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1.7 19:59 SCHLAGSCHUSS

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Sinan Akdag sichert den Puck hinter dem Tor, passt nach links hinaus auf Yasin Ehliz. Der Außenstürmer braucht den Bruchteil einer Sekunde zu lange, um die Scheibe anzunehmen, sein Versuch, sie an seinem Gegenspieler vorbeizulegen, scheitert. Pavel Datsyuk klaut den Puck, legt ihn durch zwei Deutsche ab auf Nikita Gusev. Aber auch den Russen scheint keine überlegte Aktion mehr zu gelingen, die Zeit läuft ab.

Dann sichert aber Kirill Kaprizov den Puck noch einmal hinter dem Tor, den klammernden Ehliz schüttelt er ab, spielt auf Gusev, der dreht sich und bringt 2,9 Sekunden vor dem Ende des ersten Drittels Vyacheslav Voynov ins Spiel. Der Verteidiger zieht auf – noch 1,2 Sekunden – und trifft aus zentraler Position perfekt gegen die Rutschrichtung von Torhüter Danny aus den Birken links halbhoch ins Tor. 0:1. Die Uhr bleibt bei 0,5 Sekunden stehen.

Al Pacino wollte die Rolle. Al Pacino konnte aber nicht Schlittschuh laufen. Und an anderen Qualitäten war George Roy Hill nicht interessiert. Paul Newman konnte Schlittschuh laufen, also bekam er die Rolle. Eigentlich aber war es dem Regisseur einerlei, wer die Rolle von Reggie Dunlop übernahm. Die Figur war so stark, jeder hätte sie spielen können. Er musste nur Schlittschuh laufen können. Tatsächlich ist Newman nicht der Grund, warum der 123-Minüter über die Charlestown Chiefs als einer der besten Sportfilme gilt, als bester Eishockeyfilm sowieso (auch wenn die Konkurrenz im Fiktionalen nicht allzu groß ist) und als der Film, der so sehr 1970er-Jahre ist, wie kaum ein anderer.

Die drei Figuren, an die man sich immer erinnern wird, trugen dicke Hornbrillen und alle den Namen Hanson auf ihren Trikots, ihre Sprüche können Generationen von Eishockeyfans auf der ganzen Welt herunterbeten wie andere das Vater Unser. In einem Film über Eishockey, ein bisschen Sex, ein bisschen Gesellschaftskritik, den häufigen Gebrauch des Four-Letter-Words (nein, nicht „Love“) und sehr viel Gewalt waren die Hanson Brothers die Stars (dass zwei der drei Darsteller tatsächlich miteinander verwandt waren, allerdings Carlson hießen, soll hier der Vollständigkeit halber erwähnt werden).

Um den Schlagschuss, dieses immer wiederkehrende Element eines jeden Eishockeyspiels, ging es allenfalls am Rande. Ganz erstaunlich für einen Film, der Slap Shot heißt.

Mit dem Schlagschuss werden im Eishockey die meisten Tore erzielt, so stellt man sich das vor, wenn man nie ein Eishockeyspiel sieht. Brachial, schnell, unwiderstehlich – so sieht es aus, wenn ein Eishockeyriese seinen Schläger nach hinten schwingt, voll durchzieht und den Puck unter die Latte schweißt. Aber der Schlagschuss ist eine bedrohte Art. Das Spiel ist zu schnell für ihn geworden.

Vor allem aber passt der Schlagschuss nicht mehr zur Spielweise von Elias Petterson, Johnny Gaudreau oder Connor McDavid, die ihr Spiel über Schnelligkeit definieren und über schnelle Entscheidungen. Und er passt auch nicht mehr zu den jungen Verteidigern, die aufgrund ihrer Größe und ihres Gewichts lange Jahre noch nicht einmal die Chance bekommen hätten, sich auf höchstem Niveau auszuzeichnen, die das Spiel mittlerweile aber noch einmal von hinten heraus beschleunigen dürfen.

Der Finne Patrik Laine, noch ein Vertreter der neuen Weltklasse, hat den Schlagschuss noch in seinem Repertoire. Bekannt aber ist er für die Schnelligkeit seines Abzugs – einerlei, in welcher Situation, gleichgültig, wie viel Zeit und Platz er dafür hat. „Seine Schüsse sind Kunst“, sagte Sami Salo, selbst als brachialer Schütze bekannt. „Es spielt keine Rolle, ob der Pass aus einem schlechten Winkel kommt oder nicht ganz präzise ist, er lässt immer den perfekten Schuss folgen.“

Noch vor ein paar Jahren blieben weltweit Spieler nach dem Training auf dem Eis, um sich gegenseitig Schlagschüsse aufzulegen. Mittlerweile spielen sie sich die Pucks extra schlecht zu, um zu lernen, mit dieser im Spiel viel häufiger vorkommenden Situation umzugehen. In der National Hockey League sinkt der Anteil von Schlagschüssen kontinuierlich. Lediglich jeder fünfte Schuss erfüllt die Kriterien eines ordentlichen Schlagschusses. Und nur noch Mannschaften mit herausragenden Spezialisten in ihren Reihen setzen auf die brachialste Form des Abschlusses. Außerdem wird sich im Eishockey kein Trainer finden, der es wagt, Alexander Ovechkin den Schlagschuss zu verbieten.

Wie der ordentlichen Schlägerei mit bloßen Fäusten zwischen zwei blutenden Männern und dem rückenmarkerschütternden Check wird auch dem Schlagschuss hinterhergeweint. „Den Schlagschuss umgibt eine herrliche Romantik“, sagte Dave Poulin, ein Ex-Profi, der es zwischenzeitlich in die Chefetage der Toronto Maple Leafs geschafft hatte. „Wir haben einen Jungen in der Mannschaft, Phil Kessel, der in Sachen Timing und Abzug einen der besten Handgelenkschüsse überhaupt hat. Aber wenn er vor der Wahl steht, den Handgelenkschuss zu nehmen oder es vom Rand des Bullykreises krachen zu lassen, dann wird er sich immer für den direkt abgenommenen Schlagschuss entscheiden.“ Und dann gibt es noch die Schlagschüsse, von denen selbst die Schützen wissen, dass sie nicht im Netz einschlagen werden – zumindest nicht direkt.

Jeder Schuss aufs Tor ist ein guter Schuss, selbst wenn er gar nicht beim Torhüter ankommt. Es gibt Powerplays, die werden von außen als einfallslos wahrgenommen – Puck an die blaue Linie, Direktabnahme, Verteidiger blockt den Schuss, Puck also wieder an die blaue Linie, Direktabnahme, wieder blockt der Verteidiger den Schuss. Schüsse zu blocken, kann sehr wehtun und schlimme Folgen haben (Greg Campbell, Jörg Mayr und unzählige weitere furchtlose Unterzahlspezialisten, die sich dabei schwere Verletzungen zugezogen haben, können davon immerhin auf jeder Party berichten).

Vielleicht noch nicht beim ersten oder zweiten Mal, spätestens aber beim dritten Mal und beim vierten Mal schmeißt sich der Unterzahlverteidiger nicht mehr mit Verve in den Schuss. Torhütern geht es genauso. Selbst ein harter, relativ schnell abgefeuerter und präziser Schlagschuss sollte für einen Torhüter bei freier Sicht kein Problem sein. Nach zwei sicheren Paraden mit der Fanghand lässt vielleicht die Konzentration nach, vielleicht stimmt der Winkel nicht ganz und plötzlich wird der Puck vielleicht noch abgewehrt, vielleicht aber prallt er von den Schienen ab, wird unkontrollierbar und unkalkulierbar. Und dann liegt er im Netz, weil sich zuvor jemand der Macht eines Schlagschusses erinnert hatte.

Es gibt aber noch einen Grund für den Bedeutungsverlust des Schlagschusses: das Material. Die Qualitäten eines Holzschlägers wussten nur die schwersten und größten Spieler zu nutzen. Vom jungen Uwe Krupp gibt es ein großartiges Foto, das den Kölner, der später Deutschlands erster Stanley-Cup-Sieger werden sollte, beim Schlagschuss zeigt – und zwar genau in dem Moment, in dem sein Schläger das Eis berührte. Krupp bog das Holz durch, indem er sein Gewicht in den Abzug legte. Krupp ist beinahe zwei Meter groß, ohne Schlittschuhe, und war als Spieler mehr als 100 Kilogramm schwer.

Sogenannte Composite-Schläger aber biegen mittlerweile auch die Waterbugs durch, die Wasserflöhe, die einst nach Europa umziehen mussten, um ihr Talent zu entfalten, und die das Eishockey revolutioniert haben. Niemand muss mehr auf den einen Moment warten, in dem er die Zeit hat, den Puck per Schlagschuss ins Netz zu prügeln, wenn man ihn mit dem neuen Schlägermaterial per Handgelenkschuss oder per Snap Shot (ein Hybrid aus Handgelenk- und Schlagschuss) ähnlich beschleunigen, dabei aber präziser zielen kann. Und das auch aus Entfernungen, aus denen früher der Schlagschuss zum Einsatz kam.

Der Schlagschuss wird natürlich trotzdem überleben, schon allein, weil er für eine Technik Voraussetzung ist, die im Eishockey immer beliebter wird: die Deflection, das Abfälschen eines Schusses. Es ist noch nicht allzu lange her, da hatten Feldspieler noch die Chance, einen Torhüter zu überwinden, ohne ihn ausspielen zu müssen. Da reichte es, einen Schlagschuss wie Al Iafrate zu haben. Der US-Amerikaner Brian Rolston zum Beispiel war dafür bekannt, im Penaltyschießen voll aufzuziehen und damit erstaunlich oft zu treffen.

Moderne Torhüter sind im direkten Duell durch Schüsse kaum mehr zu überwinden. Deshalb ist es so wichtig, dass immer ein Angreifer dem Torhüter die Sicht nimmt – und/oder den Puck auf seinem Weg ins Tor noch leicht berührt. Als gelegentlicher Beobachter dieser schönen Sportart könnte man meinen, es sei Zufall, wenn ein 150 km/h schneller Puck über das Blatt eines Schlägers rutscht und deshalb dem Torhüter durch die Schienen. Ist es aber nicht, es ist die Präzisionsarbeit zweier Spieler, die das nicht ein- oder zweimal, sondern hundert-, oft tausendmal geübt haben.

Das heißt nicht, dass es nicht auch Zufall sein kann, deshalb werden Jugendtrainer ja auch nicht müde, aufs Eis zu schreien, dass die Stürmer vor dem Tor verdammt noch mal ihre Schläger nicht vom Eis anheben sollen. Je höher jedoch das Niveau ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sich ein Torhüter durch flache, abgefälschte Schüsse überwinden lässt.

Der halbhohe Schuss aber, den ein Stürmer im letzten Moment nach unten abfälscht, stellt auch die besten Torhüter vor unlösbare Probleme. Die Flugbahn des Pucks wird dabei ebenfalls nicht zufällig verändert, es gibt Stürmer, die in Bruchteilen von Sekunden erkennen können, womit der Torhüter rechnet – um zu versuchen, genau das Gegenteil eintreten zu lassen. Und das passiert wiederum, während ein 100 Kilogramm schwerer Verteidiger versucht, genau das zu verhindern.

Es braucht also Mut, um sich in die Bahn eines im schlimmsten Fall tödlichen Hartgummigeschosses zu stellen, Durchsetzungsvermögen und Kraft, um genau diese Position zu halten, und eine außergewöhnliche Hand-Auge-Koordination.

Es braucht aber manchmal weder einen brachialen Schlagschuss noch eine kunstvolle Deflection. Reggie Dunlop beleidigte Tommy Hanrahans Ex-Frau Suzanne so lange, bis der Torhüter der Long Island Ducks auf den Spielertrainer der Charlestown Chiefs losging – und deshalb ein Tor kassierte. Wobei nicht vergessen werden sollte, dass es sich sowohl bei Dunlop als auch bei Hanrahan um Charaktere aus dem Film Slap Shot handelt.

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