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1.5 9:12 CHECK

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Der Pass von Nikita Gusev ist schlampig, ungewohnt schlampig für einen Spieler seiner Qualität. In vollem Lauf muss sich Yegor Yakovlev den Puck mit dem linken Schlittschuh vorlegen. Das dauert keine Sekunde, der Verteidiger aber muss mehr Zeit und Konzentration auf diese Korrektur verwenden, als er sich leisten kann. Und er begeht jenen Fehler, vor dem Eishockeyspieler gewarnt werden, sobald sie ohne Laufhilfe über das Eis skaten können, Yakovlev hat den Kopf unten. Erst im letzten Moment sieht er Patrick Hager herangleiten. Er gibt den Puck auf und wartet auf den Einschlag.

Er hat gegen die ganz Großen gespielt, gegen Gretzky, Oates und Koivu, gegen die Denker des Spiels, gegen Lemieux, Lindros und Jagr, gegen die Dominatoren, und gegen Bure, Mogilny und Selänne, die Raketen auf dem Eis. Wenn Nicklas Lidström aber gefragt wird, wer sein unangenehmster Gegenspieler war, wen selbst er, der kompletteste Verteidiger überhaupt, gefürchtet hat, dann antwortet er: Brad May. Und warum? „Weil er alle seine Checks zu Ende gefahren hat.“

Jeden Check zu Ende fahren, das ist ein Mantra dieses Sports, gerade weil er durch den Check definiert wird. Das vorsätzliche Rammen, Schubsen, Überfahren des Gegners, vermeintlich, um ihn vom Puck zu trennen, charakterisiert Eishockey neben dem Schlagschuss wie keine zweite Bewegung auf dem Eis. Gecheckt werden darf allein ein Gegner in Scheibenbesitz. Es gibt klare Vorgaben für diese sehr offensive und aggressive Verteidigungstechnik, die Arme müssen angelegt sein, der Schläger darf nicht eingesetzt werden, schon gar nicht in Brust- oder gar Kopfhöhe, im Moment des Aufpralls selbst dürfen die Schlittschuhe nicht das Eis verlassen. Bleibt all das aus, ist der Check sauber. So viel zur Theorie.

In der Hektik des Spiels aber wird es schnell unrein, zumindest unordentlich und selbst ein schmutziger Körperkontakt muss nicht zwangsläufig geahndet werden. Dabei muss die Grenze zwischen dem erlaubten Einsatz und dem Foul gar nicht bewusst überschritten werden, jeder Check erfordert Aggressivität und Vorsatz. Und auch, wenn Eishockeyspieler danach gerne behaupten, dass sie das Spiel nicht spielen, um andere zu verletzen, ist es offensichtlich, dass ernsthafte Folgen, wenn nicht gewünscht, so doch immerhin in Kauf genommen werden. Die besten Checker sind Raubtiere, die ihre Beute selten ungeschoren davonkommen lassen.

„Mir wurde beigebracht, nach Gegnern Ausschau zu halten, die mit dem Kopf nach unten herumfahren“, erklärte Darius Kasparaitis, eines der gefährlichsten Raubtiere. „Es ging immer darum, die Dinge vorauszusehen: Wohin geht der Pass? Wie wird er den Pass annehmen? Wird er dabei auf den Puck schauen? Was passiert im Moment vor dem Moment? Das ist die Kunst des Checkens. Es ist nicht anders als das Toreschießen: zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.“ Die Kunst des Checkens. Jahrelang wurde über diese Kunstform gar nicht erst nachgedacht. Nur ein Spieler, der seine Checks zu Ende fuhr, galt als engagierter Spieler, weil für die weniger kunstvoll Checkenden immer die Gefahr besteht, sich selbst Schmerzen zuzufügen oder sich zu verletzen.

Kinder bekommen nicht beigebracht, die Scheibe besonders effizient zu stehlen – mit geringem Risiko für beide Beteiligten. Sondern ihnen wird eingeredet, immer den Kopf oben zu halten. Mittlerweile gibt es aber auch Trainer, die ihren Spielern vorgeben, das Stilmittel Check bedachter einzusetzen.

Jeder Check nimmt schließlich zwei Spieler aus dem Geschehen, den Gecheckten und den Checker. Das bedeutet allerdings auch nicht, dass jeder Check sinnlos war, wenn er nicht zu einem direkten Puckgewinn geführt hat. In Erwartung eines Checks treffen Spieler schlechte Entscheidungen, passen unpräzise oder überhastet. Und selbst wenn das nicht beim ersten oder zweiten Einschlag der Fall war, dann vielleicht beim sechsten oder achten. Wie so oft im Eishockey geht es auch beim Check vor allem um: Einschüchterung.

Ein erfahrener deutscher Nationalspieler hat erzählt, dass nordamerikanische Trainer in Erwartung langer Play-off-Serien insbesondere für die ersten Spiele ausgeben, wirklich jede Gelegenheit zum Check zu nutzen. Und wenn das nicht sofort Wirkung zeigte, spielte das keine Rolle. Irgendwann, spätestens ab Spiel vier, würden die Gegner genervt sein von den vielen Erschütterungen, müde, vielleicht ängstlich.

Aber noch einmal: Generell findet auch beim Check ein Umdenken statt. Highlightvideos reihen zwar immer noch schwere und nicht selten auch folgenschwere Zusammenstöße an herrliche Kombinationen oder beeindruckende Schüsse. Ein krachender Check an die Bande provoziert noch immer mindestens ein Raunen des Publikums, ein sogenannter Open-Ice-Hit spontanen Jubel.

Aber es gibt Spieler, die machen sich nicht nur über die Sinnhaftigkeit von Checks Gedanken, sondern auch über ihre Gegner. Selbst Spieler, denen man das ob ihrer Spielweise nicht zugetraut hätte. „Ich denke, dass man viele Situationen mit Sinn und Verstand anders lösen kann als mit Checks, die den Gegner gefährden“, sagte Patrick Köppchen, ein vermeintlich eisenharter und skrupelloser Verteidiger. „Das hat auch mit Respekt vor dem Gegner zu tun, denn es darf nicht sein, dass Eishockeyspieler nach der Karriere nicht mehr drei Sätze geradeaus reden können.“

40 % aller Verletzungen im Eishockey sind die Folge von Checks und zwar von allen Checks, nicht nur von den regelwidrigen. Und trotzdem raten in Drittelpausen die Experten den Teams im Rückstand, physischer zu spielen, mehr zu checken – nicht dass es irgendein Team auf der Welt interessiert, was ihnen ein ehemaliger Spieler rät, der keinen Plan für die Karriere nach der Karriere hatte, aber immerhin zwei Sätze fehlerfrei in eine Kamera sagen kann.

Der Check scheint das Universalinstrument dieses Sports zu sein. Wenn du deinen Gegenspieler beeindrucken willst, check ihn; wenn du ihm den Puck abnehmen willst, check ihn; wenn du gewinnen willst, check ihn.

Statistisch macht es übrigens überhaupt keinen Sinn zu checken. Wobei das mehr über die Statistik als über Checks aussagt. Denn dass im statistischen Mittel Teams, die mehr Checks aneinanderreihen als der Gegner, weniger Tore schießen, also eher verlieren, liegt natürlich nur daran, dass sie den Puck nicht so oft haben. Ein Spieler in Puckbesitz kann eben nicht checken, aber Tore schießen.

Zu Beginn seiner Karriere wurde der US-Amerikaner Patrick Kane gerne nach seiner offensichtlich größten Schwäche gefragt, für Kane wurden nahezu keine Checks erfasst. Seine Antwort darauf war immer dieselbe: „Es ist schwierig, zu checken, wenn man den Puck die ganze Zeit hat.“

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