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Chris

25. Oktober

Hölle

Als Chris zu sich kam, fühlte sich die Luft zwar immer noch unangenehm an, aber wenigstens tat die Hitze nicht mehr weh. Entweder hatte er sich daran gewöhnt oder es war abgekühlt.

›Oder ich bin tot‹, dachte er und wartete ab, bis ihm sein Gehirn mehr Informationen lieferte. ›Als Letztes hab ich ein Licht gesehen, das kommt also hin. Was den Rest angeht…‹

Er spürte sich bäuchlings auf heißem Stein liegen. Chris blinzelte und sah zuerst nur Schemen um sich herum, bis das Bild langsam aufklarte. Seine Augen mussten sich vollkommen an die Dunkelheit gewöhnt haben, denn nun erkannte er mehr als graue Schemen um sich herum.

Der Raum ähnelte mehr einer Höhle, denn einem Zimmer. Wände, Boden und Decke bestanden alle aus dem gleichen Fels, dunkelrot, an manchen Stellen gräulich oder von Adern aus Obsidian durchzogen, die Chris wie aus einem Fiebertraum bekannt vorkamen. Rechts und links befanden sich zwei Türen, vor ihm winzige Fenster aus dunklem, matten Glas. Draußen flackerten Funken oder weit entfernte Feuer.

Seine Gedanken tanzten wirr, als säße ihm eine fremde Präsenz im Kopf, die ihm einredete, dass alles in Ordnung sei und er sich keine Sorgen machen müsste. Aus Mangel an Alternativen versuchte Chris zuerst, sich darauf einzulassen, schaffte es aber beim besten Willen nicht.

Sein Rücken fühlte sich merkwürdig an, wund und schwer. Ein zusätzliches Gewicht lastete auf ihm, und fühlte sich an wie ein zu schwerer Rucksack, als er sich aufsetzte. Nur mit Mühe blieb er gerade sitzen und fiel nicht direkt nach hinten.

›Warte.‹ Ihm lief ein Schauer über den ganzen Körper. ›Was ist, wenn das-‹

Chris versuchte, das Gewicht zu verlagern. Es ließ sich bewegen und steuern, fühlte sich an wie zwei Gliedmaßen, mit denen er gerade ungelenk und in Zeitlupe durch die Gegend fuchtelte. Je mehr er es versuchte, desto sicherer wurde er und desto weniger fühlte sich die Welt real an. Alle Eindrücke drangen nur noch wie durch zentimeterdicke Watte zu ihm, seine Gedanken blieben stehen, sein Körper fühlte sich fremd an.

In einem Anflug Panik fühlte Chris auf seinem Rücken nach. Fast sofort stießen seine Finger auf zwei riesige Fortsätze, die aus seinen Schultern ragten, mit weicher Haut bespannt, von hunderten Federn besetzt. Kaum, dass er sie berührte, zuckte ein Schmerz durch seinen gesamten Körper und hinterließ erst ein taubes Gefühl, dann fühlte sich alles hundertfach intensiver an. Chris schrie auf, sank zu Boden, und begann trotz der Hitze zu zittern.

›Scheiße, das sind Flügel. Ich habe Flügel.‹ Wie um die Erkenntnis zu bestätigen, pochte der Schmerz durch seine Schultern. Selbst die Luft tat weh. ›Das kann alles nicht wahr sein.‹

Plötzlich wurde es wieder hell im Raum. Instinktiv kniff Chris die Augen zusammen, nur um sie direkt wieder zu öffnen, weil sein Blick von der Gestalt inmitten des goldenen Scheins angezogen wurde. Mit schmerzhafter Langsamkeit gewöhnte er sich genug ans Licht, um die Person dahinter zu erkennen, doch in seinem tiefsten Inneren wusste er da schon längst, dass ein Engel vor ihm stand.

Alles an ihm war makellos, von der blassen, glatten Haut über die langen, hellblonden Haare, die ihm wie flüssiges Gold über die Schultern fielen, bis hin zu jeder einzelnen, reinweißen Feder seiner Flügel. Ein Schein wie eine zerbrochene Krone zierte sein Haupt, lange Roben aus fließendem, dunkelroten Stoff bedeckten seinen Körper. Grenzenlose Verachtung schien aus seinen Augen und sein Blick allein befahl Chris, vor ihm auf die Knie zu gehen. Eine überwältigende Präsenz wühlte sich durch seinen gesamten Geist.

Auch wenn er besser sehen konnte, verstand Chris kein bisschen. »Was-«

»Du sprichst, wenn ich es dir sage«, antwortete der Engel so scharf, dass sich jeder Anflug von Widerstand im Keim erstickte. »Wie ist dein Name?«

»Chris«, murmelte er und atmete beim bekannten Klang seiner eigenen Stimme erleichtert auf.

Der Engel nickte langsam und wiederholte den Namen wie ein unbekanntes Fremdwort. Chris meinte, eine gewisse Faszination in seiner Stimme zu hören, neben mit einer deutlich präsenteren Abneigung ihm gegenüber.

»Mein Name ist Luzifer«, sagte der Engel. Es fühlte sich an, als hätte Chris das längst gewusst. »Du fragst dich, wo du bist.«

Unwillkürlich nickte er und versuchte nicht einmal, das zu bestreiten.

»Du hast vor sechshundert Jahren gegen Gott und die Herrscher im Himmel rebelliert und wurdest zur Strafe in die Hölle gestürzt. Dämonen haben dich getötet, bevor du dich wehren konntest.«

›Was?‹ Chris wusste nicht einmal, wie er reagieren sollte. Ein Teil von ihm wollte das sofort zu seiner neuen Realität erklären, aber die Tatsache, dass das so offensichtlich gelogen war, ließ sich nicht ignorieren. ›Was will er von mir?‹

»Als Engel gehörst du nicht hierher«, fuhr Luzifer unterdessen fort. Ob Unsinn oder nicht, seine Stimme verlangte Aufmerksamkeit. »Deine Seele hing in den Höllenflüssen fest und sank auf den Grund. Ich habe dich von dort gerettet.«

›Du musst den Falschen haben‹, dachte Chris in der Hoffnung, dass das Luzifer irgendwie erreichte. Etwas musste schiefgelaufen sein.

»Durch deinen Tod wurde der Bann gebrochen, der dich in der Hölle hält. Du kannst sie jetzt verlassen. Und du bist in der Lage, den Bann nun für mich zu lösen.«

»Was… Wie?«

Der Engel stutzte und fiel einen Moment lang komplett aus seiner Rolle. Er starrte Chris direkt in die Augen, seine Schönheit verzerrte sich erst zu Entsetzen und dann zu abgrundtiefer Wut. »Du stellst keine Fragen«, zischte er, anscheinend mühevoll beherrscht. »Dein Gehorsam ist das Mindeste, was du mir schuldest. Du wirst mir alles geben, was du hast.«

Etwas drückte seinen Kopf erst nach unten und zog ihn dann wieder hoch. Es fühlte sich wie ein groteskes Nicken an.

»Ruh dich aus. Ich werde nach dir rufen.«

Luzifer wandte sich um, verschwand so schnell wie er gekommen war und nahm das Licht mit sich. Es musste jetzt stockdunkel im Raum sein, aber Chris konnte immer noch problemlos sehen.

Er fasste sich vorsichtig ins Gesicht. Die Haut war kühler und glatter als er in Erinnerung hatte, aber sie fühlte sich lebendig an und nicht nach Marmor. Unter dem neuen Oberteil aus fremdem, schwarzen Stoff war seine Brust flach. Den silbernen Anhänger spürte er noch immer um seinen Hals, das Metall war angenehm kühl, als könnte ihm die Hitze nichts anhaben. Nicht die ganze Welt stand auf dem Kopf.

»Scheiße«, murmelte Chris trotzdem, weil ihm nichts Besseres einfiel. Vorsichtig legte er sich wieder auf den Boden, hielt die Flügel von sich abgespreizt, damit sie nichts berührten und schloss die Augen. Vielleicht war es sinnlos, immer noch auf einen endlosen Albtraum zu hoffen, aus dem es sich aufwachen ließ, aber den Versuch war es wert.

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