Читать книгу Alles Alltag - Sascha Wittmann - Страница 12

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A star is born

Die Mama hat gesagt, heuer zu Weihnachten bekommen wir etwas ganz Besonderes. Es wird vielleicht nicht genau am Weihnachtsabend da sein, sondern erst ein bisschen später. Es kann aber auch sein, dass es ein paar Tage früher kommt. Jedenfalls wird es ein besonderes Fest. Und darum habe ich schon am Tag vor dem Heiligen Abend mein schönes rosa Kleid angezogen und habe den ganzen Tag gewartet. Aber es ist nichts passiert. Mama und Papa waren so aufgeregt. Mama hat sich ihren dicken Bauch gehalten, und Papa hat sie dauernd gefragt, ob es schon losgeht. Die Oma war schon seit ein paar Tagen da. Sonst kommt sie immer erst am Weihnachtsabend. Sie hat gekocht und den Christbaum aufgeputzt. Ich habe nicht mehr ins Wohnzimmer dürfen. Die Erwachsenen glauben immer noch, dass ich keine Ahnung habe, wer den Christbaum kauft und schmückt.

Dabei weiß doch jedes Kind, dass man den Baum ganz besonders schön mit vielen Kerzen machen muss, damit das Christkind in die Wohnung findet und die Geschenke darunterlegen kann. Das hat uns die Tante Evelyne erzählt. Wir haben im Kindergarten nämlich auch einen Christbaum, vor ein paar Tagen war der auf einmal in der Eingangshalle. Er ist schon schön geschmückt, aber ohne Kerzen. Wir haben die Tante gleich gefragt, ob das Christkind auch im Kindergarten Geschenke bringt und den Baum vorher hergestellt hat. Die Tante hat gelacht und uns dann erklärt, wie das mit dem Baum und den Geschenken funktioniert. In der Halle steht der Baum nur, damit wir uns daran erinnern, dass bald Weihnachten ist. Und Kerzen braucht er keine, weil das Christkind am Heiligen Abend nicht hereinfinden muss. Dann sind wir doch alle zu Hause.

Bei uns hat es auch noch keine Geschenke gegeben. Die Kerzen waren ja nicht angezündet. Nur im Schlafzimmer von Mama und Papa ist seit ein paar Tagen etwas Neues gestanden: ein Gitterbett. Da wird mein kleiner Bruder drinnen schlafen.

Dass der noch im Bauch von der Mama ist, aber bald raus kommt, haben die Eltern mir schon vor Wochen erklärt. Nur kann man nicht so genau sagen, wann das sein wird. Ich habe mich auf das Baby gefreut, weil ich dann auch zu Hause jemanden zum Spielen habe. Die Eva-Sophie aus meiner Gruppe hat eine kleine Schwester bekommen. Sie sagt, das ist wie mit einer Puppe, nur dass sie halt manchmal total laut schreit.

Unser Bub wird Emil heißen. Ich war ja für Bob wie Spongebob, aber das hat den Eltern nicht gefallen. Die Oma war sogar ganz böse, woher ich den Namen kenne. Richtig gestritten hat sie mit der Mama, was sie mich für einen Blödsinn im Fernsehen anschauen lässt. Dabei kennen das bei uns im Kindergarten alle.

Na, jedenfalls sind Mama und Papa dann weggefahren. Einen kleinen Koffer haben sie mitgenommen. Sie waren so nervös, und niemand hat mitbekommen, dass ich immer noch das rosa Kleid angehabt habe und dass es einen Marmeladefleck am Rock gehabt hat. Ich habe so gehofft, dass Emil schon am Weihnachtsabend da ist, damit er am ersten Abend bei uns das Christkind erlebt. Zum Glück weiß das Christkind ja alles. Es wird sicher auch Geschenke für unser Baby bringen, sonst ist es traurig.

Die Oma hat mich länger aufbleiben lassen, damit ich nicht versäume, wenn das Christkind kommt – oder mein neuer Bruder. Ich habe sogar mit ihr fernsehen dürfen, aber der Film, den sie geschaut hat, war fad. Dauernd haben Männer und Frauen gestritten und sich dann geküsst. Dabei sind sie entweder auf Pferdeweiden gestanden oder am Meer. Die Pferde waren schön, braun oder schwarz und viel größer als die vom Ponyhof, wo wir manchmal mit dem Kindergarten hingehen. Nur ist fast nie jemand auf ihnen geritten. Baden war auch niemand. Wahrscheinlich ist das Wasser zu kalt. Nur zum Anschauen. Fad halt. Ich habe nicht umschalten dürfen. Die Oma hat gesagt, sonst laufen nur Krimis. Die sind zu brutal für mich.

Auf der Couch bin ich dann doch eingeschlafen. Ich bin erst aufgewacht, wie Omas Handy geläutet hat. Sie war ganz aufgeregt und hat viel gelacht. Dann hat sie gesagt, dass der kleine Emil schon da ist, aber noch im Spital. Morgen werden Mama und Papa ihn mitbringen. Dann hat sie mich ins Bett geschickt, weil das Christkind jetzt sicher nicht mehr kommt. Es wartet nämlich, bis auch Emil zu Hause ist. Die Geschenke bringt es heuer also einen Tag später.

Obwohl ich so lang aufgeblieben bin, war ich in der Früh total zeitig auf, damit ich ja nicht versäume, wenn Emil kommt. Es ist aber lang nichts passiert. Die Oma hat aufgeräumt und eine Suppe gekocht. Zu Mittag hat es nur Brote gegeben. Die Suppe ist für die Mama, hat die Oma gesagt, weil die jetzt etwas Kräftigendes braucht. Dann habe ich wieder fernsehen dürfen. Die Oma hat zwar immer wieder den Kopf darüber geschüttelt, was für ein Dreck im Kinderprogramm läuft, nicht die netten Filme, die sie mit der Mama früher geschaut hat, wie die Mama noch ein Kind war. Aber sie war so mit dem Herrichten für unseren Emil beschäftigt, dass sie mich meistens in Ruhe gelassen hat.

Kurz nach dem Mittagessen sind dann Mama und Papa mit meinem kleinen Bruder gekommen. Ich habe mich so gefreut und wollte ihm sogar das Weihnachtslied vorsingen, das wir im Kindergarten gelernt haben, aber sie haben gesagt, ich soll ruhig sein, damit er nicht aufwacht. Auch das Bild, das ich schon letzte Woche für ihn gemalt habe, habe ich ihm nicht geben dürfen. Dabei ist er da schon drauf, mit Mama und Papa und mir unter dem Christbaum. Mama ist mit Emil sofort ins Schlafzimmer und hat sich niedergelegt. Der Papa hat in der Küche Brote gegessen und der Oma vom Spital erzählt. Ich habe ihn gefragt, ob das Christkind nicht bald kommt, aber er hat mich fernsehen geschickt, damit er mit der Oma in Ruhe reden kann. Die Mama ist erst aufgestanden, da war es schon fast wieder dunkel.

Endlich hab ich zum kleinen Emil dürfen, aber nur kurz. Er hat überhaupt nicht wie eine Puppe ausgeschaut. Ganz rot war er, mit einem hässlichen Gesicht. Außerdem sind komische schwarze Haare von seinem Kopf weggestanden. Angreifen hab ich ihn nicht dürfen, sonst schreit er. Das war fad. Die Erwachsenen waren total begeistert von ihm.

Dann hat es die Suppe mit Fleisch, Nudeln und Gemüse drin gegeben. Ich wollte wissen, ob nachher das Christkind endlich kommt, wenn doch jetzt alle da sind. Die Oma hat gesagt, ich soll aufhören, nur an die Geschenke zu denken. Jetzt gibt es etwas Wichtigeres, nämlich, dass es dem kleinen Emil und der Mama gutgeht und dass die jetzt viel Ruhe brauchen. Der Papa hat wenigstens gemeint, er wird später schauen, ob das Christkind kommen kann. Die Mama ist mit dem Baby gleich nach dem Essen wieder im Schlafzimmer verschwunden. Aber da sind sie nicht lange geblieben.

Der Emil hat nämlich begonnen, fürchterlich zu schreien. Die Mama und der Papa haben ihn abwechselnd durch die Wohnung getragen, aber er hat sich einfach nicht beruhigt. Ich hab nicht einmal fernsehen können, so laut war er. Wenn ich etwas gesagt habe oder gefragt, wie es jetzt mit dem Christkind weitergeht, hat mich einer von den Erwachsenen angefahren, ich soll ruhig sein, nicht auch noch nerven. Außerdem bin ich jetzt die Große und muss vernünftig sein. Endlich war der Emil dann ruhig. Ich hab schon Angst gehabt, er zerplatzt.

Und das Christkind haben sie wieder nicht gerufen. Mama und Papa waren ganz fertig und sind ins Bett gegangen, den Emil haben sie mitgenommen. Der Papa hat nur gesagt, dass das Christkind morgen schon noch kommen wird. Die Oma hat in der Küche aufgeräumt und mich dann schlafen geschickt. Sie hat nicht einmal geschaut, ob ich mir die Zähne richtig putze.

Ich habe aber nicht einschlafen können. Das Christkind ist ja noch immer nicht dagewesen, weil der Emil so geschrien hat. Ich hab Angst gehabt, dass es nicht mehr zu uns findet, weil es schon ganz weit weggeflogen ist. Bei den anderen war es doch schon am Abend vorher und bei den Engländern und Amerikanern heute in der Früh. Das hat uns auch die Tante Evelyne erzählt, dass das Christkind bei denen erst nach dem Heiligen Abend kommt. So teilt es sich die Arbeit auf. Aber dann muss es zu uns ja wieder zurückfliegen. Und da ist jetzt alles dunkel! Ich habe mir gedacht, es glaubt vielleicht, wir haben dieses Jahr auf seinen Besuch vergessen, weil sich alles um das neue Baby dreht oder wir brauchen es nicht mehr wegen dem Emil. Aber das stimmt ja nicht! Die Mama hat mir doch versprochen, dass ich heuer etwas ganz Besonderes bekomme.

Also bin ich wieder aufgestanden und ins Wohnzimmer geschlichen. Ich wollte doch dem Christkind den Weg zeigen. Die Kerzen am Baum habe ich nicht angezündet, das macht man ja erst, wenn es schon ganz in der Nähe ist. Die Zündhölzer sind neben dem Kerzenleuchter im Regal gelegen. Dort sind sie sonst nie. Die Mama versteckt sie immer, weil man damit nicht spielen darf. Ich habe nur die große, runde Kerze am Fensterbrett angezündet und den Kerzenständer zum anderen Fenster gestellt, damit das Christkind sieht, dass es noch gebraucht wird. Mir ist kein einziges Zündholz runter gefallen, und die Kerzen waren wirklich schön hell. Niemand hat mich bemerkt, wie ich wieder in mein Zimmer zurück bin. Mama und Papa haben die Schlafzimmertür zugehabt, und die Oma ist vor dem Fernseher eingeschlafen. Jetzt habe ich auch endlich schlafen können.

Dann hat mich ein fremder Mann aus dem Bett gerissen. Er hat ausgeschaut wie ein Außerirdischer mit dem Helm und der Maske vor dem Gesicht.

Mama, Papa, Oma und Emil sind jetzt wieder im Spital. Da war ich auch kurz. Der Doktor hat gesagt, dass ich großes Glück habe und dass es meinen Eltern hoffentlich bald besser gehen wird, aber bei meinem kleinen Bruder schaut es gar nicht gut aus. Die Eltern sind jetzt bei ihm. Ich muss in eine große Wohnung, wo noch ein paar andere Kinder wohnen, für die ihre Eltern auch gerade keine Zeit haben. Für wie lange hat mir niemand gesagt.

Aber wann kommt denn jetzt das Christkind?

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