Читать книгу Alles Alltag - Sascha Wittmann - Страница 9
ОглавлениеSüdseeträume
»Was hast du denn da für ein Blattl, Vroni?«
Michl Schwarzmauer schiebt die Lesebrille von der Stirn auf die Nase, greift nach der bunten Illustrierten.
»Das? Das ist die Hallo in Stadt und Land.«
Vroni Schwarzmauer räumt weiter Häferl, Untertassen und Frühstücksteller in den Geschirrspüler.
»Für so einen Dreck gibst du Geld aus?«
»Eh nicht. Das hat mir die Anni im »Gut und Billig« so mitgegeben. Ist eine Probenummer.«
»Und wozu brauchen wir das?«
Vroni schaltet den Geschirrspüler ein, wäscht sich die Hände, zieht einen Block aus der Tischlade und setzt sich ihrem Mann gegenüber.
»Schau, Michl, ich hab mir da so Gedanken gemacht wegen der Zimmervermietung«, beginnt sie. Und dann erklärt sie, warum sich nun alles ändern werde und müsse. »Wir haben doch jetzt den Hof unserem Michi übergeben. Aber das heißt ja nicht, dass wir das Zimmervermieten aufgeben. Der Michi zieht ohnehin bald aus, wenn das neue Haus für ihn und seine Hanna fertig ist.«
»Ja, aber was hat das mit diesem Blattl zu tun?«
»Langsam, Michl. Der Bub will doch nicht nur ein neues Wohnhaus bauen, sondern vor allem diesen vollautomatisierten Stall für fünfzig Milchkühe. Er will halt richtig Geld machen. Beim Land haben sie ihm schon gesagt, dass die Förderung praktisch durch ist, wenn er gleich im nächsten Jänner ansucht. Jetzt im Mai ist das ganze Geld schon verplant. Das heißt aber, dass wir nächstes Jahr im Sommer hier eine riesige Baustelle haben. Das kann man doch den Gästen nicht zumuten.«
»Ja, ja, ich kann mich noch erinnern, wie wir sogar den Hahn haben weggeben müssen, weil er den einen Wiener immer um fünf in der Früh aufgeweckt hat und der dann nicht mehr hat einschlafen können. Aber was hast du denn vor? Machen wir halt einfach für ein Jahr zu.«
»Daran hab ich auch schon gedacht«, erwidert Vroni. Aber das sei alles nicht so einfach. Dass man die Stammgäste vielleicht halten könne, wenn man ihnen für das folgende Jahr ein Spezialangebot mache. Sicher sei das nicht. Und außerdem: »Wenn erst einmal der neue Stall dasteht, dann ist das hier nicht mehr der Bauernhof, den sich die Leute vorstellen. Da gibts dann keine kleinen Kalberln zum Streicheln mehr, keine Kühe mit dicken Eutern auf der Wiese hinter dem Haus, keinen großen Stier, vor dem sich die Kinder ein bisschen fürchten können. So ein Stall schaut doch aus wie eine Fabrik. Das Futter kommt automatisch über eine Rutsche rein. Wenn einer Kuh das Euter weh tut, geht sie in die Melkstation, und die Milch fließt dann gleich in den Tank. Der Mist fällt direkt in die Güllegrube. Und vor allem: Hinter dem Haus gibts dann einen Lagerplatz für die Silage-Ballen statt der Wiese mit den Obstbäumen. Alles total hygienisch und computergesteuert. Ich glaub, unser Michi weiß schon, was er tut. Nur für unsere Gäste ist das nichts. Da kann das kleine Mädchen nicht mehr melken üben. Die Aussicht ist verdorben. Fabriken haben sie in der Stadt auch genug.«
»Da hast du schon recht, Vroni, aber was willst du jetzt tun? Und vor allem: Warum brauchst du dieses Heftl dazu?«
Vroni blättert im Block mit ihren Notizen, schlägt die Illustrierte auf. »Schau, Michl, das ist es, was die Leute aus der Stadt wollen.« Sie deutet auf das Foto eines blumengeschmückten Holzhauses, das von alten Bäumen umstanden ist, im Hintergrund Berggipfel. »Diese Illustrierte verkauft sich total gut, sagt die Anni. Berichte vom heilen Leben am Land, schöne Bilder, bäuerliche Kochrezepte. Das wollen die Leute.«
»Ja, aber was sollen wir …?«
»Wir haben doch noch die Hütte oben auf der Burglehen-Alm.«
»Vroni, du spinnst! Da war doch schon seit Jahren keiner oben. Es gibt keinen Strom, nur den Brunnen vor der Hütte und das Plumpsklo. Hier im Haus haben wir in jedes Zimmer ein eigenes Bad einbauen müssen, da willst du die Touristen auf die Alm schicken?«
Vroni steht auf, um den Laptop von der Kredenz zu holen. »Ich habe mich natürlich schon ein bisserl umgeschaut. Da, auf dieser Seite kannst du Hütten buchen. Siehst du die Preise? Und die haben auch keinen Luxus. Ganz im Gegenteil: Die da gehört zum Beispiel dem Lehner-Ferdl, kannst dich sicher noch an ihn erinnern, der uns damals das kranke Kalb verkauft hat. Kein Strom, kein Wasser, kein See weit und breit, aber schon für den ganzen Sommer ausgebucht, sogar für die Weihnachtsferien, obwohl man da nicht einmal Skifahren kann.«
»Die Leute spinnen aber wirklich, wenn sie sich im Urlaub das antun. Aber bitte. Und wie stellst du dir das jetzt mit unserer Hütte vor?«
Vroni blättert in ihren Notizen. Sie habe alles schon geplant. In diesem Sommer könnten die Gäste noch im alten Hof wohnen. Währenddessen würde die Almhütte hergerichtet werden. Michl würde ein paar Fotos machen und die Hütte bei der Vermietungsplattform anmelden. Im Frühling würde man drei oder vier Kälber kaufen, damit die Kinder etwas zum Schauen und Streicheln haben. Kälber machten keine Arbeit, weil sie oben ohnehin genug zum Fressen finden, ausmisten brauche man auch nicht. Man müsse den Touristen ja nicht sagen, dass die Kälber im Herbst zum Schlachter kommen und nicht im warmen Stall den Winter verbringen. Und sie habe sich auch schon etwas Spezielles für die neuen Gäste überlegt: »Ganz einfach. Jeden Tag zur ausgemachten Zeit bringt der Huber-Franzl ein Frühstück hinauf, bäuerliche Produkte und so.«
»Was für Produkte? Wir haben doch gar keine …«
Aber Vroni hat an alles gedacht. Natürlich würde sie Butter, Käse, Speck, Brot, Eier und Milch im Supermarkt kaufen, auspacken und nett herrichten. Die Eier kämen in ein mit Stroh ausgelegtes Körberl, die Butter würde in das alte Model geschmiert, das Brot in ein kariertes Hangerl eingeschlagen. »Der Huber-Franzl kommt jeden Tag in der Früh bei uns vorbei, holt die Sachen und tragt sie in der Kraxn hinauf. Im Winter kann er mit der Rodel zurückfahren. Ich habe schon mit seinem Vater geredet wegen des Lohns und dass er auf die Kalberln schauen muss.« Der alte Huber sei sofort einverstanden gewesen, weil er sonst für den Buben ohnehin keine Arbeit finde und der den ganzen Tag nur vor dem Haus sitze und die Leute blöd anrede. »Da haben wir gleich noch einen Pluspunkt: Bei uns am Land sind alle in die Gesellschaft integriert, sogar, wenn einer nicht ganz richtig im Kopf ist. Und das kostet uns nur fünfzig Euro pro Woche«
»Vroni, das klingt alles total kompliziert. Du hast schon recht, dass die Gäste nicht mehr am Hof werden wohnen wollen. Aber warum lassen wir die Vermieterei dann nicht sein?«
»Wir vermieten doch schon seit dreißig Jahren. Und grad jetzt, wo wir in Pension sind, ist das kein schlechtes Zubrot. Man weiß ja nie. In Zeiten wie diesen …«
»Geh, Vroni, wir haben doch beide ganz schöne Pensionen. Wir müssen nicht unbedingt was dazuverdienen. Und außerdem habe ich mir auch schon was überlegt.« Michl lächelt, steht auf und holt vom Zeitungsstapel auf der Truhe im Vorraum den Prospekt von »Gut und Billig«. Er schlägt ihn auf einer der letzten Seiten auf. Drei Wochen Karibik-Kreuzfahrt. All inclusive.
»Was sollen denn wir zwei in der Karibik? Da ist es heiß. Und die Krankheiten, die man sich einfangt. Erinner dich an den alten Burglehner, wie er geglaubt hat, dass er unbedingt nach Ägypten muss. Dann ist er sechs Wochen gelegen.«
»Der hat sich beim Tauchen an irgend so einer Koralle verletzt. Das hat sich dann entzündet. Aber so was machen wir ja nicht.«
»Außerdem ist es in der Karibik fad. Nur Meer und Sandstrand. Schlafen kann ich zu Hause auch.«
»Stimmt ja gar nicht. Am Schiff gibts jeden Tag ein Unterhaltungsprogramm. Einmal treten sogar die Waldkogler-Buam auf. Und schau da: Am vierten Tag machen die einen Ausflug auf einen Berg durch den Urwald. Oben ist ein total ursprüngliches Dorf. Die Einheimischen dort haben fast noch nie Fremde gesehen. Die werden für uns traditionelle Tänze aufführen und typische Eintöpfe kochen.«
»Naja, das klingt schon recht interessant. So eine ganz fremde Kultur. Vielleicht sollten wir das wirklich einmal probieren. Verdient hätten wirs uns. Aber im Herbst reden wir noch einmal über die Hütte. Die ist schließlich eine Goldgrube.«