark versuchte ich einen Rhythmus zu finden mit einem Kind in der Grundschule, einem Kind halbtags im Kindergarten und der kleinen Neugeborenen zu Hause, welche noch nicht getauft war. Ich nannte sie mein „Puttibaby“. Die ersten zwei Wochen blieb meine Mutter bei uns. Während diesen zwei ersten Lebenswochen passierte das Schreckliche, daß Puttibaby aufhörte zu atmen.
Glück im Unglück?
Das erste Mal geschah es kurz nach der Heimkehr von der Beerdigung. Zum großen Glück hatte ich sie in meinen Armen und saß im Wohnzimmer mit den anderen als ich entdeckte, daß sie nicht mehr atmete und anfing, bläulich zu werden.
Ich sprang vom Stuhl auf und schüttelte sie und gab ein paar Mal Mund-zu-Mund-Beatmungen. Das Herz fing wieder an zu schlagen und wir waren alle erleichtert. Jetzt verhielt es sich so, daß der Grund hinter dieser sonst so bekannten Art von Babysterben, bei dem die Babies ohne Vorwarnung aufhören zu atmen, nachher beim Kinderarzt nicht feststellbar war.
Am Ende der zweiten Lebenswoche hörte Puttibaby wieder auf zu atmen. Auch dieses Mal war ich anwesend und hielt sie in meinen Armen. Das zweite Mal wurde sie blau, und ich kämpfte und schrie nach Hilfe. Sie kam nicht schnell zurück. Nach vergeblichen Beatmungsversuchen kehrte ich sie um und hielt sie an den Beinen mit dem Kopf nach unten und gab ihr einige Schläge auf den Hintern, wie nach einer Geburt, dann wiederholte ich alles nochmal. Das Herz fing wieder an zu schlagen und nochmals waren wir erleichtert.
Nur ich, die Mutter, nachdem ich es zweimal innerhalb der ersten zwei Wochen geschafft hatte, ihr Herz wieder in Gang zu setzen, fühlte einen unglaublichen Druck und Verantwortung, sie am Leben zu halten.
Hatte nach der unglücklichen Geburt meine Hand schützend über ihren Kopf gehalten und Gott versprochen, daß ich gut auf sie aufpassen würde.
Diese Verantwortung bewirkte, daß ich nur noch sehr oberflächlich schlief.
Die Wiege hatte ich dicht an mein Bett gestellt, wobei ich eine Hand unmittelbar vor ihre Nase halten konnte, um so ihren Atem spüren zu können. Wie viele Male passierte es, daß ich, wenn ich doch tief wegschlief, mit einem Ruck aufwachte, total aufgebracht, bis ich wieder sichergestellt hatte, daß sie atmete.
Das war eine anstrengende Zeit; mein Schwiegervater kam nach ein paar Wochen und wir mußten zusammen über meine verstorbene Schwiegermutter trauern, während wir vormittags alleine zu Hause waren.
Im Laufe des Vorsommers nahmen die allergischen Reaktionen meines kleinen Sohnes dermaßen zu, daß wir mit unserem Arzt zusammen beschlossen, ihn im Kinderhospital genauer testen zu lassen, bevor er in der Schule anfangen sollte. Es wurden eine Nahrungsmittelallergie in der höchsten Stufe, eine Stauballergie im leichteren Grad sowie eine Allergie gegenüber einigen Pilzen diagnostiziert.
Wieder zu Hause fing eine Testperiode von eineinhalb Jahren an, in der ich selber testen mußte, was er vertrug. Eine Richtschnur waren animalische Proteine im Schweinefleisch, aber ich fand auch Farbstoffe und Konservierungsstoffe unter den Auslösern. Vor unserem Deutschlandaufenthalt hatten wir ein Jahr in Frankreich, genauer Fontainebleau, gelebt. Mein Sohn war gut ein Jahr und bei der Ausreise gut zwei Jahre alt. In diesem Zeitraum gab es kein einziges Symptom. Aus dem Grund fragte mich der leitende Untersuchungsarzt:„Was war der Unterschied von Frankreich zu Deutschland?“ Und es kam wie gespuckt aus mir heraus:„Schweinefleisch“.
In Fontainebleau hatten wir sehr reichhaltiges und variiertes Essen gehabt: Hähnchen, Fisch, Lamm, Rind, aber fast nie Schweinefleisch. Da wir danach in einem Dorf mit nur einem Supermarkt wohnten, wo die Fleischabteilung voll mit Koteletts, Würstchen und Aufschnitt aus Schweinefleisch war, hat sich unsere Ernährung insofern geändert, daß wir wesentlich mehr Schweinefleisch aßen. Nach anderthalb Jahren Tests konnte ich mit Sicherheit feststellen, daß er überhaupt kein Fleisch oder Fisch vertragen konnte.
Das war die Zeit, in der jeden Tag frisches selbstgemachtes Babyessen, Spezialessen für Allergiker und auch normales Essen für uns drei anderen gekocht wurde. Das Allergiekind mußte jeden Abend in ein Spezialbad gelegt werden, das Baby wurde in einem anderen Bad gebadet, zusätzlich zum Haushalt in einem sehr großen Haus mit fünf Ebenen, Gartenpflege und dann alle Autofahrten jeden Nachmittag, um die zwei großen Kinder zu Aktivitäten sowie Freunden zu bringen.
Innerhalb einiger Monate entwickelte sich das Problem mit Puttybabys Nabel. Die ganze Zeit hatte er anders ausgesehen, als die von den zwei älteren Kindern. Oft kam der Darm unter der Nabelhaut heraus und mit der Zeit wurde es zunehmend schwieriger für mich, den Darm wieder hineinzuschieben. Meine damalige Kinderärztin sagte, es würde von sich aus wieder zusammenwachsen.
Aber es wurde so schlimm, daß ich ein paar Male große Probleme hatte, es wieder hineinzubekommen, und ich fuhr wieder zur Kinderärztin. Zu meinem Glück: Da begegnete ich einem jüngeren, männlichen Ferienablöser, der sofort die Lebensgefahr erkannte und dafür sorgte, daß sie schnell im Krankenhaus untersucht wurde.
Dort im Krankenhaus wurde Puttibaby von zwei weiblichen Kinderärztinnen unabhängig von einander untersucht. Bei dem folgenden Informationsgespräch mit den Beiden, sagte die Eine:„Muß sofort operiert werden, da sonst akute Lebensgefahr besteht“ (Darmverschlingung). Die andere Ärztin sagte:„Viel zu gefährlich so ein kleines Baby von sieben bis acht Monaten zu operieren; sie kann dabei leicht sterben.“ Da sie sich nicht einig waren, sahen sie mich an und sagten, daß ich die Entscheidung treffen sollte.
Puh, was für eine Verantwortung! Da ich aber nicht mehr glaubte, den Darm noch lange hineinschieben zu können, und sie deswegen immer bei mir haben müßte, um schnell reagieren zu können, traf ich alleine diese Entscheidung, sie operieren zu lassen.
Ein sehr kompetenter und freundlicher OP-Arzt, gebürtiger Iraner, hatte mir erklärt, wie die Operation ablaufen würde und daß ich eineinhalb Stunden später mein Baby sehen könnte. Es wurde eine schrecklich lange Wartezeit. Kann nicht mehr ganz genau sagen, wie viele Stunden es dauerte. Fragte nach einigen Stunden mehrmals Krankenschwestern, die aus dem OP-Gebiet herauskamen, warum ich nach Stunden Wartezeit mein Baby nicht sehen konnte. Ich wußte jetzt, daß etwas nicht stimmte. Nur nicht was. Wäre sie tot, hätte man es mir mitgeteilt.
So eine Wartezeit nenne ich „Hölle“!
Erst nach, glaube ich, ungefähr vier Stunden, kam der operierende Arzt zu mir und erklärte, daß er beim Öffnen des Nabelbruchs ein noch größeres Loch darüber gefunden hatte. Hätten wir mit der OP länger gewartet, wäre wahrscheinlich die letzte schmale Abgrenzung zwischen den Löchern geplatzt, und er hätte große Schwierigkeiten gehabt, es zu schließen.
Wieder Glück im Unglück! Ich traf die richtige Entscheidung, aber die Stunden, die vergingen, während ich alleine draußen auf dem Flur vor den OP-Türen wartete, und es zunehmend schlimmer wurde, nachdem ich wußte, daß etwas nicht mehr stimmte, waren die „Hölle“.