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1.4 4:33 FORECHECK

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Zwei Spieler bedrängen David Wolf an der blauen Linie. Ein Puckverlust würde mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Torchance für die Olympischen Athleten aus Russland führen. Wolf schießt den Puck deshalb die Bande entlang aus dem eigenen ins gegnerische Drittel. Marcel Goc und Patrick Reimer preschen der Scheibe hinterher, geben Ilya Kablukov keine Chance, den Puck kontrolliert und ruhig anzunehmen.

Reimer bedrängt den Russen, schlägt ihm kontrolliert auf die dicke Hose, verfolgt ihn hinter das Tor, zieht den Schläger gerade rechtzeitig wieder zurück, bevor ein Schiedsrichter die Chance hat, den Arm zu heben. Als Kablukov den Puck ablegt, dreht auch Reimer ab, um Yegor Yakovlev zu nerven, er zwingt den Verteidiger, die Scheibe die Bande entlang aus dem Drittel zu chippen. An der Mittellinie wartet bereits David Wolf, der den Puck Marcel Goc in den Lauf legt.

Gilbert Perreault hat keinen Stanley Cup gewonnen, er hat am Canada Cup teilgenommen, dabei aber kein Tor geschossen, das man in Kanada je vergessen wird – vor dem Halbfinale brach er sich den Unterschenkel. Er hatte mit Marcel Dionne und Guy Lafleur die ganz große Bühne betreten, der Zufall aber verkaufte ihn nach Buffalo, eine Stadt, in der selbst die größten Superstars vergessen werden. Er war the Forgotten Frenchman, der Franko-Kanadier, den man vergessen hatte. Dabei hatte er wirklich alles, Tempo, Eleganz, Spielintelligenz – und Humor. Perreault wurde nach den drei wichtigsten Elementen seines Sports gefragt. Er anwortete: „The forecheck, the backcheck and the pay check“ – der Forecheck, der Backcheck und der Gehaltsscheck.

Für eines dieser Wörter gibt es eine deutsche Übersetzung, aber den Forecheck und seinen spießigen Bruder, den Backcheck, haben selbst die Fußballer entlehnt, weil „Pressing“ nicht so sexy klingt und sich unter „Angriffsverteidigung“ niemand etwas vorstellen kann. Wobei der deutsche Begriff am treffendsten ist. Der Forecheck ist schließlich genau das: ein Angriff ohne Puckbesitz. Und im besten Fall folgt er sofort auf den Angriff mit Puckbesitz. Ein guter Angreifer, heißt es, plant seinen Forecheck in dem Moment, in dem er geschossen hat.

Das ist der Vorteil des Stürmers, der Verteidiger muss sich im Normalfall drehen, die Situation scannen: Hält der Torhüter den Puck? Lässt er ihn prallen? Und wenn ja, wohin? Das ist der Moment, in dem der Angreifer den Verteidiger unter Druck setzt, ihn in die Ecke drängt, seine Passoptionen limitiert. Beim Forecheck geht es gar nicht zwangsläufig darum, sofort den Puck zurückzuerobern, es geht auch darum, dem Gegner die Möglichkeiten zu nehmen, ihn zu einem Fehlpass oder zumindest zu einem schlechten Pass zu zwingen.

Es gibt Spieler, die den Forecheck im Wortsinn interpretieren, die den Verteidiger tatsächlich checken. Das muss aber nicht unbedingt der beste Weg sein, um an den Puck zu kommen. Ein technisch versierter Spieler befreit sich aus solchen Situationen. Nur was ist, wenn sich ihm keine offenen Passwege bieten? Dann hat die forecheckende Mannschaft alles richtig gemacht.

Der Ein-Mann-Forecheck sieht oft sehr gut aus, Spieler verdienen sich Fleißpunkte. Effektiv aber ist er nicht – und schon gar nicht effizient. Einen Forechecker spielen selbst mittelmäßig begabte Mannschaften leicht aus, lassen ihn zuvor aber noch ein bisschen laufen. Wirkungsvoll wird der Einsatz eines Stürmers tief im gegnerischen Drittel erst, wenn er Unterstützung erhält – nicht nur von einem, sondern von allen vier Kollegen.

Bei einem klassischen 2-1-2-Forecheck nimmt der tiefe Stürmer Kontakt auf (was eine nette Umschreibung ist für: er nagelt seinen Gegner an die Bande) und ein zweiter Angreifer lauert darauf, den Puck aufzunehmen, während sich der dritte bereits in Position für ein Anspiel bringt. Im Falle eines Passes setzt ein Angreifer den Passempfänger unter Druck, ein anderer übernimmt den Puck und der dritte wartet erneut in einer aussichtsreichen Schussposition auf den Pass. Die beiden Verteidiger hoffen derweil an der blauen Linie auf Panikreaktionen oder Fehlpässe.

Ein 1-2-2-Forecheck ist nicht ganz so aggressiv, der zweite Angreifer lauert eher auf einen Fehlpass als auf einen Puckgewinn des ersten Stürmers.

Und dann gibt es noch den 1-3-1-Forecheck, der zum langweiligsten Drittel in der Geschichte des Eishockeys geführt hat. Unter der Anleitung von Coach Guy Boucher versuchte sich der Tampa Bay Lightning 2012 an einer Art Nicht-Forecheck. Ein Stürmer hatte die undankbare Aufgabe, sich in der Mitte der gegnerischen blauen Linie zu postieren. An der roten Mittellinie warteten dahinter drei Kollegen, einer sicherte an der eigenen blauen Linie, obwohl es ohnehin keine Mannschaft durch diese Falle geschafft hätte. Die Philadelphia Flyers wussten von dieser Taktik und hatten sich vorbereitet. Und als sich der erloschene Lightning postierte, stellten die Flyers-Verteidiger die Vorwärtsbewegung ein.

Zunächst bewegte sich niemand mehr auf dem Eis, woraufhin die Schiedsrichter abpfiffen. Beim zweiten Versuch kreiselte ein Verteidiger unter den Pfiffen der Fans ein wenig im eigenen Drittel umher. Wieder pfiffen die Schiedsrichter ab. Beim dritten Mal passten sich die Verteidiger den Puck gegenseitig zu, aber erneut ohne jeglichen Raumgewinn. Der erste Stürmer der Lightning sollte aber erst angreifen, wenn die Scheibe über die blaue Linie geführt wurde. Und so tat sich gar nichts, womit sogar die Schiedsrichter überfordert waren. „Immerhin konnte man nicht einschlafen“, stellte Eishockeyfan Dolly Reynolds fest, „dazu waren die Buhrufe viel zu laut.“ Andere Fans glaubten, Tickets für ein Fußballspiel gekauft zu haben, so sehr langweilte sie das Geschehen.

Aber es blieb bei dieser kurzen Episode in der Geschichte des Sports, die Vorwärtsverteidigung definiert Eishockey. Seitdem gilt wieder: Forecheck, Backcheck, Paycheck.

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