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Sprachfrust

»Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie nicht nur Gemüse raspeln. Nein, meine Damen, Sie können auch wunderschöne Blüten aus Karotten und Gurken für Ihr exquisites Party-Buffet schnitzen. Aber das ist noch nicht alles: Sehen Sie, mit einem Handgriff habe ich diesen praktischen Aufsatz montiert. Und jetzt kann ich mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider Nüsse mahlen, aber auch Käse oder Schokolade. Und wenn ich diesen Einsatz zusätzlich verwende, dann kann ich sogar Mohn oder Kaffee mahlen. Sie sehen, der Ehrmann-Multifunktionsschneider erspart Ihnen eine Menge verschiedener Haushaltsgeräte und damit Platz in Ihrer Küche. Aber nicht nur das. Der Ehrmann-Multifunktionsschneider funktioniert ganz ohne elektrischen Strom. Damit erspart er Ihnen auch eine Menge Geld, gerade in Zeiten, in denen ohnehin alles immer teurer wird. Mit seiner ausgeklügelten Mechanik ist er ganz einfach zu bedienen. Die Kurbeln laufen butterweich. Kommen Sie nur näher, meine Damen, überzeugen Sie sich selbst von der überragenden Qualität des Ehrmann-Multifunktionsschneiders. Kommen Sie!« … »Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie …«

Um Punkt neunzehn Uhr kommt Klaus Bachmüller in das Weinhaus Schnabel. Wie jeden Tag stellt er sich an die Schank. Schon nach fünf Minuten stellt der Wirt ein frisch gezapftes Krügel Bier vor ihn hin. Es wird nicht gesprochen. Klaus Bachmüller starrt vor sich auf die Schank. Die zwei, drei anderen Männer im Raum, alles Marktstandler, plaudern miteinander über den Arbeitstag, die Kinder, die Frauen. Der Wirt kennt sämtliche Lebensgeschichten. Ab und zu gibt er einen Rat, sagt ein paar aufmunternde Worte. Klaus Bachmüller trinkt sein Bier aus, legt das Geld auf die Schank und verlässt das Lokal.

Die paar Schritte bis zu seiner Wohnung geht er zu Fuß. Die Wohnung ist klein und recht kahl. Nur auf dem Fernsehapparat steht das gerahmte Foto seiner Tochter, er trifft sie einmal im Monat. Auf dem Foto ist das Mädchen ungefähr fünf Jahre, jetzt ist sie schon doppelt so alt. Den Fernsehapparat schaltet Klaus Bachmüller nur ein, wenn seine Tochter da ist.

Aus der Küche holt er sich Semmeln und Aufstrich, die er vor der Arbeit besorgt hat, einen Teller und ein Messer. Er isst drei oder vier Aufstrichsemmeln. Das Geschirr wäscht er sofort nach dem Essen ab. Dann trinkt er sein Bier aus der Flasche. Drei bis vier pro Abend. Er starrt an die Wand. In der Wohnung ist alles still, den Straßenlärm hört man nur sehr gedämpft herein.

»Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie nicht nur Gemüse raspeln. Nein, meine Damen, Sie können auch wunderschöne Blüten aus Karotten und Gurken für Ihr exquisites Party-Buffet schnitzen. Aber das ist noch nicht alles: Sehen Sie, mit einem Handgriff habe ich diesen praktischen Aufsatz montiert. Und jetzt kann ich mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider Nüsse mahlen, aber auch Käse oder Schokolade. Und wenn ich diesen Einsatz zusätzlich verwende, dann kann ich sogar Mohn oder Kaffee mahlen. Sie sehen, der Ehrmann-Multifunktionsschneider erspart Ihnen eine Menge verschiedener Haushaltsgeräte und damit Platz in Ihrer Küche. Aber nicht nur das. Der Ehrmann-Multifunktionsschneider funktioniert ganz ohne elektrischen Strom. Damit erspart er Ihnen auch eine Menge Geld, gerade in Zeiten, in denen ohnehin alles immer teurer wird. Mit seiner ausgeklügelten Mechanik ist er ganz einfach zu bedienen. Die Kurbeln laufen wie geschmiert …«

Klaus Bachmüller hat ein anderes Wort verwendet.

Seit fünf Jahren steht Klaus Bachmüller jeden Werktag von neun Uhr in der Früh bis um sechs Uhr am Abend am Marktplatz und preist den Ehrmann-Multifunktionsschneider an. Für jedes verkaufte Gerät bekommt er eine Provision. Bei der Einschulung am ersten Arbeitstag hat man ihm den Werbetext ausgehändigt. Er hat ihn über Nacht auswendig gelernt und nicht ein einziges Wort daran geändert. Aber heute …

Pünktlich um achtzehn Uhr bringt Klaus Bachmüller, wie immer, die Geräte und den Präsentationstisch in sein Lager hinter den Marktständen. Sorgfältig putzt er den Tisch und das Vorführgerät. Das Gemüse und die übrigen Lebensmittel wirft er in den Kompost-Sammelbehälter.

Um Punkt neunzehn Uhr steht er an der Schank des Weinhauses Schnabel. Alles wie gewohnt. Als Klaus Bachmüller das Geld für sein Bier auf die Schank gelegt hat und in Richtung Ausgang geht, nickt er dem Wirt zum Abschied zu. Wieso das? Schon wieder eine Veränderung. Klaus Bachmüller wundert sich über sich selbst.

Der Rest des Abends verläuft wie üblich, sodass er in der Früh beruhigt aufwacht.

»Mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider können Sie nicht nur Gemüse raspeln. Nein, meine Damen, Sie können auch wunderschöne Blüten aus Karotten und Gurken für Ihr exquisites Party-Buffet schnitzen. Aber das ist noch nicht alles: Sehen Sie, mit einem Handgriff habe ich diesen praktischen Aufsatz montiert. Und jetzt kann ich mit dem Ehrmann-Multifunktionsschneider Nüsse mahlen, aber auch Käse oder Schokolade. Und wenn ich diesen Einsatz zusätzlich verwende, dann kann ich sogar Mohn oder Kaffee mahlen. Sie sehen, der Ehrmann-Multifunktionsschneider erspart Ihnen eine Menge verschiedener Haushaltsgeräte. So haben Sie gleich viel mehr Platz in ihrer Küche …«

Schon wieder eine neue Formulierung. Was ist los mit Klaus Bachmüller?

Im Weinhaus Schnabel sitzen die üblichen Gäste. Auch die Unterhaltung geht ihren gewohnten Gang. Als Klaus Bachmüller ausgetrunken hat, legt er das Geld auf die Schank. Bevor er geht, sagt er zum Wirt leise: »Danke«.

Am Heimweg denkt er darüber nach, was mit ihm gerade passiert. Zu Hause streicht er wie immer seine Semmeln. Alles wie gewohnt. Aber diese Versprecher. Und im Weinhaus. Wäre es möglich, dass sich auch andere Dinge veränderten? Wäre es gut, wenn sich sein Leben verändern würde? War er bisher unzufrieden? Kann er die Veränderung überhaupt aufhalten? Und wenn Veränderung, wie sollte es nachher sein? Wenn alles in Bewegung ist, kann man dann planen, wie das Ergebnis sein wird? Wie hoch ist das Risiko? Kann überhaupt alles bleiben, wie es ist, oder hat er nicht schon längst die Kontrolle verloren?

»Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herrn. Sie schauen mich verdattert an. Das kann ich gut verstehen. Seit fünf Jahren preise ich Ihnen diese Küchenmaschine an. Seit fünf Jahren beginne ich um neun Uhr in der Früh mit meinem Text und höre um sechs Uhr am Abend auf. Ich sage immer genau dieselben Worte in genau derselben Reihenfolge und mit derselben Betonung. Sie hören mir nicht wirklich zu. Und ich kann es Ihnen nicht verdenken. Sie hören ja auch seit fünf Jahren dasselbe. Selten bleibt jemand stehen und schaut sich die Küchenmaschine an. Ein paar habe ich immerhin verkauft.

Aber jetzt will ich nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich halte jeden Tag dieselbe Rede, zu jeder Viertelstunde. Ich spreche nie mit jemandem, ich spreche zu allen. So kann ich nicht weitermachen. Ich will wieder mit Menschen sprechen. Ich will ihnen zuhören.

Es tut mir sehr leid, meine Damen und Herrn, der Stand ist ab sofort geschlossen. Ich verabschiede mich von Ihnen. Sie können Ihre Küchenmaschinen genauso gut in einem Haushaltswarengeschäft kaufen. Was ich tun werde, weiß ich noch nicht. Ich werde jetzt mit jemandem darüber reden.«

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