Читать книгу Alles Alltag - Sascha Wittmann - Страница 17

Оглавление

Dunkelgrün

»Frau Haselsteiner! Frau Lina Haselsteiner!« Die Stimme des Richters überschlägt sich bei den letzten Silben. »Wir haben jetzt den zweiten Verhandlungstag, und Sie haben noch immer kein Wort gesagt. Das hier ist nicht das Fernsehen oder eine Theatervorstellung. Das ist ernst. Schließlich haben Sie sich einer schwerwiegenden Tat zu verantworten. Vorsätzliche Sachbeschädigung ist keine Kleinigkeit. Ich gebe also dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt und genehmige die Verlesung von Auszügen aus ihren Tagebüchern. Vielleicht bringt uns das ja Klarheit über den Tathergang und Ihr Motiv. Frau Staatsanwältin – bitte.«

17.03.

Ich habe mir ein Fahrrad gekauft. Gebraucht bei der Fahrradbörse. Es ist super in Schuss, einundzwanzig Gänge, vorne ein Korb für Einkäufe, Taschen für den Gepäckträger hat es gratis dazu gegeben. Warum das jemand weggegeben hat? Wenigstens ist es nicht im Müll gelandet. Es wird ja viel zu viel weggeworfen. Jedenfalls bin ich mit meinem neuen Rad gleich heimgefahren. Noch bin ich etwas unsicher, weil ich doch schon lange nicht mehr Rad gefahren bin. Und die Autofahrer sind wirklich total rücksichtslos. Einer hat mich sogar beschimpft, weil ich gegen die Einbahn gefahren bin. Dabei ist das doch erlaubt!

18.03.

Heute bin ich zum ersten Mal mit dem Rad in die Arbeit gefahren. Am Heimweg habe ich mir Radhandschuhe besorgt. Beim Bergauffahren kommt man ins Schwitzen, aber die Finger bleiben klamm.

Jetzt muss ich noch eine Entscheidung treffen: Was mache ich mit meinem Auto? Ich brauche es ja nicht mehr, weil ich nun umweltfreundlich mobil bin. Darf man ein Auto verkaufen? So bleibt es doch weiterhin in Gebrauch, nur dass halt jemand anders die Luft damit verpestet. Andererseits: Wenn ich es zum Verschrotten gebe, mache ich Abfall daraus. Ich muss mich in einer ruhigen Stunde darüber informieren, wie man gebrauchte Autos korrekt recycelt.

19.03.

Markus findet, dass ich verrückt bin und seit diesem Green-Life-Seminar im Waldviertel total durchdrehe. Nur weil ihm Nachhaltigkeit vollkommen egal ist. Er ist so ein Egoist. In den Urlaub fliegen – überhaupt kein Problem. Müllentsorgung – einfach alles ab in den Mistkübel. Bewusst Lebensmittel einkaufen schon. Das, was ihm schmeckt. Über die Produktionsbedingungen macht er sich keine Gedanken. Gut, dass wir nicht zusammenwohnen. In meinem Haushalt habe jedenfalls ich das Sagen. Da wird Müll getrennt und ein energiesparender Kühlschrank angeschafft. Da wird auf tierische Produkte weitgehend verzichtet und Rad gefahren.

20.03.

Im Büro machen sie immer wieder so komische Andeutungen. Dass man beim Radfahren ja schwitzt und dass man das riechen würde. Ich stinke doch nicht! Ich dusche jeden Tag. Im Sommer schwitzen auch alle. Sollen sie sich nur lustig machen über mich. Denen wird das Lachen noch vergehen, wenn immer mehr Menschen vernünftig geworden sind und wir den Ton angeben.

Nach der Arbeit Treffen der lokalen Green-Life-Gruppe. Endlich Menschen, die mich verstehen. Noch vor Ostern werden wir eine Aktion zur Eier-Lüge durchführen. Am Karfreitag werden wir in ganz Wien vor den Filialen der Bäckereiketten stehen, in Hühner-Kostümen und mit großen Bildtafeln. Denn es ist ja wirklich eine Frechheit, was da passiert. Bei uns wird sogar im Supermarkt jedes Ei aus Freiland- oder zumindest aus Bodenhaltung verkauft. Für die Backwarenindustrie wird Trockenei aus Polen importiert. Und wie die Hühner dort vegetieren, kann man sich ja vorstellen. Davon macht sich der normale Konsument überhaupt keinen Begriff. Da müssen wir aufrütteln.

21.03.

Jedes Mal, wenn ich den Müll rausbringe, das Gleiche: Altpapier im Restmüll, Plastik in der Bio-Tonne. Habe eine Müll-Anleitung ans schwarze Brett gehängt.

Markus will über Ostern in die Südsteiermark fahren. Aber da ist doch meine Demo. Er findet, dass ich mich zu sehr hineinsteigere und es ja wohl nicht meine Aufgabe sei, ganz alleine die Welt zu retten. Demo oder Mann?

22.03.

Jetzt habe ich die Janacek aus dem dritten Stock erwischt. Sie wirft ihre Küchenabfälle einfach in den Restmüll. Und frech ist sie auch noch geworden, als ich sie zur Rede gestellt habe. Ich soll mich nicht so aufspielen, der Mist werde bei den Stadtwerken ohnehin zusammengeschmissen. Sie verschwendet wertvolle Rohstoffe, und dann beschimpft sie mich auch noch!

Markus besteht auf den Osterurlaub. Er habe schließlich hart gearbeitet und sich eine kleine Auszeit verdient. Soll er doch alleine fahren. Eine kleine Beziehungspause tut uns sicher ganz gut.

23.03.

Das ist die Höhe. Ein Brief von der Hausverwaltung. Ich dürfe mein Rad nicht im Gang stehen lassen, weil es im Weg sei. Außerdem fühlen sich Hausparteien von mir belästigt, weil ich sie beim Mistwegtragen beobachte und kontrolliere, ob sie alles in die richtigen Tonnen werfen. So eine Frechheit! Gerade die Hausverwaltung sollte doch Interesse an korrekter Mülltrennung haben!

24.03.

So, jetzt werden sie nicht mehr über mich lachen! Es war zwar ziemlich viel Arbeit, und dreckig wird man dabei auch, aber es musste endlich einmal ein Exempel statuiert werden. Jeden Fetzen Papier habe ich aus dem Restmüll geklaubt, jedes Plastiksackerl aus der Biotonne und dem Altpapier. Wie viel Mist die Leute produzieren! Zuerst wollte ich den stinkenden Haufen einfach liegen lassen, aber es musste etwas Spektakuläres geschehen, damit sie es sich merken. Brennendes Plastik erzeugt wirklich einen ekeligen Geruch.

So, jetzt ab in die Dusche, dann gehen sich vor der Arbeit noch zwei Stunden Schlaf aus.

»Frau Haselsteiner, wollen Sie jetzt endlich etwas dazu sagen? Uns eine Erklärung geben?« Obwohl der Verhandlungssaal klimatisiert ist, zeigen sich erste Schweißtropfen auf der Stirn des Richters. »Nein? Noch immer nichts? Ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie da angerichtet haben? Nicht nur, dass die gesamte hofseitige Fassade erneuert werden muss. Sie haben Menschenleben in Gefahr gebracht. Wenn Frau Janacek nicht rechtzeitig aufgewacht wäre und nicht geistesgegenwärtig sofort die Feuerwehr gerufen hätte, nicht auszudenken, was hätte passieren können. Sie wollen weiterhin schweigen? Gut, dann ergeht hiermit folgendes Urteil: Sie kommen für den Schaden, den Sie verursacht haben, auf. Zusätzlich werden Sie zweihundert Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Und zwar beim Stadtgartenamt. Sie werden der Müllsammelbrigade zugeteilt. Frau Staatsanwältin, Herr Verteidiger, nehmen Sie dieses Urteil an? Ja – somit ist es also rechtskräftig!«

Alles Alltag

Подняться наверх